ZWEIUNDZWANZIG
Vhalla ging nicht einfach. Sie wandelte durch Zeit und Raum – von einem Ort zum nächsten, angezogen von dem einzigen Ziel, das ihr in den Sinn kam: Fitz’ Krankenlager im Lazarett. Sie nahm den langen Weg dorthin, irrte durch die Trümmer um sie herum. Die Schlacht schien in einer anderen Welt stattgefunden zu haben, und irgendwie hatte sie sich plötzlich in eine Niederlage verwandelt.
Elecia war verschwunden und Fitz schlief, wie die meisten anderen Verletzten im großen Zelt der Heiler. Vhalla ließ sich neben ihrem Freund auf den Boden sinken. Kurz nachdem sie es sich dort gemütlich gemacht hatte, öffnete Fitz mühsam die Augen und drehte ihr dann langsam den Kopf zu.
Nachdenklich schaute er sie an. »Was ist passiert?«
Unwillkürlich hob Vhalla die Hand an ihre Wange. Die Haut in der Nähe ihres Auges war geschwollen und empfindlich, sehr wahrscheinlich hatte sie sich auch schon blau verfärbt. Als sie Fitz am Nachmittag besucht hatte, war die Verletzung noch nicht da gewesen.
»Eine Menge«, flüsterte Vhalla.
»So sieht es auch aus«, stimmte Fitz zu. »Möchtest du darüber reden?«
Vhalla grübelte über seine Frage nach. Ihre unmittelbare Antwort war Nein – nicht mal ansatzweise wollte sie über die Trennung von dem Mann sprechen, der eigentlich für sie bestimmt gewesen war. Die Uhr um ihren Hals schien mit einem Mal brennend heiß zu sein. Vhalla dachte an die vielen Gelegenheiten, bei denen Aldrik geschwiegen hatte – trotz ihres verzweifelten Wunsches, dass er sich ihr gegenüber öffnen möge. Sie dachte an Larel, und die Erinnerung an sie rief ihr ins Gedächtnis, wozu Freunde da waren: um einem in Augenblicken wie diesen zur Seite zu stehen.
»Aldrik und ich, das ist vorbei.« Es laut auszusprechen, ließ es realer werden.
Fitz fuhr ihr sachte mit den Fingern übers Gesicht. »Hat er das getan?«, fragte er.
»Ja.« Vhalla versuchte nicht einmal, zu lügen. Sie hatte die Lügen satt. »Er hatte es eigentlich auf jemand anderen abgesehen«, fuhr sie fort, als sie Fitz’ Stirnrunzeln bemerkte. »Aber ja, das war er.«
Dem Südländer fehlten die Worte.
Vhalla schüttelte den Kopf. Niemand sollte denken, Aldrik würde sie misshandeln. »Es war wirklich ein Versehen. Ich bin zwischen die beiden kämpfenden Brüder geraten.« Sie lachte schwach. »Aldrik hätte mich nie absichtlich geschlagen.«
»Wenn du das sagst.« Fitz wirkte nicht gerade überzeugt.
»Es ist wahr«, versicherte ihm Vhalla. Sie brannte darauf, das Thema zu wechseln. »Ich bin jetzt eine Lady am Hof des Kaisers.«
»Was? Wirklich?« In seiner Aufregung sprach Fitz ein bisschen zu laut und bewegte sich ein bisschen zu schnell. Ein Verwundeter in der Nähe begann verärgert zu fluchen. Vhalla drückte Fitz leicht gegen die Schulter, um ihn daran zu hindern, sich aufzurichten. Er rutschte näher an sie heran. »Wie?«
»Aldrik, er …« Vhalla verstummte. Sie war es leid, Dinge preiszugeben, die ihr die Leere in ihrem Herzen schmerzhaft bewusst machten. »Er hat seine Freiheit für meine gegeben.«
Mit eisernem Griff umklammerte sie die Uhr. Wieso hatte sie das vorher noch nicht so gesehen? Das Pendel ihrer Gefühle für den Kronprinzen schwang von verzehrender Liebe hinüber zu nackter Wut.
»Ich verstehe überhaupt nichts mehr.« Fitz seufzte. »Aber es bedeutet, dass du in den Turm zurückkehren kannst, oder?«
Überrascht schaute Vhalla zu ihm hoch. Das war ihr noch gar nicht in den Sinn gekommen. In den Turm zurückkehren, ein normales Leben führen. Das alles schien so unerreichbar, dass Vhalla es nicht mal erwogen hatte. Jetzt war sie unmittelbar damit konfrontiert, und die Vorstellung machte ihr große Angst. Sie konnte nicht zurück in den Süden. Sie konnte nicht neben Aldrik und seiner neuen Braut hermarschieren. Sie konnte nicht so tun, als wäre alles ganz normal, wenn sie nicht mal wusste, was normal überhaupt war; wenn sie das Gefühl hatte, gar nicht mehr zu wissen, wer sie eigentlich war.
»Fitz … Ich …« Wie sollte sie es ihm sagen? Was würde sie tun? »Ich kann nicht zurückgehen.«
»Was?« Fitz verzog besorgt das Gesicht.
»Ich kann nicht – ich kann nicht dorthin zurückgehen. Ich bin nicht bereit dazu.«
»Vhalla, das Einzige, was du immer wolltest, war nach Hause zurückzukehren«, betonte Fitz.
»Ich weiß.« Sie fuhr sich mit den Händen durchs Haar und riss an den Knoten darin. Der Kaiser hatte ihr die Freiheit geschenkt, doch zugleich hatte er ihr das Einzige weggenommen, wozu Vhalla sie hatte nutzen wollen. Und damit hatte er ihr auch die Freude an allem anderen verdorben. Bestimmt empfand dieser abscheuliche Mann großes Vergnügen an dem, was er getan hatte. »Doch ich kann jetzt nicht in Aldriks Nähe sein – ich kann es einfach nicht.«
»Der Weg nach Solarin ist lang …«
»Das weiß ich. Aber ich kann nicht zurück zum Turm und dort wieder Elevin sein, als wäre nichts passiert. Ich möchte keine Lady am Hof von Solarin sein, eine Kriegsheldin, die mit irgendwelchen Geschichten prahlt. Ich kann auch nicht zurück nach Hause … So wie ich bin, kann ich keinen Fuß mehr in das Haus meines Vaters und meiner Mutter setzen.« Vhalla schluckte schwer. Ihre Möglichkeiten schwanden dahin. Wie konnte die Freiheit beschränkender sein als ihre vorherige Knechtschaft?
»So wie du bist? Vhalla, dein Vater würde es ganz bestimmt großartig finden, zu erleben …«
»Ich kann nicht!« Vhalla presste sich die Hand auf den Mund, als noch jemand vor sich hin schimpfte, der schlafen wollte. »Ich kann nicht, Fitz. Ich möchte meine Erinnerung an dieses Zuhause nicht verderben, indem ich als gestörtes Wrack zurückkehre, dem so viel Blut an den Händen klebt.«
»Und was willst du dann tun?« Fitz versuchte es jetzt auf andere Weise.
»Ich möchte … Ich möchte all das für eine Weile vergessen und ziellos umherschweifen, mich für eine kleine Weile einfach nur verlieren.« Auf einmal wusste Vhalla, wo sie hinmusste.
Fitz deutete ihre Miene richtig. »Und wo kannst du das?«
Vhalla schaute ihren Freund lange an. Sie sah Fitz’ Verbände, sah das Blut, das hindurchsickerte. Er war nicht in der Verfassung, zu reisen, doch wenn sie ihm verriet, wohin sie wollte, würde er sich zwingen, es trotzdem zu tun. So gern Vhalla ihren Freund an ihrer Seite gehabt hätte, seine Gesundheit war ihr wichtiger.
»Ich werde es dir nicht sagen«, erwiderte sie schließlich aufrichtig.
Keine Lügen mehr.
»Warum?« Vhalla sah die Kränkung in Fitz’ Blick.
»Weil ich nicht möchte, dass du mit mir kommst. Nicht mit diesen Verwundungen«, erklärte Vhalla hastig.
»Aber mir geht es …«
»Nein, geht es nicht.« Entschieden schüttelte Vhalla den Kopf. »Du bist nicht in der Lage, so schnell zu reiten, wie ich es vorhabe. Der Krieg ist vorbei, Fitz. Du hast überlebt. Riskiere jetzt nicht dein Leben für mich und lade mir die Last dieser Schuld auf.«
Er seufzte und verzog schmollend die Lippen. »Sag es mir trotzdem; wenn es mir wieder gut geht, ziehe ich los und finde dich.«
Vhalla lachte leise. Sie stemmte sich hoch, drückte ihre Lippen auf Fitz’ Stirn und dachte an die vielen Gelegenheiten, bei denen Larel das Gleiche getan hatte. Es war eine bittersüße Geste.
»Ich will jetzt noch nicht gefunden werden«, erinnerte sie ihn. »Ich werde dich finden. Ich werde zum Turm zurückkommen.«
»Wann?«, bedrängte Fitz sie.
»Wenn ich dazu bereit bin.« Vhalla reckte das Kinn. »Sorge gut für dich. Und weise Elecia an, das ebenfalls zu tun.«
»Sie ist diejenige, die mir Anweisungen gibt!«, beschwerte sich Fitz.
Vhalla lächelte müde. »Bei Männern braucht es eben eine starke Hand.«
Als sie sich erheben wollte, packte Fitz sie am Arm. »Vhalla, ich werde dich doch wiedersehen, oder?«
»Bei der Mutter, natürlich , Fitz.« Vhalla fasste ihn fest bei der Hand. »Du bist mein teurer, teurer Freund, vielleicht der einzige auf der ganzen Welt. Du wirst mich wiedersehen – du wirst mich sogar nicht mehr los.«
»Gut.« Er erwiderte ihren Händedruck.
»Und wenn ich in den Turm zurückkehre, erwarte ich einen ausführlichen Bericht über dich und Grahm.«
Obwohl es im Zelt ziemlich dunkel war, konnte sie sehen, wie Fitz rot wurde, und das rührte sie so, dass es ihren eigenen Schmerz etwas abmilderte. »Bis dann.«
»Bis dann.« Fitz nickte.
Vhalla verließ das Zelt, ohne sich umzudrehen. Sie würde sich nicht verabschieden, sie würde ihrem Weggang nicht diese Endgültigkeit verleihen. Was sie vorhatte, war ein vorübergehender Rückzug. Sie konnte nicht für immer davonlaufen. Aber fürs Erste würde sie so schnell von hier verschwinden, wie der Wind sie tragen konnte.
Doch vorher musste Vhalla noch eine Sache erledigen. Zu ihrer Überraschung waren die Hütten der Goldenen Garde weitgehend verwaist. Sie hatte damit gerechnet, die Mitglieder von Baldairs Elite-Truppe ausgelassen feiernd anzutreffen, aber die Gelage mussten irgendwo anders stattfinden.
So war es natürlich viel leichter. Zur Sicherheit schaute sie noch mal kurz über ihre Schulter, dann schlüpfte sie in Daniels Hütte. Sie durfte die Axt nicht zurücklassen. Als Erstes nahm sie sich einen kleinen Kleiderhaufen in der Ecke vor und suchte nach einem Stoffbündel, in dem die Kristallwaffe verborgen sein könnte.
»Wo ist sie?«, murmelte sie vor sich hin.
»Wo ist was genau?« Daniel lehnte im Türrahmen.
Vhalla erstarrte mitten in der Bewegung – wie ein erschrockenes Reh, das von einem Jäger gestellt wurde. Sie stand auf und schluckte ihre Verlegenheit herunter. »Die Axt.«
»Habe ich versteckt, wie du mich gebeten hast.« Daniel betrachtete sie nachdenklich. Mit einem solchen Blick hatte er sie noch nie angesehen, und Vhalla war sich nicht sicher, was sie davon halten sollte.
»Ich brauche sie.«
»Warum?« Er kam einen Schritt auf sie zu.
»Das muss ich dir nicht sagen«, erwiderte sie vorsichtig.
»Stimmt.« Daniel hätte sie weiter drängen können, tat es aber nicht. Nach dem, was am Abend geschehen war, wusste Vhalla das auf ganz neue Art zu schätzen. »Aber wirst du mir wenigstens sagen, ob du vorhast, dich oder jemand anderen damit zu verletzen?«
»Was?« Vhalla schnappte nach Luft. »Nein. Wie kommst du darauf?«
»Viele würden es dir nicht verdenken.« Daniel legte ihr die Hand an die Wange. Nicht zufällig fuhr er mit dem Daumen über ihre Verletzung. »Nicht, wenn er so ist.«
»So war das doch gar nicht.« Wie bei der Unterhaltung mit Fitz versuchte Vhalla sofort, Aldrik zu verteidigen, doch sobald diese instinktive Reaktion vorbei war, fiel der Groschen. »Moment mal, woher weißt du das?«
»Was glaubst du denn, wo wir alle waren – sind?« Daniel verzog das Gesicht. Vhalla sah ihn ratlos an und als Daniel merkte, dass sie noch immer nicht verstand, fuhr er fort: »Man braucht schon ein bisschen Kraft, um einen der grimmigsten Krieger und größten Magier der Welt zu bändigen.«
»Was?«, flüsterte Vhalla entsetzt.
»Baldair hat um Hilfe gerufen. Und die Garde ist gekommen«, erklärte Daniel.
»Geht es Aldrik gut?«, stieß Vhalla hervor, ohne nachzudenken.
Daniel seufzte; der Laut war der Inbegriff der Enttäuschung. Vhalla wusste nicht, was sie mehr bedrückte: sein Seufzen oder die Erkenntnis, wie sie gerade eben reagiert hatte. Es führte ihr noch einmal klar vor Augen: Sie musste hier weg . Je länger sie verweilte, desto schneller würde sie wieder in Aldriks Bann geraten.
»Der Prinz wurde überwältigt. Er kommt wieder in Ordnung – falls Baldair nicht beschließt, ihn zu töten. Er hat nichts übrig für Menschen, die Frauen misshandeln.«
Vhalla starrte auf ihre Füße, als wollte sie sie davor warnen, davonzusprinten. Sie blieben stehen. Es gelang ihnen, sich nicht zu rühren und nicht zu Aldrik zu laufen. Keinen Schritt zu tun, war ein erster Schritt.
»Die kriegen sich schon wieder ein«, versuchte sie das Ganze mit einem Achselzucken abzutun, es von sich wegzuschieben. »Die Axt.«
Daniel kniff die Augen zusammen und sah sie prüfend an. »Warum willst du sie?«
»Ich will sie einfach.«
»Sag es mir«, bedrängte er sie.
»Ich gehe fort.«
Daniel hielt inne bei dieser Neuigkeit. Seine haselnussbraunen Augen leuchteten vor Neugier. »Wo gehst du hin?«
Er hatte sie nicht gefragt, warum sie ging. »Das brauchst du nicht zu wissen.«
»Kann ich mit dir kommen?«
Vhalla hatte mit der Frage nicht gerechnet und wusste nicht, was sie darauf antworten sollte. »Warum?«
»Weil es sicherer ist, zu zweit zu reisen. Weil ich auch fortgehen möchte.« Er schwieg einen kurzen Moment lang. »Weil ich mit dir fortgehen möchte.«
Vhalla schüttelte entschlossen den Kopf. »Weißt du denn nicht, wie es steht, Daniel? Hast du es denn nicht gemerkt? Ich liebe – liebte – liebe ihn. Ich bin niemand, mit dem du zusammen sein möchtest. Ich bin gerade keine gute Gesellschaft.«
Daniel lachte schnaubend. »Wer ist das schon?« Er schenkte ihr ein Lächeln, auf das Vhalla sich ganz konzentrieren musste, sonst hätte sie nicht geglaubt, dass es echt war. »Ich dachte, ich hätte versucht, es dir zu erklären. Meine Gefühle richten sich nicht nach deinen.«
Vhalla öffnete den Mund und schloss ihn dann wieder, denn ihr fiel keine Erwiderung ein.
»Als ich von meinem letzten Feldzug zurückkehrte«, fuhr Daniel fort, »kehrte ich zu einem Brief zurück – einem Brief von der Frau, die ich liebte, und von der ich dachte, dass sie mich auch liebt. Darin stand, dass sie mich verlassen hatte.«
Vhalla dachte daran, wie Daniel ihr zwar davon erzählt, aber nie berichtet hatte, wie es weitergegangen war.
»Dann traf ich eine andere. Ich traf eine, die neugierig, beeindruckend, stark und magisch ist. Ich bekam mit, wie sie einfach weitermachte, obwohl die Welt sie abgeschrieben hatte. Und ich dachte: Wenn sie das schafft, dann kann auch ich jeden Morgen die Kraft aufbringen, aufzustehen.«
Vhallas Kehle wurde eng. Tränen stiegen ihr in die Augen, doch nicht etwa, weil seine Worte Gefühle in ihr ausgelöst hätten. Ihr brannten Tränen in den Augen, weil sie wusste, was sie Daniel trotz seiner gut gemeinten Freundlichkeit sagen musste.
»Daniel …«
»Lass mich ausreden«, sagte er und ergriff hastig ihre Hände. »Wir müssen nicht allein sein, verstehst du das denn nicht? Und ich brauche deine Liebe nicht, um dir helfen zu wollen.«
Wieder schüttelte Vhalla den Kopf. »Mich zu retten, wird das Loch in deinem Herzen nicht stopfen«, sagte sie mit einem Seufzen.
Geschockt sah Daniel sie an.
»Ich muss fortgehen, allein .« Langsam entzog sie ihm ihre Hände. Sie würde Daniel nicht länger als Trostpflaster missbrauchen. Mit einem sanften Lächeln legte Vhalla ihm die Hand an die raue Wange. »Bitte versteh das.«
Lange schaute er sie wortlos an. Dann schlossen sich flatternd seine Augenlider, und er umarmte sie ganz fest. »Pass da draußen auf dich auf.«
»Das werde ich.« Auch Vhalla drückte ihn noch einmal, dann lösten sie sich voneinander.
»Und mach dich darauf gefasst: Wenn du zurückkehrst, werde ich dich eines Besseren belehren.« Daniel grinste schwach. »Ich werde mich immer darauf freuen, dich zu sehen. Du bist nichts, womit ich ›das Loch in meinem Herzen stopfe‹, Vhalla Yarl.«
Hilflos zuckte Vhalla mit den Achseln. Er glaubte eben, was er glauben wollte. Die Zeit hatte ihre eigenen Pläne für sie – so war es immer.
Ohne weitere Proteste holte der Schwertkämpfer die Axt aus einem Versteck hinter seiner Pritsche hervor. Er versuchte nicht länger, Vhalla aufzuhalten, und bestand nicht noch einmal darauf, sie zu begleiten.
Als Vhalla beim Verlassen der Hütte ein letztes Mal den Kopf umwandte, blickte Daniel ihr mit seinen warmen haselnussbraunen Augen nach, und in seinem Blick lag stumme Wertschätzung statt offener Enttäuschung.
In den Vorratslagern klaubte Vhalla sich Proviant und ein paar Kleidungsstücke zusammen. Von den Toten waren viele Rüstungen übrig, und sie fand ein etwas zu großes Kettenhemd und einen breiten Gürtel, den sie sich um die Mitte schlang. Die noch immer gut verpackte Axt steckte sie an ihre Seite. Vhalla würde die Waffe nicht mehr aus den Augen lassen, bis sie sie Victor Anzbel ausgehändigt hatte.
Ein Pferd aufzutreiben, war überraschend einfach. Nach dem Chaos der Schlacht liefen einige von ihnen noch immer herrenlos herum. Niemand bemerkte die Windläuferin, die einen noch gesattelten und aufgezäumten Hengst für sich auswählte. Ehe sie dem Tier die Absätze in die Flanken stieß, warf Vhalla noch einen letzten Blick zurück zum Lagerpalast.
Sie trieb das Pferd zu einem hohen Tempo an und ritt ohne jede Zurückhaltung. Bei Anbruch der Morgendämmerung war sie bereits tief in den Urwald vorgedrungen und hatte den bedrückenden Rauch, der von den Scheiterhaufen des letzten Gefechts um den Norden aufstieg, hinter sich gelassen.
Als man ihr Fehlen bemerkte, war sie längst außerhalb der Reichweite der Spähtruppen.
Und als der Kronprinz vom stürmischen Aufbruch der Windläuferin erfuhr, war Vhalla Yarl schon viel zu weit entfernt, um zu hören, wie er seinen Kummer laut herausschrie.