Müde Gesichter
Zwei Tage später
»Aus diesem Grund habe ich mich dazu entschlossen, von meinem Amt als Ministerin mit sofortiger Wirkung zurückzutreten. Angesichts der Vorkommnisse stehe ich für Nachfragen nicht zur Verfügung. Die Staatsanwaltschaft Lübeck und die zuständige Bezirkskriminalinspektion werden im Laufe des Tages weitere Einzelheiten bekanntgeben. Vielen Dank.«
Julia Stöver stand auf, verließ das kleine Podium und schirmte das Gesicht mit ihrer Handtasche vor dem Blitzlichtgewitter ab. Dann verschwand sie, und die Übertragung der Pressekonferenz endete.
Ida-Marie schaltete den großen Multimedia-Monitor, der seit ein paar Wochen im Besprechungsraum hing, aus und setzte sich an den Tisch zu den anderen.
»Es wäre besser gewesen, sie hätte die ganze Wahrheit gesagt.« Birger ergriff das Wort und sprach aus, was wohl alle im Raum dachten. »Jetzt wird sie es mit dem Boulevard zu tun bekommen. Die werden keine Ruhe geben, bis sie die Wahrheit in Erfahrung gebracht haben.«
»Die werden sie so oder so belagern«, sagte Ida-Marie. »Die Medien sind voll mit diesem Fall, im Internet kursieren die wildesten Gerüchte. Auch wenn die Sache längst verjährt ist und sie um eine Strafe herumkommt, wird sie nicht ewig verheimlichen können, dass sie ihre Kinder damals ausgesetzt hat. Und dann wird sie erklären wollen, was die Gründe dafür waren, allein um ihre Reputation zu wahren. Ich kann mir jedenfalls nicht vorstellen, dass diese Geschichte für immer unter Verschluss bleiben wird. Vielleicht wird Hauke Kröger dafür sorgen.«
»Das glaube ich nicht«, entgegnete Ole. »Er wusste schon seit einem Jahr davon und hat keinerlei Verbindung zu ihr aufgebaut. Er hat seine Adoptiveltern als seine leiblichen Eltern betrachtet. Und er war glücklich mit seiner Lebensgefährtin.«
»Jetzt ist allerdings nur noch seine Adoptivmutter am Leben«, gab Ida-Marie zu bedenken.
»Denkst du etwa, er könnte genauso durchdrehen wie sein Zwillingsbruder?«
»Nein, und deshalb kann es uns im Grunde auch egal sein. Reden wir lieber über die offenen Fragen, mit denen wir uns noch herumschlagen. Ole, würdest du uns bitte wieder auf den aktuellen Stand bringen?«
Birger beobachtete seinen Sohn. Eine einzige Ermittlung und nur ein paar Tage hatten ausgereicht, um Ole reifen zu lassen. Keine Spur mehr von dem Konkurrenzgehabe und seinem etwas übertriebenen Wunsch nach Anerkennung. Dass Morten nicht am Tisch saß, spielte vielleicht auch noch eine Rolle. Aber entscheidender war mit Sicherheit die Tatsache, dass er den Job des Kriminalkommissars in seiner ganzen Wucht in kürzester Zeit kennengelernt hatte.
»Als Erstes muss ich doch noch einmal auf Julia Stöver zu sprechen kommen«, begann Ole. »Uns gegenüber hat sie sich bislang sehr kooperativ verhalten. Wir werden sicherlich noch weitere Gespräche mit ihr führen, aber viele offene Fragen haben wir nicht mehr. Allerdings werden wir wohl nicht abschließend klären können, ob ihr Vorwurf, damals vor über vierzig Jahren von ihrem eigenen Vater vergewaltigt und daraufhin mit den Zwillingen schwanger geworden zu sein, tatsächlich stimmt. Der Mann ist nämlich vor sechs Jahren gestorben.« Ole setzte kurz ab und trank einen Schluck Wasser.
»Auch Julia Stövers Mutter ist tot. Sie hat sich vor zwanzig Jahren das Leben genommen. Hier könnte man vermuten, dass sie vielleicht wusste, was ihr Mann mutmaßlich getan hat, und mit der Schuld nicht länger leben konnte. Wenn Hauke Kröger darauf bestehen würde, die Vaterschaft zu klären, könnte es theoretisch sein, dass das Ganze aufgerollt wird. Keine Ahnung, inwiefern das nach so langer Zeit noch nachweisbar ist. Aber wie schon erwähnt, glaube ich nicht, dass Kröger ein Interesse daran hat.« Er zog einen Zettel aus dem kleinen Stapel Papier, der vor ihm lag, und fuhr fort.
»Über Jens Bachmann haben wir kaum mehr in Erfahrung bringen können, als wir bislang schon wussten. Das, was damals im Ostseeblick vorgefallen ist, wird sicherlich politisch noch einmal aufgearbeitet werden müssen. Aber auch hier wird es wohl nicht zu strafrechtlichen Konsequenzen kommen, weil alle Personen, denen schon damals Gewalt, sexuelle Übergriffe und Psychoterror gegenüber den Kindern vorgeworfen wurden, tot sind. Anke Steffens war die Letzte von ihnen, die noch lebte. Über Bachmanns Leben in den letzten Jahren tragen wir derzeit mühsam Einzelheiten zusammen, aber es gibt kaum Menschen, die etwas über ihn sagen können. Auch bei der Freiwilligen Feuerwehr war er eher ein Außenseiter. Wir haben ein paar Äußerungen dahingehend, dass er oft unzufrieden war und sich über alles Mögliche beschwert hat.«
»Seid ihr in seiner Wohnung noch auf irgendetwas gestoßen, das Rückschlüsse auf sein Leben oder die Taten zulässt?« Birger nutzte die kurze Pause, die Ole machte, und wandte sich an Harald Seelhoff.
»Es gibt leider kein Manifest, wie Täter es heute gerne verfassen. Nicht einmal ein Tagebuch oder sonstige Aufzeichnungen haben wir gefunden. Man muss dazu sagen, dass die Wohnung sehr klein ist und nur aus einem Zimmer plus Bad besteht. Wenige Möbel, dafür umso größeres Chaos. Ich denke, man kann ohne Weiteres sagen, dass Bachmann sein Leben nicht im Griff gehabt hat. In solchen hygienischen Verhältnissen kann man eigentlich unmöglich wohnen. Auf seiner Matratze haben wir mehrere Brandlöcher, wahrscheinlich durch Zigaretten verursacht, entdeckt. Das hätte leicht auch schiefgehen können. Aber um auf deine Frage zurückzukommen: Nein, wir haben im Grunde nichts gefunden, was einen Hinweis auf seine Taten zulässt. Mit Ausnahme eines Kartons voll mit Kordelzugbeuteln. Die gleichen, die er bei seinen Morden benutzt hat. Von der Marke, die wir auch bereits recherchiert hatten. Die verkaufen nur in Großmengen zur Aufbewahrung von allem Möglichen.«
»Gut, dass du es erwähnst«, sagte Ole. »Die Erklärung, weshalb Bachmann seinen Opfern diese Beutel übergezogen hat, könnte in den Erlebnissen in dem Heim liegen. Julia Stöver hat ausgesagt, dass Bachmann während ihres Gesprächs in ihrem Haus erwähnte, dass man den Kindern damals Kartoffelsäcke über den Kopf stülpte, bevor man sich an ihnen vergangen hat. Hauke Kröger hat das mittlerweile bestätigt. Er glaubt, dass Bachmann mit dem langsamen Ersticken seine Opfer die gleiche Angst spüren lassen wollte, die auch die Kinder damals hatten. Die transparenten Beutel hat er wahrscheinlich benutzt, damit die Opfer sich gegenseitig sehen mussten und noch mehr Panik bekamen.«
»Können wir eigentlich davon ausgehen, dass Bachmann voll zurechnungsfähig gewesen ist?«, warf Ida-Marie ein. »Ich meine, diese furchtbaren Misshandlungen im Heim haben ihn im Gegensatz zu seinem Bruder psychisch kaputtgemacht und durchdrehen lassen.«
»Immerhin war er so klar im Kopf, dass er uns an der Nase herumführen konnte«, warf Elif ein. »Er hat sich einen falschen Namen gegeben. Und erinnert euch nur daran, dass er Morten von dieser angeblichen Person im Park erzählt hat. Er hat sogar behauptet, er selbst würde einen Hund namens Albert besitzen.«
»Ob das alles Teil eines Plans war?«, fragte Ida-Marie skeptisch. »Könnte auch dafür sprechen, dass er längst seinen Verstand verloren hatte.«
»Natürlich war er psychisch nicht mehr zurechnungsfähig«, sagte Birger entschieden.
Im Lauf der Jahre hatte er es mit so vielen Tätern zu tun gehabt, die unter Traumata oder Psychosen litten. Und trotzdem hatte sich nie ein klares Schema ergeben. Manchmal war er es leid, immerzu nach Erklärungen zu suchen, obwohl es sie natürlich gab. Es brachte sie dennoch nicht weiter. Und einen erfolgreichen Lernprozess konnte er auch nicht erkennen, wenn sie immer nur in die Vergangenheit sahen.
»Wer will es ihm verdenken, dass er die Kontrolle verloren hat?«, fuhr er fort. »Weshalb der eine Bruder ein erfolgreiches und normales Leben führte, während der andere abstürzte und am Ende nur noch auf Rache aus war, werden wir leider niemals ganz herausbekommen. Die einfachste Erklärung ist natürlich die Pflegefamilie, in der Hauke Kröger gelandet ist. Dadurch hat er Halt und Stabilität gefunden. Irgendwie hat er die Zeit im Heim aus seinem Leben streichen können. Aber auch er hatte dieses Päckchen oder vielmehr das riesige Paket zu schleppen. Es scheint einfach so zu sein, dass jeder Mensch mit solchen seelischen Belastungen anders umgeht.«
Als Birger endete, war es für einige Sekunden ganz still im Raum. Eigentlich ein passender Moment, um die Besprechung zu beenden, worüber wohl alle froh gewesen wären, aber Ole räusperte sich und setzte noch einmal an.
»Ich weiß, wir sind alle ziemlich müde und wollen ins Wochenende, aber es gibt tatsächlich noch ein paar Dinge, bei denen wir Licht ins Dunkel bringen konnten«, sagte er und blickte nach links zu Elif.
»Bis heute Mittag wussten wir nicht wirklich, weshalb Clasen und seine Frau sterben mussten. Aber dank Elifs Recherchen und eines wichtigen Tipps wissen wir nun, was Bachmann meinte, als er zu Morten und ihr sagte, wenn sie etwas nicht wollten, würden sie es einfach wegschmeißen wie ein Stück Dreck. Maren Clasen hat als Siebzehnjährige offenbar das Gleiche getan wie Julia Stöver. Sie war damals schwanger und hat ihr Kind ausgesetzt. Irgendwie muss Bachmann das in Erfahrung gebracht haben. Vielleicht hat er es irgendwo aufgeschnappt, oder aber er hat ganz bewusst nach solchen Fällen gesucht, wir wissen es nicht.«
»Heißt das, es ging gar nicht um Alexander Clasen?«, fragte Ida-Marie überrascht.
»Wir gehen davon aus, dass es um beide ging«, antwortete Ole. »Die beiden sind sehr früh zusammengekommen, aber das müssen wir noch einmal genau überprüfen. Die Umstände von damals kennen wir noch nicht. Jedenfalls muss Bachmann das Ganze so sehr an sich selbst erinnert haben, dass die Clasens als Erste sterben mussten. Wahrscheinlich kam auch noch hinzu, dass die beiden in Grömitz und auch bei Bachmann aufgrund ihrer geschäftlichen Aktivitäten ziemlich verhasst waren, wie wir wissen.« Wieder hielt er kurz inne. Er war noch nicht fertig.
»Anke Steffens«, sagte er. »Sie ist das einzige Opfer, das Bachmann persönlich durch Misshandlungen Schaden zugefügt hat. Als das Heim damals schließen musste, gehörte sie zu den Personen, denen sexuelle Übergriffe, Misshandlungen und anderes vorgeworfen wurde. Ob eines ihrer Opfer Bachmann hieß, können wir nur vermuten. Vielleicht musste sie auch deshalb sterben, weil sie die einzige Person aus dem Ostseeblick war, der diese Vorwürfe galten, die noch am Leben war.«
Birger beobachtete weiter aufmerksam seinen Sohn. Er schien noch immer nicht am Ende seines Berichts angelangt zu sein. Einerseits bewunderte er ihn für seine Beharrlichkeit, sie an diesem Freitagnachmittag, nach einer Woche, die alle an den Rand der Erschöpfung gebracht hatte, auf den aktuellen Stand zu bringen. Auf der anderen Seite schien er die müden Gesichter der anderen nicht zur Kenntnis zu nehmen.
»Ich will euch nicht weiter quälen, aber einen letzten Punkt würde ich gerne noch besprechen. Wir haben zwischendurch immer wieder geglaubt, dass Dirk Sander etwas mit den Morden zu tun hat. Dabei ging es auch um den Mann, den wir Rute genannt haben. Aber es hat sich herausgestellt, dass das nicht der Fall war. Wir wissen mittlerweile, dass er André Rutenbeck heißt und in Sanders Unternehmen als Aushilfsarbeiter angestellt ist. Offenbar war er tatsächlich sein Handlanger. Ich gehe davon aus, dass Sander ein florierendes Nebengeschäft geführt hat, indem er Leuten Geld mit lukrativen Zinsen geliehen hat. Sowohl Clasen als auch Onno Steffens gehörten zu seinen Kunden.« Ole malte bei den letzten Wörtern mit den Händen Gänsefüßchen in die Luft.
»Ich habe zwar gelernt, dass es eigentlich keine Zufälle gibt, aber in diesem Fall war es tatsächlich so, dass es eine weitere Verbindung zwischen den Clasens und den Steffens gab, die aber nichts damit zu tun hatte, dass sie sterben mussten. Allerdings wird es wohl schwierig werden, Sander etwas nachzuweisen, das in irgendeiner Weise strafbar wäre, sieht man mal davon ab, dass Rute offenbar in das Haus der Steffens einsteigen wollte, wahrscheinlich in der Hoffnung, irgendetwas im Gegenwert der Schulden, die Onno Steffens bei Sander hatte, zu finden. Sander hatte jedenfalls kurzzeitig kalte Füße, als wir ihm auf die Schliche kamen und bei ihm auftauchten. Bleibt abschließend festzustellen, dass Dirk Sander alles andere als ein seriöser Bauunternehmer ist, aber wohl auch niemand, dem wir etwas Schwerwiegendes anlasten können.«
Ole hatte seinen Bericht beendet, was er dadurch untermauerte, dass er den Stapel Papier vor ihm vom Tisch nahm und zusammenrollte.
»Danke, Ole«, sagte Ida-Marie. »Wichtig, dass wir viele Fragen schon geklärt haben. Gute Arbeit von euch allen. Ich glaube, jetzt ist es aber wirklich an der Zeit, ein paar Tage freizuhaben und auf andere Gedanken zu kommen. Wer nach dem Wochenende noch einen freien Tag braucht, kein Problem. Das regeln wir ganz unbürokratisch. Ruht euch aus, wir sehen uns dann am Dienstag wieder.«
Sie stand auf, nickte in die Runde und verließ dann den Besprechungsraum. Harald Seelhoff schnappte sich ebenfalls seine Tasche und hob seine Hand zum Abschied.
»Ich muss noch eine Mail schreiben«, sagte Ole. »Gehen wir danach noch was trinken? Dein letzter Abend als Strohwitwer, bevor Agnes wiederkommt.«
»Sollten wir wohl ausnutzen«, sagte Birger noch etwas zurückhaltend, aber für Ole war die Entscheidung schon gefallen.
»Alles klar, ich bin in zehn Minuten so weit.«
Birger seufzte. So richtig Lust hatte er nach den Ereignissen der letzten Tage eigentlich nicht mehr. Ihm war mehr nach einem Abend allein zu Hause mit einem Buch oder vor dem Fernseher. Andererseits war er froh über jede weitere Annäherung zwischen Ole und ihm.
»Genießt die Zeit, die ihr zusammen habt«, sagte Elif plötzlich. Sie war die Einzige neben Birger, die den Raum noch nicht verlassen hatte.
»Du meinst, bevor ich den Löffel abgebe?«, entgegnete er flapsig und merkte sofort, wie unangebracht das war. Elif hatte erst vor ein paar Monaten allen im Team erzählt, dass sie verheiratet gewesen und ihr Mann bei einem tragischen Unfall ums Leben gekommen war.
»Es kann jederzeit vorbei sein. Wie du weißt, habe ich –«
»Tut mir leid«, unterbrach Birger sie. »Das war völlig unüberlegt und daneben von mir.«
»Schon gut«, wiegelte sie ab. »Solche Sprüche nehme ich nicht persönlich. Niemand soll in meiner Gegenwart befangen sein. Ich wollte nur sagen, dass ich es gut finde, wenn du mit Ole etwas unternimmst. Jeder Moment zählt.«
»Da hast du absolut recht.« Birger lächelte. »Vor allem, weil es noch viel aufzuholen gibt bei uns beiden.«
»Hast du etwas von Morten gehört?«, wechselte sie plötzlich das Thema.
»Ich kann nicht in ihn hineinsehen, aber ich schätze, er wird eine Weile krankgeschrieben. Er muss sich Hilfe holen, ich habe ihm dazu geraten, das Gespräch mit unserer Polizeipsychologin zu suchen.«
»Sie ist nett«, sagte Elif. »Ich war auch ein paarmal bei ihr. Aber am Ende muss man sich aus jeder Krise selbst befreien. Es gibt niemanden, der das für dich übernimmt.«
»Du bist stark«, sagte Birger. »Ich hoffe, Morten ist es auch.«
»Ich würde ihn gerne unterstützen.«
»Aber?«
»Es war in den letzten Tagen etwas kompliziert zwischen uns.«
»Willst du darüber reden?«
»Eigentlich nicht.«
»Eigentlich?«
»Ich habe einen großen Fehler gemacht«, antwortete Elif zögerlich. »Besser gesagt, sogar zwei.«
Fehler begeht man. Wichtig ist, dass man daraus lernt. Dieses Mal dachte Birger seine Worte nur und sprach sie nicht aus.
»Ich habe Morten Hoffnungen gemacht, sogar sehr große. Das war ziemlich dumm von mir. In dem Moment habe ich mich gehen lassen. Ich musste das dringend rückgängig machen, also habe ich ihn sehr verletzt.«
»Eine etwas eigenwillige Logik«, sagte Birger.
»Ich wollte, dass er richtig wütend auf mich ist, damit er keinerlei Gedanken mehr daran verschwendet, dass er und ich … du weißt schon.«
»Du hast also nur ein wenig mit seinen Gefühlen gespielt, empfindest aber gar nichts für ihn?«, sagte Birger und fixierte sie.
»Nein … ich meine, ja … Darum geht es gar nicht«, brach es plötzlich aus ihr heraus. »Egal, ob ich mir mit Morten mehr vorstellen kann oder nicht, es wird einfach niemals dazu kommen können.«
»Und weshalb nicht?«
»Ich habe es meinen Schwiegereltern am Grab von Caner versprochen. Wir sind noch immer verheiratet, ich kann nicht mit einem anderen Mann …« Elif brach ab.
»Und das hast du Morten so gesagt?«
»Nein, ich habe behauptet, ich wäre seit Wochen vergeben.«
Birger atmete tief durch und fuhr sich etwas verzweifelt mit beiden Händen durch die Haare. Das erklärte wohl so manches Verhalten von Morten während ihrer Ermittlungen. Wahrscheinlich war er nicht immer bei der Sache gewesen. »Empfindest du nun etwas für ihn oder nicht?«, fragte er und klang dabei wenig verständnisvoll.
»Darum geht es doch gar nicht.«
»Es geht ausschließlich darum.«
»Wenn ich jetzt Ja sage, macht es das nur noch schwieriger.«
»Bei allem Respekt vor deinen Schwiegereltern und davor, dass du dein Wort nicht brechen willst, du kannst nicht dein Leben lang durch dieses Versprechen, das du ihnen in der Trauer gegeben hast, gefangen sein. Ansonsten wirst du andere Menschen immer wieder vor den Kopf stoßen. Und vor allem wirst du selbst nicht glücklich werden.«
»Kann ich denn nur glücklich sein, wenn ich einen neuen Partner habe?«
»Das musst du für dich entscheiden«, antwortete er. »Aber du solltest es nicht auf dem Rücken von Morten oder jemand anderem ausprobieren.«
»Wäre wohl am besten, wenn ich ihm wenigstens den wahren Grund für meine Reaktion nenne.«
»Das wäre ein Anfang. Aber in nächster Zeit würde ich ihn erst einmal damit in Ruhe lassen.«
Elif nickte stumm.
»Komm, lass uns jetzt gehen«, sagte Birger. »Hast du Lust, den Andresens Gesellschaft zu leisten?«
»Meinst du, das wäre für Ole in Ordnung?«
»Warum sollte es das nicht sein? Umso weniger gute Ratschläge muss ich mir von meinem Alten anhören.«
Elif und Birger fuhren herum. Ole stand in der Tür und tippte ungeduldig mit dem rechten Fuß auf den Linoleumboden.
»Na, dann los.« Birger sah seinen Sohn mit einer Mischung aus Grinsen und Argwohn an. »Aber nur, wenn du versprichst, heute Abend kein Wort mehr über die Ermittlungen zu verlieren.«
»Versprochen.«