13
Familienzeit und Flucht
Ich schrecke auf. Von irgendwoher kommen Schüsse. Es dauert Sekunden, bis ich realisiere, dass sie aus dem Fernseher klingen. Das flimmernde Licht fällt schmerzhaft hell in meine Augen und ich drehe mich zur Seite. Ich liege immer noch bei Cap im Bett. Vorsichtig taste ich nach der Fernbedienung, die ich wenig später auf einem Stapel Notizbücher auf seinem Nachtschrank entdecke. Ich schenke seinen friedlichen Gesichtszügen nur einen kurzen Blick, bevor ich mich über ihn lehne.
»Was los?«, fragt er schläfrig und bewegt sich unter mir.
Endlich treffen meine Finger auf das kühle Plastik und ich schalte den Fernseher aus.
»Sorry, schlaf weiter. Mir war es nur zu laut«, antworte ich und streiche ganz kurz durch seine Haare. So, dass ich es als zufällige Bewegung tarnen könnte.
»Okay«, murmelt er und zieht mich wieder an sich. Ich kann die Glücksgefühle und das breite Grinsen nicht mehr unterdrücken. Seine Körperwärme an meiner fühlt sich unwirklich an und zeitgleich unglaublich gut. Beinahe zu gut.
Wenig später bin ich wieder eingeschlafen und werde erst wach, als er meinen Namen flüstert.
Ich drehe mich seufzend in seine Richtung, lasse die Augen aber noch geschlossen.
»Dacre, du musst aufstehen«, sagt er etwas lauter und streicht durch mein Haar.
Mach weiter.
Ich schmiege mich noch näher an seinen warmen Oberkörper und schnurre beinahe unter seinen Streicheleinheiten.
»Sorry Mann, aber wir haben Sonntag. Es ist neun. Keine Ahnung, ob deine Mum dich wieder wecken kommt. Du solltest dann auf jeden Fall in deinem Zimmer sein«, sagt er mit seiner rauen Stimme, die mein Blut direkt wieder in Wallungen bringt. Mein Schwanz richtet sich fast komplett auf. So, als hätte er das Memo nicht erhalten, dass wir gleich aufstehen müssen.
Ich schlage die Augen auf und treffe auf seinen amüsierten Blick. Wie schafft er es, morgens so perfekt auszusehen? Es sollte verboten werden, dass einzelne Menschen so schön sind.
»Komm schon, Kurzer. Beweg deinen süßen Arsch aus meinem Bett.« Er grinst mich an und zieht die Decke von mir. Dann rutscht er zur Seite, um mir Platz zu machen.
Ich rolle mich grummelnd zur Seite und streiche mir durch die Haare, bevor ich aufstehe.
Was soll ich jetzt zu ihm sagen? Bis später beim Frühstück?
»Kurzer war übrigens nicht auf die Länge bezogen«, sagt er und blickt breit grinsend auf mein bestes Stück, das in der engen Shorts deutlich zu erkennen ist.
Ich verdrehe die Augen und ziehe mein Shirt weiter runter. Dann verlasse ich leise sein Zimmer und mache die Tür von außen zu.
Mein Blick gleitet durch den Flur. Niemand zu sehen. Selbst der Kater ist nirgendwo zu entdecken. Ich mach einen Schritt vorwärts, bis Mum plötzlich von rechts aus dem Bad kommt und ich wie angewurzelt stehen bleibe. Mist.
»O, guten Morgen, Spatz«, begrüßt sie mich und mir schießt augenblicklich Hitze in die Wangen. Während ich mein Shirt noch weiter runterziehe, damit sie nicht sieht, dass ich nicht meine eigene Unterwäsche trage.
»Guten Morgen«, erwidere ich und hoffe, dass sie zu müde ist, um genauer hinzusehen. Sie dreht sich zur Seite. Ich wiege mich schon in Sicherheit, als sie sich doch nochmal mir zuwendet.
»Wieso kommst du aus Caps Richtung?« Tja . Was soll ich dazu sagen? Ich war nicht nur in seinem Zimmer, ich hatte auch die Hand in seinen Shorts. Und er in meinen.
Mein Herz schlägt hart gegen meinen Brustkorb, als müsste es mir bei jedem Treffer erklären, wie überlebensnotwendig eine gute Ausrede jetzt ist. Dabei sorgt das Blut, das viel zu schnell in meinen Kopf schießt, eher dafür, dass meine Wangen noch fleckiger werden, anstatt dass es mich bei der Findung einer Ausrede zu unterstützt. Wenige Atemzüge später scheint mein Kopf dann endlich auch aufgewacht zu sein. »Ich wollte Cap zum Frühstück wecken«, sage ich und würde mir am liebsten stolz auf die Schulter klopfen.
»Du hast Cap geweckt?«, fragt Mum entsetzt. So als wäre es eine Todsünde, seinen Schönheitsschlaf zu stören. Dabei hat er den definitiv nicht nötig.
»Er war ja gestern schon nicht beim Ausflug dabei … dachte, dann können wir wenigstens einmal am Wochenende etwas zu viert machen.«
Mums Gesicht wird von einem breiten Strahlen erfüllt, als hätte ich ihr das größte Geschenk überhaupt gemacht. Mein schlechtes Gefühl wächst proportional zu ihrer Begeisterung.
»Das finde ich toll von dir, Carebär. Robert müsste auch schon unten sein. Ich komme gleich nach.« Mit diesen Worten verschwindet sie im Schlafzimmer und ich kann all die angestaute Luft ausatmen. Dann klopfe ich nochmal bei Cap, um ihm Bescheid zu geben.
Zwanzig Minuten später sitzen wir zu viert am Frühstückstisch und selbst Robert hat ein kleines Lächeln auf den Lippen. Die Stimmung ist entspannter als sonst. Wobei ich gar nicht weiß, wann wir das letzte Mal alle vier zusammen gegessen haben.
Ich schaue verstohlen zu Cap, der mir gegenübersitzt. Unsere Blicke begegnen sich kurz, aber bevor ich länger daran festhalten kann, stößt irgendwas gegen mein Bein. Nein, nicht irgendwas. Irgendwer. Sir Theobald. Dann springt der Kater auf den freien Stuhl neben mir und funkelt mich böse mit seinen gelben Augen an.
Was zur Hölle ist dein Problem? , richte ich telepathisch meine Gedanken an ihm. Aber er ist eben auch nur ein Kater und kein Medium. Daher bleibt sein Blick unergründlich hinterhältig. Vielleicht bilde ich mir das auch einfach alles nur ein. Ich wende mich wieder meinem Müsli zu und versuche mir nichts anmerken zu lassen. Doch als ich den nächsten Löffel zum Mund führen will, schlägt der Kater einfach mit der Pfote danach und Milch spritzt über den Tisch auf mein Shirt und in mein Gesicht. Super .
Spätestens jetzt liegt die ganze Aufmerksamkeit auf uns.
»Cap«, kommt es von Robert, der seinen Sohn wohl für das miserable Verhalten des Katers verantwortlich macht. Und so hat es Sir Theobald geschafft, die vorher lockere Atmosphäre in Sekundenschnelle zu wandeln.
»Was kann ich bitte für Theos Benehmen?« Cap verschränkt die Arme vor der Brust und funkelt seinen Vater gereizt an.
»Es ist dein Kater. Wahrscheinlich hat er sich dein Verhalten Dacre gegenüber abgeschaut.«
»Robert«, kommt es mahnend von Mum.
»Du siehst es doch selbst, wie er mit Dacre umgeht«, erwidert Robert. Von Cap kommt nichts und ich habe Angst, in seine Richtung zu schauen. Doch da mir Sir Theobald wenig später mit seinen Krallen über den Unterarm fährt, liegt meine Aufmerksamkeit sowieso wieder bei ihm.
Ein schmerzverzerrter Laut verlässt meine Lippen und ich bin kurz davor, zurückzuschlagen. Darf man Katzen schlagen? Oder verhält sich das so wie bei Frauen? Ich fahre mehrmals über meine brennende Haut und halte den Blick des Katers fest. Wenigstens das Duell sollte ich gewinnen.
»Caspar.« Er hat die sechs Buchstaben noch nicht ganz ausgesprochen, da weiß ich schon, dass sie alles ändern.
Dabei dachte ich wirklich, dass die Stimmung nicht noch schlechter werden kann. Aber da habe ich die Rechnung ohne Roberts Verhalten Cap gegenüber gemacht. Ich unterbreche den Blickkontakt zum Kater, der ein gewinnendes Miauen verlauten lässt. Zwei zu null für ihn.
Als ich dann jedoch auf Caps harte Gesichtszügen treffe, verschlucke ich mich beinahe bei meinem nächsten Atemzug. Verzweifelt schaue ich zu Mum, die irgendwas flüstert, das nur Robert versteht. Was soll ich sagen? Doch bevor ich irgendwie reagieren kann, ist Cap schon aufgestanden, hat den Tisch umrundet und greift nach dem getigerten Kater. Sir Theobald wehrt sich lautstark, aber das Battle scheint Cap zu gewinnen, der wenig später durch die Küchentür verschwindet. Eins zu null für Cap.
Schadenfreude steigt in mir auf, die wenig später versiegt, als ich realisiere, dass Cap nicht mehr wieder kommt.
»Unmöglich«, kommt es von Robert. Ich will irgendwas sagen, um Cap zu verteidigen. Aber was soll ich sagen? Ich habe keine Ahnung, warum ihn niemand mit vollem Namen ansprechen darf. Warum sein Verhältnis zu Robert so schlecht ist. Warum er nicht mehr wiederkommt. Meine Mum sagt irgendwas, das nicht zu mir durchdringt, weil mein Blick immer noch an der Stelle haftet, an der Cap verschwunden ist.
Ich nehme den letzten Löffel aus meiner Schüssel und räume danach Caps und meine Sachen weg, bevor ich die Küche verlasse. Vielleicht sollte ich zum ihm gehen? Vielleicht will er aber auch lieber alleine sein? Ehe ich mich versehe, stehe ich vor seiner Tür. Doch auch Minuten später traue ich mich nicht, anzuklopfen.
Ich gehe zurück in mein Zimmer, lege mich auf mein gemachtes Bett und weiß nicht, was ich mit der freien Zeit anfangen soll.
Dacre (10:01): Niemand könnte dich je ersetzen.
Tilo (19:44): Schleimer.
Dacre (19:46): Erzähl mir was vom Campleben. Lassen die anderen dich jetzt in Ruhe?
Tilo (20:01): Mich schon. Aber Paul nicht. Er hat mir gestern erzählt, dass er in der Schule häufig wegen seiner sexuellen Orientierung geschlagen wurde. Er dachte, dass es im Camp besser wird …
Dacre (20:11): Oh Mann. Das klingt richtig scheiße. Aber wenigstens hat er dich jetzt als Freund dazu gewonnen. Dann ist er nicht ganz allein.
Tilo (20:20): Stimmt. Ich bin schon ziemlich cool und ein Gewinn für jeden.
Dacre (20:31): Dass du es direkt übertreiben musst ;)
Tilo (20:43): Ach Mann, ich vermisse zuhause.
Dacre (20:45): Ich vermisse dich auch, Schwachkopf.