16
Gefühle und Geständnisse
Vielleicht können wir ja für immer hier stehenbleiben, und ich muss nicht mehr auf mein Handy schauen. Ich streiche durch seine Haare, während er mit seinen Händen auf meiner Brust Gänsehaut hinterlässt.
»Wir sind eigentlich zum Kochen hergekommen«, sagt er und tritt einen Schritt zurück. Doch ich ziehe ihn am Bund seiner Shorts wieder zu mir.
»Können wir nicht einfach zwei Pizzen in den Ofen schieben?«
»Wenn wir uns weiterhin so schlecht ernähren, kann ich mich davon verabschieden«, erwidert er lachend und fährt mit der Hand über sein Sixpack, das mir aus ganz anderen Gründen das Wasser im Mund zusammenlaufen lässt.
»Hör auf, mich so anzuschauen«, verlangt er. Dabei glitzern seine Augen verheißungsvoll. Doch bevor ich ihn küssen kann, klingelt es an der Tür. Wir fahren beide erschrocken zusammen und er macht sofort mehrere Schritte zurück.
»Erwartest du jemanden?«, fragt er. Ich versuche, den Stich in meiner Brust zu ignorieren, weil er so weit von mir weg ist. Gerade will ich zum Antworten ansetzen, als mir siedend heiß einfällt, dass Sara gestern geschrieben hat, dass sie mir etwas erzählen muss. Ich hatte ihr nicht mehr geantwortet, weil ich nach der Nachricht an Tilo mein Handy einfach ausgemacht hatte. Nicht die beste Art, Probleme zu lösen, wenn ich nicht mal weiß, ob es welche gibt. Keine Ahnung, was Tilo denkt.
Ich rutsche von der Küchentheke und blicke mich suchend im Raum nach meinem Shirt um. Es klingelt ein weiteres Mal und mir fällt ein, dass es oben in meinem Zimmer sein muss.
Also laufe ich in meinen weiten Boxershorts zur Tür und hoffe, dass es ganz normal wirkt, wenn ich mitten am Tag nur in Unterwäsche im Haus unterwegs bin.
Durch das Fenster in der Haustür erkenne ich Sara und öffne ihr. Sie schiebt sich die Sonnenbrille in ihr blondes, gelocktes Haar.
Ihr Blick gleitet nur ganz kurz über meinen Oberkörper, bevor sie mir in die Augen schaut.
»Hab ich dich geweckt?«
»Nee.«
Ich kratze mich am Kopf und hoffe, dass sie nicht weiter nachhakt. Schnell trete ich einen Schritt zur Seite, um sie hereinzulassen.
»Ich hole mir nur schnell im Kühlschrank was zu trinken, es ist einfach viel zu heiß draußen«, sagt sie, während sie sich ihre Schuhe von den Füßen streift.
Ich versuche, die Panik in meiner Stimme zu unterdrücken. »Warte. Ich geh uns was holen und dann können wir direkt hoch.«
»Du musst jetzt nicht den feinen, britischen Gentleman raushängen lassen. Ich bin schon unzählige Male in eurem Haus gewesen.« Sie ist schon um die Ecke verschwunden, als ich ihr mit klopfendem Herzen hinterherlaufe.
»Cap«, ruft sie erstaunt und hält mitten im Raum inne. Cap lehnt, nur in engen Shorts, die keinen Interpretationsspielraum zulassen, an der Küchentheke. Sein blondes Haar steht in allen Richtungen ab, seine Brust ist von feinen Haaren überzogen, die allerdings auch nicht den Knutschfleck kurz über seiner rechten Brustwarze verdecken.
Einen Moment herrscht absolute Stille, bis Sara sich zum Kühlschrank umdreht und sich eine Flasche rausnimmt.
»Heißes Date gehabt?«, fragt sie dann an Cap gewandt und nimmt sich ein Glas aus dem Hochschrank, als würde sie hier leben.
»Kann man so sagen«, erwidert er und schenkt ihr ein schiefes Lächeln. Die aufsteigende Hitze in meinen Wangen zu unterdrücken ist hoffnungslos, deswegen drehe ich mich unauffällig zur Fensterseite.
»Ich lass euch mal allein«, sagt er dann und verlässt den Raum.
Nachdem Sara den Inhalt des Wasserglases runter gestürzt hat, als hätte sie tagelang nichts zu trinken bekommen, nehmen wir die Flasche mit nach oben. Ich angele nach dem weißen Shirt, das auf meinem Bett liegt. Doch nur wenige Augenblicke, nachdem ich es übergezogen habe, registriere ich, dass es nicht meins ist. Der Duft nach Wald und Sommer steigt mir in die Nase und ich muss nicht erst an mir runter schauen, um zu erkennen, wem es gehört. In schwarzen Lettern prangt das Wort »Women« auf meiner Brust. Ich könnte einfach behaupten, dass ich Frauen supporte und der Typ für Meinungsshirts bin. Mein Lügengerüst würde allerdings spätestens bei der Größe des Shirts in sich zusammenfallen. Mir fehlen die breiten Schultern und der trainierte Oberkörper. Ich räuspere mich, suche in meinem Chaos nach meiner abgeschnittenen Jeans und tue einfach so, als wäre oversized voll mein Ding, falls Sara fragt.
»Sorry, ich habe nicht mit Besuch gerechnet«, sage ich, öffne ein Fenster und schiebe auf dem Weg dahin ein paar Klamotten mit dem Fuß so unauffällig wie möglich unter das Bett. Mit der Hand zeige ich auf den Schreibtischstuhl und setze mich aufs Bett. Bevor ich überhaupt dazu komme, sie zu fragen, was sie mir erzählen wollte, kommt sie mir zuvor.
»Was gibt’s Neues?«
Sie weiß von Cap und mir.
»Du zuerst«, erwidere ich, weil ich nicht bereit bin. Genauso wenig, wie ich gestern Nacht bereit war, Tilo davon zu berichten. Und trotzdem habe ich es getan. Weil ich es irgendwem erzählen musste. Auch wenn ich meinen Mutausbruch sekundenspäter schon bereut habe.
»Ich habe vorgestern bei Ruven übernachtet«, erwidert sie daraufhin und spielt mit dem Saum ihres weißen Kleides. Dabei entgeht mir das zarte Lächeln auf ihren Lippen nicht und ich muss unweigerlich auch grinsen.
»Das freut mich.« Das schmälert ihren Ausdruck etwas. Habe ich was Falsches gesagt?
»Ich habe Angst, dass alles zu schnell geht. Dass ich für ihn nur ein Sommerflirt bin. Dass wir wieder nur Freunde sind, wenn jeder in Tannstein mit seinem Unikram beschäftigt ist.«
Wenn sie wüsste, wie sehr unsere Ängste sich ähneln.
»Warum denkst du das?« Ich schlucke hart und fahre mit den Fingerspitzen über den Stoff meiner Jeans.
»Ich mag ihn schon ziemlich lange mehr , warum sollte er das jetzt plötzlich erwidern?«
»Weil ihm erst jetzt aufgefallen ist, wie großartig du bist?«
Tränen glitzern in ihren Augen, als sich unsere Blicke das nächste Mal begegnen.
»Hmm … es fühlt sich alles so gut an. So perfekt. Ich warte nur darauf, dass irgendwas passiert. Dass ihm auffällt, dass ich nicht so besonders bin, wie er dachte.«
»Sara«, werfe ich tadelnd dazwischen, auch wenn ich alles, was sie sagt, auch fühle.
»Seit Samstagabend im Nachtcafé haben wir richtig viel Kontakt. Es vergeht kein Tag, an dem wir nicht ellenlange Nachrichten miteinander teilen. Als er mich dann vorgestern gefragt hat, ob ich bei ihm schlafen will, wollte ich eigentlich Nein sagen. Weil es ja vielleicht zu früh dafür ist. Aber wer entscheidet das, wenn es sich für mich richtig anfühlt?«
»Bereust du es?«
»Nein. Nein, wir haben sowieso nichts gemacht. Also nicht nichts … Ach, du weißt schon.« Dann grinst sie so breit und entwaffnend, dass mein Herz stolpert. Vielleicht sollte ich es ihr einfach sagen. Mich ihr genauso anvertrauen, wie sie sich mir. Wir schweigen einen Augenblick. Schweben wahrscheinlich gerade beide in Momenten, in denen wir mutiger waren. In denen wir nur auf unser Herz gehört haben, anstatt alles mehrfach zu überdenken.
»Ich …«, beginne ich, halte dann aber sofort inne. Mein Bauch zieht sich schmerzhaft zusammen. Nicht, weil ich Angst davor habe, dass sie mich verurteilt. Nein. Aber es ist nicht nur meine Geschichte.
»Es ist nicht Tilo. Also der Kerl, von dem ich erzählt habe. Es ist …«
»Cap.«
Ich schaue ihr in die Augen, in denen nichts als Vertrauen und Liebe liegt.
»Ja. Ich weiß nicht, was es ist. Was wir sind. Aber ich bin noch nie so glücklich gewesen. Mit ihm fühlt sich alles verdammt richtig an. Aber wir reden nicht. Wir geben dem Ganzen keinen Namen. Manchmal schaue ich ihn an und frage mich, ob das alles wirklich passiert. Ob wir überhaupt eine Zukunft haben.«
Ein trauriger Schimmer legt sich über ihren Blick. Sie weiß genau, wovon ich rede.
»Am Anfang war es spannend und neu. So, als würde man sich wochenlang auf seinen Geburtstag freuen und plötzlich ist der Tag gekommen. Mittlerweile ist es ernster geworden. Zumindest für mich. Ich will auf die Bremse gehen, weil alles zu schnell passiert und ich die Wand, gegen die wir prallen, quasi schon sehen kann. Ich will, dass es länger anhält, aber eigentlich rechne ich jeden Tag damit, dass es vorbei ist. Ich weiß nicht, ob ich damit umgehen kann.« Ich räuspere mich, weil meine Stimme kratzig klingt. Weil mein Hals wie zugeschnürt ist. Weil ich nicht weiter darüber nachdenken will, was wäre, wenn es plötzlich vorbei ist.
»Egal wie glücklich ich gerade bin … Ich frage mich, ob es den Schmerz, der vielleicht kommt, wert ist.«
Ich lege meine Hände in den Schoß, beobachte wie in Trance, wie sie an den Rissen meiner Shorts entlangfahren. Tränen brennen in meinen Augen, denen ich nachgeben will. Es hat doch gerade erst angefangen, warum sollte es jetzt schon vorbei sein? Auch einige Atemzüge später herrscht immer noch Stille in meinem Zimmer.
Dann hebe ich den Kopf und blicke in Saras sommerhimmelblaue Augen, die verdächtig wässrig glänzen. Genau wie meine. Eine Träne löst sich aus ihrem Augenwinkel.
Einen Augenblick später stehen wir uns gegenüber. Nicht abgesprochen. Weil wir beide die Umarmung brauchen. Weil ich will, dass alles nach Sommer, Sonne und Kokos riecht. Weil ich einen Moment hoffen will, dass alles gut geht. Dass Cap mich beim nächsten Mal bittet, mit ihm zusammen zu sein. Dass er mich auch noch sehen will, wenn er wieder zurück in Tannstein ist. Dass wir uns an den Wochenenden sehen können. Saras hoffnungsvolles Seufzen vibriert in meinem Körper wider. Wir lösen uns voneinander.
»Woher wusstest du es?«, frage ich.
Sie zeigt grinsend mit dem Finger auf mein Shirt, in dem sich nicht nur ihre Tränen finden, sondern auf dem auch Caps eigentliche Vorliebe prangt. Frauen.
»Na ja und dann habt ihr euch in der Küche halbnackt verdammt auffällig verhalten.«
»Du denkst auch, dass es hoffnungslos ist, oder?«
»Weißt du, Dacre, es ist egal, was ich darüber denke. Wichtig ist, was du denkst und fühlst.«
Das weiß ich aber nicht.
»Ich kann ihn verstehen«, murmelt sie, als ich ihr nichts antworte.
Ich blicke sie fragend an.
»Du bist ein toller Mensch. Kein Wunder, dass er dir nicht widerstehen kann.« Hitze steigt mir in die Wangen und ich wende den Blick von ihr ab. »O Mann, was würden wir beide nur ohne einander machen?«, fragt sie dann seufzend und setzt sich auf mein Bett.
»Keine Ahnung«, erwidere ich grinsend und geselle mich zu ihr.
»Bist du am Samstag dabei?«
»Samstag?«
»Camille hat Geburtstag. Hat sie dich nicht eingeladen?«
Ich fahre mir seufzend in die Haare. »Keine Ahnung, aber falls sie es heute noch nachgeholt hat, habe ich die Nachricht nicht bekommen, weil ich mich nicht traue, mein Handy anzumachen.«
»Warum?«
Ich erzähle Sara von Tilo und meinem eher spontanen und unüberlegten Outing.
»Wenn er dein bester Freund ist, dann ist ihm egal, dass du auf Jungs stehst.«
Ich wünschte, alle Menschen auf der Welt wären so wie Sara. Liebevoll. Aufmerksam. Offenherzig.
Wir reden über Camilles Geburtstag, und dass ich mich am Geschenk, einem Festivalticket, einfach beteiligen soll.
Irgendwann bekommt sie eine Nachricht von Ruven, der sie um eine Verabredung bittet, und ich will sie nicht aufhalten, als sie wenig später aufsteht und aufbrechen will.
Im Flur begegnen wir Mum, die überrascht von Sara zu mir blickt und dann bei meinen, wahrscheinlich verstrubbelten Haaren, hängen bleibt. Ich sollte dringend mit ihr reden. Dann wandert ihr Blick weiter nach unten und mir fällt wieder ein, dass ich immer noch Caps Shirt trage. Scheiße.
Aber an Mums Grinsen, das sie Sara schenkt, erkenne ich, dass sie das Shirt entweder nicht bemerkt hat oder nicht bemerken wollte.
»Sara. Wie schön, dich zu sehen«, sagt sie in ihrer hellsten Singsang-Stimme.
»Freut mich auch«, erwidert meine beste Freundin. Ich lege ihr die Hand auf die Schulter, um sie zum Weitergehen zu animieren.
An der Haustür umarmen wir uns wieder.
»Du kannst dich immer bei mir melden«, murmelt sie und tritt einen Schritt zurück. Ich bedanke mich lächelnd.
»Und zieh dich um.«
»Ich hab dich lieb«, sage ich und grinse sie an.
»Ich hab dich auch lieb.« Ihr Lächeln ist so breit und ehrlich, dass es mein Herz schneller schlagen lässt.
Ich schließe die Tür und atme tief durch.
Zwei Stunden später ist mein unbeschwertes Grinsen verschwunden. Mit zitternden Händen sitze ich am Esstisch und warte nur darauf, dass Mum das Thema anspricht. Aber sie ist noch mit Robert in einem Gespräch über irgendeine Eishockey-Mannschaft vertieft. Vielleicht geht’s auch um Fußball. Oder den Terrassenumbau. Keine Ahnung.
Ich werfe immer wieder verstohlene Blicke in Caps Richtung, der gar nicht ahnt, was ich hier gerade durchmache. Er streicht sich nämlich in aller Seelenruhe Butter auf sein Brot. Zwischen den Bissen lasse ich mir so wenig Zeit wie möglich, damit ich Zeit zum Überlegen habe, wenn Mum etwas sagt.
Es ist nicht so, dass sie mich verurteilen würde. Oder sich unbedingt eine Schwiegertochter wünscht. Ich weiß, dass sie mich immer lieben wird. Aber wer spricht schon gerne mit seinen Eltern über Liebe und Sex. Niemand. Als ich den letzten Rest runtergeschluckt habe, ist es so weit.
»Sind Sara und du eigentlich zusammen?«, fragt Mum ganz unschuldig, so als würde sie sich nach dem aktuellen Wetter erkundigen. Nur, dass das Thema mein Herz nicht zum Stillstand bringt.
Aufgeregt schnappe ich nach Luft und mein Blick bleibt bei meinem Sprudel hängen. Ich greife nach meinem Glas und stürze die kühle Flüssigkeit meinen Hals hinunter. Langsam stelle ich es zur Seite und blicke ihr in die Augen.
»Nein, wir sind nur befreundet«, erwidere ich stockend, bevor ich hart schlucke. Ich muss es ihr sagen. Jetzt.
Ich atme einmal tief durch und lasse die Augen geschlossen. Mein Herz rast so schnell, dass ich für einen Moment nur Rauschen in den Ohren höre. Jetzt.
»Ich mag Jungs mehr als Mädchen.«
Dann öffne ich meine Lider ganz vorsichtig wieder und warte auf eine Reaktion von ihr. Unerwarteterweise kommt diese aber von Cap, der geräuschvoll sein Messer fallen lässt und mich entgeistert anguckt. Ich blicke irritiert zurück. Dann schaue ich wieder zu Mum, die noch immer ein Lächeln auf den Lippen trägt, das jedoch nicht ganz ihre Augen erreicht. Alles zieht sich in mir zusammen. Vielleicht hätte ich warten soll. Darauf, dass ich eine richtige Beziehung führe. Dass der Mensch, den ich mag, mich auch mag.
»Ich bin glücklich, wenn du es bist, Carebär«, erlöst sie mich, aber ich bin so gefangen in der Angst, dass alles zusammenbricht und ich ihr nur ein kleines Lächeln schenken kann.
»Bist du denn glücklich?«, hakt sie dann nach und ich weiß nicht, was ich sagen soll, ohne sie anzulügen. Ich will nicht in seine Richtung sehen, also schaue ich auf meine Hände. Ich bin glücklich, wenn wir zusammen sind. Wirklich. Aber nicht, wenn jeder im Raum denkt, wir wären nur Stiefgeschwister, und das für ihn okay ist. Weil ich nicht weiß, ob es für mich noch in Ordnung ist.
»Ja«, antworte ich also, weil Mum sich nicht sorgen soll. Schließlich habe ich mit dem Outing das Schlimmste hinter mir.
»Schön. Ich würde mich sehr freuen, den Jungen, der dich glücklich macht, kennenzulernen«, antwortet sie daraufhin und mir bleibt fast der nächste Atemzug im Hals stecken. Was soll ich daraufhin sagen? Guck rechts neben dich .
»Eines Tages vielleicht.« Dann legt sich ein Schweigen über den Esstisch.
Ich will wissen, was er denkt. Ob er sauer ist, weil ich es unseren Eltern gesagt habe? Weil wir ab jetzt noch vorsichtiger sein müssen, als sowieso schon? Aber ich kann in seinem Gesichtsausdruck nichts lesen. Eigentlich ist das nichts Neues für mich. Und trotzdem enttäuscht es mich, nach all dem was wir miteinander geteilt haben.
Roberts Räuspern reißt mich Augenblicke später aus dem Konzept und ich drehe mich in seine Richtung. Er mustert mich über den Rand seiner Lesebrille. Genau wie bei seinem Sohn weiß ich nicht, was ich aus seinen Augen lesen soll. Was er darüber denkt. Was er sagen wird. Ob er mich genauso verletzten kann wie Cap. In solchen Momenten fällt mir wieder auf, wie wenig Zeit wir eigentlich alle miteinander verbringen. Ich weiß praktisch nichts über Robert.
»Ich bin stolz darauf, dass du dich uns anvertraut hast. Danke für deine Offenheit. Ich kann Karins Aussage nur unterstützen. Solange du glücklich bist, stehen wir immer hinter dir.« Dann hebt er seine Mundwinkel und widmet sich wieder seinem Essen. Ich lehne mich sprachlos in meinem Stuhl zurück. Sollte ich mich dafür bedanken? Danke, dass du mich nicht verurteilst? Doch bevor ich überhaupt die Gelegenheit dazu habe, ergänzt er noch etwas.
»Cap, es wäre schön, wenn du auch etwas sagen würdest. Das war schließlich nicht einfach für deinen Bruder. Er soll wissen, dass wir alle immer hinter ihm stehen.«
Mein Herz rutscht mir beinahe in die Hose und ich hebe den Kopf. Zum ersten Mal seit Beginn des Gespräches erwidert er meinen Blick.
»Stiefbruder«, murmelt er. Die drückende Stille, die daraufhin folgt, macht mich nervös. Er räuspert sich und mein Magen krampft sich zusammen.
»Schön, dass du glücklich bist, Dacre .« Nicht ein Buchstabe in dem Satz fühlt sich so an, als würde er es wirklich meinen. Ich mag es, wie er meinen Namen sagt. Aber nicht so. Nicht mit so viel Gleichgültigkeit.
Robert nickt Cap zu und damit scheint für alle das Gespräch beendet. Für mich nicht. Ich will wissen, was los ist. Was sein Problem ist. Was ich falsch gemacht habe. Warum er mich den restlichen Abend nicht mehr anschaut. Warum ich zum ersten Mal seit Tagen alleine schlafen muss.
Tilo (7:54): Ich auch …
Tilo (12:30): Das fühlt sich so falsch an über Nachrichten davon zu erzählen.
Tilo (12:33): Du hast mir zuerst geschrieben und anstatt nachzufragen, habe ich meine Geschichte auch direkt preisgegeben. Wie war es? Wer war es?
Tilo (12:36): Lass mich raten, der Boygroup-Typ. Josh? Oder?
Tilo (21:33): Ich mag dich immer noch. Also nur weil wir jetzt beide einen Kerl geküsst haben, heißt das ja nicht, dass wir nicht mehr befreundet sein können.
Tilo (22:50): Dacre?
Dacre (22:58): Sorry. Cool, dass immer noch alles gut ist. Ich erzähle dir irgendwann davon. Gerade ist nicht so gut.