20
Unverständnis und Ungeduld
Er starrt die Decke an. Ich ihn. Ich bin so was von verloren. Während er mit den Fingerspitzen über meinen Rücken fährt, erzählt er mir von den Sternen. Davon, dass es in Tannstein ein Planetarium gibt, was für ihn einer der schönsten Orte in der Universitätsstadt ist. Und von der Sternwarte, die er wegen des Studiums häufiger aufsuchen muss.
»Ich wünschte, ich könnte ihr all das zeigen, was ich in den letzten Jahren gelernt habe.« Ich will, dass er es mir zeigt. Dass er mich zu sich einlädt. Dass er mir seine Welt außerhalb seines Zimmers zeigt.
»Vielleicht bekommst du irgendwann die Chance dazu.«
»Vielleicht«, murmelt er und küsst mich wenig später.
Ich weiß nicht, was passiert ist, seit wir uns ausgesprochen haben. Seit Maxi uns unterbrochen hat. Aber er ist anders. Wir können uns kaum zusammen in einem Raum aufhalten, ohne dass er meine Nähe sucht. Selbst dann, wenn wir mit Mum und Robert am Tisch sitzen, berühren sich unsere Füße immer. Ich weiß nicht, ob es ihm auffällt, dass wir mehr kuscheln als reden. Dass unser Körperkontakt in den seltensten Fällen sexuell motiviert ist. Dass er mir nicht sagt, was er denkt oder fühlt. Dass er es mir nur zeigt. Ich will keine Sekunde davon missen. Will das Gefühl von seiner Wärme an meinem Körper nicht vergessen. Ich will nichts sagen, weil ich es mag, in seinem Arm zu liegen. Weil ich süchtig bin nach seinen Küssen auf meiner Haut. Weil ich ihn liebe
.
»Schon wieder?«, fragt er grinsend, als er sich von mir löst und meinen Schritt betrachtet. Was erwartet er, wenn wir nackt nebeneinanderliegen?
»Ich bin siebzehn«, erwidere ich, als wäre das eine Erklärung
für mein Problem
.
»Erinnere mich nicht daran«, antwortet er stöhnend.
»Meinst du, davon wird es besser?«
Er seufzt und ich ziehe die Decke höher, sodass sie mein Becken bedeckt.
»Ist dir kalt?«
»Nö. Aber kümmerst du dich um das Problem?«, frage ich, ernte aber nur ein lachendes Kopfschütteln. Ich habe keine Ahnung, warum wir nicht wenigstens ein paar kleine Schritte nach vorne machen können. Ich mustere sein Gesicht. Verliere mich in seinen scharfen Zügen, bevor mein Blick zum wiederholten Male an der kleinen Narbe an seinem Kinn hängen bleibt. Mit den Fingerspitzen fahre ich über die unebene Haut.
»Was ist da passiert?«
»Robert hat mich auf Schlittschuhe gestellt, obwohl ich nicht wollte. Habe mir das Kinn an der Bande angeschlagen, als ich gefallen bin.«
»Das klingt schmerzhaft. Danach bist du bestimmt nicht mehr gefahren, oder?«
»Doch. Robert wollte, dass ich weitermache und mich nicht von der Angst unterkriegen lasse … Ich habe solange Eishockey gespielt, bis Mama uns verlassen hat. Danach hatte Robert dafür keine Zeit und ich keine Lust mehr.«
»Versteht ihr euch deswegen so schlecht?«
»Er war nie wirklich eine Vaterfigur … Also wüsste ich nicht, warum ich ihn so behandeln sollte. Also bin ich zu ihm wie zu allen anderen.«
»Abweisend?«, schlage ich vor, woraufhin er mich knurrend auf den Rücken wirft.
Als er nur eine Sekunde später auf mir liegt, versteht mein Körper das Memo, dass hier gerade nichts Sexuelles läuft, nicht.
»Du bist die größte Versuchung, die mir je untergekommen ist«, flüstert er und reibt seine Nase über meinen Hals.
»Dann mach was draus«, erwidere ich und drücke mein Becken gegen seins.
»Manchmal habe ich das Gefühl, dass du nur Sex von mir willst.« Als er mir dann in den Nacken beißt, lache ich verzweifelt auf.
»Hast du dich mal angeguckt?« Zur Unterstreichung meiner Aussage fahre ich mit den Händen über seine festen Rückenmuskeln bis zu seinem nackten Arsch. Er rollt sich schneller von mir runter, als ich den nächsten Wimpernschlag machen kann. Ich seufze genervt aus.
»Hast
du
mal in den Spiegel geguckt?«, fragt er dann leise.
Ich antworte nichts. Was auch? Dass ich aussehe wie ein kleiner Junge? Dass ich nicht verstehen kann, warum er hier mit mir liegt?
Er streicht mir durch die Haare, fährt mit den Fingern über meine Gesichtszüge und sagt nichts. Muss er aber auch nicht, weil ich all seine Gedanken aus dem tiefen Blau seiner Augen lesen kann. All die Liebe, die er sich selbst nicht eingesteht. Ich weiß nicht, wovor er Angst hat. Dass wir keinen
Schritt weitermachen und er irgendwann merkt, dass ich ihm nicht das bieten kann, was er will?
Dass wir einen Schritt weitergehen?
Oder davor, dass ich gehe? Manchmal schaut er genau wie jetzt. Dann, wenn ich ihn wecke, weil er mich so festhält, dass ich kaum Luft bekomme.
»Ich habe überlegt, wieder mit dem Eishockey anzufangen. Eigentlich habe ich es gemocht … Ich wollte es nur nicht mögen, weil es Roberts Wunsch war, dass ich damit anfange«, ergänzt er und legt seine Hand auf meinen Bauch. Meine ganze Haut kribbelt, aber ich versuche, meinen Körper zur Ordnung zu rufen.
Vergeblich.
»Ich finde es schön, dass du wieder anfangen willst.« Vielleicht kann ich ja irgendwann mal ein Spiel von ihm schauen. Cap in
Trikot und Schutzpolstern ist garantiert mein Untergang.
»Wie war das bei dir und den Computerspielen?«
»Ich habe einen Ausweg aus dem Alltag gesucht, ein paar Spiele getestet und bin bei
Myrsky
hängengeblieben.« Daraufhin lacht er.
»Was ist daran so lustig?«
»Du bist ungewohnt kurz angebunden.« Er streichelt meinen Bauch und schiebt die Decke mit seinen Bewegungen immer weiter runter.
»Gerade ist ziemlich wenig Blut in meinem Kopf.« Ich atme zitternd ein und versuche, das Kribbeln in meinem Körper zu ignorieren.
»Okay, wir reden, aber dann kümmerst du dich darum«, schlage ich vor und drehe meinen Kopf in seine Richtung.
»Deal«, haucht er und zwinkert mir zu.
»Ich habe aufgehört zu spielen.«
Er reißt die Augen auf und hält in seiner Bewegung inne.
»Entspann dich. Das klingt dramatischer, als es ist. Ich will im Moment keine Zeit ins Gaming stecken, obwohl es gerade am wichtigsten wäre. Also habe ich mich entschieden, TJ und Sandura nicht weiter aufzuhalten.«
»Hast du das aufgegeben wegen uns?«
Uns
.
»Ja. Aber das war meine Entscheidung und ich bereue es nicht.«
»Aber das war dein Ding. Du hast Geld damit verdient und hättest daraus was Berufliches machen können.«
»Ja. Aber ich wollte das hier mehr.«
Er schließt die Augen. Ich habe keine Ahnung, was mich erwartet, als er sie wieder öffnet.
»Das hättest du nicht wegen mir machen müssen.«
»Habe ich aber. Und jetzt hör auf zu reden und hilf mir lieber.«
Ich befreie meine Erregung von der Decke und streiche mit den Fingern darüber. Jede Berührung entfacht meine Lust und ich
wünschte, es wären seine Hände auf meiner Haut.
»Ich könnte allein davon kommen, dir nur dabei zuzusehen.« Dann beugt er sich über mich und verteilt Küsse auf meiner Haut, die er immer weiter gen Süden platziert. Ich streiche meinen Ständer auf und ab und seufze, als er über meinen Bauch leckt. Seine blonden Strähnen kitzeln meine Haut und ich versuche, mir ein Stöhnen zu verkneifen. Als er dann aber da angekommen ist, wo seine Lippen noch nie zuvor waren, kann ich mich nicht mehr zurückhalten. »O Gott …«
»Das ist eine Steilvorlage.« Sein Lachen streicht über meine erhitzte Haut.
»Lass sie einfach liegen, Caspar«, murmele ich und fahre mit den Fingerspitzen in sein Haar. Er küsst, knabbert und leckt über meine Haut, aber nicht an den richtigen Stellen.
»Was wird das, wenn du fertig bist?«, frage ich atemlos. Er hebt seinen Kopf. An den Anblick könnte ich mich gewöhnen. Er zwischen meinen Beinen.
»Ich könnte mir vorstellen, dass du kommst. In mir«, haucht er, senkt sein Haupt und leckt endlich über meinen Ständer.
»Scheiße«, stöhne ich und drücke zeitgleich mein Becken gegen seine Lippen.
»Ungeduldig?«
»Wo denkst du hin?«, presse ich zwischen zusammengebissenen Zähnen hervor.
»Gut zu wissen.« Dann löst er seine Lippen wieder und beginnt die Innenseite meiner Oberschenkel zu küssen.
»Nimm. Ihn. In. Den. Mund. Caspar.«
Unsere Blicke begegnen sich. In dem dunklen Blau seiner Augen schwimmt so viel Erregung, dass es mir für einen Moment den Atem raubt.
Dann greift er nach meinem Schwanz und kommt Sekunden später meiner Bitte nach. Hitze und Lust ergießen sich in meinen Adern, als er mich noch ein Stück weiter aufnimmt. So fühlt
sich das also an. Reflexartig bewege ich meine Hüften, die er wenig später mit der Hand zurück in die Matratze drückt. Lust regiert meinen Körper und ich weiß nicht, ob ich die Augen schließen oder ihn weiterbeobachten soll. Ob ich seinem Kopf die Richtung vorgeben soll oder nicht.
Ich versuche, nicht darüber nachzudenken, wie surreal sein Anblick ist, sondern mich nur auf das Gefühl zu konzentrieren. Auf seine Zunge, die über meine Erregung tanzt. Auf seine Finger, die sich schneller auf und ab bewegen. Auf das Kribbeln, das mich überfällt, das mir den Atem raubt und den Herzschlag beschleunigt. Das mich Sterne und zeitgleich alles sehen lässt. Das Kribbeln, das mich von der Kante stößt und stöhnend kommen lässt. Doch alle meine Laute werden von Caps Hand, die meinen Mund verschließt, gedämpft.
Ich küsse seine Handinnenfläche, als ich wieder zu mir komme. Als ich wieder realisiere, dass wir in seinem Zimmer liegen. Dass das hier mein Leben und kein Traum ist.
Er nimmt seine Hand von mir. Sein Gesicht schwebt plötzlich wieder über mir. Seine Augen glitzern und sein Mund ist rot und geschwollen.
»Du bist so schön«, seufze ich.
»Ich glaube, da ist jemandem der Orgasmus zu Kopf gestiegen.«
»Und ich finde, du solltest deinen Mund anderweitig nutzen, als solche Kommentare abzugeben.«
Dann stütze ich mich auf die Ellenbogen und lege meine Lippen auf seine. Küsse ihn, obwohl er nach mir schmeckt.
Tilo (19:22):
Bist du glücklich?
Dacre (20:23):
Er macht mich glücklich.
Tilo (20:55):
Sei bitte vorsichtig.
Dacre (21:41):
Ich versuche es.
Dacre (21:53):
Was ist mit Paul?
Tilo (22:03):
Erzähle ich dir, wenn ich wieder zurück bin.
Dacre (22:20):
Okay. Kann´s kaum erwarten.
Tilo (22:26):
Ich auch nicht. Glaub´s mir. Sobald ich nicht in deiner Nähe bin, machst du dumme Sachen.
Tilo (22:32):
Sehr dumme.
Dacre (23:02):
Arsch.
Tilo (23:05):
Hab dich auch lieb.