25
Botschaften und Badewannen
Ich weiß nicht, wie lange ich völlig zerbrochen und weinend auf dem Boden liege. Wie lange ich damit kämpfe, aufzustehen und weiterzumachen. Zu ignorieren, wie weh es tut. Es ist schließlich nur ein gebrochenes Herz. Jeder verliert mal, wenn es um die Liebe geht. Ich habe meinen Dad verloren. Ich sollte aufstehen, weil ich weiß, was Verlust eigentlich bedeutet. Cap lebt schließlich noch.
Warum tut es dann trotzdem so verdammt weh? Warum versiegen meine Tränen nicht? Warum fühlt sich meine Brust so an, als würde jemand auf ihr stehen? Warum fühle ich mich dann so leer und gleichzeitig so ertränkt in Gefühlen?
Warum habe ich so viel riskiert für das hier?
Ich kann das Geräusch erst nicht zuzuordnen. Mein Herz fängt schon an schneller zu schlagen, bevor ich die Tritte erkenne. Bevor mir auffällt, dass es vier Beine anstatt zwei sind. Dass es Pfoten anstatt Caps Füße sind.
Ich rolle mich zur Seite, hoffe, dass sich der Boden auftut, damit ich verschwinden kann. Damit sich der Kater nicht lustig über mich macht. Obwohl er jedes Recht dazu hätte. Er wusste bestimmt, dass das nicht gut ausgehen kann.
Ich halte den Atem an, als er neben mir stehenbleibt. Rechne schon fast damit, dass er mir mit der Pfote einen Kinnhaken gibt. Doch dann legt er sich neben mich. Seinen Kopf an meinen.
Ich erwarte wenigstens ein anklagendes Miau. Aber seine kleine Schnauze verlässt kein Laut.
Er mustert mich lediglich. Meine Tränen laufen immer noch, aber mein Körper wird nicht mehr von Schluchzern erschüttert.
Langsam sickert die Kälte wieder in meine schmerzenden, tauben Glieder. Ich spüre auch das leichte Vibrieren, das von Sir Theobald ausgeht. Das irgendwie eine beruhigende Wirkung hat. Meine Gedanken werden langsamer. Mein Körper schwerer.
Ich werde wach, weil mir irgendwer zaghaft gegen die Stirn tritt. Cap .
Ich schlage die Lider auf und blicke in Sir Theobalds grüngelbe Augen. Ich zucke vor Schreck zusammen, weil er mir plötzlich so nah ist.
»Miau«, faucht er und sein Thunfisch-Atem trifft mich. Angeekelt drehe ich mich zur Seite. Dabei spüre ich jeden Wirbel einzeln auf dem harten Boden. Allerdings scheint der Kater mich nicht so schnell gehen lassen zu wollen, denn er hüpft einfach über mich und legt sich wieder in Blickrichtung. Näher als er mir je war. Außer natürlich in den Momenten, in denen er mich attackieren wollte. Doch jetzt ist der Ausdruck in seinen Katzenaugen anders. Weniger feindselig. Selbst sein Miauen klingt anders. Leidend. Beinahe so, wie sich mein Herz anfühlt. Ich strecke die Hand aus. Vorsichtig. Mit den Fingern fahre ich zaghaft über seinen Kopf. Sein wehleidiges Klagen hört abrupt auf. Ein Schnurren erfüllt den Raum.
»Er hat auch dich im Stich gelassen«, murmele ich und rutsche noch ein wenig näher zu ihm. Er legt mir die Pfoten auf die Brust. Auf das Shirt, das ich gestern zu unserem Date getragen habe. Das Shirt, das ich trug, als er mich im Restaurant geküsst hat. Das nur noch nach mir riecht. Ich hebe den Kopf und schaue zu seinem Bett.
Erschöpft rappele ich mich auf, sehr zu Sir Theobalds Missfallen. Aber egal wie sehr meine Brust schmerzt und meine Augen brennen, ich will in seinem Bett liegen. Seinen Geruch inhalieren.
Ein weißer Zettel auf den dunklen Laken hält mich auf. Plötzlich schlägt mein Herz wieder. Hitze strömt durch meinen Körper und vertreibt die Kälte und Leere. Hoffnung sät sich schneller, als ich sie ersticken kann. Meine zitternden Finger greifen nach dem Stück Papier. Vorsichtig falte ich es auf. Blut rauscht in meinen Ohren. Ich ignoriere Sir Theobald, der sich um meine Beine schlängelt.
Ich stolpere über den Kater, als ich den Zettel loslasse und das Zimmer verlassen will. Stattdessen stürze ich. Falle. Ohne etwas zu spüren. Ich schnappe nach der Luft, die mir aus der Lunge gedrückt wurde. Schwarze Punkte tanzen durch meine Sicht. Wie Flecken, die er hinterlassen hat. Spuren, die nie verschwinden. Wie die auf meinem Herzen, das nur noch halb ist. Halb so viel wert.
Sir Theobalds Miauen klingt dumpf in meinen Ohren. Es dringt nicht zu mir durch. So wie die Welt um uns herum, die nur noch ein Schleier ihrer selbst ist.
Ich habe mehr verdient. Das weiß ich. Aber gerade will ich nicht mehr. Ich will ihn.
Irgendwann finde ich die Energie mich aufzurappeln, einen Schritt vor den anderen zu setzen und seine Zimmertür hinter mir zu verschließen. So fest, dass ich sie hoffentlich nie wieder öffnen werde.
Mit tränenverschleierter Sicht greife ich nach meinem Handy, das auf dem Schreibtisch liegt.
Ich brauche Tilo. Meinen besten Freund. Aber er hebt nicht ab. Wahrscheinlich hat er sein Handy nicht bei sich, weil er immer noch in diesem Camp ist, anstatt hier bei mir zu sein. Hätte er nie weggemusst, hätte ich Cap nie so nah an mich rangelassen.
Ich scrolle durch meine offenen Chats.
Teilnahmslos. Taub. Todtraurig. Ich streiche dreimal über Saras Namen, bevor ich auf Anrufen drücke.
Vielleicht sollte ich einfach wieder auflegen. Ich schaffe das auch alleine. Sara hat garantiert was Besseres zu tun.
»Ja?«
Mehr braucht es nicht, damit alles über mir zusammenbricht.
»Dacre? Was ist passiert?«
Ich höre sie kaum, weil mein Kopf summt und mein Herz schmerzt.
»Er …«, schluchze ich in den Hörer.
»O Gott, was hat er gemacht?«, fragt sie. Ich kann nicht hören, was sie fühlt. Ob sie genervt ist. Besorgt. Mich bemitleidet.
»Ich konnte … Tilo nicht … erreichen.«
»Dacre, danke, dass du angerufen hast. Jetzt sag mir bitte, was passiert ist.«
»… gegangen.« Meine Stimme bricht, bevor ich nochmal zu einer ordentlichen Formulierung ansetzen kann. Sie murmelt etwas, aber ich glaube, sie redet nicht mit mir. Vielleicht ist das hier auch alles nur ein ganz schlimmer Traum, aus dem ich nur aufwachen muss.
»Ich komme sofort vorbei. Der Schlüssel liegt immer noch unter der Fußmatte, oder?«, fragt sie und ich seufze zustimmend. Ich schleppe mich in mein Bett, ignoriere den Kater, der schon am Fußende liegt. Dann ziehe ich mir die Decke über den Kopf und schließe die Augen.
Ich träume. Ich träume. Ich träume .
Doch als ich das nächste Mal die Augen öffne, sitzt mir Sara gegenüber. Nicht Cap. Weil er gegangen ist.
Sie sitzt auf der Bettkante, mustert mich aufmerksam und liebevoll. Ihre Augen sind glasig. Sie streicht mir zärtlich durch die Haare und summt irgendeine Melodie, die mir bekannt vorkommt, die ich aber bei der Leere in meinem Kopf nicht zuordnen kann. Meine Tränen laufen weiter, ohne dass ich mir Gedanken darüber machen kann, dass sie mich so sieht. Dass sie auch weint, obwohl sie doch keinen Grund dazu hat. Ich greife nach den Taschentüchern, wische über mein Gesicht und putze mir die Nase, versuche, mich zu sammeln. Doch als ich zurück in ihr Gesicht blicke, wird mein Hals wieder enger und meine Augen brennen weiterhin.
Ich hätte es wissen müssen. Ich wusste es.
»Hast du schon was gegessen?«, fragt Sara nach einer Weile. Ich habe keine Ahnung, wie spät es ist. Irgendwann müssen Mum und Robert von ihrem Trip zurückkommen.
»Nein«, flüstere ich und schüttele den Kopf. »Aber … Ich möchte nicht hierbleiben.«
»In deinem Zimmer? Oder im Haus?«
»Hier. Mum …«
»Okay. Klar. Dann müssten wir aber zu Camille fahren, weil ich dir leider nicht mal die Couch bei meinen Eltern anbieten kann.«
Die anderen werden sowieso davon erfahren, also nicke ich nur.
Sie telefoniert vor der Tür, während ich die Decke anstarre. Irgendwann ist sie zurück, kramt in meinem Schrank und ich lausche nur den Geräuschen, die sie dabei macht.
»Schreib deiner Mum doch schon mal eine Nachricht, dass du ein paar Nächte nicht zuhause schläfst.«
Ich greife nach meinem Handy, verharre bei dem Chat mit Cap. Nur einen Moment. Zu lange. Mit zitternden Fingern tippe ich eine Nachricht an Mum, bevor ich mein Handy ausmache.
Von der Autofahrt bekomme ich kaum etwas mit. Ich betrachte die Welt, die hinter der Scheibe vorüberzieht, und frage mich, ob die Zeit auch so schnell vergehen kann.
Plötzlich prasseln Tropfen gegen die Scheiben und alles verschwimmt, wird zu Farbklecksen, die ineinanderlaufen.
»Es hat seit Wochen nicht geregnet.«
Ich weiß. Der Sommer ist genauso vorbei wie das mit Cap und mir.
Wir kommen völlig durchnässt bei Camille an, weil der Himmel auf dem Weg vom Auto zu ihrem Haus erbarmungslos auf uns niedergeprasselt ist. Ich spüre kaum etwas. Außer, dass meine Kleidung an meinem Körper klebt. An meinem schlaksigen Körper, der weder männlich genug noch weiblich ist.
»Du zitterst ja, ich hole dir ein Handtuch.«
Ich glaube nicht, dass das vom Regen kommt. Aber ich verharre einfach an Ort und Stelle und tropfe den weißen Marmorboden von Camille voll, während die Mädels nach oben verschwinden. Mein Blick verweilt solange bei meinen schlammigen Sneakers, bis sich zwei nackte Füße in mein Bild schieben. Irgendwer legt mir ein Handtuch um die Schultern und wenig später werde ich eingehüllt in Sommer und Kokos und Blumenwiese. Ganz langsam fühle ich ihre Wärme, die Reibung an meinen Armen. Höre die leisen Worte, die Sara immer wieder flüstert.
»Wir sind für dich da. Immer.«
Stumme Schluchzer durchziehen tränenlos meinen Körper, aber anstatt wegzugehen, werden ihre Umarmungen inniger. Wie lange wir so in Camilles Flur stehen, weiß ich nicht. Als sie mich irgendwann bei der Hand nehmen und nach oben bringen, folge ich ihnen einfach. Gebe mich dem Gefühl hin, nicht allein sein zu müssen.
»Theo«, flüstere ich, als mir einfällt, dass ich den Kater zurückgelassen habe.
»Ich habe seine Näpfe gefüllt. Deine Mum kommt doch später.«
Ich nicke.
»Du kannst hier übernachten. Das Badezimmer ist direkt eine Tür weiter. Ich schlage vor, dass du duschst und dir was Trockenes anziehst.«
Ich schaue zu, wie Camilles Lippen sich bewegen, brauche aber zu lange, bis das Gesagte zu mir durchdringt.
»Hast du einen Wunsch, was du essen möchtest, Dacre?«, kommt es von Sara und ich schüttele langsam mit dem Kopf. »Okay. Zieh dich um und Camille und ich kümmern uns um den Rest.«
Dann lassen die beiden mich alleine. Ich schlinge die Arme um meinen zitternden Körper. Verharre in dem Gästezimmer, das größer ist als mein eigenes Schlafzimmer. Ganz tief in mir drin weiß ich, dass ich mich nicht so anstellen sollte. Dass ich nur verlassen wurde und niemand gestorben ist. Und diese strenge Stimme schafft es schlussendlich, dass ich in meinem Rucksack nach trockenen Sachen suche.
Ich öffne die Tür zum Badezimmer und merke erst, in welchem ich bin, als mein Blick auf die Badewanne fällt. Die Wanne, von der aus man die Sterne sehen kann. Jetzt sind nur dicke Wassertropfen vor noch dickeren Wolken zu erkennen. Ich mache ein paar Schritte ins Bad, ohne die Tür zu schließen. Ohne Anstalten zu machen, mich auszuziehen. Stattdessen liege ich wenig später in der Wanne und blicke zu dem runden Dachfenster. Vor einer Woche waren wir hier. Vor einer Woche hätte ich schon zugeben müssen, dass er mir zu wenig gibt. Vor einer Woche dachte ich noch, dass er mich so lieben könnte, wie ich ihn.
»Gott, Dacre, du hast mir einen Riesenschrecken eingejagt.« Sara kommt ins Badezimmer, hockt sich neben die Wanne und legt ihre Arme auf den Rand. »Ich kann verstehen, dass du lieber baden willst«, sagt sie und blickt nach oben.
»Ich habe hier meinen ersten Blowjob gegeben«, erwidere ich nur und folge ihrem Blick wieder.
»O.« Dann sitzen wir zusammen da. Niemand sagt etwas. Aber keiner ist alleine.
»Ihr könntet auch mal antworten, wenn ich rufe.« Camille steht in der Tür mit drei Pizzakartons.
»Ich besorg noch was zu trinken«, schlägt Sara vor und steht auf. Camille legt derweilen die Kartons neben die Wanne.
»Dacre, du musst aus den Sachen raus, sonst bist du morgen krank.« Dann steigt sie zu mir und greift nach dem Saum meines Shirts. Ihre warmen Finger fahren über meine Haut und hinterlassen überall Gänsehaut. Sie hilft mir mit der Hose. Ich vergrabe mein Gesicht in die Hände. Ich will nicht, dass sie sich Umstände macht, aber ich hätte es selbst nicht geschafft. Als ich die Augen wieder öffne, weil warmes Wasser über meine Haut läuft, sitzt Camille mir in Unterwäsche gegenüber. Bevor ich wegschauen kann, nimmt sie meine Hände in ihre.
»Ich kann mir nicht vorstellen, was du gerade durchmachst, aber wir sind lange über den Punkt hinaus, dass dir das hier unangenehm sein muss. Außerdem wird hier gleich so viel Schaum sein, dass niemand mehr irgendwas sieht.«
Sie greift nach etwas, das neben der Wanne liegt, und wenig später riecht es nach Bonbons und Süßigkeiten.
»Ihr habt schon ohne mich angefangen«, kommt es gespielt entrüstet von Sara. Sie schließt die Zimmertür und stellt die Getränke zu den Pizzakartons. Ich beobachte den Schaum, während sie ihre Kleidung raschelnd loswird.
»Dacre, du musst rutschen, sonst passt Sara nicht dazu.« Ich komme ihrer Bitte nach und wenig später sitzen wir alle drei zwischen Schaumbergen. Jeder ein Pizzaviertel in der Hand. Ich schmecke zwar weder Thunfisch noch Zwiebel, aber ich fühle Freundschaft und Liebe und das reicht mir.
»Willst du erzählen, was genau passiert ist?«
»Camille«, flüstert Sara mahnend.
»Ich wollte alles und er war nicht bereit dazu.«
»Das ist nicht sein scheiß Ernst.«
»Camille, bitte.« Sara funkelt Camille, die zwischen uns sitzt und am Wannenrand lehnt, böse an.
»Ganz ehrlich, das hätte er sich doch vorher überlegen können.«
»Wir haben uns darauf geeinigt, nur so weit zu gehen, wie wir beide bereit sind … Und er war eben nicht bereit für eine Beziehung.«
»Dass er immer so eine dumme …«
»Camille, das bringt niemanden von uns was.«
»Dacre, kann froh …«
»Sprich den Satz zu Ende und alles wird den Rest deines Lebens nach rosarotem Einhorn schmecken, weil ich dich solange untertunken werde.«
Camille pustet Schaum in Saras Gesicht, bevor diese überhaupt Blinzeln oder den Mund schließen kann. Einen Wimpernschlag später stürzt Sara sich auf Camille und beide landen auf mir. Ich höre noch, wie Wasser auf den Boden platscht, bevor ich in den Schaumbergen untergehe.
Und für einen Moment, zwischen dem süßen Geruch nach Erdbeeren und dem Glitzer im Wasser, fühlt sich alles schwerelos an. Leicht. Sorglos.
Für einen Augenblick, in dem um mich herum Beine und Arme strampeln, in dem ganz viel Freundschaft liegt, fühlt es sich an, als wäre ich noch ganz. Nicht gebrochen.
Doch spätestens als wir bibbernd in unseren Handtüchern in Camilles Bad stehen und das ganze Ausmaß der Wasserschlacht betrachten, bricht die Realität über uns zusammen.
»So wurde das Zimmer wenigstens mal geputzt.«
»Camille, ihr habt Personal, das hier bestimmt einmal die Woche sauber macht«, wirft Sara ein.
»Ja und? Dann kommt Tanja eben noch einen Tag zusätzlich.«
»Camille …«
»Sara, meine Eltern bezahlen sie ziemlich gut. Außerdem ist morgen Montag, dann kommt sie sowieso.«
»Wenn du meinst.«
Stunden später, nach einem ausgedehnten Filmmarathon, stehen wir vor meiner Zimmertür.
»Schlaf gut, Dacre.«
»Kann … Können wir nicht alle in einem Raum schlafen?« Meine Stimme zittert, weil meine Frage so albern ist. Weil ich seit gestern achtzehn bin und nicht alleine schlafen kann.
»Na klar. Dann lass uns zu Camille gehen, ihr Bett ist größer.« Keiner von beiden macht sich über meine Frage lustig.
Wir klettern einfach alle drei in Camilles Bett und wenig später ist Sara schon eingeschlafen.
»Ich komme mir kindisch vor«, flüstere ich in die Nacht, in der Hoffnung, dass ich keinen wecke.
»Warum?«, kommt es von Camille.
»Du hast uns nicht gebraucht, als du und Maxi … ihr es beendet habt.« Vielleicht, weil sie weiß, dass er wieder zu ihr zurückkommt. Dass sie ihn zurücknimmt. Vielleicht empfindet sie anders für Maxi als ich für Cap.
»Ich kann schnell Sachen beenden. Mich trennen. Das zählt zu meinen unzähligen schlechten Eigenschaften.« Sie lacht seufzend und dreht sich dann in meine Richtung.
»Ich liebe Maxi. Aber nicht genug. Ich habe mein Medizinstudium geliebt. Aber nicht genug. Ich mag vieles, das ich mache. Aber manchmal ist das zu wenig.«
»Woher weißt du, wenn es genug ist?«
»Keine Ahnung.« Sie streicht über meinen Handrücken.
»Weißt du, Dacre, ich hatte echt gehofft, dass er mit dir anders ist. Dass er besser zu dir ist. Dass er dich glücklich macht. Aber Cap … Cap wird immer der Junge sein, der wegläuft. Und ich kann ihm beinahe keinen Vorwurf machen, weil ich genauso bin. Ich hasse das. Er wahrscheinlich auch.«
Tränen laufen mir still die Wangen runter. Ich kann Camilles Gesicht nur schemenhaft in der Dunkelheit erkennen.
»Weißt du, weswegen ich ihn hasse? Er hat dich verletzt und er wusste, dass es dazu kommt. Dass er sich wieder genauso verhält wie immer.«
Sie sammelt mit ihren Fingern die Tränen von meinen Wangen, die irgendwann von selbst versiegen.
»Warum wolltet ihr mit mir befreundet sein?«, spreche ich das aus, was ich mich schon seit Beginn des Sommers frage.
»Wie meinst du das?«
»Die Hausparty, die Cap geschmissen hat. Du hast mich in die Gruppe integriert, dabei kanntest du mich gar nicht.« Meine Stimme ist rau, von all den Tränen, die ich in den letzten Stunden vergossen habe.
»Ehrliche Antwort? Ich wollte Cap eins auswischen. Mich hat‘s genervt, dass er nie von deiner Mum oder dir erzählt hat, dabei wussten wir doch alle, dass sich in seiner Familie etwas geändert hat. Aber Cap … öffnet sich nie. Ich dachte, wenn du mit dabei bist, sagt er endlich mal was. Oder es ärgert ihn wenigstens. Sorry. Aber spätestens als du mit Ruven Beerpong gewonnen hast, wusste ich, dass du ziemlich cool bist. Dass wir dich mögen werden und du perfekt zu uns passt.« Einen Moment sind nur unsere Atemzüge zu hören.
»Und ich hatte recht«, ergänzt sie und ich kann das Lächeln in ihrer Stimme hören.
»Was ist … das mit dir und Cap?«
»Das … ist eine Geschichte für einen anderen Moment. Und ich sollte vorher mit ihm darüber reden.« Ich hätte ihn danach fragen sollen, als ich noch die Chance dazu hatte.
»Okay«, murmele ich.
»Gute Nacht.«
»Wünsche ich dir auch.« Ich weiß, dass ich noch Stunden wachliegen werde. Aber wenigstens bin ich nicht allein.