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Ende
Juni
Natürlich ist die schönste Frau, neben meiner Mum, an seiner Seite. Sie ist blond, kurvig und lässt ihn kaum aus den Augen.
Es sollte mir egal sein.
Und trotzdem stehe ich hier und beobachte ihn. Vielleicht hätte ich Tilo doch überreden sollen, mitzukommen. Oder Sara.
Aber nachdem ich David vor einigen Wochen gegenübergesessen habe, dachte ich, das hier wäre einfach. Naiv . Genauso wie ich gehofft hatte, dass mich die Begegnung mit David nicht in meiner Therapie zurückwerfen würde. Dass er die Strafe bekommt, die er verdient. Aber ich musste lernen, dass die Zeit im Rechtssystem noch langsamer abläuft, als wenn man Liebeskummer hat. Und ich musste lernen, dass es kein Versagen ist, wieder wöchentlich zur Therapie zu müssen, obwohl wir uns vor der Begegnung mit David nur zweimal im Monat gesehen haben. Es fühlt sich an wie ein Schritt zurück. Aber meine Therapeutin meinte, dass das dazugehört.
Dass jeder einen anderen Rhythmus hat, zu heilen. Dass es nicht wichtig ist, wie lange es dauert. Dass es viel wichtiger ist, zu erkennen, dass man Hilfe braucht und sich diese zu suchen. Dass es egal ist, wie viele Steine im Weg liegen, solange ich bereit bin, sie wegzurollen. Und das bin ich.
Mein Herz klopft schneller, als unsere Blicke sich begegnen. Schweden hat ihm gutgetan. Sein dunkelblauer Anzug sitzt unverschämt eng an seinem definierten Körper.
Die blonden Haare sind etwas länger als noch im Sommer. Die kantigen, braungebrannten Gesichtszüge und seine nachtblauen Augen wirken fast schon malerisch.
Er nickt mir zu. Ich erwidere es.
So, als wären wir nur zwei Bekannte, die sich flüchtig kennen. Die sich nie nackt gesehen haben. Die nicht wissen, wie der andere aussieht, wenn er kommt.
Wenn er lacht.
Wenn er liebt.
Ich gehe mit meinem Teller zurück zu unserem Tisch, an dem Mum und Robert gerade über irgendwas Lachen. Dann schauen sie sich in die Augen, so lange und intensiv, als wären sie die einzigen Menschen im Raum. Ich schlucke hart. Und dann stoße ich ein frustriertes Lachen aus. Leicht . Warum dachte ich, dass heute irgendwas leicht ist. Dass es mir nichts ausmacht, dass Mum und Cap jetzt den gleichen Nachnamen tragen. Dass es okay ist, dass Cap und ich auf dem Papier jetzt Geschwister sind.
Ich setze mich auf meinen Platz und schenke den beiden ein ehrliches Lächeln. Denn ich freue mich, dass Mum glücklich ist.
Auf der Seite mir gegenüber, nehmen Cap und seine Begleitung Platz. Ich schenke ihnen nur einen kurzen Blick, bevor ich mich dem Reis mit Gemüse auf meinem Teller zuwende.
Ich will gerade nach dem Glas greifen, als Robert von Cap zu mir schaut. »Karin und ich wollten noch etwas mit euch besprechen.«
»Da ihr jetzt beide in Tannstein studiert, haben wir uns entschieden, eine Wohnung für euch zu kaufen.« Leicht.
Ich weiß nicht, ob ich lachen, weinen oder schreien soll. Ob der panische Ton meinen Mund verlässt oder Caps.
Ob das Klirren in meinen Ohren mein halbes Herz ist, das zu Boden fällt und zerbricht, oder ob es Caps Glas ist, das auf den Fliesen zerschellt.
»Was?«, fragt er erstickt. Genauso atemlos, wie ich es bin.
»Cap, du hast im Januar dein WG-Zimmer aufgelöst und bist nach Schweden abgehauen, ohne darauf zu hören, was ich dazu zu sagen hatte. Wir mussten noch zwei Monate Miete zahlen, bis Joshua und Maximilian eine Nachmieterin gefunden haben. Du hast nicht einmal das Gespräch zu mir oder Karin gesucht. Wir sind eine Familie. Ich sehe es nicht ein, dir für dein rücksichtsloses Verhalten eine Wohnung für dich allein zu zahlen.« Roberts Stimme ist distanziert und kalt. So wie letztes Jahr an Weihnachten. Als Cap nicht darauf reagiert hat, als Robert ihn beinahe auf Knien angefleht hat, zu bleiben. Doch Cap war wie immer. Vielleicht sogar noch schlimmer.
»Ihr habt euch im Sommer doch gut verstanden. Dann werdet ihr die zwei Semester zusammen auch schaffen«, wirft Mum ein und schenkt uns beiden ein liebevolles Lächeln.
Ich hätte eine andere Stadt wählen sollen. Aber ich wollte in der Nähe von Sara und Camille sein. Und bei Tilo bleiben.
Ich blicke zu Cap, sehe den Sturm in seinen Augen, kurz bevor er aufsteht und geht. So wie immer.
Ohne noch einmal zurückzublicken.