Fregatte Tanner

27. März anno 1728

Richtung Norden.

Um Mitternacht in missliche Lage geraten,

gefangen unter Deck der Fregatte Tanner.

Black!

K apitän Reers war ratlos. Mit entsetztem Schweigen hatte er dem fremden Jungen zugehört.

»Wir müssen zuerst einige Reparaturen an unserem Schiff vornehmen, sonst sind wir zu langsam und können die Tanner nicht einholen.« Cornelius stand in einem weißen, langen Nachthemd und einem grün karierten Morgenmantel in seiner Kabine. Die meisten Männer seiner Mannschaft waren nicht mehr ganz jung. Wie sollten sie Black nur befreien? Er mochte den ehrgeizigen jungen Mann, der im gleichen Alter war wie sein verstorbener Sohn. Und er wusste, dass Black nicht wollen würde, dass er die Mannschaft seinetwegen in Gefahr brachte. Doch so wie er seine Männer kannte, würden sie Black helfen wollen.

»Junge, mach dir keine Sorgen, wir werden heute noch auslaufen und den beiden helfen«, versicherte er Larou gegen seine Bedenken entschlossen und fuhr sich über sein unrasiertes Kinn.

Als Larou nach dem Gespräch mit Kapitän Reers von Bord ging, hätte er zu gerne gefragt, ob er mitkommen könnte, um das Mädchen zu suchen, aber auf dem Schiff waren nur Engländer, bestimmt war er dort nicht erwünscht. Unschlüssig spielte er mit dem Gedanken, sich als blinder Passagier an Bord zu schleichen, als ihn ein fremder Mann ansprach. »Entschuldigung, könntest du mir eine Auskunft geben?«

Larou war so in Gedanken, dass er den modisch gekleideten Mann mit der weiß gepuderten Perücke nicht gesehen hatte, der ihm auf dem Bootssteg entgegenkam.

»Mein Name ist Paulsgrave Williams, und ich suche den Schiffsjungen vom Roten Löwen. Ist er an Bord?«

»Nein, sie ist leider nicht hier.« Larou hatte sich aus Versehen verplappert, aber da sein Englisch so wieso nicht das beste war, würde der Mann es hoffentlich nicht merken.

Doch Will sah ihn prüfend an. »Ist es aufgefallen, dass sie ein Mädchen ist? Ich hoffe, es geht ihr gut?«

Larou kratzte sich unsicher am Kopf. Wer war der Mann, und was wollte er von dem Mädchen? »Es ist nur mir aufgefallen, und um ehrlich zu sein, steckt sie in ziemlichen Schwierigkeiten. Sie befindet sich als blinder Passagier auf der Tanner. Um einem Freund zu helfen.« Schlimmer konnte es auch nicht mehr werden, und vielleicht konnte dieser Mann schneller helfen als der Kapitän vom Roten Löwen .

»Auf der Tanner ? Seit wann?« Der Mann verzog ärgerlich sein Gesicht.

»Seit heute Nacht.«

»Das gibt es nicht, immer entwischt mir der Wildfang knapp. Das ist kein Kind, das ist der Teufel höchstpersönlich.«

»Sie suchen den Jungen?« Kapitän Reers, der gerade an die Reling kam, hatte wohl die letzten Worte gehört.

»Ja, den suche ich«, bestätigte Will knapp.

»Dann kommen Sie doch auf mein Schiff, und wir können in Ruhe alles besprechen.«

Unsicher stand Larou am Pier und wartete. Der Mann war wütend auf Robin oder wie auch immer sie hieß. Warum suchte er sie, und konnte man ihm vertrauen? Auf jeden Fall sah er sehr wohlhabend aus.

Irgendwann setzte Larou sich in den Schatten eines Baumes und gähnte herzhaft. Die ganze Nacht hatte er nicht geschlafen, und hungrig war er obendrein. Aber er rührte sich nicht von der Stelle und ließ das Schiff keinen Augenblick aus den Augen. Was musste das arme Mädchen nur durchmachen? Irgendwie musste er ihr helfen. Er würde es nicht ertragen, nie zu erfahren, was aus ihr geworden war. Warum dauerte alles so lange?

Amy konnte einigermaßen gut schlafen, denn in Blacks Armen fühlte sie sich sicher. Nach dem Aufwachen aßen sie zusammen Speck und Zwieback, beides hatte Amy in der Nacht besorgt. Danach hatten sie sich mit dem Wasser, das ein Matrose zum Trinken gebracht hatte, gewaschen und die Zähne geputzt. Jetzt verstand Amy, was Black damit meinte, man solle seine Zahnbürste immer bei sich tragen.

Ein wenig Licht drang durch die Holzritzen, sodass man Umrisse erkennen konnte. Alles, was auf ihre Anwesenheit hindeutete, versteckte Amy hinter Kisten. Oben an Deck hörte man ab und zu lau te Rufe und die Schritte der Männer, die über die Planken liefen. Die See war ruhig, es schien fast so, als hätte die Mannschaft ihren Gefangenen im Laderaum vergessen. Die Hitze war unerträglich, und der Tag zog sich endlos dahin. Black lag nur da, war nicht ansprechbar und wenn, gab er nur kurze Antworten. Amy gab sich den Tagträumen hin, dass Larou bald mit der Mannschaft vom Roten Löwen zu ihrer Rettung kam.

Die Sonne stand schon hoch am Himmel, und Larou wurde allmählich unruhig. Er wollte endlich etwas unternehmen, um dem Mädchen zu helfen.

Endlich sah er den Mann vom Bootssteg kommen. Erstaunt fragte er Larou: »Du hast doch nicht bis jetzt auf mich gewartet?« Dabei tupfte er sich mit seinem Taschentuch die Schweißperlen von der Stirn, dann lächelte er und wirkte dadurch gleich viel freundlicher.

»Doch Sir, ich mache mir Sorgen um das Mädchen.«

»Hast du schon etwas gegessen?«

Larou schüttelte den Kopf.

»Ich auch nicht. Komm, ich lade dich zum Essen ein, und dann erzähle ich dir alles, du platzt mir sonst noch vor Neugier.«

Larou sah an seiner einfachen Kleidung hinunter bis zu seinen schmutzigen, nackten Füßen. Dass ein so feiner Herr mit ihm essen wollte, konnte er kaum glauben.