Fregatte Tanner

23. Mai anno 1728

28° 28’, Wind: Flaute, 0 Knoten,

unerträgliche Hitze, Vollmond.

Samuel Bellamy

A uf dem Weg nach Beef Island wollten Sam und Will vorsichtshalber den Schatz auf Diamond Cay bergen. Da die kleine Insel vor Beef Island lag, war es kein Umweg und der Zeitverlust gering.

Womit sie nicht gerechnet hatten, war, dass sich kurz vor dem Ziel noch eine Flaute einstellte. Das Meer glänzte träge wie flüssiges Blei. Sobald nur der geringste Luftzug aufkam, wurde gebrasst, um Wind in die Segel zu bekommen, doch meist war es vergeblich. In der Takelage klapperten schlaff die Taue, was für einen Seefahrer ein unerträgliches Geräusch war.

Die kleine Flotte war miteinander verbunden, damit die Schiffe nicht von der Strömung auseinandergetrieben wurden.

Sam stand gereizt an der Reling, tupfte sich den Schweiß von der Stirn und sah in die Ferne. Die Hitze war unerträglich, da half auch kein kurzer tropischer Regenschauer zwischendurch.

»Wie lange dauert es noch, bis wieder Wind aufkommt?«, fragte Amy, die neben ihm stand.

Dabei leckte sie genussvoll den Saft von der gelben exotischen Frucht, die sie gerade verspeiste, sie wurde Mango genannt.

»Das kann Tage dauern, wenn man Pech hat, auch Wochen.« Ungeduldig fuhr sich Sam über sein unrasiertes Kinn. »Iss nicht zu viele Früchte, davon kann dir schlecht werden.«

»Das löscht den Durst besser als das warme Wasser«, seufzte Amy. »Wenn es nur nicht so heiß wäre. Am liebsten würde ich zum Abkühlen ins Meer springen.«

»Mhh, so ist das zu gefährlich. Die Haie würden sich freuen.« Dann erhob er plötzlich seine Stimme. »John Julian, gib der Marianne Zeichen, dass sie neben uns kommen soll. Dann können wir ein großes Segel zwischen den Schiffen zum Baden ins Wasser lassen.«

»Aye, aye, Käpt’n.«

John Julian freute sich sichtlich über ein bisschen Abwechslung, und auch Oliver Levasseur, der am Steuer der Marianne stand, war hocherfreut.

»Wir können baden?« Amy war ganz aufgeregt.

»Nur, wenn das Segel sicher im Wasser liegt, sodass kein Hai hineinkommt, können wir gefahrlos im Wasser schwimmen«, erklärte John Julian, dann warf er konzentriert einen Enterhaken zu La Buse, der ihn an der Reling festhakte, und mit einem Abstand noch einen zweiten.

»Was macht ihr da, meine Marianne bekommt dadurch tiefe Risse in die Reling«, beschwerte sich Will.

»Die schleifen wir einfach wieder weg, stell dich nicht so an.« La Buse hatte kein Mitleid mit dem alten Mädchen, an dem Wills Herz hing.

Die Mannschaft von der Winchester kam bis auf zwei Wachen ebenfalls zum Baden.

John Julian sprang als Erster ins Wasser und überprüfte, ob das Segel gut genug befestigt war.

Larou konnte nicht mehr warten. Doch Amy stand noch unschlüssig neben ihm.

»Traust du dich nicht?«, fragte Larou.

»Ist ganz schön hoch zum Springen.«

»Gib mir deine Hand.«

Da Amy nicht als Feigling dastehen wollte, griff sie Larous Hand, schloss die Augen und sprang mit ihm zusammen von der Reling. Mit den Füßen be rührten sie das Segeltuch, so tief tauchten sie unter. Es war kälter, als Amy dachte, aber die Abkühlung nach der Hitze tat unendlich gut.

Es wurde ein lustiger Mittag. Die Seemänner tollten im Wasser herum, manche angelten, und eine kleine Truppe saß beisammen und überlegte sich ein Abendprogramm, während eine andere eine Bühne dafür aufbaute.

Nachdem Amy ausgiebig herumgetollt war und ihre Zähne vor Kälte klapperten, setzte sie sich neben Sam und ließ sich eine Angel geben.

Wenigstens das Anglerglück hatte die Mannschaft nicht verlassen, und so gab es gegrillten Fisch zum Abendessen.

Amy leckte gerade genüsslich ihre Finger ab, als James Ferguson auf seiner Geige, Joseph Dampier am Spinett und William Condon auf der Flöte eine traurige Melodie zu spielen begannen.

Die letzten Strahlen der Sonne schienen auf eine ganz in Weiß gekleidete Gestalt. Es war Oliver Levasseur, der als trauriger Clown Pierrot verkleidet war und gerade die Bühne betrat.

Sonst kannte man den rauen Piraten nur in Schwarz gekleidet, und im Gegensatz zu seinem sonstigen Verhalten wirkte er als Clown sanft, fast verletzlich.

Pierrot verbeugte sich. Danach bückte er sich und hob ein imaginäres Seil auf, an dem er zog. Doch es war wohl zu fest, deshalb rutschte er immer wieder aus, fiel hin, stand wieder auf, um von Neuem an dem Seil zu ziehen.

Irgendwann stieß er gegen eine Wand, an der er nicht vorbeikam. Verzweifelt tastete er sich an der Wand entlang, doch er war anscheinend eingesperrt.

Das Publikum lachte.

Amy hingegen beobachtete ihn gerührt, sie war völlig von den Bewegungen in den Bann gezogen und litt mit Pierrot, der so gar nicht von der Stelle zu kommen schien, bis er endlich den Ausgang fand und wohl auf eine wunderschöne Blumenwiese kam. Dort pflückte er eine Blume und sog benommen ihren betörenden Duft ein.

Am Ende bekam La Buse tosenden Applaus und verbeugte sich galant.

Als wieder Ruhe eingekehrt war, begann Larou, mit seinen Fackeln zu jonglieren und zeigte seine Vorführung als Feuerschlucker, wie damals auf dem Jahrmarkt in Porto Ingles.

Da es inzwischen dunkel geworden war, erhellte er mit dem Feuer gespenstisch das Schiff, es zischte und knisterte, und der Geruch von Petroleum lag in der Luft.

Amy war erneut gefangen von den tanzenden Flammen vor ihren Augen, die ihre Sinne benebelten.

Zu später Stunde holte James seine Laute, und zu seinem Spiel sangen sie Seemannslieder und tranken Rum bis spät in die Nacht.

Als der Abend seinen Höhepunkt erreicht hatte, kam auch eine leichte Brise auf, und am nächsten Morgen waren die Segel wieder vollständig mit Wind gefüllt, und die Fahrt konnte endlich weitergehen zu der Schatzinsel.