Der Truck wirkt überschwemmt, eine Fregatte, die an einem Korallenriff zerschellte. Bäume, dem mitternächtlichen Wind überlassen, vermitteln ein eigenartiges Gefühl von Wellenschlag, verschärfen das Gefühl, dass der Schauplatz irgendwie maritim ist. Gefährliches Gewässer: Der Tanz des Grases wirkt verträumt wie Seetang, und man muss auf Delphine, auf Seepferdchen achten, auf eine Meerjungfrau aus einer Geschichte, die für Kinder zu düster ist.
Der Polizeiscanner plaudert noch über Artarmon. Aber jetzt weniger, hauptsächlich Tratsch. Die Leinwand ist seit Stunden fertig/gleich morgen früh geht's weiter. Räuber und Gendarm sagt das Alternativ-Radio, welches Zivilisten ebenfalls hören dürfen.
Ja, Räuber und Gendarm. Kommt einem vor wie ein Film. Es ist anderen Menschen passiert/Menschen, die anders sind als sie.
Rawson schaltet es aus und beobachtet das alte Mädchen auf der anderen Seite gegenüber. Sie steht versteckt in der Nähe vom Park, halb im Licht, halb im Dunkeln. Eine Straßenlaterne wirft Eukalyptuszweige über die Motorhaube.
Aus der Ferne sehen sie aus wie Arterien, ein ausgeklügeltes Netz aus hinterhältigen Tattoos.
Der Truck war untergestellt. Sutton muss ihn geholt haben.
Leuchtet ein. Das alte Mädchen würde dabei sein wollen. Es liebt Bloke mindestens so, wie Bloke das alte Mädchen liebt.
Sutton raucht Kette und beobachtet das Haus. Es ist herrschaftlich und hässlich, die Lichter alle an, ein Dutzend Bikes stehen davor. Er schaut nicht rüber, als die Beifahrertür aufgeht.
Rawson wartet, dass Sutton was sagt. Könnte eine Weile dauern. Schließlich lässt sich die Stille nicht mehr aufrechterhalten, und er schiebt eine Cassette in den Rekorder, Breakfast at Sweethearts läuft seit zwanzig Sekunden.
»She don't smile or flirt«, sagt Rawson, als Jimmy ankommt. »She just wears that miniskirt.« Er holt seine Benson & Hedges aus der Tasche. »Du hast gewusst, dass ich gegenüber bin.«
Sutton bläst eine Rauchsäule in die kranke Atmosphäre.
»Na, wenn du gewusst hast, dass ich gegenüber bin, dann weißt du jetzt auch, dass da zehn andere sind und uns beobachten.«
Sutton nickt.
»Du hast ihn geliebt«, sagt der Inkrementale. »Aber das kannst du nicht machen. Überlass das mir, ich bring's in Ordnung.«
»In Ordnung?«
»Du gehst da nicht rein, Jamie. Wenn du da reingehst, stirbst du.«
Der nächste Song. Hunters & Collectors. Gute Compilation ist das. Der Song ist halb gelaufen, als Rawson Sutton am Kragen packt und sagt, Hör zu, du blödes Arschloch, da sind fünfzehn, und die wetten, dass du's nicht hinkriegst. Also lass dir verdammt noch mal was einfallen.
Sutton lässt sich den Übergriff bieten, reitet auf der Lautstärke. Seine Augen sind rot/sie verlassen nicht das Haus. Rawson hat das Gefühl, einen Crash-Test-Dummy festzuhalten, also lässt er los, sackt wieder in seine Ecke. Suttons Stimme ist ein Begräbnis. »Hab gedacht, du musst einen Flug erwischen.«
Bobby Cobras Augen brennen vor Tränen, vor ätzendem Schmutz und verklebtem, saurem Wispern. Er atmet schwer und versucht sie sauber zu spülen, sieht kurz aus wie einer, der seine Kontakte wechselt: ein Wimpernschlag bei offenem Mund, düstere Gelübde jener geheimen körperlichen Stelle eingeschrieben.
»Wir sind die Polizei. Schwere Niederlage. Gary ist gefickt.«
»Toll.«
»Tu das nicht, Jem – nicht nach dem, was wir heute gemacht haben. Bruder, wir haben das da draußen verkackt.«
Die Worte lösen beim Sprechenden beinahe Heiterkeit aus, eine heranbrandende Flut, von der er nasse Füße bekommt. Aber dann weicht sie zurück, nichts bleibt zurück, außer der Gewissheit, dass er nicht durchdringt. Für Sutton ist das Werk des Vormittags Ewigkeiten her. Er macht seine Zigarette aus und steigt aus dem Truck/der Master von gestern ist waffenlos.
Rawson ist die gerade noch rechtzeitig errichtete Straßensperre. Sutton ist heiser, versengt vom Schmerz.
»Die haben meinen Hund getötet.«
»Ich weiß.«
»Hast du ihn gesehen?«
»Ja.«
»Dann hast du gesehen, was die gemacht haben.«
Sutton klappt zusammen, und Rawson tritt vor, um ihn an den Schultern zu packen, zu halten. Sutton spricht über das, was sie gemacht haben/bebt hemmungslos.
»Komm schon, Jem. Lass uns gehen.«
»Doch.«
Jem verpasst dem anderen einen Aufwärtshaken, einen fachmännischen Schlag, der Rawson stolpern lässt/abweichen. Aber es braucht schon einen Orkan, um Big Ship umzuwerfen.
»Hör auf.«
Sutton gehorcht. Es ist nicht der Ton, der das bewirkt/es ist der Klangeffekt. Ein metallisches Knacken. »Ist das ein Witz?«
Rawson macht keine Witze/er hat eine Glock mit Schalldämpfer in der Hand. »Steig in den Truck.«
Sutton denkt drüber nach. »Ich hab das nicht gewollt. Er war bloß ein Junge, der Wache gestanden hat.«
»Was für ein Junge?«
»Bei Whit – der, den sie Nigger genannt haben. Ich bin hin und hab ihn ausgeschaltet, hab's aber nicht richtig hingekriegt und … sein Genick ausgerenkt. Kennst du die alten Schlösser, wenn man die ausbaut? Ein Dreh, und plötzlich hast du sieben Teile in der Hand, so dass du dich fragst, wie das passieren konnte. Und danach gibt's kein Zurück. Verstehst du? Aber dann hab ich sie im Schlafzimmer gefunden und war froh, dass es lief, wie's gelaufen ist.«
»Wovon zum Teufel sprichst du?«
»Kristy. Shark und Bison haben sie gefesselt.«
»Was?«
»Sie ist erstickt. Sie ist tot.«
»Kristy ist in London, du geisteskranker Irrer.«
»Ich musste sie nach Copperhead bringen.«
»Hör auf.«
»Ich musste sie tragen. Ich musste sie dem Feuer übergeben.«
Ein Krächzen entweicht der Brust des Inkrementalen, ein fürchterlicher Ausdruck von emotionalem Asthma. Jamie Sutton, die einzige strikt ehrliche Person, die er je gekannt hat.
»Ich gehe jetzt«, sagt der Schreiner hölzern. »Erschieß mich nicht.«
Er bewegt sich aufs Haus zu, und Rawson sieht ihm auf einem Knie nach, atmet schwer/besessen von einem sich hebenden Arm. Wenn Ehrlichkeit unterliegt, dann in aller Stille, für den Betrachter sieht es aus wie ein bescheuertes Bugger Game.
Seine welpenhaftesten Anfänge werden unter einer Steppdecke gepflegt, er erlegt schlafende Drachen mit nichts als seinen Milchzähnen. Die Beine von Herrchen, Arme von Frauchen … die Menschen tun, als würden sie jaulen, um Gnade winseln, und er ahnt, was es heißt, mächtig zu sein/ein Held.
Nachts durchläuft sie Umdrehungen, die über die Leistungsfähigkeit des Hundes hinausgehen. Susan schwingt durch Bögen, die fundiert und mathematisch sind, bewegt sich um Lichtjahre schneller als jeder hell strahlende dunkle Truck.
Kein Wunder, dass sie stets müde aufwacht.
Der Schattengeist von Sutton plaudert gerne in ihrer Umlaufbahn, aber von Susan geschieden, hängt er in den Schlafstunden durch. Das Ergebnis ist wie Gefängnis/wie ein des Träumens beraubter Leichnam. Bloke hat in jener schwierigen Zeit die Stellung gehalten, aber ein Hund ist kein Herrchen.
Nicht, dass er blind wäre gegenüber der Hinterhältigkeit von Satelliten, den Skeletten der Infrastruktur, abgebildet auf leuchtenden Röntgenaufnahmen. Susan war Paris – eine wundersame Stadt der Lichter –, aber Sutton ist das alte Angola/der heutige Sudan: ein nächtlicher Hohlraum, eine dunkle und wüstenartige Ellipse.
Der Hafen lauscht zur Überwachung. Er führt dich in der empfindlichen Linse seiner selbst mit den Mustern zusammen, deinen Vergnügungsyachten und privaten Fähren, hinter absonderlichen Vorrichtungen verborgen. Spätnachts fließt dein Delta über vor menschlichen Gesängen und Musik. Grüne Lichter, einsam am Ende der Landungsstege, regeln den winterlichen Verkehr.
Glaubt nicht den Geschichten, die erzählt werden/der Wunderhund ist ihnen entwischt. Er hat sich losgerissen aus Daktylenhänden und ist über die Auffahrt des Bösewichts verschwunden. Gemeine Männer auf erschreckenden Rädern brüllten, schafften es aber nicht, ihn zu fangen. Er folgte gewundenen Strömen bis zur Mündung.
Jenseits von Name und Angesicht ertönt der Pfiff, er wird gerufen auf die Ladefläche des Todes, um zwischen den Bäumen des Hades Freundschaft zu schließen mit all dem vergänglichen Kummer. Die Musik an der Wegkreuzung wird er lieben, spätnachts bildet sie das Delta. Das Bleib wird er hassen/das bleib ist der Tod/aber hier auf Herrchen warten.
Tom Angel wurde schon geweckt, um geliebten Hauskatzen den Magen auszupumpen, aber nie wegen so was hier. Das hat man davon, wenn man um zwei Uhr morgens ans Telefon geht und Rawsons Stimme hört. Das hat man davon, wenn man ihn überhaupt in sein Leben lässt.
Er klatscht sich Nass wie billiges Kölnischwasser ins Gesicht, begibt sich auf Auto-Pilot in die Praxis. Nur eine Fahrt von vier Minuten, aber als er aus dem Wagen springt, erinnert er sich nicht mehr daran. Sie war beschaffen wie ein Traum, ein früheres Leben; wahrscheinlich hat er verfluchte rote Ampeln überfahren. Traumartig auch die Art, wie Rawson genau in dem Augenblick erscheint, in dem Tom sich fragt, wo er ist. Der Gedanke zitiert den Pintara herbei, Big Ship rollt schnell ohne Scheinwerfer auf einen als reserviert gekennzeichneten Platz.
Zwei Fragen, die ein Tierarzt im Herzen seines eigenen Königreichs immer stellt: Wo ist der Patient und Was ist er? Der Ruinierte Inkrementale antwortet wortlos, der Kofferraum gibt einen verwundeten Schäferhund oder kranken Rhodesian Ridgeback preis. Es braucht sonst gemahlene Bohnen, damit sich der Tierdoktor am Morgen wie ein Mensch fühlt, aber dieses Mal erwacht er rasch.
»Was zum Teufel?«
»Entspannen Sie sich«, sagt Rawson. »Ist ein Mensch.«
»Warum ist er bewusstlos?«
»Schwitzkasten. Ich wollte nicht, dass er Schmerzen hat.«
»Na schön.« Wenn du nicht gewollt hast, dass er Schmerzen hat, vielleicht hättest du dann gar nicht erst auf ihn schießen sollen.
– Ja, na ja, ging nicht anders. Wer ist die sturste Person, die du kennst?
– Meine Schwiegermutter.
– Schlechtes Beispiel. Die würdest du wahrscheinlich sowieso erschießen. Aber es ging um Leben oder Tod, und er wollte verdammt noch mal nicht hören.
– Das ist der Typ vom Dach, oder? Dein Freund, der ins Gefängnis gegangen ist.
– Vorsichtig, Tom. Der hat ein Gehör wie ein Hund.
– Nach so einem Schuss wird er nicht viel hören.
– Wenn ich mich recht entsinne, hast du ein abgebrochenes Medizinstudium hinter dir.
– Korrekt. Aber Kugeln entfernen war damals kein Wahlfach.
Manche Unterhaltungen werden gesprochen und andere nicht, und Rawson ist ein eingefleischter Anhänger letzterer. Stille bekommt ihnen beiden, während Angel Dust loslegt wie ein Champ, ein Soldat, der Möchtegern-Chirurg, für den Rawson ihn hält.
Er liebt es, durch Sydney zu fahren, wenn keine Autos auf der Straße sind. Man kommt sich vor wie adlig. Man hat keine Lust, jemanden zu töten. Er stimmt den informativen Pintara auf den Beethovensender ein und schaltet die Scheibenwischer runter, eine sanfte Gegenmaßnahme gegen den leichten Fünf-Uhr-Regen.
Die Stadt ist so schön, wie sie nur sein kann, verführt ihn zum Verweilen und sich dem Bevorstehenden zu stellen. Sydney ist ein schwieriger Ort, um zu bleiben/schwierig zu verlassen. Taxis sind noch immer als Körperfresser unterwegs, befahren das Nachtleben, für vom Alkohol stur gewordene Flüchtende. Der Himmel bietet Wasser an, ist lädiert, aber einsatzbereit.
Er fährt am Strip entlang, verhält sich wie ein Fahrer, dem Gesellschaft fehlt: Alle paar Minuten tritt ein Mädchen auf hohen Absätzen und mit einer Boa aus einem halb verborgenen Eingang, wirft ihm einen Komm hol's dir-Blick zu. Ein paar sind gar keine Mädchen/sind offensichtlich Typen, und der Gedanke daran, welche Energie nötig ist, um ein solches Leben zu leben, erschöpft ihn. Sexarbeiterinnen, eine angemessene Bezeichnung. Über zwanzig Jahre hinweg haben sie sich seine Bewunderung verdient.
Der Pintara fährt westlich über die Cahill, die beklagenswerte urbane Narbe in einer Stadt der absichtlichen Fehler. Ein niederträchtiger Streifen aus vier grauen Spuren, die dem Kai wie eine Steuer auferlegt wurden. Wie eine Strafe. Nieder mit der Perfektion, die hässlichste Straße des Landes konkurriert mit der atemberaubendsten Aussicht der Welt.
Rawson geht vom Gas, um Wasser zu trinken. Die Brücke, der Kai, das mächtige Haus der Muscheln. Hinter ihnen wälzt sich ein nördliches Meer, eifersüchtige Legobausteine spähen durch harte Art-déco-Augen. Sie betrachten Bennelong wie einen feindlichen Clan – eine Sippe, die nie gelernt hat, Türme zu bauen.
Fast dieselbe Aussicht hat er vom InterContinental. Bobby Cobra geht hinein, soll Lichtschalter umlegen, aber das Gefühl, dass sich jemand wie ein Einbrecher im Raum aufhält, lässt ihn zögern. Greifbar im Zwielicht, ein sanfter Graufilter durch luxuriöse Vorhänge: Die Erinnerung überkommt ihn. Als jüngerer Mann reiste er für kurze Zeit nach Paris und, ja, hier ist es, die unerbetene Begrüßung, derselbe eigentümliche Gallizismus des Lichts. Einen Augenblick lang fühlt er sich wie dessen menschliches Gegenstück, gedämpft und doch hochgradig präzise, während er sich in einem Zustand der Fast-Verwunderung entkleidet. Kribbeln in den Gliedern/wer geht dort? Auf der Vorderseite des uneinsehbaren Bildschirms sitzt die Kollegin, die er liebt. Verehrt: Rawson grinst, um der Raumzeit-Krümmer zu sein, brüllt ins Telefon nach Kaffee und Croissants.
Er lässt die Tür weit offen und marschiert flugs ins Badezimmer, um dort die versengendste und göttlichste aller Duschen zu nehmen, die er je gekannt hat. Elektromagnetisch, eine Turbine bewegt das Wasser. Der Gast erscheint zu einem liebevollen Frühstück, und er denkt an Suttons Bierdosen, Nacht für Nacht in Long Bay, Magie in den Augen der Geisel.
Die Wirklichkeit ist eine laufende Verarmung der Möglichkeit. Ein Festzunehmender sagte das zu ihm, erklärte, es käme aus einem Buch. Wie alles. Rawson schrieb es auf und vergaß es, aber eine gute Wahrheit lässt sich nicht unterdrücken.
Jetzt spürt er ihren Druck, während er sich in dem teuren Raum umsieht. Der Plan hatte vorgesehen, eine herrliche letzte Nacht hier zu verbringen, sich mit Veuve zu besaufen und eine Edelfreundin zu bestellen. Bei seinem Abschied von Sydney ist Schönheit erforderlich. Sine qua non. Ein prächtiges Stück/ein käufliches Herz.
Er schenkt den Kaffee ein, beißt ins Croissant. Im Schrank ein einziger Bewohner, sein fabelhafter neuer blauer Anzug. Dunkler als Königs-, nicht ganz Mitternachts-, gekauft von dem Geld aus der Anleihe.
Fast das einzige Geld, das er noch hat. Das heißt, bis die Schatzwechsel eingelöst sind.
Eine Stunde später wird er im grellen Neonlicht zusammenzucken, Käfige vollgestopft mit Kranken und Verwundeten. Eine schwarze Katze namens Clio, mit bandagierter linker Pfote, schaut ihn an mit dem unbeeindruckten Gesicht, das allerorts die Domäne der Katzengeschöpfe ist.
»Wie geht es ihm?«
»Er ist stabil. Über den Berg. Sie sehen elegant aus, Mr Rawson.«
»Ich weiß, ist ein … der Typ, dessen Vornamen ich nicht aussprechen kann.«
»Boss?«
»Hugo kriege ich gerade noch hin, Tom.«
»Ach so … Zegna. Ermengildo.«
»Genau der. Ist er wieder zu sich gekommen?«
»Picobello. Aber er wird noch eine Weile krank sein und sich leidtun. Was passiert als Nächstes?«
Rawson schaut auf seine Armbanduhr. Unter Florentiner Venezianern will man gepflegt aussehen, wenn man durch die Straßen von Soho schlendert. Er wählt eine leere Tüte.
»Erledigungen. Pack ihn ein/Er muss noch einen Zug erwischen.«
Wenn es in Strömen gießt, ist die Central Station einfach ein großer grüner Schuppen. Die langen Wellblechhallen sind beschwerdelos verblichen, beherbergen achtundzwanzig Bahnsteige, bekamen 1949 zum letzten Mal ein neues Dach. Der Volvo fährt mit Warnblinker vor den Eingang, und Tom sagt: Verdammt/sollen sie mir doch einen Strafzettel schreiben. Sutton sitzt zusammengesunken hinten, den Arm in einer Schlinge.
»Das Arschloch kriegt nichts mehr mit.«
»Besser so«, sagt der Tierarzt. »Hab ihm weiß Gott eine starke Dosis verpasst.«
Angel Dust prescht vor, trägt die Transportbox, stellt sich freiwillig am Fahrkartenschalter an. Rawson öffnet die hintere Tür links, zieht Sutton aus dem Fahrzeug wie Gift aus einer Wunde. Sie stellen eine bescheidene Versammlung dar, wie sie durch die Halle schlurfen, Suttons gesunder Arm um Rawsons Hals gelegt wie ein Schal.
Nur ein Zug ist zu sehen, der 7.09 Uhr. Er grübelt auf dem Intercity-Gleis wie ein Kämpfer vor dem Kampf, seine zögerliche Absicht in die Pfeife zu blasen/die Stadt zu verlassen.
Sie setzen ihn in eine ruhige Ecke. Tom öffnet seine Tasche, holt eine Spritze heraus. Sutton starrt Rawson mit offenen Augen an, aber er hat keinen Ausdruck, keine Erkenntnis.
»Ich sage dir, wie ich heiße«, flüstert der Patient.
Rawson lächelt, und der Tierarzt verabreicht die Spritze. »Schon gut, mein Lieber. Ich weiß, wer du bist.«
Die Hufschläge des Regens. Suttons Augen vollführen eine Rolle, und er sackt gegen die Scheibe, sieht in aller Welt Augen aus wie ein Stricher. Rawson will auf ihn einreden, eine Entschuldigung übermitteln, aber der andere Mann hat im Grunde genommen den Schauplatz schon verlassen.
»Betäubungsmittel für Pferde?«
Tom schaut Rawson fragend an. Was glaubst du eigentlich, was für eine dilettantische Provinzpraxis ich führe. »Anafil.«
Der Tierarzt nimmt andere Dinge aus seiner Tasche, festen frischen Verband. Er gibt Rawson ein Handtuch, damit er es rollt, zwischen Fenster und Suttons Schädel klemmt. Angel Dust stellt Wasser auf den Tisch, daneben die Sandwiches, die er aus dem Sandwich-Laden geholt hat. Ein Apfel/eine Orange/eine ehrliche Tüte Pommes. Rawson holt die Pappe heraus und setzt sie Sutton auf die Brust.
»Du lieber Himmel, das wird nicht halten. Lass mich was suchen, womit wir's feststecken können.«
»Schon okay, Tommy. Ich nehm das.«
»Was ist das?«
»Nichts. Nur ein alter Orden, den ich gefunden habe.«
»Sieht wertvoll aus.«
»Schau richtig hin. Komm schon, wir beeilen uns lieber.«
»Es sei denn, du hast Lust, eine Zeit im Busch zu verbringen.«
Rawson schiebt die Transportbox in den Vorraum, passt ausgezeichnet unter den Tisch.
»Führ mich nicht in Versuchung.«
Knapp vermeiden sie, eingeschlossen zu werden, springen ohne Fanfarenstoß auf schmutzig rote Bodenplatten. Sie gehen, als der Zug anfährt.
Der Ruinierte Inkrementale schaut nicht noch einmal zurück. Es war ein schofeliges Auf Wiedersehen, kein Handschlag/kein Garnichts. Der Typ befand sich im Koma, und manchmal läuft es so, die Wirklichkeit ist eine laufende Verarmung.
Unter der Markise gegenüber dem Parkplatz. Gegenüber der George Street und dem wunderschönen Postamt, das ein Feuer ausgebrannt hat. »Fahr ich dich irgendwohin?«
Rawson schüttelt den Kopf. »Geht schon.«
Angel bleibt nachdenklich stehen, schaut in den heftiger werdenden Regenguss. Er widerspricht nicht/die Schulfreunde schütteln sich die Hände. »Du und ich«, sagt der Tierarzt. »Sind wir quitt?«
»Nein, Tommy Angel. Wir sind nicht quitt.«
Wir sind nicht quitt/ich stehe für immer in deiner Schuld.
Er trocknet in einem Café zwischen Bahnhof und Halle, bildet seine Gedanken aus und beobachtet den Verkehr. Liverpool und George Street fließen im unermüdlich peitschenden Regen ineinander, aber es sind Systeme vorhanden, Systeme, um damit klarzukommen. Um halb neun ist er moralisch sicher, dass sein Nachfolger am Platz sein wird.
Bobby Cobra erhebt sich, um an Sydneys Durchgangsstraße entlangzugehen, einer Straße, die sich auf einer Seite zum Broadway hin erweitert, in Geld und Macht verwandelt, und auf der anderen in Wasser.
»Mitchell.«
Einer der besten Anwälte für Steuerrecht. Schreibt sogar Lehrbücher darüber, berät die Regierung. Er nimmt Rawson ins Visier und zuckt zusammen.
»Herrgott, du hast mir einen Wahnsinnsschrecken eingejagt.«
»Wahnsinn, aha. Gefällt mir.«
Der Anzug steht auf und umrundet den Schreibtisch, fährt eine Hand zur Begrüßung aus. Mitch ist stets sehr zuvorkommend. Ansatzweise umarmt er die Schulter des Größeren, überlegt es sich aber im Zuge der Geste doch anders. Der Arm bleibt wie eine japanische Null in der Luft hängen.
»Tut mir leid, dass ich so hereinplatze. Ich habe Briefe für die Mädchen.«
»Gar kein Problem … mh, Briefe?«
»Ich setze mich.«
»Bitte! Kaffee? Tee?«
Ein freundliches Angebot vom zweiten Ehemann. Er arbeitet für eine namhafte Kanzlei und schleimt nicht, ist aber eine so anerkannte Geheimwaffe in einer obskuren Geschäftsbranche, dass er gewaltige Summen hereinholt und Kanzleipartner ist. Von seinem Büro im Zweiundvierzigsten aus hat er Ausblick auf den Hafen, und nachdem er es viele Jahre lang als selbstverständlich hingenommen hatte, kann Rawson plötzlich nicht mehr entkommen.
»Ich gehe.«
»Ach?«
Rawson klopft auf einen Koffer, in dem er seinen Pass, die Tickets hat. »Europa, mein Freund. Der letzte Flug heute Abend.«
»Donnerwetter.«
»Genau – Donnerwetter. Weißt du, Mitchell, du bist eigentlich nicht mein Typ. Und ich vermute, umgekehrt genauso. Aber du warst großartig für Heather und die Mädchen, und du sollst nicht denken, ich wüsste das nicht. Tut mir leid, dass ich's dir nie gesagt habe.«
»Das ist sehr anständig von dir, Edward.«
»Nenn mich nicht Edward.«
»Verzeihung.«
»Jetzt hör zu – ich bekomme demnächst ein bisschen Geld. Eine Erbschaft. Ich hab mich um die Einzelheiten noch nicht gekümmert, aber ich möchte einen Fond für die Mädchen einrichten. Würdest du ihn verwalten? Würdest du das tun?«
»Natürlich. Ich meine – wenn du das für angemessen hältst.«
»Hochgradig. Aber ich muss wohl nicht erwähnen, dass ich dich fertigmache, wenn du damit nach Rio verschwindest …«
»Ich würde nie …«
»War ein Witz.«
»Ach so.«
»Sag.«
»Muss ein paar Anrufe machen – dauert höchstens zehn Minuten. Wenn das okay ist, ich wäre gerne ungestört.«
In der Jugend, wenn man noch dumm ist, sehnt man sich nach breiter Anerkennung und Ruhm. Du möchtest vom Besten überhaupt geschätzt werden. Deine Überheblichkeit ist grenzenlos, vielleicht auch deine Energie. Du gierst nach Orden, dir gehört die Macht und die Herrlichkeit, in Ewigkeit, Amen.
Dann wächst du auf, wachst müde auf; die Müdigkeit lehrt dich das ein oder andere. Du willst nicht die Macht und die Herrlichkeit, du willst es nur schön gemütlich haben, wenn der Winter kommt. Du willst dich nur wohl fühlen, in einem bequemen Bett, und Zeit haben, darin zu schlafen – und wen stört es schon, dass keine Schönheitskönigin sich darin räkelt und vor Begierde verzehrt? Danke, aber nein danke. Tief und alleine schlafen ist die neue Erotik, und Rawson hat einen Ständer beim bloßen Gedanken daran, es nicht zu nutzen.
Genug Energie für eine Dusche. Vielleicht. Die Debatte tobt während der Durchquerung des Hotelfoyers, und es überwiegt Zustimmung. Nein – Ablehnung. Im Fahrstuhl zählt er die Etagen, wie Vollidioten Geliebte zählen, und als er durch den violettlastigen Gang seines Stockwerks geistert, döst er bereits. In einem solchen Zustand, dass jede Musik wie ein Schlaflied klingt.
Death Metal: Finger greifen nach der Klinke, er schiebt den Schlüssel hinein. Grünes Licht, ein angenehmer Ton, eine Sängerin wünscht ihm Sweet Dreams, er stemmt sich gegen das Tor in eine Welt aus Dunkelheit und Kälte, eine jener Vorrichtungen, wo man eine Karte einstecken muss, um dem Raum zu Strom zu verhelfen. Beinahe ist es ihm zu viel: Rawson ist über das Bedürfnis nach Licht oder Klima bereits hinweg. Er ist vier Schritte weit in den Raum getreten, als Instinkte aus alter Zeit greifen, als er noch jung war, Instinkte aus einer Zeit, in der er noch der Orden würdig war. Der Duft eines Parfüms, das nicht hierhergehört.
Vanille. Es ist eine große Suite, und er sucht sie rasch mit den Augen ab, Augen, die bereit sind für das Knacken.
Die große Chromlampe in der Ecke leuchtet auf.
»Na, hallo.«
Sie sagt nichts, überlässt das Reden ihrem Dienstrevolver. Karen wirkt ernst, die Kriegerdenkmalfarbe ihrer Jacke verschmilzt derart mit dem Sessel, dass man sie kaum erkennt. Millar benutzt die Waffe als Zeigestab, lenkt ihn in die Ecke zu den schweren Vorhängen. Rawson hebt die Hände/sein Gang ist lang- und gehorsam.
Der Tisch ist rund, Glasplatte, blau getönt: Die Manschettenknöpfe scheinen im Kristallwasser zu treiben. In dem See steht christusartig eine kleine grüne Person, die wie Kunst aussieht und ihm nicht gehört.
»Wer ist der Kerl?«
»Tycho Brahe«, sagt Karen.
»Oh, an den erinnere ich mich. Der war Hooker bei Manly.«
»Leg die an.«
»Hätte nicht gedacht, dass du auf Sado-Maso stehst.«
»Mach's einfach. Hinter dem Rücken.«
»Müsste ich dafür nicht nackt sein?«
»Du bist festgenommen.«
»Okay. Weswegen?«
»Ich bin bei der Mordkommission, oder?«
Rawson wackelt mit dem Kopf, von einer Seite zur anderen, wägt den Hinweis ab. Mord Eins. Das Wackeln wird zum Nicken, und er lässt die erste Handschelle an seinem Handgelenk zuschnappen, wie ein Franzose ein Ei aufschlägt – die Geste ist abrupt, meisterlich. Die zweite Handschelle legt er nicht an/er schaut rüber zur Minibar.
»Was dagegen, wenn ich mir was zu trinken hole? Könnte für eine Zeit lang mein letzter Drink sein.«
»Auch einen?«
»Bin im Dienst.«
»Allerdings. Und wie.«
Der Bonecrusher schlägt die Hände zusammen, als wollte er plötzlich beten; die halb angelegten Handschellen baumeln herunter wie ein schlecht durchdachtes Armband. Er nimmt zwei Minifläschchen und kippt sie in ein Whiskyglas, auf dem Platz wird Medizin oft hastig verabreicht. Er gibt Eis dazu und reißt eine Packung Cashewkerne auf.
»Acht Dollar. Ist das zu fassen? Für eine Handvoll Nüsse. Keine Ahnung, wohin das noch führen soll.« Rawson hält das Glas gegen den Lichtstrahl, während er diese Aussagen komponiert, den einen schmalen Streifen, der von draußen hereinsticht. Der Raum erwacht durch automatisches Air-Conditioning zum Leben/die Suite wird auf kalt gestellt. »Wie kommt's, dass du hier bist?«
»Spielt das eine Rolle?«
»Denke schon. Unter Polizeikollegen.«
»Du solltest nicht im Morgengrauen durch Darlo fahren, wenn dein Name auf der Fahndungsliste steht.«
»Auf der Fahndungsliste, oder wie? Und wer hat ihn da draufgeschrieben?«
Ich. »Brendan Tavish.«
»Brendano, das stille tiefe Wasser. Versteckt er sich im Schrank?«
»Nein. Wir sind alleine, nur du und ich.«
»Und Tycho.«
»Und Tycho«, stimmt Karen zu. Sie hält ein einzelnes, zuvor unbemerktes Blatt hoch. »Und das Opfer.«
»Du, ich, Tycho und das Opfer. Klingt nach einem One-Hit-Wonder aus den Siebzigern.«
»Du bist in Form, Detective. Alles in allem.«
»Das ist der Scotch, meine Liebe. Komm – trink auch einen.«
Rawson lacht und macht es möglich. Er geht durch den Raum, will die Bestellung liefern, aber sie fängt ihn am Pass ab/sagt Stell ihn aufs Bett. Das Ding zwischen ihnen: Millar steht auf, aber die Waffe verlässt nicht das Zentrum seiner Brust, sie nimmt das Glas und trinkt, der Blick unglücklich und starr. Nicht zu übersehen, wie gut er ihr tut.
»Koestler«, sagt Karen. »Da war was faul in seinem Staate Dänemark.«
Rawsons neugieriges Lächeln. »Dem würde ich zustimmen.«
»Das Echo, das du hörst, nennt man Nostalgie. Ein alter Song von früher. Warum hast du ihn getötet?«
»Erzähl du, Nancy Drew.«
Rawson legt sich die Handschelle um das andere Handgelenk, hält beide Hände hocherhoben, um guten Willen zu demonstrieren. Bevor sie Einwände erheben kann, hat er den Hörer genommen, will den Zimmerservice rufen. »Wir brauchen noch ein bisschen Johnnie hier oben, und zwar schnell. Tanqueray auch.«
»So lange bleiben wir nicht«, sagt Karen, als er auflegt. Sie nimmt das Blatt und liest.
Lieber Ajax,
zunächst muss ich dir meine Enttäuschung gestehen. Ich hatte eine so hohe Meinung von dir. In den ersten Jahren habe ich mir gesagt, du bist lediglich eine unterhaltsame Person in meinem Gericht – heilsam, belebend –, aber mit der Zeit begriff ich, dass die Wahrheit wohl weniger unkompliziert ist. Das ist sie meistens.
Ich habe also distanziert fasziniert deinen Werdegang verfolgt, dabei nie wirklich gewusst, warum. War ich verliebt in dich? Natürlich – in dem Sinne, dass jeder Mensch sein diametrisches Ich verehrt. Das bist du für mich, mein umgekehrtes Korrelativ. Eine Person der Sinne, körperlich mächtig, von Männern und Frauen geliebt. Heroisch, draufgängerisch, verwirrt, dem Geistigen abgeneigt, dem inneren Intellekt. Meine entgegengesetzte Seele.
Ich habe mich immer gefreut, dich zu sehen, aber häufig mit unbestimmtem Schrecken. Ich habe dich geliebt, dich beschützt und verteidigt, habe in stillen Augenblicken an dich gedacht. Ich habe dich zutiefst gehasst, mich nach der Nachricht gesehnt, du seist gestorben.
Rawson, der Treffpunkt vieler Emotionen. »Ich kann mich erinnern, das verbrannt zu haben«, sagt er leise. »Umgekehrtes Korrelativ. Was für ein Flachwichser.«
»Meine Version war verschlüsselt«, sagt sie. »Ich gehe davon aus, deine war in einfachem Englisch.«
»Traurigerweise, ja … ja, das war sie. Wo hast du das her?«
»Chris Slane. Koestler hat ihm eine Kopie gegeben.«
»Hat er das wirklich?«
»Slane wusste, dass es ein Druckmittel ist. Nur konnte er's nicht lesen.«
»Und wann hast du's entschlüsselt?«
»Gestern Nacht. Heute Morgen.«
»Schlaues Mädchen. Bob und Tone wissen wirklich, wie man die Besten herauspickt. Was bin ich doch für ein Chauvi-Schwein, sehe immer nur Haare, Beine und Wangenknochen.«
»Du hast mich als asexuell bezeichnet.«
»Stimmt. Ich hab ja auch behauptet, dich nicht aus Goulburn zu kennen.«
»Aber das tust du.«
»Natürlich. Der letzte Abend in der Bar, ich hatte einen Lauf.« Karen stimmt der Behauptung mit einem Nicken zu und der Tangled Man verzieht das Gesicht. Das schuldbewusste Bedauern, das du empfinden solltest, aber nicht empfinden kannst. »Hab gedacht, ich wäre eine Weile da drin gewesen.«
»Warst du auch, Bobby Cobra. Aber nicht bei mir.«
Türklopfen. Rawson versteckt seine Leibeigenschaft und legt einen Fünfziger auf den Tresen; Karen verbirgt ihre Waffe. Ein junges Mädchen in Hoteluniform betritt den Raum, lächelt aufgrund dessen eigenartiger Dialektik. Sie entledigt sich der Mini-Fläschchen, fünf Stück, und wird aufgefordert, die Währung entgegenzunehmen.
»Sind Sie sicher?«
»Absolut.«
»Danke!«
»Gutes Trinkgeld«, sagt Karen, als sie wieder alleine sind und die Waffe erneut in voller Pracht gezogen wurde.
»Ich bin kürzlich an Geld gelangt. Großtante Myrtle, Gott hab sie selig.«
»Erzähl mir davon.«
»Von Myrtle?«
»Von Koestler.«
Rawson stellt die kleinen Behälter auf wie Fakten. »So funktioniert das nicht, mein Schatz. Die Last liegt bei dir. Noch einer?«
»Okay.«
»Ich will nicht, dass du vor mir in die Knie gehst.«
»Keine Angst. Bei Gin bin ich stabil.«
Wieder spielt er den Barkeeper, Karen sieht ihm dabei zu. Sie ist katzenartig, steif, erinnert ihn an Clio mit der Pfote. Der Gin ist in Befehlslaune, aber ihre Stimme nicht. »Die haben dich Beowulf zugewiesen. Nebenrolle, du solltest unter einem Typen arbeiten, den du gehasst hast, und einem anderen, mit dem du zerstritten warst. Es war egal – du hast es hingenommen, weil der Fall einen Nerv getroffen hat bei dir. Ein kleines Mädchen wurde entführt, missbraucht, stranguliert und weggeworfen. Zu Hause hast du Töchter in einem ähnlichen Alter.«
»So weit, so gut.«
»Paspaley gefiel Meath – aber dir nicht. Die Kriminaltechniker waren dem nicht gewachsen. Die Theorie von dem Verbrechen stimmte nicht mit den Gezeiten überein. Meath hätte nicht in dem nötigen Fenster mit seinem Boot vor Cobblers anlegen können. Du bist mit deinen Zweifeln zu Holden, und er hat gesagt, du sollst dich verpissen und deine Befehle befolgen. Hat dich einiges an Schlaf gekostet.
Dann hat dich was auf Koestler gebracht – etwas so Handfestes, dass du auf eine Vernehmung drängen konntest. Paspaley hat abgewiegelt, aber du hast Faulkner in die Enge getrieben, und zu dritt seid ihr hin, nach St James, nur mal plaudern. Koestler war höflich, und ihr seid es sachte angegangen, habt auf eure Manieren geachtet.«
»Die anderen beiden sind überzeugt gegangen. Aber du nicht. Dir hat nicht gefallen, was du gehört hast – ein Funkeln in den Augen, ein Beben in der Stimme. Der Polizist in dir hat getrunken, war aber nicht ertrunken, noch nicht. Also hast du darüber gebrütet, zugesehen, wie Meath verurteilt wurde, und es hat weiter in dir gegärt.
Zeit vergeht. Das Leben geht weiter. Aber dann, aus heiterem Himmel, bekommst du den Brief. Lieber Ajax, meine entgegengesetzte Seele, ich bin enttäuscht bla bla bla. Ich war's, der entführte und missbrauchte, der strangulierte und liegen ließ. Ich habe dich besiegt/ich habe gelacht.«
Rawson neigt den Kopf. »Nicht ganz«, sagt er. »Aber gar nicht schlecht.«
»Wo war der Zusammenhang? Was hat dich zu ihm geführt?«
Sein Blick bewegt sich schneller als das Licht, zurück in der Zeit. »Er hatte einen Daimler. Bist du mal einen gefahren?«
»Klar – lenkt sich wie ein Panzer.«
»Der Radstand bei den Dingern ist Wahnsinn, einzigartig. Die Astronauten hatten Reifenspuren am Tatort gefunden, aber Paspaley und so sind schon über die Autobahn zu Meath gerast. Obwohl es nur elf dieser Autos im ganzen verfluchten Staat gibt, dauert einen Vormittag, die zu überprüfen. Wie oft hat man einen solchen Durchbruch? Bei allen anderen Morden, an denen ich je gearbeitet habe, hatten wir verdammt noch mal gar nichts.«
»Faulkner hat mir Scheiße erzählt, hat gesagt, ihr seid zu dritt zu ihm, weil sein Wagen gestohlen wurde.«
»Wurde er ja auch«, sagt Rawson. »Von mir.«
»Ah.«
»Die wollten ihn nicht direkt zu Sophie befragen. Um Gottes willen, nicht mal Faulkner – und dann gab es eine Zeit, als er unantastbar war. Kommt ein Richter ins Visier, bewegt man sich mit äußerster Vorsicht oder gar nicht. Ich hab was durchblicken lassen und gleich ein Problem bekommen. Also bin ich's angegangen, hab Proben genommen, Erde und Sand – ich hatte einen bei der Spurensicherung, der sie heimlich analysiert hat. Die Proben stimmten überein mit Cobblers Beach.«
»Wen?«
»Spielt das eine Rolle? War keine Verschwörung.«
»Bin nur neugierig.«
»Hugh Scully.«
»Kenn ich nicht«, sagt Karen.
»Guter Mann. Er wusste, dass das nicht astrein war, aber er interessiert sich nur für die Wissenschaft.«
»Okay.«
»Was ich nicht hatte, waren Haare, Gewebe. Etwas, das es hieb- und stichfest gemacht hätte.«
»Aber du bist nach St James. Hast ihm auf den Zahn gefühlt.«
Rawson nickt. »Er kam direkt drauf und hat nachgefragt. Beowulf. Hatte angeblich ein schlechtes Gewissen, weil wir Zeit mit seinem Fahrzeug verschwendet haben.«
»Und du hast ihn durchschaut.«
»Beim Rausgehen hat er mich so angesehen. Erst später ist mir eine Bezeichnung dafür eingefallen.« Rawson schüttelt den Kopf. »Ein Blick von einem diametrischen Ich zum anderen. Der alte Sack hat mir zugezwinkert, mich im Prinzip herausgefordert, ihn auf der Stelle zu erledigen.«
»Hat aber noch lange gedauert, bis du ihn erledigt hast.«
»Hat lange gedauert, bis er geschrieben hat.«
»Ja.«
»Er wollte es – und du hast ihm den Gefallen getan.«
»Hab gesehen, wie bei ihm das Licht ausging. Hab's ihm ins Gesicht gesagt: Wozu bist du gut? Zu nichts. Du bist ein Fleck, ein Fehler, eine verdammte falsche Entscheidung. Ein Pädo ist ein Loser, ist Abschaum/ein Nichts. Ich bin hier, um dich abzuschaffen, uns reinzuwaschen.«
Rawson hebt sein Glas und prostet, trinkt, um ein Feuer zu löschen. »Lies die Stelle über Sophie.«
»Nein danke. Einmal reicht.«
»Los.«
»Sie gab unter mir nach, wie eine perforierte Naht.«
»Genau wie er, Karen Millar, genau wie er … er hat es hochgehalten, als ich reinkam. Das Schachbrett. Ich dachte zum Schutz, aber später habe ich immer wieder darüber nachgedacht. Das Arschloch wollte, dass ich es benutze – hat es mir entgegengehalten wie einen Vorschlag.«
»Du hättest ihn über seine Rechte aufklären können. Ihn festnehmen.«
»Ja. Aber was für ein Mensch macht so was?«
»Ein Polizist.«
»Ich spreche nicht von mir. Ich spreche von ihm, einer Person, die ihr ganzes Leben im Dienst von Recht und Ordnung stand und dann einem Kind gegenüber zum Tier wird. Danach plant er alles – den Tod – organisiert ihn wie ein Rätsel. Wie eine verfluchte Hochzeit.«
»Dich hat er organisiert.«
»Er hat mich zu seinem Instrument gemacht, das stimmt.« Rawson starrt trübselig auf das Blatt in ihrem Schoß. »Nichts ist so eigenartig, dass es nicht schon mal getan wurde. Wenn du es denken kannst, dann gibt es einen Präzedenzfall. Trotz einer Milliarde von Vorgängen nichts Neues unter der Sonne.«
»Trink aus, Mike.«
»Niemand nennt mich so. Nur eine andere Person. Weißt du, wer?«
»Ich ziehe es vor, das hier still zu machen. Du hast keinen Zirkus verdient. Wir fahren rüber aufs Revier und machen weiter. Sauber und schnell, null Medien.«
»Dachte, du lässt mich vielleicht laufen, Karen Millar. Klopfst mir auf die Schulter. Ich habe die Welt von einem Monster befreit.«
»Tut mir leid, Genosse. Sophie war dein Fall – aber Koestler ist meiner.«
»Gut, genau.«
»Das Erste ist ein Anwalt. Wenn wir auf die Wache kommen, hältst du die Klappe, mach's ein bisschen wie dieser Jamie Sutton.«
»Dieser Jamie Sutton?«
»Das arme Schwein hat wegen dir gesessen.«
»Stimmt. Pech. Ich konnte nicht ahnen, dass die ihn wegen dieser Alibi-Scheiße drankriegen.«
»Aber Slane einweihen – das war Absicht.«
Rawson lächelt erneut, aber ohne Humor. »Ich wusste, dass Chris dort gewesen war. Das hatte ich von Kristy.«
»Wer ist Kristy?«
»Niemand. Nur so ein Traum von mir.«
»Klingt nach was Besonderem.«
»Kris ist ein … eine andere Unterhaltung. Ich hab gewartet, Slane reingehen und wieder rauskommen sehen; bin danach direkt rein. Ich wusste, wie das laufen würde. Dachte, es ist ein Geschäft, zwei Fliegen/eine Klappe.«
»Zwei Monster.«
»Na ja, bei Chris war's keine Bürgerpflicht – ich hatte ein Interesse daran, ihn von der Bildfläche verschwinden zu lassen … weißt du noch, der Tag in Paddington, bevor wir in die Galerie sind? Du hast gesagt, du würdest dich gerne mal mit Jamie unterhalten, aber vor allem aus menschlichem Interesse.«
Karen nickt. »Die Leute haben immer wieder gesagt, wie dicke die beiden miteinander waren, Sutton hat in Long Bay eingecheckt, um es Slane zu ersparen. Aber ich hab mit Chris geredet, hab sein Gesicht gesehen, als der Name des Schreiners fiel.«
»Der Name des Schreiners – und was genau hast du da gesehen?«
»Hass. Nur ein kurzes Aufblitzen, für den Bruchteil einer Sekunde, aber es war da.«
»Dabei ist Chris kein Kandidat für Hass.« Rawson schüttelt den Kopf, spricht durch eine Mischung aus Bedauern und Bewunderung. »Alle waren so sehr damit beschäftigt, Jem zu fragen, ob Slane auf dem Boot war, dass niemand sich die Mühe gemacht hat, mal zu überlegen, warum Jem dort war. Niemand außer dir, Jessica Fletcher. Das war der Augenblick, in dem ich kapiert habe, dass du ernst zu nehmen bist als …«
»Detective?«
»Zeitbombe.«
»Sag mir die Antwort, Jack.«
Jack seufzt. »Eines Tages ist Slane eine Sicherung durchgebrannt, er hat sich gehen lassen. Hat jemanden geschlagen, den er nicht hätte schlagen sollen.«
»Ein Mädchen?«
»Das Mädchen. Sutton hatte brüderliche Gefühle für sie, deshalb ist er auf die Fähre, hat ihm gedroht. Hat Chris gesagt, wenn er's noch mal tut, wandert er ins Krankenhaus.«
»Mutig.«
»So was wie hauptsächlich aus menschlichem Interesse gibt es nicht. Es ist immer menschliches Interesse.«
»Ja. Weil Verbrechen Inzest ist.«
»Weil Karen Millar als Detective so verdammt ernst zu nehmen ist.«
Sie steht auf, um das Lob entgegenzunehmen. »Lass uns los.«
»Du siehst gut aus mit der Pistole in der Hand. Nicht asexuell.«
»Ich schieß dir ins Bein, wenn ich muss.«
»Helena von Troja. Wenn Cavendish hier wäre …«
»Wenn Cavendish hier wäre, würde ich ihm nicht erlauben, mir einen scheiß Spitznamen zu geben.«
»Leicht gesagt. Wie der Spruch, du würdest auf mich schießen. Ist schwer, auf jemanden zu schießen, für den man Gefühle hat, selbst wenn es zu seinem Besten ist.«
»Ich hab tatsächlich Gefühle für dich.«
»Ja. Komischerweise … wenn du auf eine geliebte Person schießt, hat das Trauma einen Nachhall, Karen Millar. Kommt immer wieder zurück … aber ich gebe dir recht wegen dir und Cav. Du wärst nicht auf sein Gequatsche reingefallen. Wärst dagegen immun gewesen.«
»Der Scheiß hat mich eine Weile lang aus dem Konzept gebracht. Jemand hat mir gesagt, Paspaley ist Ajax.«
»Aber das war er ja auch, Helena – das war er. In Troja gab es zwei Ajaxe, einen großen und einen kleinen. Ich war der Telamonier und Paspaley der Lokrer. Falls dir der Witz entgangen sein sollte, er ging auf seine Kosten.«
»Der kleine Ajax.«
»Der, der die Priesterin im Tempel überfällt. Kassandra. Das Mädchen, das unangenehme Wahrheiten ausspricht und dem nicht geglaubt wird.«
»Hat er seine Strafe bekommen?«
»Natürlich – gibt viel zu viele Götter, als dass nicht. Der Lokrer stirbt auf dem Wasser, fern der Heimat.«
»Was ist mit dem anderen?«
»Bist du nicht das Mädchen mit der North-Shore-Bildung?«
»Ich bin das Mädchen, das erst spät in die Geschichte eingestiegen ist.«
Rawson schließt die herrlichen Augen. Feudalismus, wechselseitige Feindseligkeiten und Kämpfe über eine lange Zeit, die Gründe vergessen, aber niemals die Boshaftigkeit. Menschen sind vergesslich, aber schon bald fällt ihm alles wieder ein. »Der andere Ajax tritt an, um die Rüstung zu gewinnen. Das ist danach, als das mit dem Pferd schon war. Das mit der Rüstung ist ein großes Ding, aber er verliert sie an einen Anwalt – einen schmierigen Lackaffen – und kriegt einen Wutanfall so groß wie Westaustralien. Dass er den Preis nicht gewonnen hat, macht ihn so rasend, dass er ein paar Schafe zerstückelt – sie für seine Freunde hält, seine ehemaligen Freunde. Später wacht er auf und merkt, dass er sich selbst entehrt hat. Da gibt's nur noch einen Ausweg.«
»Tragisch.«
»Für die Schafe schon. Nicht für Ajax.«
»Klingt nach einem Psycho.«
»Er hat die Lektion gelebt, Karen. Er ist beispielhaft vorangegangen.«
»Indem er Schafe zerhackt?«
»Um einen Krieg zu führen, der etwas bedeutet. Einen Kampf, dessentwegen ewig über ihn gesprochen wird.«
Ajax richtet sich auf, sein Schädel unterbricht den einzigen Strahl Wintersonne. Ein Heiligenschein/Gottes Laservisier. Er hebt die Hände, um sich ehrerbietig vor der Autorität der Waffe zu zeigen, bittstellerisch vor Athene, und rauscht königlich aus seinem zweitletzten Hotelzimmer. Das nächste wird weniger luxuriös: Zementboden, weder Vorhänge noch Minibar. Rawson bröckelt mit jedem Schritt, Lava dringt durch die Risse wie ein roter Riese, angetrieben von Wut und ranzigem Petroleum. Karen steht auf und reiht sich hinter ihn, ist sich bewusst, dass sich beide voller Berechnung bewegen, die Logistik ihres Fortgangs hinunter zum Wagen. Der Gefangene greift nach der schweren Tür, zieht sie auf und dreht sich nochmal um, zieht die Karte heraus.
Licht aus, sagt Big Ship – der kluge Raum gehorcht.
Ben Anderson, zunehmend kahl, aber mächtig, campiert in seinem Eckbüro. Halbmondbrille, die kleine Kette liegt hinten in seinem Genick, die Lesehilfe einer Bibliothekarin. Rawson schaut an seiner eigenen kleinen Kette entlang, einer Reihe von Gliedern, die Atlas einengen. Die Welten zwischen seinen Händen, sie durchliefen, Blut und roten Wein filterten. »Bando.«
»Bobby Cob! Verdammte Scheiße! Komm her, du Drecksack.«
Die Umarmung eines so viele Jahre unbekannten Mannes, ehemals beim Militär, jetzt ein echter Mechaniker. Bando's Cars. Bandos Lehrlinge. Wie lautet der Sammelbegriff für schmierige Autoschrauber?
»Du lieber Gott, Alter. Achter.«
Rawson, gut gekleidet, aber voller Wolle, die Hände vor sich gefesselt, wie Chewie auf dem Todesstern. »Dachte, du könntest das mit einer Bügelsäge.«
»Scheiß drauf. Was sind das für welche – Hiatts? Irgendwo hab ich einen Universalschlüssel.«
»Noch besser.«
Bando duckt sich aus dem Raum, um zu suchen. Ihn der Polizei zu melden?
Nein. Um Gottes willen, nein.
Achter. Keiner nennt sie heute noch so. Rawson atmet tief ein und rät zu Geduld. Seine Uhr tickt/steigert das Tempo. Als der Oberkakadu zurückkehrt, ist er priesterlich, feierlich, hält den Universalschlüssel hoch, stellt sich vor den Bittsteller wie ein Zelebrant. Ein Schlüssel für alles.
»Absolvo«, sagt Bando. Sein Ton ist verschlagen und Rawson grinst.
Neunzehnhundertvierundachtzig gab es Druck von oben, leitende Detectives wurden juristischer Unterweisung zugeführt. Die Chefs hatten es verordnet, zu viele Fälle hatten sich nicht aufrechterhalten lassen, weil die Aushilfsarbeiter keine Ahnung vom Gesetz hatten. Zwei Wahlfächer pro Jahr, egal was einem gefiel, Bezuschussung bekamen all jene, die einen ordentlichen Abschluss anpeilten. Rawse und Bando hielten nichts davon, zur Abendschule geschickt zu werden, montags und dienstags abends in der Philip Street. Größtenteils saßen sie die Stunden sternhagelvoll ab, störten die Lehrer durch Kichern wie sonst keine Erwachsenen je zuvor – legten sich aber unglaublicherweise, wenn schon nicht bei Jura, dann doch zumindest bei Latein ins Zeug. Das Einzige, was sie verbindet, lange vergessen, aber gerne aus der Mottenkiste gezogen. Bando holt eine Flasche aus dem Safe.
»Absens haeres non erit.«
»Ein Abwesender wird nicht Erbe sein. Guter Spruch.«
»Acta non verba. Taten sagen mehr als Worte.«
»Sozusagen. Ad astra per … Scheiße. Auf rauen Pfaden zu den Sternen.«
»Rauhe Sterne – und wie. Und du hast mir einen Fünf-Sterne-Gefallen getan, Bando. Scheußliche Fesseln/die wurden für Kleinere gemacht.«
»Corvus oculum corvi non eruit.«
»Du sagst es.«
Nein, ein Rabe pickt dem anderen kein Auge aus.
Der Dunst in der Luft kommt Brendan bekannt vor. So, wie wenn er sich mit Beth streitet und sie stundenlang drin sitzen bleiben müssen, gelähmt und betreten, jeder durch harte innere Barrieren eingeengt. Nicht so stressig, wenn es nur der Partner ist – aber ein Partner, den man kaum kennt? Ein Ausrutscher von einem Mädchen, das schlauer ist als du? Ist nicht mehr wie früher. Er rülpst still; weiß, egal, wie er es anpackt, es wird nicht glattgehen. Also sagt Brendan nichts, legt es auf nichts an, verknotet sich innerlich ohne Gefühle/ohne Absicht.
»Wofür?«
»Du weißt, wofür.«
Ja. Für keine Fragen stellen, keine Klugscheißerbemerkung.
Beth würde es nicht gefallen, dass die andere Frau entsprechende Impulse hervorruft. Brendan hat es ihr nicht gesagt: Beth denkt, Millar ist ein Kerl. Wenn das rauskommt, ist er geliefert.
Scheiße. Er freut sich nicht drauf.
Der Wagen parkt in der Victoria Street. Schöne Straße. Brendan beobachtet zwei Rucksackreisende, die durchs Laub toben, die adlerartige Schönheit der nordischen Mädchen. Wilde Falken, fern der Heimat. Sicher?
Sie erleben Abenteuer, lernen das ein oder andere, lehren das ein oder andere, die meisten überstehen es unbeschadet. Brendan lebt für die Übrigen, für die, bei denen es nicht so ist.
Noch nie den Fall einer Rucksackreisenden bearbeitet. Noch nicht.
Sie bestellte ihn in den vierundzwanzigsten Stock des InterCont, hatte ihm gesagt, bring einen Rammbock mit. Er hat es nicht getan, es trotz ihrer eiskalten Stimme für Verarsche gehalten. Ankunft, Begreifen, die Tür zum Zimmer kaputt, d. h. richtig ernsthaft im Arsch. Jemand hat die Karte verkehrt herum reingesteckt, dann die Klinke krumm geschweißt.
Geschweißt? Was gemacht: Das Metall sieht aus wie moderne Kunst, steht in obszönem Winkel ab, verknotet wie ein Ballon-Dackel. Was zum Kuckuck ist hier passiert, hat der Hotelwart gefragt, als er kam; so was hat er noch nie gesehen. Brendan hat seinen Ausweis gezeigt und gesagt, er möge das scheiß Ding aufmachen.
Karen drinnen, eine verfolgte Unschuld mit Gin-Fahne, alles andere als in Ordnung, sprachlos vor Zorn.
Im Keller des Hotels sattelten sie auf, und er zog durch die Stadt, überlegte, sie nach Hause zu bringen. Sie ist da in was hineingeraten, privat oder beruflich, die Rückstände haften hartnäckig an ihr/eine schlaflose Nacht.
Privat ist seine Theorie. Krach mit jemandem, Karen ist schwarz gekleidet, aber nicht für die Arbeit.
»Darlinghurst.«
Das Einzige, was sie die ganzen zwanzig Minuten über gesagt hat. Zwischen dem knappen Nicken zur Begrüßung in 2419 und dem Danke eben gerade das einzige Wort auf weiter Flur. So ist das, wenn man mit einem Meteor in ein Team gesteckt wird, einem Schützling, einer Frau. Dieser eigenartige Dunst, den man eigentlich nur von zu Hause kennt, wenn man einer Todesschwadron beitritt und an Flucht denkt.
Ein Ranger klopft an die Scheibe. Sie parken unerlaubt. Brendan gähnt und lässt erneut sein Dienstabzeichen aufblitzen. Ungeziefer verscheuchen.
Karen bekommt nichts mit von der Transaktion, grübelt hinter einer aus modischen Gründen hergestellten Brille für Riesenaugen. Sie sieht glamourös aus; Brendan stellt sie sich vor, hoch in der Luft mit einem hochrangingen Parlamentsabgeordneten, einem Minister oder dem Vorsitzenden der Liberal Party.
Die andere Frau. Abstrus? Könnte ihr Abgang sein. Die Geliebte des Premierministers, abgesägt bei einem geselligen Gin Tonic. Bedankt für ihre Dienste/still entlassen.
»Rawsons Wohnung. Kennst du die?«
Ah, Parkticket lösen. Die olle Kamelle. »Klar«, sagt Brendan. »Cockroach Farm, zwei Minuten die Straße runter.«
»Los geht's.«
»Ist er da?«
»Geheimaktion.«
Der Wagen hat dunkle Scheiben, dunkle Insassen. Sie fahren.
Das Warnlicht am Armaturenbrett des Pintara warnt schon ewig. Rawson tankt bei Mobil auf der Oxford, neben dem Buchladen und gegenüber einem anderen Buchladen, und als der Tank voll ist bis zum Rand, fährt er rückwärts die Cannibal Street rauf. Es kommt ihm vor wie die Vollendung der Fahrt, die er am Morgen unternommen hat, lange her in der Traumzeit/Dämmerzeit/es kommt ihm vor wie Heimkehr.
Das Gefühl mischt sich, als er an dem Block vorbeifährt, Wie geht's so, Mrs Hirst. Er fährt weiter die Ithaca entlang, die eine scharfe Rechtskurve macht und sich zum Aufschluss bietenden Hafen hin öffnet. In der diamantenen Oase wohnt ein Lied der Wiederkehr, ein Exhibitionist im Trenchcoat, den man tatsächlich sehen will.
Der Parkplatz ist ein Terminal. Der steinerne Dammweg lässt auf die Arbeit von Sträflingen schließen, ein Meniskus erfüllt von ihrem alten Schmerz. Hinter dieser harten Begrenzung ist ein kurzer Park, Apartmentgebäude nadeldünn und raketenhoch. Rawson geht vorbei am Bootshaus und spaziert über die menschenleere Mole, schätzt den Wert der herrlichen Boote, die auf dem lebendigen Uneinsehbaren festgemacht sind. Das langsame Mahlen seiner selbst gegen die Welt in inkrementalen Herzschlägen.
In seinem Körper eine Schicht Schmerz, Zellen codiert und aufbewahrt wie in den Archiven der Gore Street, wie mit der Leidenschaftslosigkeit eines Bibliothekars und der Sorgfalt eines Versicherungsunternehmers katalogisierte Pein. Jahrzehnte später wird man seinen Körper aufschneiden und die zu Juwelen verhärteten Körpersäfte finden; den Smaragd, der sein galliger Zorn war, den Onyx, der sie war.
Er ist zu früh, hat aber zu tun, lässt die Haube aufschnappen, achtet aber darauf, nicht den schwer errungenen Sonntagsstaat zu beschmutzen. Später, als das Werk vollbracht ist – als er sicher ist, dass keine verehrenden Autoschrauber Besseres hätten bewerkstelligen können –, wird er sich reinsetzen und Melodien lauschen. Ein spürbarer Abstieg durch gebrochene Oktaven; die Aufnahme verzögert durch die Flasche Bushmills unter dem Sitz. Sie wird seine ramponierte Brustpumpe auf Touren bringen und unruhigen Träumen Zunder geben – die Tickets und die Logistik des letzten Auslandsflugs heute Abend.
Brendan sagt: »Ist das wichtig? Du wirkst ein bisschen drüber.«
»Merkt man mir die Anspannung an, oder wie? Ich gehöre wohl eingeliefert.«
»Bin heute Morgen bei dir vorbei. Keine Karen. Sieht dir nicht ähnlich.«
»War über Nacht bei Freunden.«
»Okay. Ist nur, wenn ich nichts von dir höre …«
»Tut mir leid, und ja, Tav, es ist wichtig.«
»Na schön. Besorg vielleicht einen Transporter.«
»Wir sprechen das mit niemandem ab.«
»Wie immer. Bercovitch …«
»Du musst nicht mitkommen. Aber ich habe das scheiß größte Huhn mit diesem Kerl zu rupfen, und es muss sein.«
»Mit Rawse?«
»Im Großen und Ganzen. Wenn du also zu denjenigen gehörst, die beständig Liebe zu dem Mann empfinden …«
»Mach langsam, Kaz … ich halte zu dir. Aber du liebe Güte, du machst es einem schwer.«
»Wirklich? Wieso?«
Die Frage ist eine Frage, keine Kampfansage: Kaz will es ehrlich wissen. Er reibt sich das Kinn und streckt sich bis an seine philosophische Grenze. »Du hast alles, was du brauchst, um klarzukommen – nur eins nicht: Die Menschen wissen nicht, woran sie bei dir sind. Und das löst Unbehagen bei ihnen aus.«
Sie starrt das Apartmentgebäude an. Hortensien mit hängenden Köpfen, sehen niemandem in die Augen, hoffen einfach nur, bis zum Frühjahr zu überleben. Caron sagte, Rawson sei vor Tagen ausgezogen. Ausgezogen, schön – aber hat er auch alle Brücken abgebrochen? Wenn du unter Druck stehst, geh wohin, wo du dich auskennst. Sogar die alten Hasen, die Cracks, die's besser wissen müssten.
»Leih mir mal dein Handy.«
Er reicht es rüber. Eine neue Intimität; sie hat es sich noch nie geborgt.
Karen schnieft, das erste Symptom einer bevorstehenden Erkältung, ihre Nasenspitze ist leicht gerötet, als es klingelt. Typisch Karen/die Frau geht dran.
»Holly – Hi, ich bin's Karen. Bist du alleine? Okay. Hör zu, wegen der Sache, um die ich mich kümmern sollte. Ich hab gelogen. Rob schläft mit einem Mädchen aus der Personalabteilung regelmäßig, ich hab die Daten und Bilder. Tut mir leid, dass ich beim ersten Mal nicht ehrlich war.«
Brendan Tavish lauscht bestürzt. Was soll das? Er will aussteigen, ihr Ungestörtheit gewähren, sich von der kalten Distanziertheit in ihrer Stimme distanzieren. Aber er kann es nicht/sie sind ja offensichtlich auf Beobachtungsposten.
Die Person am anderen Ende weint. Holly. Nimmt es nicht gut auf, beschimpft Millar.
»Du hast recht«, sagt Karen schließlich in den Hörer. »Ich bin eine Schlampe. Ich könnte hier sitzen und behaupten, dass es ehrenvoller ist, irgendeinen Blödsinn reden, dir aber keinen reinen Wein einschenken. Dir geht's jetzt schlecht, und das kann ich hören. Aber es geht nicht um Ehre/es ist einfach nur die Wahrheit. Wenn du die Beweise haben möchtest, ruf mich an.«
»Scheiße«, haucht Brendan Tavish, als sie ihm das Telefon zurückgibt. »Ich bin froh, dass du in Stimmung bist.«
»In Stimmung wofür.«
»Krasse Nachrichten. Rawson hat einen registered CI, einen Typen namens Bopper Dean.«
»Und was ist mit dem?«
»Er ist tot. Die vom Raubdezernat haben Temple heute Morgen gebrieft, im Eilverfahren, wegen des Shitstorms gestern. Dean ist in einem Motel in Silverwater aufgetaucht, hatte Schatzwechsel in Höhe von vierhunderttausend am Körper.«
»Schatzwechsel?«
»Diese Freunde, bei denen du gestern Nacht warst, müssen interessante Leute sein. Hast du keine Nachrichten gesehen? Der Überfall auf einen Geldtransporter, Caron Daley war mit seinem hübschen Gesicht in der Glotze. Schatzwechsel sind Wertpapiere.«
»Vierhunderttausend. Liegt weit über seiner Einkommensklasse.«
»Das ist erst die Hälfte. Buchstäblich. Und als ich sagte, am Körper, meinte ich, mit einem Jagdmesser an die Brust geheftet. Der arme alte Keithy Dean, lag auf einem gemieteten Doppelbett mit nichts an außer seiner Unterhose, Socken und einem verwunderten Gesichtsausdruck.«
»Ärger mit den Kollegen?«
»Mit wem, warum – und dann lässt er seinen Anteil vom Profit einfach da?«
»Das ergibt keinen Sinn.«
»Nein, tut es nicht.«
Sie versucht, es mit einzubeziehen. Was ihr nicht gelingt. Sie denkt an einen Lieferwagen in Paddington, Mr Fuck stand drauf. Was bedeutet das? Rawson hatte für eine Reise gepackt, ist rumgelaufen wie ein Scheidender. Karen schaut auf und hinaus zum Himmel über dem Wasser, denkt nach im Angesicht eines unbesudelten Ozeans. Was ist Sydney? Eine Stadt, in der ein Mann mit einem Jagdmesser nicht weiß, was Schatzwechsel sind? Oder eine, in der er es zwar weiß, aber vierhunderttausend für saukomisch hält, einen Tatort-Witz, eine andere Art von Botschaft.
Das Klingeln ihres Telefons überrascht Brendan: Er dachte, sie habe sich seins geliehen, weil ihres nicht zur Verfügung stand. Gestohlen, kaputt, einem Liebhaber an den Kopf geworfen. Sie zieht es heraus und meldet sich.
»Flüstere ich ins richtige Ohr?«
Caron. »Habe gerade über dich gesprochen.«
Es fühlt sich an wie Schicksal. Vielleicht ist er ja DER EINE. Hör auf, dich dagegen zu wehren, Mädchen – hör auf, ihn für einen totalen Vollpfosten zu halten. Öffne deinen Geist/er ist so hübsch und hat Beziehungen, macht sich einen Namen im Raubdezernat. Er ist leidlich interessiert, will Kinder, verdient gut, dauert vermutlich Jahre, bis er auf Abwege gerät.
Ja. Zwei. »Kleine Welt«, sagt er.
»Was willst du?«
»Dich füttern mit Myrmidon. Ein liebevoller kleiner Happen.«
»Ich höre.«
»Heute Morgen ging bei Slane im Büro ein Anruf ein. Ein gewisser E. M. Rawson wollte ein Treffen ausmachen. Betrachte dies als Tipp von der Fahndungsliste.«
»Wann, wo?«
»Wo bist du?«
»Ithaca Road«, sagt sie. »Lizzy Bay.«
»Na, so ein Zufall.«
Wirklich? »Ist eine große Macht«, sagt Karen.
»Brauchst du Verstärkung?«
Verstärkung von Fuckbucket, dem Silver Wobbler. »Ich brauch nichts von dir, Narziss.«
»Hey?«
»Wenn ich dich hier rumschnüffeln sehe, erschieß ich dich höchstpersönlich.«
»Was machst du.«
Rawson blickt mit verwüstetem Grinsen auf. »Gary Pterodactyl.«
Der Biker ist ein Tintenfleck, plastisch und psychotisch vor dem Hintergrund des abenddämmerigen Sydney. Rawson schaut runter auf die Haube, wo er ein Wörtertrio eingeritzt hat.
»Schlüsselkratzen am eigenen Wagen, oder wie?«
»Wo ist der Chef?«
»Kommt.«
Kommt schon bald zu einem Pintara in ihrer Nähe. Big Ship nickt, fast besoffen, nichts zu essen gehabt, seit dem Croissant; Gary starrt Rawson an und dann das Fahrzeug, das er verunstaltet. Er breitet sich aus, um die Stadtlandschaft zu betrachten, die Welt auf Hinterhalte abzusuchen. Keine Gefahr, nur Verschrobenheit. Die eigene Motorhaube gravieren … er hat immer schon gewusst, dass Rawson verrückt ist, ein Irrer, eine allmählich aufsteigende Durchgeknalltheit in der Welt.
Pterodactyl gibt zu verstehen, dass er zu filzen beabsichtigt; Bobby Cobra hebt die Arme und erklärt sich bereit. Dabei stehen sie Auge in Auge voreinander, der animalische Zustand kommt ihnen sehr dringend vor: sehr mit der Wurzel ausgerottet, sehr auf dem Feld des Verlierers ausgesätes Salz. Als die Durchsuchung erledigt ist und null Waffen gefunden wurden, befiehlt ihm der Polizist einzusteigen. Neuerdings streng, die Benommenheit abgelegt, ein Polizist der frühen Siebziger. Rawson praktiziert, was er predigt, und springt ans Steuer.
Lange Minuten schweigend vereint, gemeinsam unwissend. Schließlich kommt Slane aus einer ungesehenen Ecke und öffnet die Tür links hinten, der Rückspiegel erfüllt von seinen göttlichen und spinnerten Augen.
Rawson zündet eine Zigarette an und kratzt sich über die Oberlippe. Eine zutiefst nachdenkliche Gemeinschaft, er und der Gangster. Slane wartet/er war schon immer ein Anhänger der Geduld. Rawson beginnt.
»Scheußliche Sache.«
»Welche Sache?«
»Hat dir das Arschgesicht hier nichts erzählt?«
»Wovon spricht er?«
»Suttons Hund«, sagt Gary. »Ist zu Schaden gekommen.«
»Verstehe.«
»Nein«, sagt Rawson, »du verstehst nicht. Bis du gesehen hast, was gemacht wurde, verstehst du nicht.«
»Nicht so, wie ich es gemacht hätte«, sagt Slane, klingt distanziert. »Aber Gary ist unabhängig. Du kannst nicht behaupten, dass es keine Provokation gab.«
Rawson lächelt falsch. »Stellst dich hinter ihn. Klug.«
»Scheiß drauf«, sagt Gary. »Ein Hund ist bloß ein Hund.«
»Stimmt. Und ein Gott ist bloß ein Gott. Aber ein Mensch ist bloß ein Affe.«
»Kann mir nicht vorstellen, dass Sutton das gut aufgenommen hat.«
»Das stellst du dir richtig nicht vor, Christopher. Vielleicht weißt du, was einem Mann wie Sutton sein Hund wert ist.«
Rawson schraubt den Deckel ab und nimmt den vorletzten Schluck Whisky, den die Flasche zu bieten hat. »Trockene Stelle im Rachen, ungefähr halb so groß wie eine Briefmarke. Persönliches Dürrezentrum, erfahrenes Gewebe im Hinblick auf Durst. Das Gefühl, wenn das große Nass aufkommt/ich nenne das Gefühl Kristy.«
»Geht es darum?«
»Ich bin zu der Ansicht gelangt, dass es immer um alles geht. Kann es denn anders sein? Als ich klein war, ist mein Dad mit mir zum Strand und hat mir gezeigt, wie man surft. Er hat gesagt, das Wichtigste ist, wenn die Brecher kommen, dass man nicht mit halbem Tempo drauffährt. Wenn man mit halbem Tempo drauffährt, verletzt man sich. Ein oder zwei Jahre später war's Fußball/dieselbe Regel.«
»Scheiß Erinnerungsduselei«, sagt Gary Pterodactyl.
»Sei nachsichtig mit mir. Mein Dad war insgesamt nicht der Typ für gute Ratschläge, deshalb habe ich diesem Prinzip übermäßig großes Gewicht beigemessen: Je härter man draufhält, desto besser ist man. Aber was fürs Tackling und fürs Surfen galt, gilt nicht immer fürs Leben. Das Leben zieht nie den Kürzeren, Gary – nur du. Wenn ich alles noch mal machen könnte, als ich selbst oder als jemand anders, würde ich versuchen, ein kleines bisschen geschmeidiger durchzukommen.«
Slane ist geschmeidig: »Du hast Li gesagt, du willst über einen Waffenstillstand sprechen.«
»Alles zu seiner Zeit. Ich weiß, dass du zu tun hast, aber du hast nicht zu viel zu tun, um hier zu sein. Die Tatsache an sich liefert ihren eigenen Beweis.« Rawson drückt auf den Knopf, und Kelly stößt zu ihnen wie ein vierter Gesprächspartner.
Von St Kilda nach …
»Mir gefällt die Rivalität«, sagt Rawson. »Ganz ehrlich. Ist nicht meine Stadt, aber ich verstehe, warum manche drauf schwören. Da fehlt der Schwanzfaktor, Gary.«
»Schwanzfaktor. Du meinst die Schwulen.«
»Nein, du hundemordender arschgesichtiger Bastard, ich meine nicht die Schwulen. Ich meine, dass Städte die Seele vergangener Zeiten wie Schlangenhaut abwerfen, und doch gibt es immer einen in Bernstein gegossenen Augenblick, der sich niemals abschält. Manche Vergangenheiten sind nie vergangen.«
»Wovon zum Teufel redest …«
»Melbourne. Es kann seiner viktorianischen Identität nicht entkommen.«
»Aber das liegt in Victoria«, sagt Gary. »Da liegt es nun mal.«
»Du hast recht. Pterodactyl. Und du irrst dich. Ich bin mit der überhitzten Straßenbahn von Flinders nach G gefahren, und mir fiel es leicht, an eine Zeit zu denken, als Cricket noch jung war. Ich bin sogar verbotenerweise durch das Old Melbourne Gaol spaziert, habe in jeder Ecke Ned zugeflüstert, ich weiß, dass du noch unter uns bist.«
»Ich setz mich mit ihm hin«, sagt Slane. »Wenn Sutton Ort und Zeit benennt, setze ich mich mit ihm hin.«
»Sydney hat länger gebraucht, seine eiserne Version zu finden. Schau dir die Träger von Wynyard Crossing an, dann weißt du, wer die Brücke gebaut hat – welche Hände, welche Herzen. Alles davor ist verloren, und danach konnte nichts mehr die Zeit von Langs Präsidentschaft in den Schatten stellen, Bradman, der für das Land, aus dem er stammt, in Stellung geht.«
»Schau mich nicht so an.«
»Ich schau nicht dich an, du verfluchter Fettfleck. Ich schaue Phar Lap an.«
»Und du siehst Ärger.«
»Ich weiß, was du denkst, Gaz. Warum ist er so cool? Ich weiß, er will mich fertigmachen wegen dem Hund. Die Antwort lautet: Ich bin entspannt.«
»Entspannt.«
»Ich hab dich in der Hand, Terry Sackville.«
»Wir werden sehen.«
»Willst du wissen, was der Unterschied ist zwischen einer Frau und einem Mann?«
»Du hast den Unterschied gerade schon genannt. Der Schwanzfaktor.«
»Der Unterschied ist, dass eine Frau sich verlieben möchte. Sie ist stolz auf diesen Zustand. Anders ist es beim Mann/er wird ihn leugnen, wenn er kann. Aber der Nachweis lässt sich stets finden, wenn Alpha auf Omega trifft.«
»Scheiß drauf. Wir haben verdammt noch mal Besseres zu tun, als …«
»Unter der Wüste lebt eine schreckliche Maschine. Die Amerikaner verwenden sie, um Lichtpartikel zu zertrümmern, herauszufinden, woraus Licht besteht. Es dürfen immer nur zwei rein, und obwohl sie einander nicht erblicken/erblicken sie das Angesicht Gottes.«
»Gottes, hm?«
»Sie suchen nach einer Konstante, die ihre Zweige vereint, aber in drei von hundert Fällen geht das schief. Soll ich dir den Grund verraten?«
»Warum nicht?«
»Der Grund, Gary Pterodactyl, ist, dass zwei der Wissenschaftler heimlich ineinander verliebt sind. Sie sind durch zwei Fuß Kevlar voneinander getrennt/durch Mauern aus bewusster Unwissenheit. Aber die Zellen in ihren Körpern sprechen miteinander, verzerren Gewebe, begegnen einander wie die beiden lebenswichtigen Arten von Licht. Ein Impuls in meinem spezifischen BAUCH sagt, der Mann wird sie eines Tages verlassen, sich sagen/der Welt, dass er nie wirklich geliebt hat und damit eine revisionistische Sünde begehen.«
»Und was zum Teufel soll das sein?«
»Die Gegenwart wie eine Waffe gegen die Vergangenheit einzusetzen, eine Lüge, die man sich selbst erzählen kann, und den phantastischen Irrtum begehen, sie zu glauben. In Hinblick auf Handlungen, Gary Pterodactyl, ist diese fast so niederträchtig wie das Quälen eines Hundes. Fiat iustitia pereat mundus.«
»Fiat?«
»Es möge Gerechtigkeit geschehen, und gehe die Welt darüber zugrunde.«
»Das Arschloch ist korrupt«, sagt Terry Sackville.
»Kann sein«, sagt Slane. Rawson lächelt, als er plötzlich dessen Angst hört.
»Ich bin nicht korrupt«, sagt der Inkrementale kryptisch. »Aber ich bin was anderes.«
»Was?«, fragt Slane.
»Kurz davor, dir eine Geschichte zu erzählen. In ihrem Zentrum steht eine Frau. Natürlich – eine sexy Rothaarige namens Deanna. Ich habe häufig angemerkt, dass sie mir das ein oder andere beigebracht hat. Menschen hören diese Feststellung und kichern; Männer in Kneipen etc. etc. Sie nehmen an, ich spreche von Schlafzimmerkünsten.« Rawson greift nach dem Schlüssel, sein fromm anzüglicher Blick, als das Lied zu Ende geht und sich mit seiner Sehnsucht nach Auflösung mischt. »Ein in Gift getauchtes Herz ist vor Flammen gefeit.«
»Flammen?«
»Beruhigt euch, Jungs. Ist doch allgemein bekannt, dass ich mal was mit einer vom Sprengstoffkommando hatte.«
Bercovitch ist in einer hochrangigen Besprechung in einem hochrangigen Stockwerk, als ohne jede Entschuldigung eine Referentin hereineilt. Sie flüstert ihm ins Ohr, aber noch bevor sie ihre Botschaft übermittelt hat, sind vier Pager angesprungen, klingeln drei Telefone. Zweiundzwanzig Minuten später ist er vor Ort, gefangen in einer Welt grotesker Dringlichkeit. Eine Sirene ist ein brennendes Fahrzeug und verbreitet entsprechende Nachrichten.
Sydney lodert vor Begierde, mehr zu erfahren. Überall Helikopter und die Zufahrtsstraßen dicht: Medien, Schaulustige, ein Dutzend Polizeitransporter. Sie haben die Explosion meilenweit gehört, mindestens über ein Dutzend Straßenecken.
»Im Radio heißt es Gasleitung.«
»Gibt es Verletzte?«
Scheiß auf Verletzte. Wie viele Tote?
Gestaffelte Straßensperren an der Mündung der Ithaca, Krankenwagen kommen dorther – ohne Licht, ohne Sirene –, nach kurzem Verhör wird er mit seinem eigenen Wagen durchgelassen. Bercovitch wird weitergewunken, von Fotografen fotografiert. Das Blitzlichtgewitter, das Kriminelle abbekommen, wenn sie Gerichtsgebäude verlassen: Er trägt dieselbe Grinsemaske zur Schau.
Sechs rote Wasserträger und die Hälfte aller Feuerwehrleute von New South scheiß Wales.
Ihre Helme, ihre Äxte.
»Darüber werden die Leute die nächsten beschissenen zwanzig Jahre reden.«
Bercovitch spürt die Ehrfurcht des Fahrers, gelangt aber zu anderen Schlussfolgerungen. Über nichts reden Leute zwanzig Jahre lang. Das hier wird die Katastrophe des Tages, der Zirkus der Woche, das Ding des Monats, das Ereignis des Jahres.
Danach wird es schnell in den Hintergrund treten, total. Das heißeste Ticket im Staat verliert an Temperatur, seine gesamte frühere Radioaktivität. Uranium wird Thorium, weil Radium zu Blei wird.
»Scheiß Schmeißfliegen.«
Der Fahrer meint die Helikopter. Jetzt ist er auf sicherem Grund. Wo und warum kommen Schmeißfliegen zusammen?
Fleisch, offen unter freiem Himmel.
Er geht in den eingegrenzten Bereich, hält Abstand zwischen sich und den B&R Crews, den Kosmonauten von der Spurensicherung. Er schlendert schweigend umher, nickt bekannten Gesichtern zu.
Es ist nicht sein Zirkus – Daniels ist der Mann in dem großen Zelt, nennt sich Control. Bercovitch ist einfach hier, zu hochrangig, als dass man ihm sagen könnte, er solle sich verpissen, allgemein bekannt als Macquarie-Street-gesalbt.
Wird nicht mehr lange dauern, bis er respektvoll in Kenntnis gesetzt wird.
Die vernarbte Hülle dessen, was vielleicht einmal ein Pintara gewesen sein mag.
Scheiß Belfast: Das Ding wurde gebraten, nach außen gewölbt durch die Wucht des Krampfes, die heftigen Verbrennungen waren innerlich, aber vollständig. Die Schale hängt halb in dem Krater, den sie erzeugt hat, ein Matchbox-Auto, das dem falschen, wahnsinnigen Kind verkauft wurde.
Ja: Ein vorüberziehender Riese hat es aufgehoben und dem Feuer übergeben, ihm mit Gewalt das Rückgrat verbogen, mit groben und brutalen Mitteln.
Weiter weg, rechts, ein zweites Zelt, Sanitäter und eingeschworene Personen gehen rein und raus, alle sind sie den starrenden Blicken der Schaulustigen in weiter Ferne auf den Balkonen der Apartmentgebäude ausgesetzt. Es ist die Sorte Zelt, das um eine Leiche herum aufgeschlagen wird, um die Beweismittel vor dem Wetter zu schützen, die abscheulichen Einzelheiten vor inoffiziellen Blicken zu verbergen.
Der Polizist bringt Bercovitch auf den aktuellen Stand: Erste Vermutung ist, der Fahrer und der Mann hinten waren sofort tot. Mehr oder weniger. Der andere, auf dem Beifahrersitz vorne – na ja, er hat weniger von der Explosion abbekommen. Hat noch gelebt, als ihn der Amboss traf.«
»Aber nicht überlebt.«
»Achtzig Prozent Verbrennungen ersten Grades.«
»Okay. Dann war's wohl besser so.«
»Tausendprozentig.«
»Trotzdem ein scheußlicher Tod.«
Bercovitch hat sein Handy im Auto gelassen. Absichtlich. Ruhe im Auge des Sturms/man lernt es zu kultivieren. Er geht näher an das Wrack heran, zufrieden, dass der Polizist ihm folgt. Aktenkoffer. Die Umrisse von zwei Leichen mit geschwärzten Schädeln, die Münder weit geöffnet und aufgetrieben, ein Zusammenschluss von der Hitze gekreuzigter Seelen. Sind sie miteinander verschmolzen ins Jenseits gegangen? »Der Kriminaltechniker sagt, der Mann hinten ist Chris Slane.«
»Wie bitte?«
»Ja – vor zehn Minuten hat er seine Brieftasche rausgefischt. Alles geschmolzen, aber den Führerschein kann man noch lesen.«
»Du lieber Gott … und der Fahrer?«
»Unbekannt. Tavish macht eine Aussage gegenüber Daniels.«
»Tavish?«
»War vor Ort, Sir. Hat den Wagen beschattet.«
Bercovitch dreht sich um. »Alleine?«
»Negativ. Karen Millar – sie ist auf dem Weg ins St Vincent's. Offenbar wollte sie zum Wagen gehen, als er hochgegangen ist, am Rande hat es sie mit erwischt.«
Der Chief Inspector schaut an dem Hilfsbeamten vorbei, vorbei an den gestreiften Epauletten zu einem Wassergarten, aus dem ein einziger Vogel aus der Dunkelheit auftaucht, aus Sydney. Eine Kreatur zum Waten geschaffen, zum Nächtlichen-Flügel-Ausbreiten wie ein Zauberer, der seine Zauberkraft verloren hat, nicht aber sein Leben, ein pantomimischer Geist, der niemanden erschreckt/seine ganzen Zauberkunststücke sind vergebens. Die perfekte S-Kurve des grauherzigen Schwans, der über den gläsernen Hafen gleitet und seinen eleganten Freund auf dem Wasser fragt, ob es sich gelohnt hat – dieser himmellose Handel, dieser faustische Schlamassel.
»Du sagst, Karen war in der Sprengzone?«
»Hat sie schwer erwischt, Sir. Die schätzen fünfzig fünfzig.«
»Nein. Nein.«
»Fünfzig fünfzig, vielleicht ein bisschen weniger.«
Ist schon eine komische Wüste.
Die Wochen vergehen in Minuten, die heiße trockene Welt dreht sich im kosmischen Schnellvorlauf – Mond und Sonne und wieder Mond, ein rasanter, sich wiederholender Kreislauf.
Die wahnsinnig ineinander verlaufenden Farben werden rhythmisch, hypnotisch, aber es ist nie genug Zeit, sie zu benennen. Die Schöpfung ist zu reich, zu promisk.
Er ist sich nicht sicher, ob er in drei Dimensionen existiert.
Die Wand war immer schon da, eine Felswand, die seinen nördlichen Horizont erfüllt. Sie hat das Aussehen von etwas, das tabu ist. Gigantische Buchstaben treiben umher, sprechen eine Warnung in blauer Tinte aus.
ICH HAB FRIDEN …
»Ha, schönes Schild. Meinst du, das ist so gemeint?«
»Warum nicht? Weißt du noch, wie Muggins damals in Berowra aufgewacht ist? Um zwei Uhr früh, wir mussten hin und sie holen.«
»Wieso wir?«
»Komm schon – schüttel ihn.«
»Mich brauchst du nicht anschubsen, schubs ihn an.«
Er kann etwas mit diesen Worten anfangen, aber sie können nichts mit ihm anfangen. Er ist bereits wach.
Oder nicht? Er öffnet die Augen und die ganze strahlend helle Welt.
Bäume und Schuppen; jemand hat den Sand vertrieben. Die tief am Himmel stehende Sonne scheint durch ein grüngetöntes Fenster, und er wartet darauf, dass sie innerhalb weniger Augenblicke untergeht. Stattdessen bleibt sie stehen, belagert in rot sumpfigem Dunst, satt durchtränkt/neigt sie sich zum Rückzug. Er theoretisiert angstfrei, dass das Universum auf ein aberwitziges Tempo beschleunigt, geplatzt ist.
Der Raum kommt jetzt besser in den Blick. Es ist durch die Landschaft gestreift, die Australien wurde, und er sieht sie durch Tränen, durch Augen voller Schlaf. Der Mann blinzelt und schaut seinen einen gesunden Flügel an, und dann versteht er.
ICH HAB FRIDEN.
Die Mauer. Es ist nur sein Arm.
»Sie sind da.«
Er schaut zum Ursprung des Geräuschs und sieht ein starkes und altes Gesicht. Blaue Uniform/Zugbegleiter. »Dachte, ich muss zurückkommen und Sie schütteln.« Der Rat bedeutet nichts, aber er begreift die Notwendigkeit, sich zu erheben, zu gehen. Der Mann würgt, schafft es aber, sich aufzurichten, wird von wahnsinnig wirbelnden Gewässern aus dem Gleichgewicht gebracht.
»Vergessen Sie Ihren Freund nicht.«
»Niemals.«
Ein Griff presst gegen Finger, Sutton lässt die Transportbox beinahe fallen, weil er mit dem Gewicht nicht gerechnet hat. Er neigt den Kopf, um durch das Gitter zu schauen, sieht einen Haufen schlafende Orangenmarmelade.
Der bekaterte Mann geht unstet über den Bahnsteig, bewegt sich geisterhaft an Deck großer wogender Schiffe. Schiffe, die Vorfahren herbrachten, Urahnen. Helligkeit trifft Sutton mitten im Nirgendwo, und er ist alleine, alleine … aber dann wird der Frieden vollständig, ihr Klang eine Musik, die einst der Vergangenheit angehörte, aber jetzt die Zukunft sein wird. Herrchen fällt Susan in die Arme, und es gibt keinen Schmerz, nicht mehr – nur eine abgenutzte, ländliche Erinnerung, die ewig am Stahl entlanghallt.