Heißer Karriereschub

Edgar Alvaro

„Klar, Josephine, ich versteh die Dringlichkeit. Herein! Nein, ich habe nicht dich gemeint, es hat geklopft. Ich versuche es ja, aber ob es schon ab Oktober klappt, weiß ich doch jetzt noch nicht … Hallo, nun kommen Sie doch, ich habe gesagt herein! Na ja, meine Liebe, ich krieg das schon hin, verlass dich auf mein diplomatisches Geschick … Bitte nehmen Sie doch Platz … Nein, nicht du, mach jetzt bitte keine dummen Sprüche. Ich habe Besuch. Also bis gleich, ich ruf dich im Lauf der nächsten Stunde zurück. Halt mir die Daumen!“

Scheint ja eine hartnäckige Geliebte an der Strippe zu haben, der Herr stellvertretende Exportleiter. Ich setze mich mangels anderer Sitzgelegenheiten (der einzige Stuhl vor seinem Schreibtisch ist mit einem dicken Stapel Akten belegt) auf die zweisitzige Ledercouch. Designercouch (Rolf, nicht Daimler, sondern der andere, der Benz. Na ja, keine Schleichwerbung.) Glattes, geschmeidiges schwarzes Leder, versteht sich.

Ich bin gespannt, warum „Heureka“ mich sprechen will. Eigentlich heißt er ja schlicht Wagner. Aber den Spitznamen „Heureka“ haben wir ihm gegeben, weil er einmal während einer Betriebsversammlung so wie der alte Archimedes spontan ausrief: „He, ich hab’s!“ Natürlich auf Deutsch, nicht auf Griechisch.

Na ja, war damals zwar nicht ganz das Gelbe vom Ei, die Lösung, die er vorschlug. Aber immerhin ein Mittelweg. „Diplomatisches Geschick“ – hab ich doch eben erst wieder gehört?

„Toll, Frau Krämer, dass Sie sich noch so spät Zeit nehmen für ein Gespräch. Danke!“ Die Uhr an der Wand zeigt viertel nach sieben, am Abend, versteht sich.

Wagner scheint nervös. Faltet ein Blatt zusammen, zweimal, und steckt es dann in die Tasche seines kurzärmeligen Hemds. Es ist Juli, dieser verflixte, brütend heiße Juli 2003, und sowohl ihm als auch mir stehen die Schweißperlen überall zwischen Haaransatz und Zehenspitzen.

Er setzt sich neben mich. Fast auf Tuchfühlung. Schlägt lässig die Beine übereinander. Schaut mich an, als wolle er mir in die Seele gucken: „Ich bin kein Mann großer Worte, wissen Sie. Seit Sie hier in unserer Abteilung arbeiten, sind Sie mir immer wieder aufgefallen. Also, verstehen Sie mich richtig, natürlich positiv. Als Frau und als Kollegin.“

Als Frau? Oh la la, denke ich mir, knapp an der Grenze zur Anmache, was er da rauslässt!

„Natürlich habe ich Sie nicht beobachten lassen, missverstehen Sie mich nicht. Aber irgendwie habe ich zufällig herausgefunden, dass Sie, glaube ich, nicht verlobt sind oder so und auch nicht in einer festen Beziehung leben …“

Aber hallo – was geht mein Privatleben diesen Kerl an? Ich werde wachsam, setze mich aufrecht hin und zieh mir den Rock ein Stückchen tiefer. Hilft zwar nichts, weil er sofort wieder hochrutscht. Aber ist immerhin Körpersprache, denke ich, damit hier mal klar ist, was bei mir alles nicht läuft, Junge!

Antworten tu ich ihm auch nicht, wäre ja noch schöner, jetzt wie ein gehorsames kleines Mädchen zu reagieren. Mistkerl!!!

Er nimmt wieder dieses Blatt aus seinem Hemd und überfliegt es. Rasch, geht nur ein paar Augenblicke. Aber ich spüre, dass er sehr nervös ist. Faltet es hastig zusammen und steckt es zurück ins Hemd.

„Entschuldigen Sie, Frau Krämer, aber … na ja, es kommt nicht alle Tage vor, dass ich es wage, einer Frau so ein Angebot zu machen. Also, um es kurz zu machen: Wenn Sie mir zwei Fragen mit ja oder zumindest mit „ziemlich ja“ beantworten können, haben Sie ab Oktober sagen wir mal … 2.000 Euro monatlich mehr auf dem Konto. Ich würde das gleich morgen arrangieren.“

Zwei Riesen?! Verflixt, da stimmt doch was nicht! Cool bleiben, Andrea, ganz cool. Denk an den schwarzen Golf da unten am Parkplatz und die Bankauszüge, auf denen er jeden Monat als Abzahlungsposten auftaucht. Denk an die Ägyptenferien, die du dir schon lange mal gönnen wolltest. Und vergiss nicht, dass dir dein Bruder die zehntausend, die du ihm für sein Geschäft geliehen hast, frühestens in zwei Jahren zurückzahlen kann.

Ich kneife die Augen zusammen: „Mal sehen – wie lauten die zwei Fragen?“

„Ah, gut.“ Es scheint ihm ein Stein vom Herzen zu fallen. Wahrscheinlich denkt er, jetzt hat sie angebissen. Fragt mich jetzt sicher, ob ich am Wochenende noch frei bin, und Frage zwei, ob ich mit ihm auf sein Boot komme oder irgendsoeinen Scheiß.

„Frage eins, sind Sie gut in Französisch, Frage zwei, können Sie Pariser ertragen?“

Jetzt reicht’s mir! Dass er mich ins Bett kriegen will, ist okay, er ist ja nur ein Mann, so wie es aussieht. Aber dass jemand in seiner Position so plump und primitiv redet, das ist der Gipfel – ich springe auf, beuge mich vor und hau ihm eine runter, dass es knallt. Zieh mir den Rock wieder etwas tiefer (den verflixten Leinenrock, der natürlich prompt in die alte Lage, wenn nicht gar ein Zentimeterchen höher rutscht) und marschiere zur Tür.

Ich bin noch nicht ganz an der Lifttür, da holt er mich ein: „Mein Gott, ich bin ein Schafskopf! Sie haben meine Formulierungen falsch … Frau Krämer, ich bitte Sie um Entschuldigung, aber was ich Ihnen anbieten …“

„Was ich Ihnen anbieten kann, ist morgen ein Treffen mit dem Betriebsratsvorsitzenden wegen sexueller Belästigung. Räumen Sie am besten schon mal Ihren Schreibtisch aus heut’ Nacht, Sie Vorstadtcasanova!“

Wo bleibt der verdammte Lift?!

Er steht da wie ein begossener Pudel, der Herr stellvertretende Exportchef. Geschieht ihm recht, so ein Blödmann! Ich gebe zu, dass ich vielleicht schwach geworden wäre, schließlich ist er ja überaus attraktiv und ich bin keine Nonne. Aber auf so eine saublöde Masche, nein, Andrea, das musst du nicht haben.

„Frau Krämer – bitte seien Sie jetzt nicht voreilig und ungerecht. Eigentlich … na ja, eigentlich dürfte ich das niemandem zeigen, aber bitte, lesen Sie das und kommen Sie dann zurück in mein Büro, damit wir Josephine in Paris anrufen können und alles aufklären, bitte!“

Ping, der Lift ist da. Die Tür geht auf und ich habe irgendwie das Gefühl, an einem Scheideweg zu stehen. Einsteigen und abdüsen oder dem gut gebauten Macho vor mir eine Chance geben.

„Gut, aber ich bleibe hier stehen, während ich lese, damit das klar ist!“

Er nickt wie ein Teenager, den man beim Onanieren erwischt hat. Ich stelle ein Bein in die Lichtschranke des Lifts und beginne zu lesen, was auf dem Blatt steht, das er aus seiner Hemdtasche holt und mir zitternd entgegenstreckt.

Es ist der Ausdruck einer E-Mail. Absender ist jemand aus unserer Filiale in Paris, eine „josephine. simone@worldmovies. fr.“

Ich werde unruhig. Habe ich … einen Fehler begangen?!

Von Satz zu Satz fällt mir mehr und mehr die Kinnlade runter – Himmel, was für ein Schafskopf bin ich doch! Ich lese nämlich:

Hallo, alter Knacker! Schön, dass du dich für Paris entschieden hast. Könnte mir keinen besseren Nachfolger vorstellen. Die zwei Jahre hier stehst du locker durch und an Freizeitfreuden fehlt es hier auch nicht (falls du Workaholic dieses Wort überhaupt kennst!). Aber du brauchst eine Assistentin hier in diesem Pariser Dschungel, eine, die erstens die Sprache bestens beherrscht und die zweitens Erfahrung im Umgang mit Parisern hat, denn die sind anders als der Rest der Franzosen – überheblich, selbstbewusst, kaltblütig im Job, das weiß ich jetzt nach drei Jahren hier in dieser Position. Nimm doch die Dame mit, von der du mir in deinen Mails immer vorschwärmst, diese Krämer! Musst ihr ja nicht auf die Nase binden, dass du auf sie stehst, mach es einfach diplomatisch, damit sie sich nicht erpresst fühlt. Aber vergiss nicht: Es muss schnell gehen, mein Baby kommt im Oktober, ob ich hier einen Nachfolger habe oder nicht, denn mein Bauch gehört mir, nicht der Firma Worldmovies! Hol doch diese Krämer – wie heißt sie überhaupt mit Vornamen? – in einer ruhigen Stunde in dein Büro und check mal ab, ob sie die Voraussetzungen erfüllt. Kannst mich ja anrufen, dann rede ich mit ihr am Telefon und sag dir nach drei Sätzen, ob Sie die Sprache beherrscht oder nicht. Dein Französisch ist ja so miserabel wie deine Fähigkeiten als Geliebter, sonst wäre dir Monika ja nicht mit diesem Italiener davongelaufen. Ohne Assistentin musst du hier nicht anrücken, aber mit einer guten bist du der King, dann küssen die dir die Füße nach dem, was du in den letzten drei Jahren alles für den Umsatz in Frankreich getan hast. Halt die Ohren steif (He: Ich sagte die Ohren, vergiss den da unten, du bist Junggeselle!!!) und ruf mich an, wenn du die Krämer rumgekriegt hast, okay? Küsse, dein Schwesterherz

Ich könnte im Boden versinken. Als ich die Augen hebe und Wagner ansehe, kneift der die Lippen zusammen und hebt fragend die Augenbrauen: „Hat die ganze Sache jetzt wenigstens ein wenig Aussicht auf Erfolg?“

Cool bleiben, Andrea, cool bleiben, auch wenn du ihm am liebsten um den Hals fallen würdest.

„Na ja, kommt auf die Konditionen an. Übrigens …“, und ich fahre ihm vorsichtig mit den Fingerspitzen über die von mir malträtierte Wange, „tut es noch weh?“

„Einen Indianer so etwas zu fragen ist eine Beleidigung, junge Frau. Also … kommen Sie jetzt doch noch zurück in mein Büro und wir können über alles in Ruhe reden? Ich wollte Sie wirklich nicht anmachen. Diese blöden Formulierungen hätte ich mir vorher wirklich überlegen …“

„… reiflich überlegen sollen, mit diplomatischem Geschick, Herr Wagner. Aber Sie sind ja bloß ein Mann, da ist das entschuldigt.“

Himmel, bin ich frech! Aber siehe da, Wagnerchen schluckt zweimal und steckt es weg. Ich nehme mein Bein, auf das er übrigens ein paarmal in den letzten Minuten fasziniert gestarrt hat, aus der Lichtschranke. Die Tür des Aufzugs schließt sich.

Ist er wirklich Junggeselle, dieser flotte Typ? Und – steht er wirklich so auf mich, dass er das sogar seiner Schwester in E-Mails erklärt?

Zurück auf der Couch ziehe ich den Rock ein wenig nach oben. „Das Wichtigste wissen Sie jetzt also, Frau Krämer. Für zwei Jahre hat mich der Vorstand nach Paris abkommandiert. Sollten Sie sich entschließen können, mit mir zu kommen, wären also die erwähnten 2.000 Euro plus verschiedene Zulagen zusätzlich für Sie drin. Vielleicht verstehen Sie jetzt, warum es für mich wichtig war zu wissen, ob Sie hier gebunden sind. Sonst könnte ja irgendein Ehemann oder Freund Sie davon abhalten, nach …“

„ … mit meinem Chef zwei Jahre nach Paris zu gehen, meinen Sie.“

Ich strecke ihm den Brief entgegen, den ich immer noch in der Hand halte. In meinem Kopf geht es zu wie in der Trommel einer Waschmaschine im Schleudergang. Die immer noch brütende Hitze, nah vor mir der Mann, der heimlich von mir träumt, und vor mir zwei Jahre in der Stadt, die ich in- und auswendig kenne und liebe.

„Kommen Sie, wir rufen Josephine an. Und dann begießen wir unsere Zukunft, einverstanden? Oder gibt es in dieser lausigen Bude nichts zu trinken?!“

Himmel, ist dieser Mann köstlich unbeholfen! Er starrt mich an. „Trinken? Jetzt?! Äh, ja, sorry, im Vorzimmer bei Frau Bender steht glaube ich was im Kühlschrank.“ Er stutzt und setzt nach: „Heißt das, dass Sie ja sagen zu dem Angebot?“

Er streicht sich durch sein fülliges, wuscheliges, kastanienbraunes Haar und murmelt: „Also auf alles war ich gefasst, aber dass alles so kommt …“

Männer!! Sie sind eindeutig Schweine, erobern die Welt und den Mond und übermorgen wahrscheinlich den Mars, aber sind nicht in der Lage auf einer Ledercouch die Frau festzuhalten, von der sie anscheinend fasziniert sind. Na warte, Junge, dir helf ich auf die Sprünge!

„Rufen Sie Ihre Schwester an, jetzt, sofort. Ich hole inzwischen aus dem Kühlschrank was Flüssiges. Dann rede ich mit ihr, okay?“

Ich ziehe spontan seinen herrlichen Wuschelkopf zu mir und sehe ihm, nur Zentimeter von seinen Lippen getrennt, in die Augen. „Ab dann gehört der Abend uns, Herr Frankreichrepräsentant!“

Auf Wolke sieben schwebe ich ins Vorzimmer. Im Hintergrund höre ich über die Freisprechanlage, wie es irgendwo läutet. Nein, nicht irgendwo, ich bin mir sicher: Es läutet in Paris.

Zeitsprung: Nach einem schier endlos scheinenden viertelstündigen Telefonat mit Josephine Simone weiß ich, dass sie eine bezaubernde Schwägerin wäre. Sie bestätigt mir, dass ich die Idealbesetzung für den Job sei, den ihr Bruder mir im Einzelnen sicher noch heute Abend erläutern wird. Sie habe meine Personalakte gelesen. Friede, Freude, Eierkuchen. Alles Paris, oder was?

Wieder die schwarze Ledercouch. Zwei gefüllte Sektgläser. Zwei, die sich gegenübersitzen und sich auf alles Mögliche freuen, sicher auch darauf, dass der andere …

„Die Antworten lauten beide Male ja, sehr ja!“ „Bitte? Von was sprechen Sie?“ „Na, ob ich gut bin in Französisch. Und ob ich Pariser ertrage.“

Ich glaub’s ja nicht: Da wird dieses gestandene Mannsbild tatsächlich rot bis hinter die Ohren!

„Aber Ihr Französisch lässt ja anscheinend zu wünschen übrig, Herr Kollege. Schwesterchen behauptet das zumindest.“

Provozierend schwenke ich mein Glas, lehne mich zurück und registriere mit Genugtuung, dass dieser verflixte Rock ausnahmsweise mal das tut, was ich mir gerade wünsche: Er rutscht gut spürbar ein paar Zentimeter nach oben.

Weil ich die Augen geschlossen habe, sehe ich nicht, was passiert. Umso mehr spüre ich es: Zwei kräftige Hände packen meine Schenkel und drücken sie auseinander. Ich höre wie im Traum: „Der, der dir jetzt seine Französischkenntnisse präsentiert, heißt Manfred. Wenn du zufrieden bist, sag es keinesfalls anderen. Wenn nicht, sag es mir. Oder besser: Gib mir Nachhilfe, am besten auf Lebenszeit!“

Gäbe es eine solche Rubrik im „Guinness Buch der Rekorde“, würde dieser Heiratsantrag mit Sicherheit ganz oben stehen! Während Manfred mit wachsender Lust seine Zunge in meiner seit der Szene am Lift feuchten Vagina kreisen lässt, versinke ich in einen Liebes- und Lebensrausch, wie ich ihn noch nicht kannte – so viel Glück auf einmal, vive la France!

Die schwarze Ledercouch wird in der nächsten Stunde zu einem Liebesnest. Denn auch ich kann mir nach dem ersten Orgasmus nicht verkneifen, Manfred gegenüber mit meinen Französischkenntnissen zu prahlen, ohne dabei ein Wort in dieser wunderbaren Sprache zu verlieren …

Nach einer halben, lusterfüllten Ewigkeit liegen wir eng umschlungen und ermattet da. Mein schwitzender, knackiger, mit einem Zwölfstundenbart mein Gesicht und meine Schenkel zerkratzender zukünftiger Lebensabschnittsbegleiter flüstert mir ins Ohr: „Wir fangen ein neues Leben an, wir beide. Eine tolles Leben. Lassen die Berliner hinter uns und ziehen uns jeden Tag Pariser über …“

„Sie sind so ein zweideutiger Sprücheklopfer und total unseriös, Monsieur! Übrigens, apropos seriös: Diese Couch geht mit in unser Büro nach Paris. Niemand anders soll nämlich darauf mehr die Flecken hinterlassen, die wir beide …“, und grinsend zeig ich ihm die Spuren der intensiven Karriereförderung auf dem 5.000 Euro Leder …