Die Abrechnung

Valerie Morel

Nicole und Andrea hatten ein aufregendes Tennismatch beendet und wischten sich den Schweiß von der Stirn. Sie waren seit vielen Jahren ein eingespieltes Doppel, und das nicht nur, was den Sport anbelangte. Applaus und Jubel übertönten den Nachhall des ewigen Plopp-Plopps der Filzbälle und die Teilnehmerinnen des Spiels umarmten einander auf kameradschaftliche Weise, wie man es nach jedem Spiel machte.

Von Erfolg verwöhnt, nahmen sie den sie umgebenden Jubel kaum wahr. Natürlich freuten sie sich und genossen die allgemeine Aufmerksamkeit, doch war diese für sie nur ein Vorspiel, ein Auftakt zu Akten, welche noch sehr viel größere Lust in beiden entfachten.

Niemals ließen sie in der Öffentlichkeit allzu persönliche Dinge durchblicken. Was nur sie beide anging, ging nur sie beide an. Nicole, schlank, schwarzhaarig und ein klein wenig an eine Zigeunerin erinnernd, hakte sich bei der Freundin ein, welche äußerlich so ganz das Gegenteil von ihr zu sein schien, blond, blauäugig und geschmeidig wie eine Katze. Auf dem Weg zu den Umkleide- und Duschräumen verklang allmählich das Stimmengewirr im Hintergrund.

„Ob Jürgen uns wieder folgt?“ Nicole kniff leicht in Andreas’ Arm und kicherte.

„Wenn der wüsste, dass heute garantiert die Falle zuschnappt …“

Wissend, dass sie aus gierigen Augen beobachtet wurden, wedelten beide Mädchen bewusst provokativ mit den Hüften.

Andrea und Nicole waren beide 23 Jahre alt. Sie hatten einen Großteil ihrer Jugend miteinander verbracht, heute studierten sie gemeinsam und begeisterten sich in ihrer Freizeit für dieselben Sportarten. Ungezählte miteinander geteilte Erlebnisse schmiedeten sie aneinander wie unsichtbare Glieder einer Kette. In der Ferne roch es nach Chlor und man hörte auch schon das Wasser in den Duschräumen prasseln. Die Freundinnen beschleunigten den Schritt und begannen zu rennen. Nicole und Andrea konnten es beide kaum erwarten, aus ihrer verschwitzten Kluft herauszukommen. Die Tür der Damenumkleideräume fiel mit einem lauten, lange nachhallenden Knall hinter ihnen ins Schloss.

Sie wussten beide genau, was Jürgen tat, was er jedes Mal tat und nicht lassen konnte. Nicole und Andrea waren alleine im Umkleideraum, ein Luxus, welcher ihnen eher selten zuteil wurde. Die beiden Verschwörerinnen verspürten ein prickelndes Wohlgefühl in Anbetracht des Kommenden. Sie taten, als ob sie sich unbeobachtet wüssten, wohl wissend, dass es nicht so war. Sie hörten, wie leise, ganz leise Jürgen die Hintertür zu den Damenduschräumen aufsperrte. Man konnte es nur hören, wenn man es wusste. Es wäre eigentlich unhörbar gewesen. Andrea sah im Geiste Jürgens Augen in der Belüftungsklappe des Duschraums auftauchen. Sie schloss die Augen und ließ genüsslich prickelnd heißes Wasser über ihren Körper laufen.

Beide Freundinnen standen unter ein und derselben Dusche, sie liebten es seit jeher, sich gegenseitig ein wenig zu verwöhnen, sie hatten es von Kind an getan, erst ganz verspielt-unschuldig und später war mehr und mehr dabei gewesen. Die Haut der jeweils anderen fühlte sich kühl und zugleich lebendig-warm an. Wie zwei Tänzerinnen bewegten sie sich und berührten einander dabei scheinbar zufällig. Gerade dieses vermeintlich Zufällige war der Reiz ihres Spiels und sie hatten gelernt es auszubauen. Die eine und dann die andere wand sich um ihre Achse und wo zuvor dralle Hinterbacken einander gestreift hatten, taten es nun die prall erigierten Nippel ihrer Brüste, wobei die von Nicole dunkler und größer waren, wie schwarze Kirschen aus ihren großflächigen Höfen herausragten. Andrea zwirbelte jene verheißungsvollen Brüste mit ihren sorgsam manikürten, langen, krallenartigen Nägeln ihrer zarten Verwöhnhände.

Nicole verzog das Gesicht in Verzückung, ein Fremder hätte meinen können sie litte Qualen, und tatsächlich lag ihr Zustand zwischen Lust und Schmerz, sodass sie selbst nicht sagen konnte, was eigentlich genau überwog. Andrea drang lüstern ins empfindsame Fleisch der Freundin, und als sie losließ, stöhnte Nicole befreit und zugleich verlangend auf. Beide spürten sie die Gier jener unsichtbaren Augen und wurden dadurch erregter und erregter. Beide bildeten sie sich ein Jürgen sich räuspern zu hören. Phasen der Aktivität und Passivität pflegten bei ihren Spielen einander abzuwechseln. Andrea, die gegeben hatte, war nun an der Reihe zu genießen.

Nicht nur vom heißen Wasser aufgepeitscht, erzitterte sie lüstern unter Nicoles feinen, sie nur streifenden Kitzelbewegungen, welche sich allmählich und genau im richtigen Tempo von ihren Achseln über ihre Rippen, Taille und Hüften und wieder hinaufbewegten. Andrea spürte, wie sie erregt und erregter wurde, wie der Kitzel ihr durch die Lenden schoss.

Andrea spreizte die Beine ein wenig, doch die zärtlichen Hände der Gespielin ließen sich Zeit, zupften ein wenig neckisch und versonnen an ihrem Schamhaar, wie um sie zu reizen, sie zu quälen, wie sie zuvor selber gequält hatte, auf dass alles noch schöner und lustvoller würde. Ganz kurz, einen winzigen Augenblick nur, sahen sie einander in die Augen, sich gegenseitig versichernd, dass sie sich das Stöhnen des unsichtbaren Dritten nicht nur einbildeten.

Die beiden Verschwörerinnen griffen einander um die Wangen, ihre Gesichter näherten sich einander, ihre Lippen suchten einander, vorsichtig, als wollten sie sich zunächst nur kennenlernen. Sie züngelten wie Schlangen der Versuchung, ihre Zungen berührten einander warm und feucht in einer Umgebung, welche nicht anders war.

Alles war zum Zerreißen angespannt; das zu Erwartende steigerte die Spannung ins schier Unerträgliche. Schamhaar knirschte auf Schamhaar, die eine Weiblichkeit liebkoste die andere und dass sie beide Frauen waren, machte alles noch reizvoller, reizvoller als alles ansonsten Gewohnte …

Mit irrem Getöse fiel eine Tür ins Schloss. Eine Klappe fiel herunter und rastete unüberhörbar ein. Indianergeheul ertönte, doch war es beileibe nicht die Begleitmusik eines kindlichen Streiches. Es waren die altvertrauten Stimmen der Tennisfreundinnen. Siegesgewissheit, kitzelige Schadenfreude, aber in erster Linie wohlige Vorlust klangen aus ihnen. Ganz und gar unerschrocken wandten Nicole und Andrea sich voneinander ab und stemmten die Arme in die Hüften.

Den Ausdruck ihrer Gesichter hätte niemand deuten können. Die beiden jungen Frauen waren einfach nur wunderschön, Göttinnen der Erotik, der Lust, des Kitzels … Sie lauschten. Es war gleichermaßen zum Lachen, wie es erregend war. Die Erregung überwog; das Gelächter hatte seinen Platz im Alltag.

Andrea und Nicole waren überzeugt, dass Jürgen zu dem Zustand, in welchem er sich nun befand, seinen Beitrag geleistet hatte. Was sie sahen, war mehr als beeindruckend. Es übertraf ihre kühnsten Erwartungen. Die sechs Tennisfreundinnen hatten ganze Arbeit geleistet, nicht nur die Ärmel hochgekrempelt, nein, sie waren gänzlich nackt, wie es sich in einem Duschraum gehörte, und sie erinnerten an seltsame Mumienträgerinnen aus einer fernen Wirklichkeit. Der Mann zu ihren Füßen glich einem weißen, entfernt menschenförmigen Etwas, welches von Kopf bis Fuß in schwarze Lederriemen gepackt war. Weiße und schwarze Bänder wechselten einander in monotoner Gleichförmigkeit ab. Das gesamte Szenario hatte etwas vollkommen Surreales an sich.

Hinter den geschlossenen Augenlidern des Gefangenen war ein eindeutiges Flackern der Lust nicht zu übersehen. Andrea und Nicole bezweifelten, dass ihre Lustgespielinnen ihren Unterworfenen ernsthaft hatten überwältigen müssen. Was sie sahen, sprach Bände. Schamlose Männlichkeit offenbarte schamlose Gelüste. Diese hemmungslose Lust hier auf dem Kachelboden war eine Frechheit, unverschämter noch, dreister als alle verbotenen Spannerakte und Nachstellungen zusammengenommen.

„Wir Frauen sind gänzlich gewaltfrei.“

Die munteren Stimmen der Vollstreckerinnen wechselten einander ab, hallten von den gefliesten Wänden wider und formten sich zu Urteilen.

„Wir rächen uns nicht an dir, wir führen dich lediglich auf den rechten Weg zurück.“

„Was wir tun, ist Liebe. Es ist unsere Art zu lieben.“

Die vielen, vielen Finger mit den langen, langen Nägeln tanzten durch sprühendes Duschwasser, dessen feine Tröpfchen kaum von Wasserdampf zu unterscheiden waren. Heißer Nebel vernebelte die Sinne. Sinnesnebel?

Nur die schwarzen Bänder des Gefangenen durchbrachen die Gleichförmigkeit. Die Finger tanzten und tanzten, tauchten hier und da vor den sich gelegentlich öffnenden Augen des Sünders auf und die Vollstreckerinnen erfreuten sich lüstern der Vorhölle, durch welche sie ihr Opfer trieben, und es amüsierte sie königlich, dass er litt, ohne dass sie ihm wahrhaftig Leid angetan hätten. Der Tanz der Dämoninnen zog sich hin, als wolle er niemals enden. Im abgestimmten Spiel der Lust knieten sie nieder.

Jürgen hatte nicht gewusst, was geschehen würde. Niemand hatte ihm etwas verraten, kein Blick, keine Andeutung hatten ihm Aufschluss gegeben. Ein Gefühl tief in seinem Inneren hatte es ihm verraten und deshalb war jene Verlockung heute unwiderstehlicher gewesen denn je. Aus den Augenwinkeln heraus sah er, wie Nicole und Andrea einander zärtlich umarmten, die Hand der einen streichelte den Rücken der anderen, die eine wand sich lustvoll in den Armen der anderen, und obwohl er es nicht sehen konnte, spürte er am eigenen Leib, wie die Zungen einander in den Mündern umkreisten.

Ein Tröpfchenschleier vernebelte das Bild, aus welchem wiederum die Hände seiner Peinigerinnen hervortraten, um seine empfindliche Haut zu berühren, unter welcher das Leben und die Lust pulsierten. Die Berührungen waren wie Beine von Spinnen, welche unerträglich langsam über seine sensibilisierte Haut glitten.

Er wollte schreien oder lachen, doch er war wie ohnmächtig, nicht die Fesseln nahmen ihm all seine Kraft, auch nicht die Peinigerinnen, nein, es war er selbst in seiner unerträglichen, ihn auflösen wollenden Lüsternheit.

Wichen die Finger, so wichen die Nebel und er konnte jedes Mal einen winzigen Blick auf die liebenden, sich einander hingebenden Freundinnen erhaschen. Nicoles Zeigefinger drang in die gespreizte Spalte Andreas, welche nun niederkniete, sich verlangend darzubieten. Er wusste nicht, wie ihm geschah. Auch er war gespreizt, ganz plötzlich. Wo Andrea berührt wurde, wurde auch er berührt, doch sein Verstand war vernebelt, ihm war, als verwischten sich die Identitäten aller Beteiligten. Er wusste nicht, ob er kniete oder noch am Boden lag. Seine Sinne waren dabei sich aufzulösen. Etwas kniff in seine Spalte, biss in seinen Hodensack.

Dann hörte er Nicole lustvoll auflachen. Ihr dunkler Busch schwebte über seinem Gesicht, streifte seine Nase und seine Wangen, er streckte die Zunge heraus und vermochte doch nur die Spitze ihrer Klitoris flüchtig und für einen unsagbar kurzen Moment zu berühren. Er schmeckte sie, er schmeckte entfesselte Weiblichkeit. Er schluckte auf einmal nur noch Wasser, lag nun bäuchlings auf den Fliesen und wand sich wie ein Regenwurm vor den erwartungsvollen Augen hungriger Vögel.

Er konnte sich nirgendwo festkrallen. Er konnte nirgendwo Halt finden und sich auf einmal noch nicht einmal mehr winden. Sie piksten ihn in die Rippen, aber nicht wirklich feste, nicht so, dass es wehgetan hätte, und gerade das war das Gemeine, das Unerträgliche. Unerträgliche Nervosität befiel ihn, von Erregung unabgrenzbar, in Wut übergehend, um sodann in neue und immer neue Erregung zu münden. Aufstachelnd. Überall waren Stacheln, doch sie stachen nicht zu, sie streiften nur, piksten, marterten, indem sie den Leib entlangglitten, da, wo er am empfindlichsten war. Andreas draller Weiberhintern wedelte für Sekundenbruchteile vor seinem Gesicht, bevor das aufpeitschende Bild in heißem Wasser und nachfolgender Schwärze zerfloss. Ihm war, als hätten sich urplötzlich tausende von Krokodilklemmen in seinen Schritt geheftet. Doch mit dem Hintern zu wackeln war ihm versagt, die Freiheit besaß nur Andrea, welche von Neuem aus der Finsternis auftauchte, zärtlich geküsst von der Geliebten.

Wo vormals die Krokodilklemmen gewesen zu sein schienen, war nun Kitzel, Kitzel und nochmals Kitzel, der Kitzel drohte ihn umzubringen, ihm die Atmung zu rauben, alle Organe aufzulösen und alles konzentrierte sich in der Spalte, in der es stattfand, um seinen Hodensack herum.

Gekitzelte Kitzler … Er hörte Andrea und Nicole in stetem Wechsel stöhnen und ihr Gestöhne ging allmählich in Lustschreie über, immer hemmungsloser, wie ein Crescendo des Wahnsinns. Irgendwo am Rande, weit draußen, nahm er mit dem allerletzten Rest seiner Sinne wahr, dass er es war, der am lautesten schrie, der alles überschrie, was je auf Erden geschrien hatte. Er wusste nicht, ob er sich aufbäumte, er wusste auch nicht, ob er starb. Er zuckte in bodenloser Wollust, er zuckte und zuckte und verlor den Bezug zur Zeit und zur Wirklichkeit.

Er musste später erst wieder mühsam zu sich finden. Es war wie nach einer langen Abwesenheit, er kam sich vor wie jemand, der lange in einem fremden Land gelebt hatte und den Bezug zur alten Heimat erst wieder neu finden musste. Als er erwacht war, war er alleine gewesen und seine Zähne schlugen vor Kälte aufeinander. Keine Menschenseele war um ihn und er hätte glauben mögen, einem Rausch erlegen zu sein, wäre da nicht noch der Nachhall jenes Gefühls gewesen, welches ihn beinahe um den Verstand gebracht hätte.

Mühsam rappelte er sich auf. Er torkelte. Draußen war der Abend hereingebrochen. Seine Kleidung befand sich achtlos dahingeworfen auf den Holzbänken im Umkleideraum. Er stieg in seine muffeligen Klamotten und empfand das mit einem Mal als beklemmend und unangenehm. Es roch nach Schweiß und Turnschuhen. Etwas Blaues lag da, ein kleines, ringförmiges Objekt. Er bückte sich danach. Es war der Haargummi, welchen Andrea an jenem Tag beim Tennis getragen hatte. Lächelnd strich er darüber und steckte ihn in seine Hosentasche. Sein kleiner Fetisch. Wann immer er ihn später zur Hand nehmen und betrachten sollte, kamen ihm alle Erinnerungen an all jene unaussprechliche Geilheit zurück. Er sprach nie darüber. Das Leben ging einfach weiter. Wie gehabt.