Wachs in seinen Händen

Christine Speer

Sie fuhr viel zu schnell. Birgit raste und kümmerte sich nicht im Geringsten um die Geschwindigkeitsbegrenzungen. Sie kannte die Autobahn und hoffte, dass um diese Zeit keine Kontrollen zu erwarten waren. Sie zündete sich die x-te Zigarette an. In dem Mercedes, den sie letztes Jahr von ihrem Mann geschenkt bekam, sollte sie eigentlich nicht rauchen, doch ihr war es im Moment herzlich egal. Aus Vorfreude und aus Nervosität hatte sie den Wagen die letzten 120 Kilometer bis an die Grenze des Erträglichen vollgequalmt.

Birgit seufzte schwer und dachte an die mehr als knapp bemessene Zeit, die sie hatte. Ein einziges Wochenende nur!

Ein einziges Wochenende, um ihren Mann anzulügen, eine gute Freundin einzuweihen, die Kinder zur ihr zu bringen und selbst alle Hebel in Bewegung zu setzen, um zu Roland zu fahren. Viel zu schnell und in einer niederträchtigen Art von zerstörerischer Hochstimmung.

Sie saß seit geraumer Zeit in dem Auto und die Luft war nicht gut. Sie rauchte und hatte die Klimaanlage ausgeschaltet gelassen, sie bevorzugte leicht geöffnete Fenster.

Mittlerweile herrschte in dem Fahrzeug ein Dunst vor, der Birgit schwitzen ließ. Vielleicht war es auch nicht nur die Luft allein, die ihr kleine Rinnsale den Rücken hinuntertrieb und eine stickige Wärme unter ihrem zerknitterten Rock erhielt.

Nein, dachte sie, mit fast 35 Jahren ist einem nicht nur wegen der Erwartung eines Abenteuers heiß. Man musste manchmal schon auf den Kreislauf achten … Sie kicherte leise und stellte das Radio an. Nach einer Weile des Suchens tönte der Song „Master and Servant“ von Depeche Mode aus den Boxen. Wie passend, dachte Birgit grinsend, wie passend. Und sie stieg aufs Gas.

Nach ein paar weiteren Kilometern fuhr sie dann langsamer. Es ging auf die Ausfahrt zu und sie setzte sich mit einem zufriedenen Blick auf die Uhr auf die rechte Spur und ließ das Auto auslaufen.

Beim Abfahren von der Autobahn steigerte sich das Gefühl der Vorfreude noch und verwandelte sich langsam in einen gierigen Erwartungsdrang. Sie konnte sich beim besten Willen nicht vorstellen, dass ein Wochenende mit Roland kein Abenteuer sein würde.

Sie nahm die Bundesstraße für die letzten Kilometer bis zu dem kleinen Vorort einer Stadt, die sie noch nicht einmal ganz gesehen hatte, obwohl sie schon so oft hier war. Aber Birgit kam nicht über Rolands Haus hinaus.

Sie durfte nicht weiter gehen, und sie wollte es auch nicht. Sie wollte genau das, was er ihr sagte. Sie wollte nicht leben, sie wollte erleben. Nichts sagen, sondern gehorchen. Diese Art der physischen und psychischen Dominanz, die Roland über sie ausübte, faszinierte sie. Sie wollte sich ihm mit Haut und Haaren hingeben, sich einfach fallen lassen und ihre Lust frei ausleben. Bei Roland konnte sie es!

Bei diesen Gedanken steigerte sich die Wärme in ihr und sie wäre beinahe von der Straße abgekommen. Im letzten Moment fing sie gerade noch den Wagen ab und zwang sich zur Ruhe.

Das Haus kam langsam näher und sie dachte ein letztes Mal für die nächsten zwei Tage an ihren Mann. Dachte daran, wie er sie immer in den Himmel gehoben hatte – ihr jeden Wunsch von den Augen abgelesen hatte. Sie war beruflich erfolgreich und ihre Ehe war von einer Art, die sich wohl viele Frauen wünschen würden.

Birgit kam zu dem Schluss, dass diese Umstände wohl der Grund waren, warum sie auf Roland nicht mehr verzichten konnte. Sie wollte nicht mehr von ihm, als sie bekam, und es war immer ein Erlebnis ganz besonderer Art.

Sie bog in seine schmale Einfahrt ein und sah, dass er bereits am Fenster stand und sie erwartete. Birgit hielt an und atmete tief ein und ebenso tief wieder aus. Erst dann stieg sie aus ihrem Wagen und ordnete ein wenig ihre Kleidung.

Die Tür ging auf und Roland stand einfach nur da und sah sie an. Birgit lief zu ihm hin und wollte ihm um den Hals fallen, doch er hielt sie zurück.

„Nicht so stürmisch!“, lachte er und küsste sie sanft.

„Endlich – endlich!“, lachte sie und drückte sich fest an ihn.

Roland war sehr kräftig für einen Mann, der die 40 zu überschreiten drohte.

„Komm erst mal rein“, flüsterte er ihr ins Ohr, „dann sehen wir weiter …“

Sie setzten sich ins Wohnzimmer. Er hatte eine wunderschöne wuchtige Ledercouch und einen übergroßen Kamin. Roland machte auch gleich Feuer und bot ihr einen Schluck Wein zu trinken an.

Er legte klassische Musik auf und setzte sich dann in einer beiläufigen, doch beinahe pantherhaft geschmeidigen Bewegung zu ihr.

„Wie war die Fahrt?“

„Es ging so. Die Autobahn war relativ frei und außerdem sind heute nicht die üblichen Verrückten unterwegs“, sagte sie und trank einen Schluck von dem Wein. Es war ein vorzüglicher Bordeaux. Ihr wurde sofort wieder warm.

„Ich habe eine kleine Überraschung für dich.“

„Ja? Was ist es denn?“, fragte sie voller gespannter Erwartung.

Er sagte nichts darauf, sondern fing stattdessen an langsam sein Hemd zu öffnen. Birgit schluckte schwer. Sie war jedes Mal von Neuem fasziniert von seinem Körper und auch jetzt fühlte sie wieder diese zittrige Nervosität. Roland zog sein Hemd ganz aus und entledigte sich auch gleich seiner Hose.

„Erinnerst du dich noch an deine Worte beim letzten Mal?“, flüsterte er dann.

„Was meinst du?“

„Du hast einen Wunsch geäußert …“ Er sah ihr viel sagend in die Augen.

„Das Wachs …“, flüsterte sie mit brüchiger Stimme.

„Ja, das Wachs.“ Er stellte sein Weinglas weiter weg und ihres nahm er mit sanfter Gewalt aus Birgits Hand.

Sie sah ihm zu, wie er aufstand und ein paar Kerzen anzündete, die überall verteilt standen. Dann nahm er noch zwei weitere aus dem schweren Schrank und kam wieder zurück.

Birgit leckte sich über die trockenen Lippen. Roland hatte nur noch seinen Lederslip an, den sie so liebte. Besonders die beiden Stränge zum Festzurren des sehr sparsamen Lederbodys. Er passte, als wäre er extra für ihn gefertigt worden.

Bei jeder Bewegung bewegten sich Body und Slip mit und Roland machte mehr und mehr den Eindruck eines Raubtieres. Vorsichtig legte er nun die Kerzen auf den Tisch und Birgit hörte das Prasseln des Kaminfeuers und weit entfernt die Musik.

„Du hast immer noch zu viel an!“ Jetzt hatte er wieder diesen scharfen, befehlenden Ton in seiner Stimme, der sie sofort weich werden ließ.

„Ja“, sagte sie nur und begann beinahe hektisch sich auszuziehen.

Er nahm die Fernbedienung und wechselte die Musik, die Birgit vor lauter Anspannung nicht mehr deutlich hören konnte. Sie hatte nur noch BH und Slip an.

Roland küsste sie und Birgit wurde vollends schwindelig. Erst war er noch zärtlich, hatte seine Hände überall und streifte sanft den letzten Stoff von ihrem Körper. Ihr Atem ging schwer, sie roch ihn und dazwischen das Leder seines Bodys. Seine Küsse bedeckten ihren ganzen Körper – sie war nicht fähig sich zu rühren, war weich und hilflos in seinen Händen.

Ihre Blicke trafen sich und bestätigten einander das animalische Feuer, das sie beide erfüllte. Er hielt sie fest, ließ sie sich winden in seinen Händen unter dieser fast quälenden Lust.

Irgendwann fand Birgit sich am Boden vor dem Tisch wieder und Roland war über ihr, hatte etwas Drohendes an sich.

„Was …“, stieß sie hervor.

„Nicht reden … vertrau mir einfach!“, antwortete er mit seiner schweren, dunklen Stimme. Allein ihr Klang trieb sie schon wieder weiter auf diesem Fluß aus einer sich ständig zuspitzenden Spannung.

Sie fühlte, wie ihre Hände zärtlich festgebunden wurden mit Riemen aus dem gleichen Leder, wie Roland es auf seiner schweißfeuchten Haut trug. Er band sie an ein Tischbein und sie spürte jeden ihrer Muskeln am Rücken, die sich noch gegen den harten Boden wehrten.

Dann nahm er eine Kerze vom Tisch, zündete sie an, setzte sich auf ihre Beine und sah ihr in die Augen. Birgit hatte das Gefühl vor lauter Spannung zu zerreißen.

Roland ließ ganz langsam etwas Wachs auf ihren Bauch tropfen. Sie stöhnte. Er beugte sich vor und zog ein Rinnsal davon zwischen ihren Brüsten hindurch. Sie zitterte. Dann strich er mit der heiß gewordenen Kerze über ihre Seiten und Birgit begann an ihren Fesseln zu zerren und zu rütteln.

Sie hörte das Prasseln des Kaminfeuers immer lauter und fast nichts mehr von der Musik. Ihr einziger Rhythmus war ihr schnell hämmernder Herzschlag und der kräftige Atem Rolands, der sich mit ihrem eigenen zu einem lustvollen Takt verband.

Sie schwitzen beide und wurden immer wilder. Roland stand von ihren Beinen auf und legte sich neben sie. Er ließ immer mehr Wachs auf ihre Beine und auf ihren Bauch laufen und Birgit unterdrückte ihre Schreie, presste nur die angestaute Luft hervor.

Er nahm ein schwarzes Tuch vom Tisch und verband ihr damit die Augen. Sie hielt einen Moment still und er zog sich völlig aus und begann sie mit Küssen zu überdecken. Küsse, die immer leidenschaftlicher und immer heftiger wurden. Dazwischen fühlte sie auch seine herrlichen Bisse, nicht ganz so sanft, aber von jener HeißKalt-Mischung, die sie so liebte. Man konnte nicht genau unterscheiden, ob es schon Schmerz war oder noch Lust. Es war exakt an der Grenze. Vielleicht verschwammen die Grenzen hier auch, dachte sie, es war fast schon ein sakrales Erlebnis.

Roland küsste und biss sie abwechselnd. Am ganzen Körper. Er fing an ihrem Hals an, zog seine Leidenschaft über ihre linke Brust, dann über die rechte und hinab bis zum Bauch. Dann langsam weiter nach unten – erst nahm er außen an den Schenkeln ihren Schweiß auf, um sich dann nach innen vorzutasten.

Birgit zuckte vor Glück. Roland atmete tief ein und lehrte sie dann, dass eine Zunge nicht nur zum Sprechen da war. Birgit platzte fast vor Lust. Sie seufzte tief und atmete schwer.

Er wurde heftiger. Sie konnte nur noch stoßweise Luft holen. Roland gab nicht nach und Birgit wurde von einer heißen Welle aus ihrem Bauch überflutet. Sie zuckte und bebte, sie schrie. Roland hatte Mühe sie zu halten, und wäre sie nicht am Tisch festgebunden gewesen, hätte er jetzt die gleichen Male an seinem kräftigen Rücken wie bei ihrem letzten Besuch.

Dann zog sich dieses gewaltige Gefühl wieder zurück. Er nahm ihr die Augenbinde wieder ab, ließ sie aber nicht länger verschnaufen, sondern stürzte sich auf sie.

Sie verbissen sich regelrecht ineinander und Birgit sah nur noch seine brennenden Augen vor sich. Sie waren wie ein Spiegel, der zwei Seiten hat. Sie spürte Roland nicht nur in ihrem Körper – er drang bis in ihre Seele vor! Und er schien sie rauben zu wollen. Nichts anderes in dieser Welt war mehr wichtig. Sie zerschmolzen in dem Fluß der Leidenschaft und sie wurde wieder und wieder von heißen Wellen aus kleinen Nadelspitzen geschüttelt.

Dann, nach einer scheinbaren Ewigkeit, ließ Roland dieses Erdbeben langsam ausklingen und schließlich legte er sich erschöpft neben Birgit und band sie von dem Tisch los.

„Hmmhh, was war das? Was machst du nur mit mir?“, presste sie völlig außer Atem hervor.

„Nichts, was du nicht gewollt hättest.“

„Und morgen Abend muss ich schon wieder fahren, muss zurückkehren in meine heile Welt. In meine gesicherte Existenz …“

Es hörte sich fast wie ein Fluchen an.

„Dabei“, entgegnete er mit einem schelmischen Grinsen, „kann ich dir nicht helfen. Aber wann immer du aus diesem goldenen Käfig ausbrechen willst, weißt du, wo du mich findest.“

„Aber ich muss ständig lügen und dich vollkommen verheimlichen.“

Roland lachte hart. „Das ist wohl der sadistischste Teil unserer Affäre …“

Und dieses Lachen klang Birgit noch lange in den Ohren. Es belästigte ihren Verstand und verhöhnte ihre Prinzipien, aber ihr Gefühl widersprach so heftig, dass sie die Zweifel darüber bald ganz aufgab. Und sich nur noch hingab, um zu genießen.

Und zu vergessen …

Doch eines Tages würde sie dieses Doppelleben nicht mehr ertragen können und würde sich entscheiden müssen zwischen dem Leben mit ihrem Mann und den Kindern und der grenzenlosen Lust, die sie mit Roland erlebte. Irgendwann …