Das Ritual …

Allegra Deville

Ich spüre eine Art Erwachen und sehe mich nun zum ersten Mal da liegen, wo ich schon seit Stunden gelegen haben muss. Die Kälte, die meine nackten Füße, Beine, ja längst meinen entblößten Po erreicht hat, sitzt wie eine eisige Klammer auf meiner schutzlosen, einsamen Scham. Ich liege, hänge auf dem Fußboden vor deinem Schreibtisch. Ich bin nicht in der Lage mich irgendwie zu rühren. Ich blicke umher und versuche mich zu erinnern …

Über mir sehe ich die beiden offenen Lederriemchen, aus denen ich mich offensichtlich gelöst haben muss, denn du hast sie nicht geöffnet, das weiß ich noch. Ohne nur eine einzige Sekunde zu zögern drehtest du dich um und bist gegangen. Nach diesem Schrei, dem ersten; und dem, wie ich jetzt wusste, noch unzählige folgen sollten, als ich begriff, dass du mich wirklich hier allein gelassen hast. Ich weiß nicht mehr, wie viel Zeit bereits vergangen ist. Wirst du wiederkommen und mir verzeihen? Alles kommt mir so unwirklich vor …

Dabei hattest du mich ausdrücklich gewarnt. „Wenn du nur einen Laut vor dir gibst, wenn du schreist, dann ist alles vorbei“, hattest du gesagt. Und ich wusste, du meintest es wirklich so. Dann hatte unser Ritual begonnen. Du hattest mich in dein Arbeitszimmer geführt, wo der große, schwere Eichenschreibtisch stand, an dem bereits dein Vater gesessen hatte. Dann hattest du mir gesagt, ich solle mich darüberlegen, und die Lederriemen um meine Handgelenke gelegt. Ich war fixiert, an den Schreibtisch gebunden und wartete nun auf meine Lektion.

Wie immer dauerte es eine Weile, bis du aus dem Nebenraum zurückkamst, wo wir unsere besonderen Utensilien aufbewahren. Ich war bereits nackt und ich wusste nicht, ob vielleicht auch du dich ausgezogen hattest. Doch das war unwahrscheinlich, denn meist bliebst du vollständig angezogen und behandeltest mich zunächst auf andere Weise als die, die normalerweise zwischen Mann und Frau üblich ist. Das gehörte zum Ritual. Dann sah ich, dass deine Hose offen war. Also doch! Heute würde ich dich endlich mal wieder ganz spüren dürfen! Nur wann, das war die Frage. Ich war extrem erregt durch diese Erkenntnis und die Vorfreude …

Du tratst wortlos hinter mich und ich spürte plötzlich etwas ungeheuer Kaltes, das zwischen meine Schenkel gepresst wurde. Ich war so überrascht und der Reiz war so stark, dass ich mich unwillkürlich aufbäumte und die Luft zwischen den Zähnen einzog. Fest presstest du die Dose – es musste eine Dose sein, die direkt aus dem Eisfach kam – auf meinen empfindlichsten, meinen weiblichsten Punkt. Der Reiz war irre und lustvolle Blitze zuckten durch mein Gehirn.

Du tratst zurück und ich hörte dich sagen: „Denk an dein Versprechen, Liebes!“

Ich presste Lippen und Augenlider fest aufeinander, denn ich wollte auch deinen nächsten Angriff tapfer ertragen – er würde sicherlich noch heftiger sein als der erste! Kurz darauf spürte ich deine Hand direkt in meiner Mitte. In wohltuenden, kreisenden Bewegungen massiertest du mich, deine Finger waren sanft und warm. Du bist ein wahrer Meister in Sachen Lustbereitung, denn du weißt genau, wie man eine Frau zum Wahnsinn treibt. Zielsicher triebst du meine Begierde in die Höhe und schon begann mein Becken zu zucken. Nicht mehr lange und ich würde …

Wie ein Blitz durchzuckte es mich! Was war das? Oh Gott, dieser Schmerz – ein in dieser Intensität bisher nie erlebtes Gefühl durchfuhr mich. Ich hörte dich stöhnen, spürte gleichzeitig durch den Nebel aus Schmerz und Lust hindurch, wie deine Finger weiter an mir arbeiteten. Noch fester und fordernder wurden deine Bewegungen, der Schmerz wurde unerträglich – unerträglich süß! –, und in einer gewaltigen Explosion überschwemmte mich eine gigantische Orgasmuswelle. Ich riss an den ledernen Manschetten, zuckte und wand mich in meinem ekstatischen Rausch und dann hörte ich mich schreien vor Lust …

Das Letzte, was ich durch meinen umnebelten Blick hindurch sah, war, wie du langsam die Hose zumachtest und das Zimmer verließt ohne dich noch einmal nach mir umzusehen.

So war es gewesen; ich hatte das Ritual nicht erfüllt, hatte mein Versprechen gebrochen. Nun saß ich hier, leer und verlassen. Neben mir auf dem Fußboden erblickte ich eine kleine, silberne Klammer. Das also war es gewesen, was meinen folgenschweren Ungehorsam ausgelöst hatte. Diese Klammer hatte den ungeheuerlichen Schmerz verursacht. Du hattest sie mir in meiner Mitte angelegt, und ich hatte geschrien …

Wie wird es nun wohl weitergehen? Ein Gefühl ergreift von meinem Körper Besitz, das mit nichts anderem zu vergleichen ist. Ich bin unendlich verwirrt, verlassen, ängstlich, warte nur auf dich und deine Strafe. Alles würde gut werden, wenn du nur endlich zurückkommen und mich bestrafen würdest! Darauf konzentriert sich jetzt all mein Denken.

Erst viel, viel später begreife ich, dass all das zu deiner Inszenierung gehört. Meine Angst ist Teil deiner Strafe. Du hast gewusst, dass ich schreien würde, und du hast gewusst, dass du mich würdest verlassen müssen – zumindest für einige Zeit. Nur so konntest du die speziellen Voraussetzungen schaffen für unser nächstes Ritual, auf das ich durch diese Zeit der grenzenlosen Unruhe, Verzweiflung und schmerzhaften Sehnsucht nach dir und deinen erregenden Lektionen vorbereitet wurde!

Heute weiß ich: Im S/M-Spiel geschieht nichts ohne Sinn, jeder Schmerz, jede Bestrafung, jede scheinbar unsinnige Handlung hat einen Grund. Sie ist ein weiterer Baustein in unserem Haus der absoluten sexuellen Erfüllung!