Luna – sensationell transsexuell!

Alexander Selkirk

Wie ich diese Eilaufträge liebe! Da kommst du hin und stellst fest, dass wieder mal maßlos übertrieben wurde: Angeblich stehen die Leute bis zum Hals im Wasser, aber was du vorfindest, ist ein halb voller Eimer unter dem Ventil, in den gelegentlich mal ein Tröpfchen plumpst.

Na ja, der letzte Job vor der Mittagspause. Gott sei Dank bin ich mein eigener Chef und kann selbst über die angebliche oder tatsächliche Wichtigkeit entscheiden. Seltsam war zwar, was mir die Dame am Telefon mit auf den Weg gab: „Als Auftraggeberin nehmen Sie Petrovic. Läuten Sie unten an der Haustürklingel bei ‘Paradies’. Sie finden meine Wohnung dann im zweiten Stock, dritte Tür links.“

Paradies?! Und dann diese seltsame Gegend – da war ich doch schon mal! Warte mal, das war … fällt mir jetzt nicht ein, welche Hausnummer. Aber so viel weiß ich wieder, es war bei einer sagen wir mal „Freiberuflerin des horizontalen Gewerbes“. War lustig damals. Sie hatte einen Fuffi Trinkgeld gegeben, so zufrieden war sie mit der Montage des neuen Waschbeckens.

Leben und lieben lassen. Ich hab überhaupt nichts gegen das Rotlichtmilieu. Als junger Kerl war ich selbst drei- oder viermal dort. Aber jetzt, als solide verheirateter Ehekrüppel, halt ich mich an das, was Eva, meine Olle, immer sagt: „Appetit kannst du dir woanders holen, aber gegessen wird zu Hause!“

Tatsächlich, das ist dasselbe Haus. Nummer 24, dreistöckiges, solides Mietshaus auf den ersten Blick. Mit zufällig freiem Parkplatz vor der Hütte. Heute meint es der Himmel aber gut mit mir! Also raus in die Kälte, Werkzeugkoffer greifen, Handy einstecken, Mütze auf den Kopf, Parkscheibe einlegen, Karre abschließen.

Die Haustür zum „Paradies“ springt sofort auf. Eine Minute später stehe ich vor der dritten Tür links – oh Gott, was sehen meine verwöhnten Augen: „Luna – sensationell transsexuell!“ steht da in geschmacklos kitschigen Buchstaben. Darunter noch: „Komm rein – so rasch und so intensiv und wie und in welche Öffnung immer du willst!!“

Ich klopfe, höre eine energische Frauenstimme rufen: „Moment!“ Einen Augenblick später geht die Tür auf und vor mir steht – Frau Gerber, meine Nachbarin! Sie trägt Jeans und ein schwarzes, tief ausgeschnittenes T-Shirt, das offenherzig ihre prachtvollen Brüste geradezu anbietet für ein zärtliches Verwöhnen …

Ich glaube es ja nicht: meine biedere Nachbarin ist transsexuell!?

Gerbers wohnen nämlich in dem kleinen Einfamilienhaus neben unserem. Ganz normale Spießbürger, aber offensichtlich nur nach außen, wie ich jetzt feststelle. Gepflegter Rasen im Vorgarten, Geranien im Fenster. Er arbeitet bei einer Versicherung in der Registratur und sie … also, nein, das hätte ich nie gedacht! Daher also der neue Benz vor der Haustür. Na ja, von nichts kommt nichts, denke ich jetzt schmunzelnd.

Frau Gerber ist eine rassige, dunkelhaarige, ursprünglich aus Dalmatien stammende Frau mit einer sinnlich-rauen Stimme.

„Herr Trapottini – Sie?“, stottert sie ganz verdattert. Und dann sofort beschwichtigend: „Ich sage Ihrer Frau sicher nichts, keine Angst, also, ich meine, dass wir … kommen Sie … aber es geht jetzt nicht, erst vielleicht am Nachmittag, frühestens, verstehen Sie? Es ist nämlich saukalt hier, weil die Heizung …“

Erst jetzt lässt sie ihren Blick über mich wandern. Sieht den Werkzeugkasten, mustert meine blauen Latzhosen.

Dann schaut sie mir einige Sekunden in die Augen und hält sich dann eine Hand vor den Mund, weil sie prustend loslachen muss, wie ich schon lange niemanden mehr lachen hörte!

Mit der anderen Hand zeigt sie auf mich und kichert: „Ja, sind SIE etwa der Heizungsmensch?“

Peinlich. Zugleich aber irgendwie witzig – das Leben schreibt die schönsten Geschichten, irgendein Schreiberling könnte so etwas gar nicht erfinden, oder?!

„Tja, Frau Gerber, Sie wissen doch, dass ich einen Sanitär- und Heizungsbetrieb habe. Aber …“, ich werde stutzig, denn wenn sie mich hierherbestellt hat, dann musste sie doch wissen, wer ich bin?!

„Eine Frage, nur der Ordnung halber: Sie haben mich doch angerufen, oder?“

Sie schmunzelt. Streckt mir die Hand entgegen und meint: „Luna hat angerufen. Übrigens, wenn schon, denn schon, ich bin Slavica, und du heißt Enrico, wenn ich mich richtig erinnere? Komm rein.“

Schließt die Tür hinter uns. Rotlicht von der Decke, Rotlicht über dem Bett, neben dem Bett, am Bett, über dem abgedunkelten Fenster …

Slavica lächelt versonnen, setzt sich auf das Bett, spielt mit ihrem goldenen Halskettchen, an dem ein kleines Kreuz hängt.

Das macht mich unruhig. Weil ich glaube die Situation entspannen zu müssen, sage ich großspurig: „Verlassen Sie sich … verlass dich darauf, von mir wird sicher nie jemand etwas erfahren. Auch dein Mann nicht. Also, falls er es nicht schon wissen sollte, meine ich. Berufliche Diskretion, ganz fest versprochen, Slavica … Luna …!?“

Da schmeißt sie sich aufs Bett, vergräbt ihr Gesicht in einem der zahllosen Kissen, die da rumliegen, und beginnt hemmungslos zu schluchzen. Oh Gott, auch das noch – eine Szene mit einer heulenden Frau, also, das brauch ich wirklich nicht, ich bin ein geruhsamer Mensch, der andere in Ruhe lässt und selbst in Ruhe gelassen werden will.

Verlegen setze ich den Werkzeugkasten ab und setze mich auf das Bett. Slavica wird so richtig durchgeschüttelt von ihrem Weinkrampf. Teufel noch einmal, weinende Frauen machen mich immer ziemlich hilflos … Ich streichle ihr über den Rücken, sanft, beschwichtigend.

„Es ist doch gut, Frau Ger… ‚ Slavica, wir haben alle unsere kleinen Geheimnisse, bitte bitte hab keine Angst, ich repariere jetzt die Heizung und schicke auch keine Rechnung und wir beide vergessen diese Begegnung. Bitte, Slavica, du bist doch eine so liebenswerte Frau … na ja, oder meinetwegen ein liebenswerter Mann … oder was weiß ich, für was du dich hältst, jedenfalls …“

Warum stottere ich denn so blöd und hilflos rum? Sie hatte nämlich längst aufgehört zu schluchzen. Hebt langsam den Kopf aus den Kissen.

„Sag mal“, höre ich sie mit einer Stimme reden, die jeden Moment wieder umzukippen droht, „sind eigentlich alle Männer so taub und blind wie du?! He, Junge, ich habe doch – gelacht, nicht geweint!“

In der Tat: Jetzt, wo ich in ihr Gesicht blicken kann, fällt es mir wie Schuppen von den Augen: Irgendetwas an dieser Situation muss urkomisch sein, etwas, was ich noch nicht erkennen kann, aber sie!

Ich nehme meine Hand von ihrem Rücken. Sie aber ergreift sie und meint: „Das tat mir gut, ein wenig Zärtlichkeit. Hättest ruhig weitermachen können. Von meinem Mann habe ich das schon ewig nicht mehr gespürt.“

Dann – küsst sie meine Hand! Sie saugt an jedem einzelnen Finger, liebkost mich, wandert mit ihren Küssen immer höher an meinem Arm, blickt mich zwischendurch an, als wolle sie mich auffressen.

Ich will aber keinen Sex mit einer Transsexuellen (oder sagt man „einem“ Transsexuellen?), ich will diese verdammte Heizung reparieren und dann Mittagspause machen und abends nach Hause zu Eva und überhaupt kann ich nichts anfangen mit der Zweigeschlechtlichkeit.

„Sag mal, Enrico, du Obersizilianer, checkst du immer noch nichts?“

Sie scheint meine Zurückhaltung bemerkt zu haben.

„Ich bin doch nicht LUNA, du! Ich bin hier die Putzfrau, verstehst du? Luna ist eine frühere Arbeitskollegin meines Mannes. Ich putze hier, damit mein Alter sich seinen Luxusschlitten leisten kann und wahrscheinlich zweimal in der Woche Besuche bei Luna.“

Sie hat noch nicht zu Ende gesprochen, da wandert mein Blick wie zufällig über einen in der Ecke stehenden Putzeimer, über ein paar Lappen, die am Boden liegen, und über eine Plastikschüssel voll Gläser und Geschirr im Spülbecken.

Jetzt muss auch ich lachen. Eine wirklich verwirrte Situation!

„Also, ich komme hierher als Monteur und du als Putzfrau – und die oder der Luna wartet darauf, dass es hier wärmer wird, damit sie oder er wieder Kunden empfangen kann? Und ich dachte schon, du …“

Sie fällt mir ins Wort, fasst mich energisch am Nacken, schlingt ihren Arm halb um mich: „Das werde ich dir Mistkerl nie verzeihen, dass du mir zugetraut hast, dass ich anschaffe!“

Grotesk. Obercool grotesk. Ich liege hier so halb im Bett mit meiner ehrenwerten, ihrem Gatten durch Putzarbeit seinen Mercedes finanzierenden, megascharfen Nachbarin in einem Puff und weiß nicht, ob ich den Regungen meines Unterleibs, die immer stärker werden, nachgeben darf oder nicht.

Es gibt Situationen im Leben, da verschwindet die Realität. Es ist, zugegeben, saukalt hier im Zimmer. Aber als Slavica mir die Träger der Latzhose aufknöpft, während sie längst an meinen Lippen hängt; während ich längst so scharf bin wie seit Langem nicht mehr; während mir tausend Gedanken durch den Kopf schießen: eheliche Treue, Seitensprünge, Geheimhaltung, dalmatinische Liebesgenüsse – während alldem ist es längst entschieden!

Das sanfte Rotlicht malt verspielte Schatten auf ihren Körper. Sie ist eine schöne Frau, nein: Sie ist eine wunderschöne Frau! Ihre Brüste sind weich, geschmeidig und vor allem empfindsam. Jeden zärtlichen Kuss quittiert sie mit einem dankbaren, lustvollen Seufzer.

Als ich meinen Kopf zwischen ihre Schenkel senke und den Duft ihrer erregten Weiblichkeit lustvoll einatme, stelle ich befriedigt fest, dass ich immer noch Mann bin und mich gehen lassen kann, obwohl Eva all diese Dinge nicht mag und ich deshalb schon lange dachte, ich sei sozusagen „entwöhnt“.

Genüsslich, wie in Zeitlupe, schlecke und lecke ich Slavica dort, wo eine Frau ihre ganze Pracht entfaltet. Seit Langem erkenne ich endlich wieder, wie unglaublich einladend, erregend, auf eigentlich wenigen Quadratzentimetern konzentriert sich das Farbenspiel der weiblichen Vulva entfalten kann, wenn wir uns Zeit nehmen für die Liebe – und das tun Slavica und ich! Kein Gedanke daran, dass irgendjemand plötzlich auftauchen könnte. Und wenn – wir sind in einem Puff und was wäre da normaler als dass gepufft wird?!

Ich bin im siebten Himmel. Überraschend beugt Slavica sich vor und zieht mich weg von ihrem Becken. „Komm, setz dich mal da hin!“

Sie deutet auf einen seltsamen Stuhl. Sieht aus wie bei einem Arzt, mit einer gepolsterten Stütze an jeder Seite.

Aha, jetzt verstehe ich: Hinsetzen, die Beine spreizen, die Schenkel auf die Stützen legen …

Kaum sitze ich, spüre ich schon Slavicas Lippen über meinem Glied. Ich will zusammenzucken, kann aber nicht, weil die Stützen meine Beine gespreizt halten.

Niemand führt Buch über seine Orgasmen, wäre ja pervers. Aber ich schwöre, dass ich mich an keinen Moment in meinem Sexleben erinnern kann, in dem es so kräftig, so impulsiv, in so weitem, kräftigem Bogen aus mir sprühte wie in diesem Stuhl!

Slavica hat mein Glied in diesem Moment quer zwischen ihren Lippen, sodass meine Eichel frei ins Zimmer ragt … und meine klebende Männlichkeit sicher Spuren auf dem Teppichboden hinterlässt.

Ihr Kopf auf meinem Bauch. Meine Schenkel längst wieder aus der Klammer der Stützen des Stuhls befreit. Zwei glückliche Nachbarn mit einem gemeinsamen Geheimnis.

Welcher Teufel mich immer auch reitet, aber mir kommt eine Idee: „Slavica, wenn du das nächste Mal wieder hier putzt – glaubst du, Luna würde uns auch wieder alleine lassen, wenigstens eine halbe Stunde?“

Sie hebt den Kopf, sieht mich an. Ihre Stirn in weiches Rotlicht getaucht, über ihrem Rücken dunkle Schatten – schwarz und rot, die Farben der Erotik.

„Ich werde Luna fragen, jetzt gleich. Warte einen Moment, bitte!“

Sie schließt die Augen, um nach ein paar Sekunden mit hochgezogenen Augenbrauen zu flüstern: „Luna meint, durch telepathische Kommunikation übermittelt, versteht sich, es ginge nur, wenn du jetzt endlich die verflixte Heizung reparierst, erstens, und wenn du kein schlechtes Gewissen hast bei einem Seitensprung mit der Nachbarin, zweitens!“

Also repariere ich das Ventil. Eine Kleinigkeit, wie vermutet. 20 Minuten und die Sache ist erledigt. Aus den Augenwinkeln beobachte ich inzwischen meine Nachbarin. Ein Wahnsinnsweib!

Aber nein, ich wische den Gedanken weg. Sie hat keinen Penis, also kann sie nicht transsexuell sein, also kann sie nicht Luna sein! Andererseits, es gibt ja so viel Spielarten auf diesem Gebiet, einen vorgeschnallten Plastikpenis, ach, was weiß ich. Muss wirklich mehr Pornos schauen, andere, transsexuellere, die es ja auch gibt. Ich muss mich schlaumachen über dieses Thema.

Irgendwie kommt mir das seltsam vor, denn Slavica unterschreibt das Auftragsformular, lässig, selbstbewusst. Als Auftraggeberin steht da aber „S. Petrovic“, der Name, den mir die Anruferin am Telefon nannte.

„Slavica, wie hast du eigentlich geheißen, bevor du geheiratet hast?“

Frau Everclever schmunzelt. Blickt auf das Formular, das ich immer noch in der Hand halte, dann sieht sie mir tief in die Augen und sagt: „Na, Petrovic, du Bordellbeheizer, was hast denn du gedacht?!“