Zarte Hiebe

Lisa Cohen

Ich war an einem Punkt in meinem Liebesleben angekommen, an dem es mir zunehmend langweilig wurde. Seit vier Jahren war ich mit meinem Freund zusammen und wir hatten im Bett so glaube ich alles gemacht, was möglich ist. Alle Stellungen miteinander ausprobiert. Alle bekannten sowieso und als die durch waren, erfanden wir eben einfach welche. Im Stehen, im Liegen, im Sitzen, alles noch möglichst in den unglaublichsten Verrenkungen. Es gab kaum einen Platz in unserer Wohnung, in der wir es nicht getrieben hatten. Und das meistens öfter als einmal.

Auf allen standfesten Tischen, auf der Waschmaschine, dem Geschirrspüler, einem größeren Heizkörper. Wir hatten uns dabei vorm Fenster positioniert, sogar auf dem Balkon in der Hoffnung einer der Nachbarn würde den Voyeur für uns spielen. Das hätte uns einen noch größeren Kick beschert.

Weiterhin außerhalb der Wohnung in der Umkleidekabine eines großen Modehauses, in einem Fahrstuhl, sogar in der Behinderten-Toilette des ICE von Hamburg nach Berlin. Im Wald sowieso, auf einem Autobahn-Parkplatz auch und überall dort, wo wir nicht offensichtlich wegen „Erregung öffentlichen Ärgernisses“ zur Rechenschaft gezogen werden konnten. Und zu guter Letzt und nicht zu vergessen hatten wir wahrscheinlich fast die gesamte Palette des gängigen Sex-Spielzeugs durchprobiert. Wir waren Stammkunden in einigen Erotik-Shops der Stadt und kannten das Angebot der Pornostreifen ebenfalls rauf und runter.

Da saßen wir nun – nach vier Jahren intensiven, abweschlungsreichen und sehr fantasievollen Sexlebens – und wussten nichts Neues mehr. Es fiel uns einfach nichts mehr ein, das uns geil gemacht hätte. Jan meinte, wir könnten ja wieder von vorne anfangen. Ganz von Anfang mit unseren Sex-Variationen. Dann hätten wir nochmal vier Jahre Zeit, bis uns vielleicht was ganz anderes einfiele. Wir mussten beide herzhaft lachen über seinen Vorschlag und liebten uns an diesem Abend noch einmal ganz sanft und zärtlich und ohne erotische Schnörkeleien.

In der Nacht konnte ich nicht einschlafen. Es musste doch noch etwas nicht schon Erlebtes, etwas auch für uns völlig Neues geben. Auf einem Gebiet, auf dem alles möglich war, auf dem es keine Tabus gab, musste es doch noch irgendeine Richtung geben, die wir noch nicht eingeschlagen hatten. Natürlich gab es auch bei uns fast tabulosem Paar Dinge, die für uns nicht in Frage kamen. Das hatten wir im Laufe unserer Beziehung herausgefunden. Dinge, wie – ganz furchtbar – die Sodomie oder das in meinen Augen ziemlich brutale, unnütze Fisting oder all das, was mit Brutalität zu tun hat.

Ich entwickelte keine neue Idee mehr in dieser Nacht, beschloss aber an dem Thema dranzubleiben.

Ohne Jan etwas davon zu sagen, ging ich am nächsten Tag mal alleine in unseren Lieblings-Erotik-Laden und schaute mich ganz aufmerksam um. Fast die ganze Produktpalette war mir bekannt, aber vielleicht gab es eben doch noch das eine oder andere, was wir bis jetzt einfach noch nicht in Betracht gezogen hatten und das es wert war, genauer studiert zu werden. In solchen Momenten kommt einem, warum auch immer, oft ein ganz merkwürdiger Zufall zu Hilfe, der sich dann als Wink des Schicksals herausstellt.

Während ich meine Gedanken kreisen ließ, betrat ein Mann den Laden, der vom ersten Moment an meine ganze Aufmerkamkeit forderte. Er war groß und unglaublich kräftig. Seine breiten Schultern waren unter einem dunklen Mantel verborgen. Er trug eine enge Lederhose, die vorn im Schritt keinen Zweifel über das Ausmaß seines Geschlechtsteils ließ, dazu schwarze Stiefel. Ich hatte ihn noch nie in diesem Shop gesehen, aber er schien sich auszukennen.

Auch die Verkäuferin starrte ihn an. Er war ein Mann, an dem eine Frau nicht so einfach vorbeigucken konnte. Dafür war er zu mächtig und zu … Ja, was eigentlich?

Dann mit einem Mal wusste ich, was es war. Er strahlte eine ungeheure Dominanz aus. Eine Art, die keine Widerrede duldete. Eine Art, die mir auf Anhieb sehr gut gefiel. Ich ließ mir Zeit ihn zu mustern. Er suchte etwas aus der Abteilung des Fetisch-Bereiches. Es erstaunte mich nicht. Etwas anderes konnte ich mir bei ihm auch gar nicht vorstellen. Hätte er vielleicht einen ganz normalen Dildo oder ein Blümchen-Dessous in die Hand genommen, ich wäre enttäuscht gewesen.

Er hatte mir den Rücken zugekehrt und widmete seine konzentrierte Aufmerksamkeit den bizarreren Dingen. In diese ganz besondere Abteilung hatten mein Freund und ich auch irgendwann mal kurz reingeschaut und dann – warum auch immer – beschlossen: diese Neigung kam für uns nicht in Frage. Wir waren uns da beide einig gewesen.

Als ich nun beobachtete, wie diese riesigen Hände des Mannes fast zärtlich über einen roten Lackbody strichen, verspürte ich eine ganz eigentümliche, eine ganz neue Art der Erregung in mir aufsteigen. Warum hatte ich so ein Material denn nie für mich in Betracht gezogen? Ich wusste es nicht …

Er hatte sich für den Body entschieden und griff zu einer Peitsche, deren Anblick mir überraschenderweise nicht eine Spur von Angst einflößte.

Ich musste ihn wohl so eindringlich angestarrt haben, dass er meine Blicke gespürt hatte. Mit einem Ruck drehte er sich zu mir um. Auch seine Blicke durchbohrten mich. Ich erschrak heftig. Seine Augen drückten kein Wohlwollen, keine Verbindlichkeit aus. Nur ein herrisches, unnachgiebiges Funkeln konnte ich erkennen. Und gerade dieser Blick war es wohl, der etwas bis dahin Unbekanntes, Verborgenes in mir auslöste. Ich hatte Angst vor ihm, fühlte mich aber gleichzeitig so unwiderstehlich von diesem Mann angezogen, dass ich wie hypnotisiert stehen blieb und weder die Augen niederschlug geschweige denn den Kopf wegdrehte.

Nach einer Weile zog er seine Augenbrauen hoch und sein Gesicht bekam einen spöttischen Ausdruck.

„Warum starrst du mich so an?“

Obwohl er es fragte, konnte ich mir nicht vorstellen, dass er es wirklich nicht wusste. Warum starrte eine Frau einen Mann wie ihn wohl so an, wie ich das gerade tat?

„Wie heißen Sie?“ Er bewegte kaum die Lippen.

„Sara …“

„Sara – was für ein aufregender Name …“ Ich hatte das Gefühl meinen Namen zum ersten Mal zu hören. Noch nie hatte ihn jemand derartig sinnlich artikuliert.

„Was meinen Sie, Sara – ich kaufe hier noch schnell ein paar Sachen und dann nehme ich mir ein bisschen Zeit für Sie …“

Er wartete meine Antwort gar nicht ab, er kannte sie. Das Dessous, das er in der Hand hielt, tauschte er gegen ein anderes, nachdem er meine Figur abschätzend gemustert hatte. Er wählte einen schwarzen Latex-Straps-Body, der im Schritt geöffnet war.

„Schwarz passt besser zu deinen roten Haaren, findest du nicht?“

Ich fing erst wieder an ein wenig zu denken, als ich in diesem schwarzen Anzug vor ihm stand. In einer Wohnung, die fremd und kalt wirkte, mit einem Mann, der unbekannt und furchteinflößend war.

Was tat ich eigentlich hier?

Wie war ich hierhergekommen?

Als er mich berührte, wusste ich es. Ich war diesem Mann vom ersten Moment an körperlich hörig. Er konnte, nein, er sollte mit mir all das machen, was er wollte!

Er bat oder besser gesagt er forderte von mir, vor ihm auf die Knie zu gehen. Die Peitsche, die ich verdrängt hatte, strich sanft über meine bloßen Pobacken. Ich trug zum ersten Mal in meinem Leben ein Dessous aus Latex. Das kühle Material versuchte vergebens meine schon so erhitzte Haut zu kühlen. Ich fühlte mich in dem Teil ausgeliefert und gleichzeitig unnahbar. Ich war außerdem schon ziemlich geil. Und ich war eines noch – und das vor allem: Ich war bereit, mich ihm vollständig zu unterwerfen!

Warum hatte ich eine Peitsche nie als Liebesspielzeug in Betracht gezogen? Sie machte mir absolut keine Angst, sie wies mich zwar in meine Schranken, aber das empfand ich als angemessen. Ich würde mich nicht gegen sie wehren, zumal mir die Berührungen damit außerordentlich gut gefielen.

Die einzelnen Riemen strichen von hinten nach vorn. Ich spreizte meine Beine, um sie besser spüren zu können. Der Druck wurde stärker. Meine Klitoris reagierte höchst erfreut über diese neuen, unbekannten Berührungen, die neue unbekannte Empfindungen auslösten.

Ich weiß nicht, wie es möglich ist, so schnell zu einem Orgasmus zu kommen, wie ich es an diesem Tag erlebte. Es bedurfte nicht vieler Peitschenhiebe, um mich in Ekstase zu bringen. Meinen Höhepunkt erlebte ich geduckt und kauernd auf den Knien, mit weit geöffneten Schenkeln vor diesem mir völlig fremden Menschen.

Als er mir befahl, sein Glied angemessen, wie er es nannte, zu verwöhnen, wartete ich nicht einen Moment lang ab. Begierig richtete ich mich auf, um sein so hoffte ich stattlich ausgefallenes Teil oral verwöhnen zu können. Ich befreite es aus der engen Lederhose. Das war einfach, denn ich brauchte nur den Schritt aufzuknöpfen und konnte es in die Hand nehmen. Kein Slip störte. Der Mann war unter seiner Hose nackt! Schon allein diese Tatsache hätte genügt, mich zu erobern …

Das Glied, was ich erst in den Händen hielt und dann genüsslich mit Fellatio stimulierte, war eines der größten, dem ich real je begegnet war. Ich war hungrig danach. Gierig und geil. Ich wollte es und den Mann dazu glücklich machen. All meine Erfahrungen der letzten Jahre musste ich aufbringen, um dieses schöne Stück zum Explodieren zu bringen. Es war verwöhnt und stellte einige Anforderungen an die Frau, die es beglücken sollte. Machte ich etwas falsch, war ich zu schwach oder zu ungeschickt, gab es einen leichten Klaps mit der Peitsche auf meinen Hintern. Das irritierte mich nicht, sondern spornte mich nur an. Als ich endlich in den Genuss kam, die Lust dieses Unbekannten aufaugen zu können, bekam ich meinen zweiten Orgasmus an diesem Tag. Den dritten bescherte er mir, indem er mir nur ein paar Male mit den Fingern durch meine heftig pulsierende Vulva fuhr. Ich weiß nicht, wie viele Höhepunkte er mir noch hätte „antun“ können, aber nach diesem dritten sah er auf die Uhr und hob bedauernd die Schultern. „Tut mir leid, aber du musst gehen – Geschäfte …“ Ich erhob mich sofort, zog mich an und wartete fast ängstlich darauf, ob er Anstalten machen würde mich wiederzusehen. An der Tür sah er mir fest in die Augen.

„Du hast Talent, Schätzchen. Und ein großes Lustpotenzial. Ich könnte einiges mit dir anstellen, was dir und mir viel Freude bereiten würde … Komm doch ruhig am Montag gegen 17 Uhr wieder vorbei. Dann machen wir weiter …“

Dann stand ich im Treppenhaus der noblen Villa und brauchte ein paar Minuten, um annähernd zu begreifen, was da geschehen war. Auf wackeligen Knien ging ich nach Hause. Ich war noch wie betäubt von der Lust, die ich gerade empfunden hatte. Und ich wollte mehr davon …

Seitdem führe ich zwei Sexleben. Eines mit dem dominanten Fremden, das andere mit meinem Freund. Wir haben tatsächlich wieder von vorne mit unseren Liebespraktiken angefangen. Normalerweise würde mir das nicht reichen. Aber wenn ich dann von einem meiner etwas bizarreren Nachmittage nach Hause komme, genügen mir diese harmlosen Spielchen doch.

Als der Fremde dann nach vielen Treffen endlich mit mir schlief, wusste ich, dass ich dieses Gefühl von mir aus nicht mehr aufgeben würde. Solange er mich will, werde ich da sein. Um alles mit ihm zu machen, was möglich ist.

Jan liebe ich trotzdem und möchte ihn nicht aufgeben. Und manchmal, wenn unser Sex doch etwas heftiger ausfällt als üblich und ich nicht weiß, ob es daran liegt, weil ich das so steuere, oder ob Jan es vielleicht selbst auch so will – dann überlege ich: Und was, wenn er es genauso gern wie ich mal bizarr hätte und auch träumt von Lack, Leder und Latex und es nur nicht sagt, weil er meint, ich will es nicht?