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Alma hielt das vier Wochen alte Ferkel an ihrer linken Hüfte und klemmte es mit dem Ellbogen fest. Mit der rechten Hand knickte sie sein Ohr übers Auge, während Clyle ihm die Spritze senkrecht auf den Nacken setzte und das Antibiotikum injizierte. Das Schwein quiekte und wollte sich aus Almas Griff winden, doch Clyle packte es bei den Hinterläufen, hob es hoch und zog ihm einen grünen Markierstift über den Rücken. Auf dem Boden rutschten die Hufe des Ferkels ein paar Mal auf dem Zement aus, ehe es Halt fand und durch die Bucht zum Rest des Wurfs rannte.

So verbrachte Alma ihren Samstagnachmittag nicht gern. Niemand verbrachte so seinen Samstagnachmittag gern, aber Hal hatte sich am Freitag zusammen mit einigen anderen nichtsnutzigen Kerlen in das erste Wochenende der Jagdsaison verabschiedet. Sie fixierte ein weiteres Ferkel auf dem Knie, damit Clyle ihm eine Spritze geben, es mit dem Stift markieren und auf den Boden lassen konnte. Jetzt waren nur noch drei unmarkierte Ferkel übrig, die sich gegen die Bretterwand am anderen Ende des Stalls drückten. Clyle nahm die Sperrholzplatte, die er immer zum Treiben der Ferkel benutzte, und schob sie von links nach rechts, bis er eines der jungen Schweine eingekeilt hatte, dann bückte er sich und packte es bei den Hinterbeinen.

Kaum zu glauben, dass Clyle all das jede Woche machte und die körperlichen Strapazen, die Monotonie und den Lärm dieser Arbeit auf sich nahm, aber Alma hatte schon vor langer Zeit eingesehen, dass ihr Mann ein besserer und geduldigerer Mensch als sie selbst war. Ein Jahr zuvor war sie in die Wechseljahre gekommen, und ihr Arzt hatte ihr mit einem Grinsen auf seinem nichtssagenden Gesicht mitgeteilt, dass dieser Zustand ein Jahrzehnt lang andauern könne – als wollte er sagen: »Na, wie gefällt Ihnen das?« Sie erinnerte sich nicht mehr daran, wie lange die Wechseljahre bei ihrer Mutter gedauert hatten, aber nach nur einem Jahr hatten sie und Clyle zu spüren bekommen, wie sehr die Veränderungen sie belasteten. Schon früh in ihrer Ehe hatte er einmal gesagt, dass sie eine Frau sei, die sich wegen ihres Naturells kaum schlechte Laune leisten könne.

Clyle reichte Alma das nächste Ferkel – ein großes, sieben Kilogramm schweres –, und sie brachte es in die richtige Position, bedeckte das Auge mit dem Ohr und rieb sanft seine Schnauze, um es zu beruhigen. Es könnte alles noch schlimmer sein, versuchte sie sich ins Gedächtnis zu rufen. Es könnte nicht nur die monatliche Spritze sein, sondern Kastrationstag – etwas, das sie sich geschworen hatte, nach der Anstellung von Hal nie wieder zu tun.

Hal arbeitete jetzt seit fast einem Jahrzehnt auf der Farm, aber dieses Jahr hatte er zum ersten Mal eine Jagderlaubnis bekommen, und Almas Nerven lagen blank, seit er mit seinen Kumpels losgezogen war. Am Donnerstag, als er Alma von der Einladung zur Jagd erzählt hatte, spürte sie ein erstes Unbehagen. Sie verstand nicht, warum Larry Burke und Sam Gary ihn bei ihrem Ausflug nach Valentine dabeihaben wollten. Klar, sie hatte Hal gern um sich, aber sie war mit Waffen und männlichem Imponiergehabe nicht mehr so leicht zu beeindrucken wie mit achtundzwanzig. Am Donnerstag hatte sie Larrys Frau angerufen, um herauszufinden, was da los war. Wie sich herausstellte, hatte Larrys Cousin einen dringenden Termin außerhalb der Stadt und konnte es nicht ertragen, dass sein Hochsitz am ersten Wochenende der Jagdsaison ungenutzt bleiben sollte. Deshalb hatte er Larry eingeladen. »Sag ihnen, sie sollen ein Auge auf Hal haben«, sagte Alma, und sie konnte sich vorstellen, wie sich Cheryl und Larry später darüber amüsieren würden, dass Alma Costagan angerufen hatte, um auf den Deppen aufzupassen. Nein, sie sah in anderen Menschen wirklich nicht nur das Gute. Damit hatte Clyle recht.

Clyle wischte sich über die schweißnasse Stirn. »Eins noch«, sagte er, als ob sie nicht zählen könnte. »Bist du bereit?«

»Ich stehe doch hier, oder?«, blaffte sie ihn an. Sie musste schreien, um das Quieken der Schweine und das Geklirr von Metall auf Metall zu übertönen, wenn die älteren Schweine mit ihren Schnauzen die Futterbehälter aneinanderstießen. Als sie von Chicago nach Nebraska gezogen waren, hatte Alma geglaubt, die Stille hier auf dem Land würde ohrenbetäubend sein, aber in einem Stall mit quiekenden Schweinen war das nur eine ferne Erinnerung.

Sie hob das letzte unmarkierte Ferkel hoch und hielt sein Ohr nach unten. Clyle stach in die feste Haut und drückte den Kolben der Spritze herunter. Das Tier stieß einen durchdringenden Schrei aus. Clyle markierte den Rücken, und Alma ließ das zappelnde Tier zu Boden fallen, wo es zwei Mal buckelte, ehe der kleine Körper im restlichen Wurf verschwand. Sie schüttelte die schmerzenden Arme aus. Morgen würde sie von blauen Flecken übersät sein.

Clyle steckte den Markierstift in die Tasche seiner Jacke und sammelte die leeren Spritzen ein. »Bist bestimmt froh, wenn Hal am Montag zurückkommt.«

Alma schnaubte. »Der kriegt von mir was zu hören.« Das Letzte, was sie zu ihm vor der Abfahrt gesagt hatte, war: »Du rufst mich jeden Tag an, Hal, verstanden? Ich übernehme die Gebühren, egal wie hoch.« Sie hatte ihm die Telefonnummer noch einmal aufgeschrieben, weil er sie natürlich nicht auswendig konnte, und ihm den Zettel in die Hand gesteckt. Aber jetzt war Samstag, und er hatte noch kein Wort von sich hören lassen. Es gab doch sicher eine Telefonzelle in Valentine, warum hatte er also noch nicht angerufen?

»Er ist bestimmt zu beschäftigt«, sagte Clyle, als ob sie die Frage laut gestellt hätte. »Gestern Abend zu viel Bier und heute Morgen in aller Frühe auf den Hochsitz.«

Vermutlich hatte er recht, trotzdem machte Alma die Sache zu schaffen.

Sie sah sich noch einmal im Pferch um und zählte die grünen Striche auf den Rücken der Schweine, um sicherzugehen, dass sie alle geimpft hatten. Schon jetzt waren die Ferkel von Tag zu Tag ein bisschen weniger niedlich: die Backen wurden fülliger, die Nasenlöcher im Rüssel größer; die Ferkelniedlichkeit begann ab der vierten Woche zu schwinden. Anfang der Woche hatte Hal zwei Ferkeln die Schwänze kupieren müssen, weil die Wurfgeschwister versucht hatten, sie abzubeißen. Je älter, desto hässlicher, dachte sie. Und desto klüger und verschlagener.

Clyle beugte sich vor und kraulte eines der Ferkel hinter dem Ohr, und die anderen kamen herbeigelaufen. Sie schnüffelten wie eine Hundemeute an seiner Hand und hofften auf seine Zuneigung.

»Immer noch unglaublich niedlich«, sagte er, und sie fragte sich, wie zwei Menschen so unterschiedliche Sichtweisen haben konnten.

»Kann sein«, räumte sie ein. »Aber warte mal ab.«