4. TRENNUNGEN
Lassen Sie uns über Trennungen sprechen. Ich weiß nicht, wie Ihre Erfahrungen mit Trennungen so sind, aber meiner Erfahrung nach verlaufen die meisten katastrophal, desaströs oder furchtbar. Sogar dann, wenn man selbst diese Trennung will. Eine Trennung konfrontiert einen ja unter Umständen mit Wahrheiten über sich selbst, die man so nicht auf dem Zettel hatte. Eine bittere Wahrheit über sich selbst musste zum Beispiel Ines erfahren, die sich nach vielen Jahren Ehe (und fast ebenso langem Jammern über selbige) endlich, endlich doch zu einer Scheidung durchgerungen hat. Ich schwinge für Ines die Pompons, denn ihr Ex-Mann ist zum einen ein Torfkopf, zum anderen hat sie sich dazu durchgerungen, trotz ihrer Zukunftsängste und trotz all der schlimmstmöglichen Szenarien, die sie sich fleißig in den wildesten Farben ausgemalt hat. Es war ein langer Prozess, aber irgendwann war es soweit, und Ines war nach einer Zeit voller Verzweiflung, Anwaltsterminen und Organisation schließlich voller Vorfreude auf das wunderbare Leben, das da vor ihr lag – jetzt, wo endlich alles Unbill in Form ihres Mannes aus selbigem verschwinden würde.
Umso bitterer war die Erkenntnis, dass es eventuell gar nicht dieser Mann war, der ihr all die Jahre das Leben versaut hatte, sondern sie selbst. Lange vor der Trennung, zu einem nicht näher zu bestimmenden Zeitpunkt, hatte sich in Ines Unzufriedenheit breitgemacht – sie hätte nicht mal sagen können, woher die kam. Vielleicht war das Leben nicht so, wie sie es sich vorgestellt hatte, vielleicht war es der Abschied von Träumen und die lauen Kompromisse, vielleicht war es, weil sie immer älter wurde und das Gefühl hatte, ihr Leben liefe ihr einfach davon – oder eine Mischung aus all dem. Man weiß es nicht genau, denn sie konnte sich nie dazu durchringen, dieser Unzufriedenheit auf den Grund zu gehen, sondern schob sie von sich weg und direkt ihrem Mann zu.
Er war schuld an ihrem Unglück! Das war einfacher, denn dadurch war jeder Handlungsbedarf weit weg, und ihr waren quasi die Hände gebunden, sie konnte sich beschweren, soviel sie wollte und bekam dafür obendrein Verständnis, Anteilnahme und musste keinen Finger rühren. Das alles hat Ines natürlich nicht absichtlich so eingefädelt, sondern es ist irgendwie so passiert.
Erst als sie sich von der vermeintlichen Quelle ihres Unglücks trennte, fiel ihr auf, dass ihr Mann, Torfkopf hin oder her, gar nicht der Schuldige war. Und diese Erkenntnis brachte ihr ganzes Konstrukt zum Einsturz, in dessen Trümmern sie nun völlig erschrocken stand und klar sehen konnte: Sie war die ganze Zeit selbst verantwortlich für ihr unglückliches Leben gewesen. Sie hatte in ihrem Mann gar keinen Gegner gehabt, sondern gegen Windmühlen gekämpft, es gab gar keinen Gegner. Außer sie selbst. Es war, als würde sie plötzlich einen Vorhang zur Seite schieben, der ihr die ganze Zeit die Sicht genommen hatte, und dahinter war verschwommen ein Weg zu sehen. In diesem Moment löste sich auch der Groll auf ihren Mann in Luft auf, es tat ihr leid, dass sie ihm die Verantwortung für sich selbst aufgebürdet hatte und noch mehr tat es ihr leid, dass sie so lange bis zum Anfang des Weges gebraucht hatte.
»Aber besser spät als nie!«, lächelt sie mich an, als sie mir die ganze Geschichte erzählt, und sie sieht plötzlich stärker aus als früher, schöner – der Blick auf den Weg lässt sie eine ganz neue Regung spüren, etwas flackert plötzlich in ihr auf, und das ist das Leben. Man kann dieses Aufflackern sehen, sie strahlt förmlich.
Will man selbst nicht die Trennung, ist es – schwer. Mit am ärgsten hat es unlängst meinen Freund Hummel getroffen, der wusste nämlich erst mal gar nicht, dass er getrennt war. Also getrennt wurde. Eines schönen Tages kam Hummel von der Arbeit nach Hause, den Einkauf fürs Abendessen (Lasagne) im Schlepp, und sein Freund war – weg. Für Hummel also eine relativ überraschende Trennung.
Die Regel ist das nicht, meistens weiß man ja, wenn es nicht so gut läuft. Viele wollen das lange nicht wahrhaben und brauchen eine gewisse Zeit, bis sie sich mit dem Gedanken an eine Trennung angefreundet haben. Das ist anstrengend für alle Beteiligten, also auch für Freunde und unter Umständen und je nach Temperament des Paares sogar für die Nachbarn.
Meine Freundin Jana zum Beispiel führte mit einem ihrer Liebsten gegen Ende der Beziehung derart lautstarke sowie regelmäßige Streitgespräche, dass sie irgendwann einen Zettel an ihrem Briefkasten fand, augenscheinlich von einem ihrer Nachbarn:
Und das hat sie dann auch. Insgesamt sind inzwischen Trennungen deutlich seltener geworden als früher, scheint’s. Gründe für eine Trennung früher konnten sein:
Weil wir alle älter geworden sind und wissen, dass es immer irgendwann nicht mehr so doll ist, dass Klopapier-nicht-nachlegen ein verhältnismäßig geringes Vergehen ist und dass auch Paul keine Zehn ist, müssen die Gründe für eine Trennung schon triftiger sein.
Man wird vorsichtiger mit Trennungen, vielleicht auch, weil man irgendwann die Schnauze voll hat von diesem ewigen Kreislauf. Schließlich hat man ja auch noch was anderes zu tun, als sich auf dem Markt der Möglichkeiten herumzutreiben, und dann ist man froh, irgendwann jemanden an der Seite zu haben, der da auch bleibt, den man (meistens) lieben kann und der die eigene Ansammlung von Neurosen gut erträgt.
Dann schlägt man dieses Buch zu und kann sich anderen Dingen widmen. Die Einzige, die ich kenne, die permanent dieses Buch wieder aufschlägt, ist Jana, die wird nach ein bis maximal zwei Jahren Beziehung immer unruhig und fängt dann schon mal ganz unverbindlich das Blättern an …
Anne hingegen liebäugelt damit, eine verrückte alte Katzenlady zu werden, und verliebt sich bis dahin ebenso regelmäßig wie erfolglos in irgendwelche Gurus, die sie auf ihren Seminaren, Retreats und Workshops so kennenlernt. Die Gurus hingegen verlieben sich nur in »Spirits, deren Energie noch hell leuchtet« – also in Frauen Anfang zwanzig.
Der Rest meines Bekanntenkreises mit Beziehung teilt sich auf in:
  1. Ist total zufrieden.
  2. Ist im Angesicht der Alternativen zufrieden.
  3. Hat sich mit der Situation abgefunden.
  4. Denkt nachts an Paul.
Die meisten tummeln sich um B herum, was Abweichungen nach oben oder unten miteinschließt (manchmal auch D). Das sieht dann aus wie ein extrem schwankender Aktienkurs. An einem Tag gelingt der rasante Aufstieg nach einem romantischen Dinner oder im Angesicht einer liebevollen Notiz, die einem auf dem Küchentisch hinterlassen wurde (»Ich liebe dich« oder »Lasagne ist im Kühlschrank«). Anderntags vergisst er, das Kind vom Kindergarten abzuholen, schläft beim Seriengucken ein und so ein Sabberfaden hängt aus seinem Mund, und er hat SCHON WIEDER, beziehungsweise SCHON WIEDER NICHT … und – Zack! geht der Kurs in den Keller.
Wenn sich trotz dieser ganz normalen Schwankungen der Kurs um B herumbewegt, steht einem glücklichen Leben zu zweit nichts im Wege. Im Idealfall sind die Vorstellungen von diesem Leben nicht komplett unterschiedlich, und man bringt so großartige Dinge wie Kinder, Hypotheken und einen Alltag zusammen hin.
L. und ich haben das alles hervorragend zusammen hingekriegt. Als ich L. vor ungefähr Hundert Jahren kennengelernt habe, wusste ich sehr schnell, dass es der jetzt sein sollte. Gott sei Dank konnte ich ihn davon überzeugen, dass ich es jetzt auch sein sollte, beglückwünschte ihn zu mir und klappte das Buch zu, erfreut, mich mit diesem Kapitel nicht mehr beschäftigen zu müssen. Das ist nun eben hundert Jahre her, und es hat sehr gut geklappt, mit L. und mir. Wir verstehen uns einfach! Und genau dabei ist es irgendwann geblieben.
Ich weiß nicht, wann das passiert ist, aber zwischen den Jahren und dem Kind, dem kaputten Drucker und den Umzugskisten, hat sich unser Zusammensein auf seine Kernkompetenz abgeschliffen: Wir verstehen uns gut! Wäre dies ein Spiel oder eine Art Ausbildung, hätten wir beides erfolgreich durchgespielt beziehungsweise abgeschlossen. Jetzt kann man natürlich aufgrund dieser Erkenntnis eine Flasche Schampus köpfen, dem zugehörigen Partner High Five geben und sich dann als das beste Team diesseits des Mississippi feiern – und das ist überhaupt keine schlechte Sache. Viele Paare sind damit glücklich geworden, auch lebenslang. Für wieder andere wäre es das Schönste, überhaupt einmal so etwas zu erleben, die schlagen sich nämlich mit Partnern herum, mit denen es gerademal für ein beidseitiges Einverständnis zur Waffenruhe reicht. Also warum sollte ich mich beschweren, ich undankbares Ding?
Bei Anne stieß ich auf Unverständnis der gehobenen Sorte: »Du willst doch nicht etwa das ALLES«, und dabei beschrieb sie einen riesigen Kreis mit ihren Armen, »aufgeben?«
Das will ich nicht! Aber nichts von dem, was in diesem Kreis des ALLES enthalten ist, bedeutet, dass wir deswegen eine Beziehung führen müssen. Weil L. und ich nicht in einer gemeinsamen Wohnung leben, sondern jeder in seiner, weiß ich auch, dass ich den Alltag ganz hervorragend alleine hinbekomme, auch mit Kind, und wenn ich abends noch ein bisschen in der Küchentüre stand, die auf die Terrasse rausgeht und dort in die Nacht blickte, dann kam da immer mal wieder eine Idee und hing in der Luft. Ob das jetzt für immer so weitergehen sollte oder ob ich vielleicht noch einmal ein neues, ein anderes Leben anfangen könnte und wie das wohl wäre … und je öfter die Idee vorbeikam, desto weniger war es die Angst, die sich zu dieser Idee gesellt, sondern dieser eigenartige Zauber der Verheißung, der immer entsteht, wenn sich ein Neuanfang ankündigt. Und schließlich tat ich das, was ich immer tue, wenn mir etwas im Kopf herumgeht: es mit L. besprechen.
Der war erst mal sehr still, wusste aber sofort, was ich meinte. Zugegeben, meinem Ego hätte es gefallen, wenn L. in Tränen ausgebrochen wäre, sich die Haare gerauft hätte, und mich, beziehungsweise mein Ego, angefleht hätte, ihn nicht zu verlassen, weil ich die Liebe seines Lebens sei. Egos sind so, da kann man nichts machen. Der Rest von mir war aber ganz froh darum, dass er genau dies nicht tat – denn sonst wäre es echt kompliziert geworden und deswegen gab sich besagtes Ego mit ein bisschen gekränkter Eitelkeit zufrieden. Ego am Arsch vorbei.
Es wurde also keines dieser Gespräche, bei denen man sich gegenseitig Vorwürfe macht und sich Dinge an den Kopf wirft (Geschirr, zum Beispiel). Es war mehr ein Rückblick auf das, was wir waren, und das, was wir sind, und wir kamen zu dem Schluss, wir könnten auch genauso weitermachen – und das wäre nicht die blödeste aller Optionen – aber eigentlich fühlten wir uns für diese Option zu jung. Erschrocken über diese Einsicht saßen wir uns gegenüber und sahen uns lange an, so lange, bis es dunkel wurde und sprachen kein Wort mehr.
In dieser Nacht schlief jeder in seiner eigenen Wohnung und, Überraschung, nicht sehr gut. Ich lag die meiste Zeit wach und malte mir ein Horrorszenario nach dem anderen aus, etwa in dieser Reihenfolge:
Und dann heulte ich ein bisschen vor mich hin. Aber am nächsten Morgen stand ich mit meinem Kaffee an besagter Terrassentüre, die Sonne schien und da war er wieder, dieser verheißungsvolle Zauber des Neuanfangs.
Diese beiden Stimmungen wechselten sich in der nächsten Zeit permanent und unkontrollierbar miteinander ab. L. und ich versprachen uns gegenseitig, dass alles gut werden würde und für das Kind änderte sich eigentlich nicht wirklich etwas: Wie schon zuvor war es ein paar Tage bei mir und ein paar Tage bei L., wir aßen oft alle zusammen, und insofern war es nicht sonderlich verwunderlich, dass das Kind unseren gut vorbereiteten Diskurs über die neue Situation mit einem Achselzucken vernahm und anschließend lieber weiter Lego spielte. Deutlich dramatischer waren die Reaktionen unserer Mütter, die beide eine beeindruckende Version des sterbenden Schwans gaben. Unschlüssig, ob ich die Ambulanz rufen oder ob der Darbietung applaudieren sollte, entschied ich mich dazu, abzuwarten und dann beruhigend auf sie einzuwirken. Sie haben schließlich ihre ganz eigenen Ängste.
Tatsächlich ist die Trennung für unsere Umwelt schwieriger als für uns. Diese Erkenntnis hat mich zu Beginn etwas ratlos gemacht: Es geht uns doch gut, dem Kind geht es gut, was soll die Aufregung? Dann habe ich es verstanden: Sie trauerten! Sie trauerten um etwas, dessen Fehlen für uns schon lange normal war.
Kennen Sie diese offiziellen Stadien von Trauer? Die machen sie alle durch:
Bei Jana kommt noch ein weiterer Punkt hinzu, ich nenne ihn Die Vorfreude, und er beschäftigt sich hauptsächlich mit der Frage, ob es wohl irgendwann einen oder mehrere neue Männer in meinem Leben geben wird, wie die wohl sein werden und wo die herzubekommen seien. Anne hingegen trifft es schlimm, in ihrer Welt waren wir so etwas wie der letzte Hoffnungsanker, dass es diese eine, perfekte Liebe gibt, die für immer hält.
Das ist auch so ein Phänomen, oder? Dass man andere Leute trösten muss, obwohl man selbst diejenige ist, der es gerade so mittel geht?
Unsere Trennung verlief derart leidenschaftslos, dass es eine wahre Pracht war. Ich schenkte L. einen Batzen Geld für die Renovierung seiner Bar, L. holt weiterhin zuverlässig das Altglas ab, weil er meistens das Auto hat, und schleppt kistenweise Bier in meine Wohnung, und mehr als einmal sprang ich in der Kneipe ein, wenn mal wieder eine Bedienung nicht zur Arbeit kam.
In dieser ganzen Zeit und bis heute gibt es jede Menge Arschvorbei-Momente. Ohne diese wären wir vermutlich nicht ganz so heil aus dieser Sache herausgekommen:
FEHLER DES PARTNERS BLEIBEN …
… sie sind halt dann Fehler des Ex-Partners. Und Überraschung: Was mich vor der Trennung an L. genervt hat, nervt mich immer noch. Seine Fehler und Macken haben sich mit der Trennung nicht in Luft aufgelöst. Natürlich, Kleinigkeiten fallen weg. L. übernachtet nicht mehr hier (es sei denn, er pennt todmüde auf dem Sofa ein), das heißt, es steht in der Regel morgens kein dreckiges Geschirr mehr auf der Arbeitsplatte über der Spülmaschine, von dem L. immer davon ausgegangen war, dass es irgendwie von selbst da durch diffundiert. Hurra!
Die großen Dinger aber bleiben. L zum Beispiel verwechselt schon immer zuverlässig Wochentage und Daten sowie generell alles, was mit Zahlen zu tun hat. Aus diesem Grund stand er schon mehrmals an einem Flughafen oder Bahnhof und wunderte sich, wo die Transportmittel blieben (oder ich stand an einem Flughafen oder Bahnhof und wunderte mich, wo L. blieb). Wenn früher etwas außer der Reihe stattfand, habe ich L. das also nicht nur irgendwann mitgeteilt, sondern ihn am selbigen Tag noch mal daran erinnert. Auch das hat sich nicht geändert – bei Dingen, die das Kind betreffen. Heute um 18 h von Leo abholen! schreibe ich ihm dann zum Beispiel eine Nachricht am Morgen, obwohl ich L. bei der Übergabe vor zwei Tagen ausführlich darüber informiert habe. Danke! kommt es zurück.
»Ich würde den knallhart auflaufen lassen! Soll er doch zusehen, wie er es hinbekommt. Und wenn er es nicht hinbekommt, hat er eben das Nachsehen!«, sagt die Mama von Leo, eine ebenfalls getrennte Mutter, mit der ich mich gut verstehe. Sie fährt eine Art Null-Fehler-Toleranz-Strategie gegenüber ihrem Ex-Mann, und das ist ja auch völlig in Ordnung, denn warum sollte irgendeine Art von Unvermögen des Ex zum eigenen Problem werden?
Ich habe aber genau zwei Möglichkeiten:
Entweder ich denke den ganzen Tag immer wieder daran, ob L. sich wohl gemerkt hat, dass er heute das Kind von Leo abholen soll, ärgere mich dann darüber, dass ich daran denke (und über L. im Allgemeinen und seinen blöden Fehler gleich mit), werde ab 18 Uhr nervös und schiele aufs Handy, ob sich Anna meldet, weil L. nicht auftaucht. Selbst wenn niemand anruft, und das Abholen prima klappt, bin ich dann genervt. Und fragen Sie nicht nach Sonnenschein, wenn er es tatsächlich vergeigt, dann bekomme ich nämlich einen Anfall, der sich gewaschen hat, und L. einen Anpfiff, der sich ebenfalls gewaschen hat, und wir sind alle so richtig mies gelaunt für die nächsten Tage.
Die andere Möglichkeit ist: Ich schreibe am Morgen eine Nachricht.
Ich bevorzuge die zweite Möglichkeit. Und zwar ganz ohne Groll, denn: Diesen beknackten Fehler hat L. schon immer, und ich hab mir diesen L. damals nun mal ausgesucht, das habe ich jetzt eben davon. Wollte ich ihn ändern, müsste ich ihn am Stirnlappen operieren, und da fehlt mir einfach die Fachkenntnis.
Und ich habe auch jede Menge Gutes davon: Ich habe nämlich auch ein paar winzig kleine Fehler, und L. lässt gegenüber diesen Fehlern ebenso viel Nachsicht walten.
Wir tun uns also gegenseitig permanent Gefallen, das schließt diverse »Kannst-du-zum-Elternsprechtag-gehen?« mit ein sowie beidseitige »Können-wir-nächste-Woche-Tage-tauschen?« und auch »Gehst du zum Kindergeburtstag?«. Das funktioniert aber auch deshalb gut, weil keiner von uns beiden einen Groll hegt. Grolle neigen nämlich dazu, sich mithilfe irgendeines beliebigen Ventils Luft zu machen, da kommen Fehler des Ex-Partners gerade recht. Das ist verlockend – so ein Groll will ja raus. Wie verlockend das ist, habe ich selbst gemerkt, nämlich als L. irgendwann fragte, ob ich mit ihm ausgehen wolle. Falls Ihnen nun auch kurz der Gedanke durch den Kopf geschossen ist, dass es nun die romantischste Wiedervereinigung seit Dick und Doof gibt, da kann ich Ihnen gleich sagen: So eine Stimmung lag nicht in der Luft. Aber ich trug trotzdem Wimperntusche auf, man weiß ja nie.
KEINE GROLL-UMLEITUNG
Seit der Trennung haben L. und ich zwar jede Menge Kontakt und sehen uns teils jeden Tag, aber das hat organisatorische oder Kindergründe, deswegen bin ich über die Einladung überrascht. Jana und Anne weihe ich vorsätzlich nicht in unser Treffen ein, sonst machen sie sich noch Hoffnung, dass wir wieder zusammenkommen – zumindest Anne. Jana ist ja schon dabei, eine unverbindliche Vorauswahl potenzieller neuer Kandidaten zusammenzustellen. Also warum eigentlich nicht, gehen wir aus, denke ich, und so sitzen wir eines schönen Abends auf der Terrasse einer Cocktail-bar. L. ist extrem gut gelaunt, wir plauschen über dies und jenes und dann kommt L. zum Punkt: Er hat eine Frau kennengelernt. BÄMM!
Und während L. irgendwelches Zeug erzählt, von der Frau und davon, dass er deshalb vielleicht eine größere Wohnung suchen müsse (!) und dabei strahlt wie ein Honigkuchenpferd, verschwimmen seine Worte in meinen Ohren zu einem Klangbrei, und mir tropft eine Träne in den Mojito. Nicht, dass ich es mir anders überlegt hätte und ihn wieder zurückhaben will, ich bin auch nicht eifersüchtig, aber es ist der Moment, in dem es noch vorbei-er ist und noch fassbarer, wie endgültig jeder von uns seinen eigenen Weg gehen wird. AUSSERDEM IST ES DOCH GERADE ERST VORBEI HERRGOTTNOCHMAL – wie kann er da so schnell … Und dann übernimmt die gekränkte Eitelkeit des Egos das Kommando.
Am nächsten Morgen wache ich auf, und da ist er, der Groll. L. hat mir nicht nur von der neuen Frau erzählt, er hat das obendrein eine Woche vor dem Geburtstag des Kindes gemacht, ein Tag, den wir deswegen in seiner Gesamtheit zusammen verbringen würden. Mit seinen Eltern.
»Aua. Arschloch.«, murmle ich am Morgen nach dem traurigen Mojito in die Kissen und will L. erst mal nie wiedersehen. Das klappt dann auch prompt nicht, und den besagten Kindergeburtstag verbringen wir wie geplant zusammen. Und immer, wenn ich L. heimlich von der Seite ansehe, wie er gut gelaunt dasitzt, scherzt und lacht und Kuchen futtert, zieht sich in meiner Brust alles zusammen und ich denke »Aua. Arschloch.«
Ich sage aber zu L. nicht »Aua. Arschloch.«, ich sagt zu L. in der darauffolgenden Zeit Dinge wie:
Oder:
Ich werde zu einer richtig biestigen Alten. Jeder meiner Sätze ist ein »Aua. Arschloch. «, es besteht lediglich aus anderen Worten. L. nimmt es geduldig hin und wehrt sich nicht. Zum Glück, denn sonst würden wir uns sowas von in die Wolle bekommen, dass ich nicht sicher bin, ob wir das Knäuel je wieder entwirren könnten.
Wenn ich mich so umsehe, braucht es noch nicht mal eine neue Liebe des Ex-Partners, um zu grollen. Es reicht auch Trennungsschmerz, die Trauer um den Lebensentwurf, der nun vielleicht nicht Wirklichkeit wird, das gekränkte Ego, enttäuschte Erwartungen und so fort: Verletzungen, die zu einem Groll werden, sind so vielfältig wie eine große Schachtel voller Pralinen, und in jeder ist Kacke. Auch die Möglichkeiten »Aua. Arschloch.« zu sagen, ohne exakt diese Formulierung zu benutzen, sind schier unendlich.
Teile dieser Umschreibungen von »Aua. Arschloch.« betreffen dann oft das Haus, das Kind oder den Hund und »Ich hab deine Dings-Sammlung entsorgt«.
Das Blöde an dieser Nummer ist: Sie hilft einem überhaupt nicht. Sie lindert keinen Schmerz und zügelt keinen Zorn, und gegen Traurigkeit hilft sie auch nicht. Noch nicht mal die erhoffte Genugtuung stellt sich ein – es ist eine echte Nullnummer.
(Abgesehen davon gibt es natürlich jede Menge Ex-Partner, die sich vor, während oder nach einer Trennung aufführen wie Vollidioten, das vermutlich schon immer waren und für die »Arschloch« keine Metapher ist, sondern schlicht eine treffende Bezeichnung.)
Was sehr wohl gegen den Groll hilft, sind die zwei gleichen Hippie-Dinge von immer:
  1. Verstehen
    Also erkennen, was man da tut, und dass es einem eventuell nicht um Dings oder Bumms geht, weswegen man den anderen anpfeift, sondern um die eigene Verletztheit und sich diese eingestehen.
  2. Verzeihen
    Siehe »Fehler des Partners bleiben …«. L. zum Beispiel hat den Zeitpunkt, um von seiner neuen Liebe zu erzählen, nicht absichtlich so beschissen gewählt: Es war schlicht gedankenlos. Das kann man scheiße finden und ihn einen Depp schimpfen, und L. kann sich daraufhin entschuldigen und dann kann man auch dies – verzeihen.
Das hilft gegen den Groll. Deswegen hat man aber immer noch den Kummer an sich am Hals, und hier die schlechten Nachrichten: Den wird man erst dann los, wenn es einem selbst besser geht. Sobald es uns gut geht, ist das, was der andere da veranstaltet, nicht mehr ganz so wichtig – es hat nichts mehr mit dem eigenen Befinden zu tun. Das kann aber eine Zeit dauern, und es ist auch völlig in Ordnung, dass dies seine Zeit braucht (siehe im Kapitel »Liebe«: Manchmal kann man einfach nichts tun, außer ein Starkbier zu bestellen).
DAS URTEIL ANDERER LEUTE …
Abgesehen von unseren Freunden und unseren Familien, komme ich nicht umhin, auch völlig fremden Leuten und Bekannten von der Trennung zu berichten, einfach weil sich die Situation ergibt. Zum Beispiel auf der Bank:
»Wir haben ein ganz tolles neues Produkt für Familien, es ist eine …«
»Oh danke, aber … wir sind … mmmhhh, also wir sind getrennt, wir sind natürlich schon irgendwie ein Familie, aber, also …«
»Oh. Verzeihung.«
Oder wenn L. und ich gemeinsam irgendwo sind, auf einem Fest oder sonst einem geselligen Zusammenkommen, und ein reizendes Pärchen möchte sich nett unterhalten. Da wird über die jeweiligen Berufe, Kinder und etwaige Bekanntheitsgrade mit den Gastgebern geplauscht, aber früher oder später kommt es dann, zum Beispiel mit der Frage: »Und wie habt ihr euch kennengelernt?« Das kann einer von uns beiden durchaus erzählen, aber es kommt dann langsam der Punkt, wo ich den Beziehungsstatus von L. und mir darlege. Auch einfach um klarzustellen, dass wir in keiner denkbaren Zukunft pärchenweise zusammen grillen oder Kniffel spielen werden. Das ist dann oft der Punkt, da können Sie noch so viel lächeln, das reizende Pärchen wird langsam beidrehen und sich nach anderen Kandidaten für ihre Kniffel-Abende umsehen. Gerade so, als wären wir eine Bedrohung ihrer Glückseligkeit. »Wir sind nicht ansteckend!«, möchte ich dann gerne noch hinterherrufen, aber da sind die dann schon weg.
All das ist nicht schlimm. Ich bin nicht auf der Suche nach neuen Kniffel-Partnern. Wild wird es erst, wenn ich bemitleidet werde. Am Anfang habe ich das gar nicht verstanden – »Ah, nee, der Vater und ich, wir sind getrennt«, sage ich zum Beispiel zur Mutter eines Spielkameraden, den das Kind auf dem Spielplatz aufgegabelt hat, als das Gespräch es erfordert – und die guckt mich dann ganz mitleidig an: »Oh, das tut mir leid.«
»Warum?«, ist mir dann auch prompt herausgerutscht – ich meine, wir kennen uns nicht: Vielleicht bin ich knapp einem vertrottelten Tyrannen entkommen! Hurra! Stellen Sie sich mal vor, ich machte das umgekehrt – die Mutter deutet auf einen Typen neben der Schaukel und sagt: »Das da hinten ist mein Mann«, und ich dann so: »Oh, das tut mir leid.«
Es macht auch einen großen Unterschied, wer fragt, warum wir uns getrennt haben: Fragt jemand, der auch sonst an meinem oder unserem Befinden und Wohlergehen interessiert ist, dann weiß ich, dass dahinter echtes Interesse steckt. Manchmal kommt sogar noch der Halbsatz hinterher – »oder magst du nicht drüber reden?«. Das ist fein. Daraus wird dann ein Gespräch, und zwar eins von den guten. Aber wenn die Bekannte einer Bekannten dasselbe fragt, weil, wir hätten doch immer so einen glücklichen Eindruck gemacht, und dabei schon so ein kleines, neugieriges Glitzern in den Augen hat – da weiß man ja erst mal nicht, was man sagen soll. Zumal es ja selten so ist, dass man das nebenbei an der Bar in zwei Sätzen zusammengefasst darlegen kann. Man will auch nicht sein Innerstes vor irgendwelchen Leuten ausbreiten, die man mal flüchtig gesehen hat – und schon gar nicht auf Kommando. Als das das erste Mal passierte, habe ich im Affekt prompt gelogen und etwas von »lief nicht mehr gut« dahingestottert. Im Nachhinein betrachtet, eine äußerst laue Antwort.
NOTIZ AN MICH SELBST
Man ist gar nicht zur Auskunft verpflichtet! Besonders nicht gegenüber Leuten, bei denen man das nicht will, über Dinge, die sie nichts angehen.
Nach internen Besprechungen mit Jana, Anne und viel Wein hatte ich schließlich bessere Antworten für diese Situation parat und konnte aus dem Stegreif erzählen, L. hätte mich mit meiner Mutter betrogen oder er sei schwul geworden – ja, ganz überraschend! Es waren reine Schutzbehauptungen, die aber auch ein bisschen Spaß gemacht haben. L. hat sich das leider inzwischen verbeten.
Aber auch diesmal haben die Damen einen 1A-Ersatz, denn just als ich mich über das Thema aufrege und vor mich hin stänkere: »Warum fragen die das? Ich würde doch auch nie fragen: Warum seid ihr eigentlich noch zusammen?«, sehen wir uns kurz an, und es ist klar: diese Rückfrage, freundlich und lächelnd, ist die beste Antwort.
L., das Kind und ich sind also wie Sie sehen wohlauf, und auch wenn es Tage gab, die doof waren, in denen die Ungewissheit darüber, wie die Zukunft aussehen würde, kein aufregendes Geheimnis war, das gelüftet werden wollte, sondern eine dunkle Wolke, hat sich alles zum Guten gewendet. Apropos gut: Ich hab‘ da also diesen Mann kennengelernt …