Bhavanas in alphabetischer Reihenfolge

Anitya bhavana – Haltung der Veränderlichkeit

Pratipaksha bhavana – Konzentration auf das Gegenteil

Shri Yogendraji über anitya bhavana

»Die einfachste Übung besteht darin, passende Gedanken für eine tägliche Autosuggestion zu wählen. Diese variieren je nach philosophischem System und Yogaschule; aber da es hier um das Nichtanhaften des Geistes geht, greifen wir Reflexionen auf, welche sich mit den meisten philosophischen Richtungen vertragen und zudem mit der Lehre von Patanjali übereinstimmen. Es folgt eine intellektuelle Reflexion (bhavana) für anfängliche autosuggestive Zwecke. Der Schüler sollte täglich 10 bis 15 Minuten darüber meditieren, bis das Verständnis tief im Bewusstsein verwurzelt ist: anitya bhavana. Was am Morgen war, ist nicht am Mittag. Was am Mittag war, ist nicht in der Nacht, denn alles ist vergänglich (anitya). Unser Körper, welcher Ursache für allerlei menschliche Aktivität ist, ist ebenso vergänglich wie sich teilende Wolken. Alles, was uns Lust bereitet, ist vergänglich. Wohlstand ist vergänglich wie eine Welle (kallola), Jugendlichkeit wie ein Stück Wolle im Wind, Gelegenheiten wie flüchtige Träume. Warum sich an etwas klammern, wenn nichts von Dauer ist, alles sich wandelt?

Die Betrachtung der Vergänglichkeit (anityata) aller Dinge heißt anitya bhavana. Sie empfiehlt sich sehr für die Förderung des Nichtanhaftens und des Gleichmuts gegenüber allen Wesen. Der Schüler sollte ernsthaft über diese einfache Wahrheit nachdenken und sich selber fragen: Warum sollte ich so wahnsinnig sein und meinen Geist mit all diesen wahnsinnigen Dingen und Vergnügungen verketten? Und warum soll ich mich verschiedenen Menschen gegenüber unterschiedlich verhalten, wo doch der Körper, der sie unterscheidet, nicht von Dauer ist? Dann, wenn die Erkenntnis gewonnen ist, kann sich der angehende Schüler anderen bhavanas widmen.«

(Aus: Sri Yogendraji, Anleitung zur Yoga-Meditation, scriptus Verlag Münchenwiler, Schweiz)

Shri Yogendraji über pratipaksha bhavana

Yoga besagt, dass ungute Tendenzen zu falschem Wissen führen, wenn man ihnen freien Lauf lässt. Falsches Wissen verursacht dauerhaften Kummer und Schmerz. Die meisten Praktizierenden liegen mit ihren eigenen Emotionen im Kampf. Das verhindert Fortschritt auf dem Weg des Yoga. Man muss sich seiner Emotionen klar werden, ihnen ins Gesicht schauen und eine Methode entwickeln, um dieses große Hindernis zu überwinden.

Im Yoga kennt man zwei Methoden, um mit schlimmen Gedanken und den daraus erwachsenden Emotionen umzugehen.

Sowie man bemerkt, dass man Schlechtes denkt, richtet man sein Denken auf irgend etwas, was von Interesse für einen ist. Man lenkt sich also ab. Man meditiere nicht über die Mängel und schlechten Folgen schlechter Gedanken, vipaksha bhavana, sondern nehme sich etwas von positivem Interesse vor.

Pratipaksha bhavana besteht darin, dass man es sich zur Gewohnheit macht, sich bei schlechten Gedanken sogleich das Gegenteil vorzustellen und darüber zu meditieren. Der Wert dieser Übung liegt nicht so sehr darin, dass man Tugendhaftes in sich weckt, sondern dass man das Potenzial, das in wiederholtem Denken von Schlechtem liegt, schwächt.

Man schwächt also perverse Emotionen wie folgt: Wenn Neid und Eifersucht einen überwältigen, dann male man sich Großzügigkeit und Toleranz aus; wenn Ärger einen blind zu machen droht, dann denke man an Zuneigung, Liebe und freundschaftliche Gefühle; wenn Gier einen verbrennt, dann male man sich aus, wie schön es ist, zufrieden und erfüllt von Seelenruhe zu sein; wenn Leidenschaft das Herz gefangen hält, dann bedenke man immer wieder den höheren göttlichen Lebenszweck.

Dieser Vorgang, verführende, provozierende oder aufwühlende Gedanken zu schwächen, indem man sich auf entgegengesetzte positive Gedanken richtet, muss so lange geübt und wiederholt werden, bis er sich auf der unterbewussten Ebene fortsetzt.

Außerdem kann man Folgendes üben, wenn man in Versuchung gerät, etwas zu tun, was nicht richtig für einen ist: Man stelle sich vor, dass man der Versuchung nachgibt. Welche Konsequenzen hätte das aber? Man untersuche die genaue Ursache der Versuchung.

Man stelle sich die Vorteile vor, die es bringt, diese Art von Versuchung dauerhaft in sich zu entwurzeln, sodass man auf lange Sicht seinen Frieden hat. Man praktiziere alles, was gut für einen ist, und befolge heilsame Gewohnheiten. Seine Emotionen zu reinigen, indem man bei schlechten Tendenzen immer wieder über das positive Gegenteil meditiert, verhilft einem sehr zu einem Ziel des Yoga, nämlich, den Geist stetig und unerschütterlich zu machen.

Aus: Yoga und ganzheitliche Gesundheit, September 2011