Lieber Herr Hallervorden,

 

wenn Sie Gendern für eine Vergewaltigung der Sprache halten, stehen Sie damit in stolzer AfD- und CSU -Tradition. Was natürlich toll ist! Aber ich weiß nicht. Mir kommt das ein bisschen seltsam vor. Eine Vergewaltigung der Sprache? Die ersten Schritte in Richtung Gendern gab es schon vor Jahrzehnten. Und jetzt plötzlich will die Sprache vergewaltigt worden sein? Wieso fällt ihr das denn jetzt erst ein? Außerdem, was denkt die Sprache denn, was passiert, wenn sie in diesen viel zu kurzen Worten durch die Gegend läuft? Ist doch klar, dass sich das Gendern nicht beherrschen kann, wenn die Sprache ihre knackigen männlichen Formen zur Schau stellt! Wer so mit seinen maskulinen Endungen rumwedelt, muss sich nicht wundern! Da setzt beim Gendern halt der Jagdinstinkt ein.

Und selbst wenn da wirklich was war zwischen dem Gendern und der Sprache – ein bisschen wollte sie es doch wohl auch. Die Sprache braucht das ja sogar. Dieses Umgarntwerden von jungen Formen. Diesen Skandal um jedes neue Gewand. Die Sprache will, dass über sie gesprochen wird. Sie fordert das heraus! Ganz ehrlich: Es ist die Sprache! Als könnte die nicht «Nein» sagen! Wobei, sogar das Wort «Nein» klingt wie die weibliche Form von «na?». Wie soll das Gendern das denn als Zurückweisung verstehen?

Und dann ist es ja auch nicht so, als sei die Sprache grundsätzlich allen Entwicklungen abgeneigt. Ständig macht sie mit irgendeinem Jugendslang rum, lässt ihn nach ein paar Wochen wieder fallen und wundert sich dann, dass es heißt, sie sei leicht für Neues zu haben.

Nee, wenn hier jemand das Opfer ist, dann das Gendern! Es kann sich ja nirgendwo mehr blicken lassen, ohne gleich für alles Übel der Welt verantwortlich gemacht zu werden. Und das bloß, weil alle Mitleid mit der ach so schönen Sprache haben. Die bewahrt werden muss. Palim, Palim. Und das Gendern muss als Täter für alles herhalten. Dabei wollte es der Sprache nie, ich wiederhole: nie, etwas Schlechtes. Andere Sprachen können bestätigen, dass das Gendern ein großer Sprachliebhaber ist. Es hält Sprachen immer die Tür auf, es schenkt ihnen große Sträuße aus bunten Geschlechtern – das klingt ein bisschen wie Sträuße aus Geschlechtsteilen. Jetzt haben wir alle Bilder im Kopf. Egal: Es schenkt ihnen große Sträuße aus bunten Geschlechtern – und mehr als das: Es ist von einer Sprache geboren worden! Glauben Sie nicht, Herr Hallervorden, dass sich seiner Muttersprache das Innen nach außen kehren würde, wenn sie hören würde, dass man ihm jetzt Sprachenfeindlichkeit vorwirft? Aber das ist Ihnen natürlich egal. Dass das Gendern jetzt vor den Buchstaben seiner Existenz steht. Plötzlich haben alle Angst vor ihm. Überall wird die Frage diskutiert: Werden wir alle am Gendern sterben? Aber ganz ehrlich, was soll passieren? Haben Sie Angst, sich am gesprochenen Genderstern zu verschlucken und zu ersticken? Okay, das könnte vielleicht wirklich passieren. Deshalb schert sich auch niemand um den Klimawandel. Weil die Welt sowieso vorher durch geschlechtergerechte Sprache untergehen wird. Das ist doch das Bild, das die Sprache vom Gendern in die Welt setzt, und Sie glauben einfach ihren wilden Anschuldigungen!

Ach, das nennen Sie Täter-Opfer-Umkehr? Sie meinen, diese Verharmlosung von sexualisierter Gewalt geht gar nicht? Und dass das Gendern zu seiner Verantwortung stehen soll, anstatt sich hier als Leidtragender zu inszenieren? Na, da bin ich aber froh, dass das ab jetzt niemand mehr macht, wenn es nicht um Wortendungen, sondern um echte Vergewaltigungen geht. Und dass Sie sich, Herr Hallervorden, wenn Sie etwas scheiße finden, in Zukunft genauer überlegen, welche Metaphern Sie wählen.