Liebe Herren, werte Quotendame, hallo Sprachpolizei,
Frauen sind seltsame Wesen. Sie benehmen sich wie eine unterdrückte Minderheit. Aber wir sind keine unterdrückte Minderheit. Wir sind eine unterdrückte Mehrheit! Was für ein absurder Gedanke in einer nach dem Mehrheitsprinzip funktionierenden Demokratie. Klar, es gibt Gründe, aus denen das Patriarchat entstanden ist. Aber wieso hat es heute noch Bestand? Wieso entscheiden wir als weibliche Mehrheit uns nicht einfach dagegen?
Es gibt zwei Probleme in der Debatte über gesellschaftlich relevante Themen. Feminismus, Rassismus, Klimakrise. Alles, was nervt, hat dieselben beiden Probleme: dass es eine alte Diskussion ist und dass es eine neue Diskussion ist.
Punkt eins: Die Diskussion ist alt. Wie reden wir zum Beispiel über feministische Themen? Wie diskutieren wir über die Frauenquote, über männliche Gewalt, übers Gendern? Obwohl, wie wir übers Gendern diskutieren, ist einfach. Eine Person sagt irgendwas mit «innen», eine andere Person sagt: «Aaaaah, du verschandelst meine schöne deutsche Sprache!», eine dritte Person sagt: «Die deutsche Sprache gehört dir nicht, du elender Sexist!», eine vierte Person brüllt: «Klappe, du Sprachnazi!», eine fünfte Person ruft: «Hat hier jemand ‹Nazi› gesagt? Mit wem kann ich mich prügeln?» Und die meisten anderen denken: Ach, lasst mich doch einfach in Ruhe mit dem Scheiß.
Deshalb rede ich nicht mehr übers Gendern. Sonst bin ich ja doch bloß wieder die Trulla, die eine Sprachdiktatur errichten und alle, die nicht mitmachen, mit Gendersternchen erschlagen will.
Nein, nehmen wir als Beispiel lieber die Frauenquote! Das Problem dabei ist, dass wir uns viel zu viel mit Fakten aufhalten. Natürlich könnte ich jetzt wieder Fakten aufzählen. Aber die haben Sie alle schon mal gehört. Das heißt: Entweder wissen Sie das alles längst, oder Sie haben auch bisher immer weggehört, wenn Ihnen jemand Fakten über die Benachteiligung von Frauen erzählen wollte. Warum sollten Sie also nicht auch jetzt weghören? Weil wir uns heute nicht mit Fakten aufhalten! Das Problem an all den Diskussionen über anstrengende Themen ist die Wiederholung. Wir diskutieren immer wieder über dieselben Themen, auf immer wieder dieselbe falsche Art, und wir fangen immer wieder bei null an. Und deshalb kommen wir nie weiter. Das nervt. Selbst wenn man die Diskussion grundsätzlich gut findet, selbst wenn man das Thema wichtig findet, ist man genervt, wenn es SCHON WIEDER ums Tempolimit geht. Oder SCHON WIEDER Karl Lauterbach bei Markus Lanz sitzt. Oder wenn auf Twitter SCHON WIEDER irgendwelche woken Linken aufschreien, weil SCHON WIEDER irgendein Wort nicht mehr gesagt werden soll. Wir haben das einfach alles schon zu oft gehört. Irgendwann ist es sogar egal, wer recht hat.
Stellen Sie sich vor, Sie müssten Ihren absoluten Lieblingsfilm immer wieder gucken, jede Woche dreimal. Sie würden ihn hassen. Vor allem, wenn Ihr Lieblingsfilm Und täglich grüßt das Murmeltier heißt. Dann müssten Sie immer wieder denselben Film darüber sehen, wie sich immer wieder derselbe Tag wiederholt. Und genau das tun wir. Wir fahren immer wieder denselben Film ab, sobald ein Reizthema aufkommt. Provokation, Empörung, Halbwahrheiten, noch mehr Empörung, noch mehr Provokation, bis alle denken: Ach, lasst mich doch einfach in Ruhe mit dem Scheiß.
Und das ist sehr verständlich. Die Sache ist nur: Damit löst man keine Probleme. Probleme löst man, indem man einen Konsens findet, den kleinsten gemeinsamen Nenner, das, worauf wir uns einigen können. Und damit sind wir wieder bei den Fakten. Denn auf die müssen wir uns einigen. «Ich will mich nicht mit Fakten aufhalten» bedeutet nicht, die Fakten zu ignorieren, sondern sie anzuerkennen, damit wir sie nicht immer wieder durchkauen müssen. Damit wir nicht immer wieder bei null anfangen müssen.
Wenn wir über die Frauenquote reden wollen, müssen zunächst mal alle anerkennen, dass es ein Problem gibt. Dass das Problem bei der gläsernen Decke, dem Gender Pay Gap, den schlechter bezahlten «Frauenberufen» und den Boys Clubs liegt. Und dass die Frauenquote nicht das Problem ist, sondern ein Werkzeug, das bei der Lösung helfen soll – und zugleich neue Probleme erschafft, ich weiß. Sie ist ein unvollkommenes Werkzeug. Aber Frauen können ja nichts dafür, dass bislang noch niemand ein besseres Werkzeug gefunden hat. Man sollte die Schuld für die mangelnde Perfektion der Lösung nicht bei denen suchen, die von einem Missstand betroffen sind. Dasselbe gilt fürs Gendern.
Aber darüber rede ich ja nicht mehr.
Na gut, ganz kurz vielleicht:
Eigentlich ist es sogar ein ziemlich gutes Beispiel. Da kann sich nämlich niemand auf irgendwas einigen. Es ist das Un-Thema des Jahrhunderts, es ist das perfekte Beispiel für die schlimmste Form von Debatte. Es ist wirklich faszinierend. Man muss das Wort «Gendern» nur denken, und schon fängt irgendjemand an, laut zu brüllen. Es ist ein Wunder! Es ist, als würden Menschen riechen, wenn jemand in naher Zukunft etwas übers Gendern gesagt haben wird. Und deshalb brüllen sie einfach schon mal vorsorglich. Und das ist jedes Mal so. Immer wieder. Und es ist übrigens kein Zufall. Es liegt nicht zuletzt daran, dass das Gendern als Aufregethema politisch instrumentalisiert wird. Angeblich, weil die Linken und Grünen ständig allen mit ihren Genderdiktaturfantasien in den Ohren liegen. Und so ist es ja auch! – Na ja, oder es ist das, was man so schön «Framing» nennt. Tatsächlich benutzt die AfD auf Facebook und Twitter mehr als achtmal so häufig das Wort «Gender» wie der Durchschnitt aller anderen Parteien. Und dabei sind Sie, Herr Ploß, gar nicht in der AfD. Wer also nervt ständig mit dem Thema? Es ist Stimmungsmache, die jede konstruktive Diskussion über gerechte und inklusive Sprache unmöglich machen soll. Und ich glaube, die Taktik war erfolgreich. Die Konditionierung funktioniert ganz wundervoll. Die Diskussion über geschlechtergerechte Sprache ist getötet worden, ohne auch nur einmal vernünftig geführt worden zu sein. Die Mehrheit der Bevölkerung hört das Wort «Gendern» und denkt sofort: Ach, lasst mich doch einfach in Ruhe mit dem Scheiß!
Aber wir wollen es ja besser machen.
Was also tun wir? Wir suchen den Konsens. Wir wollen miteinander reden. Können wir uns darauf einigen? Okay, nicht alle mit allen, aber wir alle wollen mit irgendjemandem reden. Ich glaube, darauf können wir uns einigen. Bis auf die zahlreichen Mönche mit Schweigegelübde natürlich, die das hier lesen. Aber ganz ehrlich, Mönche, wie wollt ihr euch beschweren? Darf man, wenn man ein Schweigegelübde abgelegt hat, trotzdem noch Hasskommentare schreiben? Ich weiß es nicht, aber ich fürchte, ich werde es erfahren.
Also: Die meisten von uns wollen mit Menschen reden. Wir wollen verstanden werden. Wir wollen eine Sprache, die einfach ist und schön und in der wir trotzdem genau das sagen können, was wir meinen. Darauf können wir uns vermutlich auch noch einigen, aber da stehen wir auch schon vor einem Problem. Denn manchmal meinen wir ja Dinge, die etwas komplizierter sind als «Der Tisch ist braun». Wenn man zum Beispiel sagt: «Der Mensch ist braun», kann das ein Kompliment sein, eine rassistische Aussage oder eine antirassistische Aussage. Alles möglich. Um das zu klären, brauchen wir Kontext, also mehr Worte. Je komplizierter das Gemeinte, desto komplexer muss die Sprache sein.
Eine Lösung dafür wäre: einfach nichts Kompliziertes mehr meinen. Es gibt Leute, Institutionen und Parteien, die das mit Freude praktizieren. Das Problem daran ist, dass unsere Aussagen dann nur noch bedingt mit der Realität zu tun haben. Weil die Realität nun mal manchmal komplex ist. Und sie lässt da auch nicht mit sich verhandeln. Wenn zum Beispiel Wolfgang Kubicki mitten in einer Pandemie sagt: «Wenn jemand Angst hat, soll er zuhause bleiben», ist das ein schön einfacher Satz, der nach einer schön einfachen Lösung klingt. Aber leider ändert er nichts an der Realität, in der erstens nicht alle, die Angst haben, zuhause bleiben können und sich zweitens auch Angstfreie mit dem Virus infizieren, es weiterverbreiten, die Intensivstationen überlasten und im schlimmsten Fall sterben. Das war ein weniger einfacher und weniger schöner Satz, aber dafür hatte er ein etwas engeres Verhältnis zur Realität.
Manchmal müssen wir uns also entscheiden: Wollen wir eine einfache Sprache, oder wollen wir sagen, was wir meinen und was die Realität abbildet?
Und genau das Problem haben wir bei der Sache mit dem «innen» und dem Sternchen. Es ist völlig unmöglich, in der deutschen Sprache nicht zu gendern. Auch wenn wir nur die männliche Form benutzen, gendern wir. Wir sagen dann halt: «Das sind nur Männer.»
Das generische Maskulinum wurde nicht eingeführt, um Frauen mitzumeinen, es wurde eingeführt, um eine Welt zu beschreiben, in der Frauen gesellschaftlich keine Rolle gespielt haben. Ich weiß nicht, wie es Ihnen geht, aber ich finde eigentlich ganz gut, dass sich das geändert hat. Es ist also ein völlig absurder Gedanke, dass sich nicht auch die Sprache ändern sollte. Wie sie sich ändert, ob die jetzige Form mit «innen» und Sternchen die beste Form ist, was praktikabel ist, woran wir uns gewöhnen können und wollen, ist ja noch eine andere Frage. Aber wir müssten uns halt erst mal darauf einigen, dass es ein Problem gibt. Und dass das Sternchen nicht das Problem ist, sondern ein unvollkommenes Werkzeug, das bei der Lösung helfen soll. Ein Problem existiert ja nicht erst, wenn alle ein Problem haben. Streng genommen existiert es schon, wenn nur eine Person ein Problem hat. Und wenn ein Großteil der Gesellschaft davon betroffen ist, sollte sich die Gesellschaft vielleicht damit beschäftigen.
Ich weiß, ein Großteil der Deutschen, auch der Frauen, lehnt geschlechtergerechte Sprache ab. Aber das bedeutet doch nicht, dass dieser Großteil nicht von der männlich geprägten Sprache betroffen ist. Sprache formt Bewusstsein, ob man das nun wichtig findet oder nicht. Es gibt Studien, die belegen, dass Menschen bei Berufsbezeichnungen in der männlichen Form viel eher an Männer denken, dass sich Mädchen eben nicht angesprochen fühlen, dass sich Frauen eher nicht auf eine männlich formulierte Stellenausschreibung bewerben.
Es ist natürlich trotzdem interessant, dass eine Mehrheit der Frauen sagt: «Mir egal, ob ich in unserer Sprache vorkomme.» 37,5 Prozent der Frauen sind auch gegen eine Frauenquote. Und ich weiß nicht, wer lustiger ist: diese Frauen oder zum Beispiel die Grünen-Politikerin Katharina Schulze, die sagt: «Ich bin stolze Quotenfrau.» Klar, Katharina, du musst dich natürlich nicht schämen, aber ist das Konzept «Stolz» nicht eines, das zumindest entfernt mit der eigenen Person zu tun haben sollte?
Und damit kommen wir zum zweiten Problem in unseren gesellschaftlichen Debatten: dass sie neu sind. Kein Mensch lässt sich gerne sagen, dass er etwas sein Leben lang falsch gemacht hat. Wir alle sind ohne Gendern aufgewachsen. Und plötzlich kommen irgendwelche Leute, gerne jüngere Frauen, und fragen: «Wieso macht ihr das eigentlich nicht?» Der Vorwurf an die Frauen, der darin mitschwingt, ist sogar noch größer als an die Männer: «Wieso habt ihr euch und uns dieses Recht nicht erkämpft?» Das ist doch supernervig! Natürlich hat darauf niemand Lust.
Wenn wir in diese Welt geboren werden, nehmen wir sie erst mal, wie sie ist. Wir lassen sie uns zeigen von Erwachsenen, die sagen: Guck mal, das Gras ist grün, der Himmel blau, Mädchen tragen Rosa, Jungs tragen die Welt. Wir sehen die Sonne und die Schwerkraft, sehen, dass Vögel fliegen und Menschen nicht, sehen uns selbst in einem großen Haus wohnen und andere in einem kleinen oder uns in einem kleinen und andere in einem großen, und wir denken, dass es so ist und dass es so sein muss.
Wir lernen die Welt in ihrem Istzustand.
Und dann werden wir älter und unser Geist weiter, und wir fragen uns: Muss es denn so sein? Wäre es anders nicht besser?
Diese Fragen stellen sich natürlich nicht alle Menschen. Meist nur die, die mit einem Zustand unzufrieden sind. Die auch fliegen wollen, zum Beispiel. Die bauen dann Flugzeuge. Wenn wir in einem großen Haus wohnen, gucken wir nicht die Leute in dem kleinen Haus an und denken: Andersherum wäre es bestimmt besser. Wieso ist die Welt so ungerecht? Wir gucken sie an und denken: Na, die haben aber auch nicht alles richtig gemacht in ihrem Leben!
Wenn wir aber in dem kleinen Haus leben, gucken wir das große Haus an und fragen uns: Wieso darf ich da nicht wohnen? Und dann gibt es zwei Möglichkeiten. Entweder, wir versuchen, nach den bestehenden Regeln zu spielen, um auch in einem großen Haus wohnen zu dürfen, wir tragen zum Beispiel als Mädchen ganz viel Rosa, um einen Jungen zu finden, der uns in ein großes Haus trägt. Oder wir sehen, dass die meisten Menschen in viel zu kleinen Häusern wohnen und nur ganz wenige in großen Häusern. Und dann hinterfragen wir das System. Dann zweifeln wir die Richtigkeit der Regeln an. Das ist ziemlich anstrengend und mühselig, deshalb tun das nicht so viele. Zugleich ist es anstrengend und mühselig, WEIL es nicht so viele tun. Denn alle haben die Welt in ihrem Istzustand gelernt. Und viele sind in ihrem eigenen Istzustand geblieben: So ist es, so war es schon immer, also muss es auch so bleiben. Das ist die einzig plausible Erklärung für jede Form von Tradition: Wir machen das, weil wir das schon immer gemacht haben. Also eigentlich: Wir machen das, weil wir das machen. Das ist doch mal eine schlüssige Argumentation.
Es gab mal ein Experiment, bei dem eine Versuchsperson in ein Wartezimmer voller Statist*innen geführt wurde, in dem alle aufstanden, sobald ein Piepton erklang. Piep, alle stehen auf und setzen sich dann wieder hin. Die Versuchsperson sah sich um, passte sich an und machte mit. Mehr noch: Sogar als alle eingeweihten Statist*innen den Raum verlassen hatten, führte die Versuchsperson das objektiv sinnlose Verhalten fort. Piep, Aufstehen, Hinsetzen. Es ist eines dieser Experimente, von denen ich wünschte, sie wären nie durchgeführt worden, weil sie mehr über den Menschen aussagen, als ich je über ihn wissen wollte.
Denn es erklärt nicht nur traurige Traditionen, es erklärt auch, wieso es oft so lange dauert, bis sich eine Mehrheit in der Gesellschaft findet, um eine Ungerechtigkeit abzuschaffen. Viele Menschen wohnen in einem kleinen Haus und denken: Das war schon immer so, also wird es schon richtig sein. Ich bin lieber so nett wie möglich zu den Leuten aus dem großen Haus, dann lassen sie mich wenigstens ab und an zu Besuch kommen.
Ernsthafte Systemkritik ist kein beliebtes Hobby, nicht mal bei denen, die vom System benachteiligt werden. Deshalb gibt es Schwarze, die Donald Trump wählen, Homosexuelle in der katholischen Kirche, Jüdinnen in der AfD. Weil … keine Ahnung, weil die Menschen alle wahnsinnig sind. Und genau deshalb gibt es auch Frauen, die gegen Feminismus sind. Weil wir alle im Patriarchat aufgewachsen sind. Wir alle haben uns unseren Platz darin gesucht. Nicht jeder Platz ist schlecht. Und selbst wenn du einen schlechten Platz erwischt hast: Um ihn zu wechseln, musst du immer noch aufstehen. Das ist anstrengend. Und viel einfacher ist es, zu denken: Ach, lasst mich doch einfach in Ruhe mit dem Scheiß.