Herr Grote,

 

Hamburger Innensenatoren, zumindest ehemalige, sind nicht für ihr gutes Gedächtnis bekannt. Deshalb möchte ich Sie, für den Fall, dass Sie ihn vergessen haben sollten, an einen Satz erinnern: «Andy, du bist so 1 Pimmel».

Das ist nur ein Zitat! Nur ein Zitat! Und es ist so eine schöne Geschichte: Das Pimmelgate. Wochenlang hat sich das Internet mit nichts anderem beschäftigt. Neuer Bundestag? Klimagipfel? Rassismus auf der Buchmesse? Alles war egal, denn: Da hatte jemand «Pimmel» gesagt! Folgendes war passiert: Sie, Herr Grote, Hamburgs Innensenator, haben mitten in der Pandemie eine fette Corona-Party gefeiert. Und dann hat Sie jemand auf Twitter mit dem männlichen Geschlechtsteil verglichen. Also mit jenem formschönen, mächtigen Ding, das Nachwuchs zeugen, Frauen und Männer beglücken und das Weltgeschehen lenken kann. Dieses freundliche Kompliment wurde in folgende poetische Worte gefasst: «Du bist so 1 Pimmel.»

Sie haben daraufhin das getan, was jeder Mensch getan hätte, der nicht mit Komplimenten umgehen kann: Sie haben Strafantrag gestellt und dafür gesorgt, dass um sechs Uhr morgens die vermeintliche Wohnung des Kommentarschreibers durchsucht wurde. Völlig normale, angemessene Reaktion. «Du sagst ‹Pimmel›, ich schicke dir sechs Beamte vorbei, die deine Kinder erschrecken!»

Aber die Geschichte hört da nicht auf! Diese Hausdurchsuchung fanden viele Leute so albern, dass die Internetgemeinde ein bisschen zu viel Spaß hatte und wenig später überall in Hamburg «Andy, du bist so 1 Pimmel»-Aufkleber zu finden waren. Es gab sogar ein Fake-Spiegelcover, auf dem stand: «Mensch Andy, sei doch nicht so steif.»

Und das war natürlich alles überhaupt nicht lustig! Und weil das alles überhaupt nicht lustig war, wurden diese Aufkleber anschließend fleißig von der Hamburger Polizei übermalt, abgekratzt oder mit der polizeilichen Berufsehre in den Gully gespült.

Und ich finde das toll. Wirklich! Endlich wurde mal etwas gegen Hass im Netz unternommen! Bis dahin war das ja eher schwierig. Ich habe zum Beispiel auch schon Leute wegen Hass im Netz angezeigt, und da gab es nie eine Hausdurchsuchung. Aber ich muss fairnesshalber zugeben: Mich hat auch nie jemand «Pimmel» genannt. Mir haben sie bloß geschrieben, man solle mich vergewaltigen oder mir den Kopf abschneiden. Das ist natürlich nicht dasselbe. Ich habe da vielleicht auch einfach ein bisschen überreagiert. Tut mir leid, ich bin da manchmal ein wenig – wie nennt man das bei uns Frauen? – hysterisch.

Aber bei Ihnen, Herr Grote … Ist doch toll, dass die Polizei da mal gezeigt hat, was sie in Bezug auf Hass im Netz leisten kann. Das Blöde ist nur, dass die Polizei jetzt gezeigt hat, was sie in Bezug auf Hass im Netz leisten kann. Täter ausfindig machen, Tatwaffe sicherstellen, Delikt ernst nehmen: Das geht! Solange das Opfer der eigene Chef ist. Und ich will ja nichts sagen, aber ich glaube, die Polizei hat sich da ein bisschen verraten. Denn jetzt wissen wir ja, dass das geht. All die Menschen, die regelmäßig im Internet rassistisch oder sexistisch beleidigt werden und deren Strafanträge immer wieder ins Leere laufen, die wissen nun: Es geht. Wenn ihnen nicht geholfen wird, dann aus dem einfachen Grund, dass sie nicht Andy Grote heißen.

Und deshalb, Herr Grote, haben Sie sich ein Gedicht verdient:

Herr Senator! Welche Ehre!

Ist das die Form, Sie anzusprechen?

Weil Sie sich sonst rechtschaffen wehren

Und mit ’ner Hausdurchsuchung rächen?

 

Ach Andy, weißt du, Hass ist schlimm

Doch and’re werden abgewimmelt

Und zeitgleich wird nun sehr bestimmt

In deinem Namen rumgepimmelt

 

Die Polizei folgt ihrem Chef

Markiert ihr Polizeirevier

Und du verteidigst nur DEIN Recht

Das find ich etwas klein von dir

 

Denn wenn du derart mächtig bist

Die Kränkung dir nichts Böses kann

Dann, ob nun Pimmel oder nicht

Kommt’s halt auf die Größe an