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immelherrgott, was habe ich mir nur dabei gedacht, ihn zu berühren? Gar nichts, Hirni!
Ja, danke, so weit ist mir das auch klar. Chase’ Worte sickern wie warmer Honig in mich hinein und vertreiben die Eiseskälte, die ich seit dem Telefonat mit Meddy in mir verspüre. Eine Kälte, die mir die Eingeweide zu einem ekelhaften Klumpen zusammenzieht. Was erwartet uns wohl noch?
Vor zwei Tagen hätte ich im Traum nicht damit gerechnet, innerhalb kürzester Zeit vor einem gewaltigen Scherbenhaufen zu stehen, der sich Familie nennt. Nichts, rein gar nichts ist von den Altvorderen der Sullivans oder dem übrig geblieben, was die jüngste Generation bis vor Jahren ausmachte. Der Zusammenhalt ist offensichtlich mit mir verschwunden. Täuschung und Betrug scheinen an der Tagesordnung zu sein. Desinteresse hat um sich gegriffen. Jeder kümmert sich nur noch um seine eigenen Belange. Bloß warum wusste ich nichts davon? Warum hat Mom nie etwas gesagt, wenn sie bei mir war? Ich nahm stets an, auf Eagle Rock ginge alles seinen gewohnten Gang. Natürlich genoss meine Mutter die monatlichen Treffen mit mir in San Francisco und ja, wir hatten uns geeinigt, das Thema Joel Sullivan zu meiden. Schließlich brauchen wir alle hin und wieder eine kleine Auszeit vom Leben.
Das war ein Fehler, wie ich nun feststelle. Einer von vielen. Wie
hätte ich ahnen können, wie schlimm es um die Sullivans wirklich steht?
Ich kann es drehen und wenden, wie ich will, schlussendlich bin ich der Letzte, der ein Anrecht darauf hätte, irgendjemandem Vorwürfe zu machen. Immerhin bin ich derjenige gewesen, der ihnen den Rücken kehrte.
Habe ich es mir damals zu leicht gemacht? Hätte ich hierbleiben sollen, allein der Familie wegen? Aber ich nahm an, Meddy würde es richten. Und das nicht, weil sie musste, sondern weil sie wollte. Tja, falsch gedacht. Ich bin mir im Moment bei gar nichts mehr sicher. Und es hat auch keinen Sinn, sich jetzt den Kopf darüber zu zerbrechen.
Eins steht zumindest fest: Meddy hatte einen triftigen Grund, den Weg einzuschlagen, den sie nun gegangen ist. Ob dieser legal und akzeptabel ist, tut im Augenblick nichts zur Sache.
Und noch etwas steht fest: Ich habe mich all die Jahre aus allem rausgehalten. Das hat jetzt ein Ende. Denn mir ist klar geworden, es steht nicht nur der Fortbestand meiner Familie auf dem Spiel, sondern ebenso das Vermächtnis vieler Generationen an Sullivans. Obendrein tragen sie als Arbeitgeber Verantwortung gegenüber ihren Angestellten. Angestellte, die zum Teil ebenfalls in der zigsten Generation Golden Dreams loyal ergeben sind. Ihre Existenzgrundlage hängt von uns ab.
Uns? Seit wann denke ich in diesen Dimensionen?
Als Chase und ich ins Esszimmer kommen, schlüpft meine Mutter durch die Küchentür herein.
»Mom, ich werde mir nachher mit Chase die Bücher ansehen. Geht das für dich in Ordnung?« Auch wenn ich kein Geschäftsmann bin, muss ich mir einen Überblick verschaffen, ob die Gerüchte um Golden Dreams der Wahrheit entsprechen. Und Chase ist mit Sicherheit eine gute Wahl, sobald ich etwas nicht verstehe oder Hintergrundinformationen benötige. Im Gegensatz zu mir begreift
er mögliche Zusammenhänge. Wie Mom sagte, verschaffte Meddy ihm hin und wieder Einblick. Und nach dem ganzen Theater und dem, was noch auf uns zukommt, ist es wohl nur fair, ihn einzubeziehen.
Die Strukturen von Golden Dreams sind für mich zwar im Moment ein Buch mit sieben Siegeln. Mir ist jedoch nicht entgangen, dass Chase Ansehen und Respekt aller Angestellten genießt. Auch wenn im Eigentlichen Enzo, sein Vater, so eine Art Vorarbeiter ist, hält Chase insgeheim die Zügel in der Hand. Ob ihm das überhaupt klar ist? Aber um auf den Punkt zu kommen, genau das ist es, was Mom in ihm sieht. Aus diesem Grund hat sie Chase ins Boot geholt. Und wenn ich das richtig einschätze, dann ist sich Enzo der Stellung seines Sohnes durchaus bewusst und stärkt ihm darin den Rücken. Jedenfalls ist mir diesbezüglich gerade heute nichts aufgefallen, was dagegensprechen würde.
Wie erwartet ernte ich Chase’ entsetzten Blick, den ich mit einem kurzen Kopfschütteln zurückweise. »Ich brauche dein Wissen.« Ich will ihn ungern vor meiner Mutter daran erinnern, was er noch vor zwei Minuten im Wohnzimmer zu mir gesagt hat. Dessen scheint er sich jedoch bewusst zu sein, denn er klappt den Mund zu und nickt ergeben.
»Natürlich, Liebling«, geht Mom nun auf meine Frage ein.
Pamela kommt herein und wuselt um uns herum. Sie serviert das Essen und wir warten schweigend, bis sie wieder in die Küche verschwindet. Die Belegschaft, einschließlich Pam, wird früh genug erfahren, was los ist. Vorausgesetzt die Gerüchte haben es nicht längst bis hierher geschafft. Wäre das jedoch der Fall, hätte Chase sicher etwas dergleichen verlauten lassen. Er macht mir nicht den Eindruck, sein Wissen für sich behalten zu können.
Die Schwingtür zur Küche gleitet hinter Pamela zu und Mom deutet auf unsere Teller. »Aber vorher werdet ihr ordentlich essen.« Sie schüttelt niedergeschlagen den Kopf und seufzt. »Entschuldigt. In Anbetracht der Umstände ist es wirklich lächerlich, dass ich euch dazu dränge und heile Welt spiele.« Sie nimmt den ersten Bissen und murmelt resigniert: »Nichts ist heil. Schon lange nicht mehr.
«
Ich würde sie gern fragen, warum sie nie mit mir gesprochen hat, greife über den Tisch und lege meine Hand auf ihren Unterarm, als Chase beruhigend auf sie einredet. »Sie machen alles richtig, Mrs. S. Sie werden sehen, es wird sich alles wieder einrenken.« Er reißt die Augen auf, als wäre er mit Anlauf in einem riesigen Fettnäpfchen gelandet. »Sch– ich meine … Na ja, das mit Ihrem Mann wird natürlich …«
»Alles gut. Ich verstehe, worauf du hinauswillst.« Mom lächelt milde und Chase wirkt sofort erleichtert. »Und nun lasst uns essen.«
Wir verschaffen uns einen Überblick im Arbeitszimmer meines Vaters und uns fällt sofort auf, dass sämtliche Unterlagen, die Finanzen betreffen, nicht vorhanden sind.
Wir finden sie schlussendlich zwischen Schuldscheinen und leeren Schmuckschatullen, als wir den Inhalt des Safes durchsehen, nachdem uns Mom den Schlüssel für das Monstrum gab. Dieser lag bisher im Nachtschrank meines Vaters, der mir mit jedem Schriftstück, das uns in die Finger fällt, rätselhafter wird.
Die Pfandbriefe und verwaisten Schmuckkästchen sind alarmierende Anzeichen. Ich kann mir nicht vorstellen, dass Mom den Familienschmuck irgendwo in ihrem Zimmer rumliegen lässt. Immerhin beläuft sich dessen Wert auf mehrere hunderttausend Dollar.
Was ist also passiert? Hat mein alter Herr ihn versetzt? Wenn ja, warum ist das meiner Mutter nicht aufgefallen? Ich weiß, dass sie ihn früher regelmäßig bei Wohltätigkeitsveranstaltungen trug. Eine Frage, die dringend geklärt werden sollte. Die Antwort lässt darauf schließen, inwieweit sie in alledem involviert ist. Andererseits, hätte sie uns sonst dermaßen unbekümmert den Safeschlüssel ausgehändigt? Und dann wäre da noch meine Schwester. Was ist mit ihr?
In den nächsten zehn Minuten knallt mir Chase haufenweise Zahlen um die Ohren. »Jetzt begreife ich, warum dein Vater sich so bereitwillig davon abbringen ließ, die Erntemaschine zu kaufen. Es
lag nicht an Meddy, das war offensichtlich nur eine Show, die sie für mich abzog. Ich kann es nicht fassen!«, brummt Chase, die Nase tief in die Unterlagen vergraben. Er blättert mit einem entsetzten Zischen auf die nächste Seite. »Schau dir das an!«
Ich beuge mich über seine Schulter. »Was soll ich da sehen?«
»Wenn die Buchhaltung stimmt – und ich gehe davon aus, das tut sie, steht Golden Dreams kurz vor der Pleite.«
»Ach du Scheiße! Wusstest du davon?«, platzt es mir unüberlegt heraus.
Chase schüttelt energisch den Kopf und blickt mich gekränkt an. »Glaubst du das ernsthaft?«
»Na ja, sei nicht sauer. Es wäre möglich, oder? Nicht, dass ich dir einen Vorwurf machen würde.«
»Meddy hat mir zwar so einiges gezeigt, zum Beispiel unsere Konditionen bei Lieferanten, aber viel mehr auch nicht. Alles andere ging mich nichts an, wie sie immer so schön zu sagen pflegte.«
»Ich begreif’s nicht. Wie konnten sie es nur so weit kommen lassen?« Ich deute auf die Dokumente. »Kennst du vielleicht den einen oder anderen Gläubiger?«
Abermals ein Kopfschütteln. »Mir sagt kein einziger Name was. Außer … Schau mal hier. Dieser kommt mir durchaus bekannt vor.«
Ich lege ein weiteres Mal meine Hand auf Chase’ Schulter und er blickt sofort zu mir auf. Dumme Idee. Ich ziehe mich zurück und ignoriere mein Bedürfnis, ihn erneut zu berühren. »Welchen meinst du?«
»Sieh genau hin.« Er zeigt auf den Berg Pfandbriefe.
Weit über ihn gebeugt mustere ich einen kleinen gelben Zettel, der mit einer Büroklammer an einem der Schuldscheine befestigt ist. »Roland Banks«, lese ich laut vor. Dort ist nur der Name notiert. Und wenn ich richtigliege, handelt es sich um die Handschrift meines Vaters. »Er kannte Banks«, folgere ich. »Was spielt der Kerl für eine Rolle? Und warum macht es den Anschein, als würde Meddy geheime Abmachungen mit ihm treffen?«
»Stimmt, das ist seltsam.«
Ich richte mich wieder auf. »Also gut, ich denke, wir kommen
nicht wirklich weiter, ohne dass wir ins Spekulieren verfallen. Aber fürs Erste haben wir schon mal rausgefunden, dass hier gewaltig was im Argen liegt. Was genau das ist, muss uns nun Meddy erklären. Lass uns runtergehen und einen Kaffee trinken, während wir auf sie warten. Mir brummt der Schädel von zu vielen Zahlen und all dem Mist, der sich da vor uns ausbreitet.« Ich werfe einen Blick auf die Uhr. »Sie müsste jeden Moment ankommen. Ich hoffe, sie kann ein wenig Licht ins Dunkel bringen.«
»Dir brummt der Schädel von zu vielen Zahlen?«, wiederholt Chase lachend. »Dabei bist du doch derjenige, der mit Bravour sein Studium absolviert hat.«
Ich halte erstaunt inne. »Woher willst du das denn wissen?«
Er zuckt ertappt zusammen und winkt dann ab. »Na ja, ich lebe hier, wie du dich vielleicht erinnerst. Da lässt es sich nicht vermeiden, über Familienangehörige Bescheid zu wissen. Deine Mutter hat schon immer große Stücke auf dich gehalten. Dein Vater hat zwar nie ein Sterbenswörtchen über dich fallen lassen, aber Mrs. S war da nicht so zurückhaltend. Zumindest nicht, wenn sie wusste, dass ihr Mann außer Hörweite war.«
»Deine Eltern sind sicher auch stolz auf dich, Chase«, halte ich dagegen, trotz meines Erstaunens, was seinen Wissensstand über meine Person betrifft. »Und du solltest es genauso sein. Immerhin hast du hier eine wichtige Position inne.«
»Mag sein.«
»Du glaubst es nicht?« Wie kann er nur so blind sein? Nein, blind ist der falsche Ausdruck. Er ist bescheiden und mag nicht im Rampenlicht stehen. Meine Güte, das macht ihn noch viel anziehender, als er eh schon ist.
Chase zuckt beiläufig die Achseln. »Es ist okay, falls du das meinst. Hätte ich es mir allerdings aussuchen können, wäre mein Leben sicher anders verlaufen. Vielleicht wäre ich dann nicht mehr hier, sondern irgendwo in Europa. Frankreich, Belgien oder Deutschland zum Beispiel. Dort gibt es wundervolle Weinregionen und uraltes Wissen, das über die Jahrhunderte allmählich verloren geht und wert ist, bewahrt zu werden. Aber hey, ich will mich nicht
beschweren. Wie du sagst, ich habe einen tollen Job. Und das ist, was zählt, richtig?«
Er will den Anschein von Zufriedenheit erwecken, wirkt stattdessen desillusioniert auf mich. Daher kann ich nicht anders, als ihm gut zuzureden. »Entschuldige, ich weiß, eigentlich sollte ich nichts sagen. Wenn meine Mutter davon erfährt, wird sie mich killen. Dass dir die Möglichkeit eines Studiums verwehrt blieb, tut mir wirklich leid. Aber du musst wissen, dass es nicht immer das Nonplusultra ist.«
Ein harsches Lachen. »Sagt der Kinderarzt aus San Francisco, der seinen Abschluss mit Bestnoten hingelegt hat und Assistenzarztstellen nur so hinterhergeworfen bekam.«
Er ist tatsächlich ziemlich gut informiert, was mich angeht. Erstaunlich. »Richtig. Nur dass ich ohne Studium niemals einer hätte werden können. Du dagegen hast dir all dein Wissen in Eigeninitiative erworben und könntest garantiert jedem Önologen das Wasser reichen. Das, Chase, ist in meinen Augen absolut bewundernswert.«
Verlegen wendet er den Blick ab und nuschelt: »Wie auch immer.«
Ich beobachte Chase eine Sekunde dabei, wie er eifrig die Dokumente sortiert und akzeptiere, dass für ihn das Thema erledigt ist. Fürs Erste, denke ich. Denn ich meinte es ernst, als ich sagte, er kann stolz auf sich sein. Und ich habe vor, ihn davon zu überzeugen. Wie? Das weiß ich noch nicht. Aber so wie es aussieht, werde ich wohl eine Weile hierbleiben. Neben der Gedenkfeier und Beisetzung meines Vaters, wovor es mir jetzt schon graut, und all dem Chaos, das der Klärung bedarf, nehme ich mir die Zeit, um Chase meine Sichtweise auf ihn klarzumachen.
Zuvor müssen wir uns jedoch auf das vordringlichste Problem konzentrieren, das wir wiederum erst angehen können, wenn Meddy endlich ihren dürren Hintern hierher verfrachtet hat.
Obendrein lässt mich seit der Sichtung des Safes ein Gedanke nicht mehr los. Welche Rolle nimmt Mom bei alldem ein? Wusste sie
Bescheid? Und wenn nicht, ahnte sie womöglich etwas und verschloss die Augen vor den harten Fakten?
»Das hört sich jetzt für dich vielleicht seltsam an. Aber weißt du, welche Aufgaben meine Mutter hier genau übernommen hat? Also mir ist klar, dass sie die Hausherrin ist, diverse Wohltätigkeitsveranstaltungen gab und auch besuchte, sozusagen die Familie nach außen repräsentierte. Sie hat mir von ihren ehrenamtlichen Tätigkeiten erzählt. Allen voran ihre Arbeit für die LGBTQ-Connection. Nur inwieweit wurde sie in die Geschäfte von Golden Dreams einbezogen?«
Chase nimmt den Stapel Bücher und räumt ihn zurück in den Safe. »Soweit ich weiß, hat sie sich aus allem rausgehalten. Ob sie über die Finanzen Bescheid wusste, kann ich dir ehrlich nicht sagen. Das musst du sie fragen. Allerdings glaube ich nicht, dass sie diese Situation stillschweigend hingenommen hätte.«
»Hm, du hast recht, ich sollte sie fragen.«
Die schwere gepanzerte Stahltür, von außen mit antiken Verzierungen, fällt langsam zu und Chase verriegelt den Safe mit dem riesigen Schlüssel. Das Ungetüm steht seit Generationen in diesem Zimmer, das wohl damals schon das Büro beherbergte. Ich glaube, er wurde irgendwann Ende des 19. Jahrhunderts angeschafft. Seitdem hat sich das Teil bestimmt nicht vom Fleck bewegt. Wie auch, es wiegt sicher eine Tonne.
Wir verlassen das Arbeitszimmer und ziehen die Tür hinter uns ins Schloss, als unten im Empfang ein heftiger Tumult losbricht. Zumindest klingt es für unsere männlichen Ohren so, wenn drei aufgeregte Weibsbilder versuchen, sich gegenseitig zu übertönen.
Ich werfe Chase einen Blick zu. »Auf in den Kampf.«
»Soll ich mich nicht doch besser fürs Erste zurückziehen?«
Bevor er das Weite sucht und mich vielleicht wirklich der aufgebrachten Meute da unten ausliefert, packe ich ihn reflexartig am Arm. »Nein, nein. Das tust du mir nicht an.« Ich klinge beinahe panisch.
Ein unterdrücktes Lächeln huscht über Chase’ Miene und er flüstert beschwichtigend: »Es sind nur Meddy und deine Mutter.
«
»Du hast Pam vergessen.«
Wir stehen oben im Flur vor dem Büro, können zwar alles hören, was unten geschieht, befinden uns selbst aber im Halbdunkel und vor jeglichen Augen verborgen. Unsere Blicke treffen sich. Erst eine Sekunde, dann zwei. Es folgt eine weitere und Chase entzieht sich mir nicht, wie man es bei einem Hetero-Kerl erwarten würde. Er tritt nicht zurück, um sich aus meinem Griff zu lösen, noch wendet er den Blick ab, der wie meiner viel zu eindringlich ist, um als unverfänglich durchzugehen. Ist es möglich, dass …?
Die Versuchung ist groß. Wie gern würde ich die Situation für mich ausnutzen. Nur, um eine Bestätigung zu erhalten. Scheiß drauf! Ich ziehe Chase näher zu mir. Er lässt es geschehen, während er gebannt und fast schon hungrig auf meinen Mund sieht, als würde er sich gleich draufstürzen wollen. Ich lehne mich vor und flüstere ihm ins Ohr: »Wirst du mich beschützen?«
Ich spüre unter meinen Fingern, wie ein Schauder durch Chase wogt und eine Gänsehaut auf seinem Arm hinterlässt. Im nächsten Moment liegt seine Hand auf meiner. Sie verharrt nur eine Sekunde, dann packt er mein Handgelenk und schiebt es von sich. »Ich glaube, das kannst du sehr gut allein.«
Daraufhin lässt er mich stehen und steigt die Treppe hinunter, bis er auf der vorletzten Stufe stoppt und zu mir hinaufsieht. Die Zeit, die er brauchte, um unten anzukommen, hielt ich die Luft an – warum auch immer. Aber als er mich nun angrinst, entweicht sie mir und ich kann plötzlich wieder atmen. Er ist nicht sauer. Gott sei Dank. Ich folge ihm, während mir eine Frage durch den Kopf geht: Seit wann bin ich so unvernünftig?