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- Chase -
» C hase, warte bitte«, ruft mir Meddy atemlos hinterher, als ich schon fast an der Kelterei bin. Ich war dermaßen in Gedanken, dass ich sie gar nicht bemerkt habe.
Ich werde automatisch langsamer und blicke zu ihr zurück. »Was ist?«
Sie schließt zu mir auf und keucht, vorgebeugt und die Hände auf die Knie gestützt. »Verdammt, hast du einen Schritt drauf. Ich wollte nur …«
»Kann das noch ein wenig warten?«, falle ich ihr sofort ins Wort. Mir ist klar, was sie will. Nur fehlt mir jetzt einfach die Zeit, mich mit ihrem schlechten Gewissen auseinanderzusetzen. Und ich habe wirklich keine große Lust, ihr zu erklären, wie es dazu kam, dass ich ihr Gespräch mit Banks belauscht habe – so ungewollt es auch gewesen war.
Ein irritierter Ausdruck huscht über ihr Gesicht, bevor sie verstehend, aber sichtlich widerwillig einknickt. »Okay, dann später. Lass uns zu Enzo gehen und schauen, ob wir ihm irgendwie helfen können.«
Ich nicke und rufe durch das weit geöffnete Tor: »Dad? Bist du hier?«
Mein Vater eilt uns mit hochrotem Kopf entgegen. Als er Meddy an meiner Seite sieht, bremst er unwillkürlich ab und bedenkt mich mit einem anklagenden Blick. Ich zucke mit den Achseln. »Glaub mir, es war nicht zu vermeiden. Und es ist auch gut, dass sie es erfahren haben. Denn wenn alles klappt, bekommen wir heute noch Hilfe.«
Dad staunt nicht schlecht. »Oh, das wäre ja toll. Wie habt ihr das angestellt?«
Meddy hakt sich bei meinem Vater unter und erklärt ihm Peters Idee. Unbedingt überzeugt wirkt Dad zwar nicht, aber es beruhigt ihn fürs Erste. Allerdings entgeht mir nicht, wie überrascht Dad reagiert, als Meddy derartig herzlich mit ihm umgeht. Ich bin selbst baff.
Einer der verbliebenen Arbeiter lenkt gerade eine Fuhre Weintrauben zur Abbeermaschine, als mein Handy klingelt.
»Romero«, melde ich mich. Da ich nebenher die leeren Behälter zur Seite räume, habe ich erst gar nicht aufs Display geschaut.
»Chase, ich bin’s.« Peter.
»Und? Was sagt deine Mutter?«
»In der nächsten halben Stunde sollten an die zwanzig Helfer bei euch eintreffen.«
Ich halte mitten in der Bewegung inne. »Zwanzig?!« Ich hatte nicht mal mit fünf gerechnet. Aber zwanzig, das wäre klasse.
»Ja, Judith hat eben zurückgerufen. Die Leute von der Mall-Aktion sind auf dem Weg und sie konnte noch ein paar andere zusammentrommeln. Ich weiß natürlich nicht, inwieweit sie euch von Nutzen sind.«
»Wenn sie sich nicht völlig vertrottelt anstellen, sollten sie nach Dads ausführlicher Einweisung klarkommen. Es ist wirklich nicht so schwer, Trauben zu pflücken, Peter.« Die Anspannung fällt von mir ab und ich kann mich nicht davon abhalten, ihn ein wenig aufzuziehen.
»Ach, tatsächlich?«, geht Peter auf meine Neckerei ein, ehe er wieder ernst wird. »Ich telefoniere fix mit William, dann komme ich zu euch rüber.«
»Scheint ja ein richtig guter Freund zu sein, wenn er alles stehen und liegen lässt, nur weil du ihn rufst.« Die Worte sind raus und ich rümpfe unwillkürlich die Nase und verziehe den Mund. Mist, das klang eindeutig eifersüchtig.
»Höre ich da etwa …?«
»Nein!«
Peter lacht. »Wie sieht’s aus, bekomme ich eine persönliche Einweisung … von dir
»Wenn du die Arbeit an den Rebstöcken meinst, von mir aus.«
»Was sollte ich sonst meinen, hm?« Seine Stimme ist leise und viel zu sinnlich.
Ich blicke mich schnell um und suche mir ein stilles Fleckchen, ehe ich antworte: »Kommt drauf an, was du noch vorhast.«
»Hm, lass mich kurz nachdenken.«
Ein Lächeln schleicht sich in mein Gesicht, als ich darauf warte, dass Peter weiterredet.
»Was hältst du davon, wenn wir das heute Abend besprechen – bei dir?«
Oh verdammt, ja, würde ich gern herausposaunen. Aber das hört sich für meine Begriffe zu sehnsüchtig an. Also erwidere ich total gelassen: »In Ordnung. Dann kannst du mir auch gleich von William erzählen.« Okay, gelassen klingt anders.
Erneut ein Lachen. »Wenn dir nichts Besseres einfällt.«
»Lass dich überraschen. Und jetzt beweg deinen knackigen Hintern. Wir können jedes Paar Hände gebrauchen.«
»Na, wenn das mal keine Einladung ist, dann weiß ich auch nicht.«
»Chase, gottverdammt, Junge, wo steckst du?!« Dad.
»Ich muss!«, flüstere ich.
»Ja, ich hab’s gehört. Also bis gleich.«
Es ist kurz vor sechs Uhr abends, als wir die letzte Fuhre des Tages in die Kelterei fahren. Ich muss gestehen, die Helfer, die uns Judith geschickt hat, sind durch die Bank absolut fähig und der Tag verlief sogar ziemlich lustig, wenn man bedenkt, mit was wir uns gerade herumschlagen. Pam, Mrs. S und Meddy sorgten für das leibliche Wohl aller und irgendwie schuf das eine Zusammengehörigkeit, die es so in all den Jahren, die ich hier schon arbeite, nicht gegeben hat. Es ist nicht so, als hätte ich vergessen oder verdrängt, was dazu geführt hat. Keiner von uns weiß, wie es mit Golden Dreams weitergeht. Die finanziellen Probleme sind nicht einfach so verschwunden und werden sicher auch nicht so leicht behoben werden können. Und allein darüber nachzudenken, Mr. Sullivan könnte eines unnatürlichen Todes gestorben sein – Mord will mir nicht so richtig in den Kopf, klingt erschreckend –, macht die Sache nicht unbedingt besser.
Dennoch war der Tag … Wie soll ich das erklären? Es kommt mir vor, als hätte da oben jemand ein Einsehen und würde uns eine kurze Verschnaufpause gönnen, ehe das nächste Übel um die Ecke stolziert. Denn was mit Banks ist, steht in den Sternen. Sind sie ihm auf der Spur? Ist er noch auf freiem Fuß? Fragen, die ich vielleicht hätte Vega stellen sollen. Aber ich war so durch den Wind, dass ich keinen klaren Gedanken fassen konnte. Abwarten. Eventuell hat ja Peter Neuigkeiten.
Was ihn anbelangt … Tja, zum Glück teilte Dad Peter in eine Gruppe ein, die am anderen Ende der Weinberge arbeitete. Es kam also nicht zu einer persönlichen Einweisung. Als hätte Dad geahnt, was zwischen uns vorgeht. Nicht dass er ein Problem damit haben würde. Meine Eltern wissen seit Jahren, dass ich schwul bin. Und über Peter wird er sich keine Gedanken machen, weil es ihn seiner Meinung nach nichts angeht. Keine Ahnung, vielleicht hat er sich auch gar nichts dabei gedacht. Egal. Zumindest konnte ich mich so auf das Wesentliche konzentrieren, ohne durch seine Anwesenheit permanent an die vergangene Nacht erinnert zu werden. Und ich habe nicht die ganze Zeit daran gedacht, dass er heute Abend wieder bei mir ist. Verflixt und zugenäht, das ist eine glatte Lüge. Ich kann an überhaupt nichts anderes denken.
Nachdem wir die letzten Handgriffe erledigt haben, verabschiede ich mich von Dad, der sich eben mit den Freiwilligen für den nächsten Tag verabredet. Auf dem Weg zu meinem Auto fällt mir brühwarm ein, dass das ja noch vor meiner Haustür steht. Scheiße!
Ich fische gerade mein Handy heraus, um Peter anzurufen, als ich seinen Wagen herannahen sehe. Er gibt kurz Gas und legt beinahe eine Vollbremsung auf meiner Höhe hin, sodass ich instinktiv zur Seite springe.
»Bist du irre?!«, mosere ich, während er sich auf den Ellenbogen gelehnt hinausbeugt und frech fragt: »Suchen Sie zufällig eine Mitfahrgelegenheit, Mr. Romero?«
»Jetzt, wo Sie es erwähnen, Mr. Sullivan«, kontere ich, als ich auf dem Beifahrersitz Platz nehme und mich anschnalle. Ich schaue zu ihm auf, will ihn fragen, ob wir uns vielleicht am Drive-in etwas zu futtern holen wollen, und erstarre. Sein Blick ruht sehnsuchtsvoll auf mir, als wollte er sich jede Sekunde rüberbeugen und mich küssen.
Reflexartig prüfe ich die Umgebung. Wir sind allein. Dad scheint die Helferlein noch zu beschäftigen.
»Angst, uns würde jemand sehen?«, flüstert Peter.
Seine Frage versetzt mir einen Stich mitten ins Herz, denn er hat recht. »Sorry. Es ist nur …«
»Versteh schon!« Er klingt verletzt. Das hatte ich nicht beabsichtigt. Peter gibt Gas und starrt stur geradeaus.
»Scheiße! Denkst du ernsthaft, ich würde mich schämen?«
»Machte den Anschein.«
»Mir ist egal, ob mich jemand mit einem Mann knutschen sieht. Aber du bist nicht irgendein Mann, verstehst du?«
Er wirft mir einen schnellen Blick zu, ehe wir auf die Zufahrtsstraße in Richtung St. Helena fahren. »Bin ich nicht?«
Meint er die Frage ernst? »Schon vergessen, dass du der Sohn vom Boss bist?«
»Wie könnte ich.«
Schweigen legt sich wie eine bleischwere Decke über uns.
Ich kann das so nicht im Raum stehen lassen. »Peter, machen wir uns nichts vor. Ich meine, die Umstände sind nicht super und doch genieße ich die gemeinsame Zeit mit dir. Aber die trägt nun mal ein Ablaufdatum. Du gehst irgendwann zurück nach San Francisco. Ich nicht. Mit viel Glück liegt hier meine Zukunft und ich kann auch weiterhin für Golden Dreams arbeiten. Glaubst du nicht, die Leute würden sich das Maul darüber zerreißen, wenn sie mitbekämen, dass wir beide was am Laufen haben?«
Erneutes Schweigen, das sich schmerzhaft in die Länge zieht.
Ich bin kurz davor, Peter zu bitten, mich einfach vor meiner Haustür abzusetzen, als er leise erwidert: »Wie ich heute früh bereits sagte, ein Problem nach dem anderen.«
Was soll das denn jetzt bedeuten?