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achdem ich Dad beim Abladen geholfen habe, sprachen wir uns ab, wie wir die Erntehelfer am Nachmittag einteilen. Anschließend halfen wir kurz an der Abfüllanlage aus. Dort erschienen heute früh ebenfalls zwei Leute nicht zur Arbeit. Es wird Zeit, dass die Gerüchte ein Ende nehmen, sonst sind Dad und ich die Einzigen, die noch übrig sind.
Als ich wieder in den Kleinlaster einsteigen will, um zurück auf den Berg zu fahren, brummt mein Handy in der Knietasche. Ich hole es hervor, setze mich ins Fahrerhaus und schließe die Tür in der Hoffnung, Peter wäre der Anrufer und ich könnte ohne Mithörer telefonieren. Meine Hoffnung erfüllt sich in dem Moment, als ich seine Stimme höre.
»Hey, bist du schon auf dem Weg?« Er klingt niedergeschlagen.
»Nein. Was ist passiert?«
»Ich schwöre, ich würde es dir erzählen, wenn ich nur die Zeit dazu hätte.«
Mein kleines naives Herz macht einen freudigen Satz, als mir ein anderer Grund seines Anrufs in den Sinn kommt. »Warum rufst du dann an?«, erkundige ich mich vorsichtig.
»Ich wollte deine Stimme hören.
«
Seine prompte, sehnsüchtige und ehrliche Antwort stellt etwas mit mir an, das mir den Atem raubt.
»So schlimm?«, frage ich leise.
»Schlimmer. Sag, dass ich heute Abend zu dir kommen kann.«
Trotzdem er so down klingt, muss ich lächeln. »Ich dachte, das war klar, nachdem ich dich vorhin in den Weinkeller verschleppen wollte.«
Peter schnaubt. »Ja, das hätte mir eigentlich was sagen sollen. Aber ich muss gestehen, deine Couch gefällt mir besser.«
»Dann komm, sobald du kannst … bitte.«
»Versprochen. Hör mal …«
»Hm?«, hauche ich, das Handy fest an mein Ohr gepresst. Als würde mich das Peter näherbringen.
»Danke.«
Ein einzelnes geflüstertes Wort, das wie ein zärtliches Streicheln ein warmes, kribbelndes Gefühl in mir auslöst. Und ich kann nicht anders, als ebenfalls zu raunen. »Jederzeit.«
Daraufhin bricht die Verbindung ab und ich starre auf das Display, als könnte ich Peter rein durch Telepathie dazu bringen, erneut anzurufen.
Natürlich mache ich mir Sorgen und will unbedingt wissen, was jetzt wieder auf Eagle Rock vorgeht. Aber ich muss mich gedulden. Und was lenkt besser ab als ein Berg Arbeit, der vor einem liegt? Im wahrsten Sinne des Wortes.
Auf dem Weg nach Hause kehre ich im Supermarkt ein, um meinen verwaisten Kühlschrank aufzufüllen. Ich habe keinen Schimmer, wann Peter kommt. Andererseits bin ich mir absolut sicher, dass
er kommt. Woher ich meine Weisheit nehme? Keine Ahnung. Ist so ein Bauchgefühl. Wobei das ja nicht immer zu funktionieren scheint, wie der gestrige Abend beweist.
Mit zwei gut gefüllten Tüten kehre ich heim und bin gerade am Einräumen, als es an der Tür klingelt
.
Beflügelt von meiner Vorfreude, Peter zu sehen, lasse ich alles stehen und liegen und hechte zur Wohnungstür.
Als ich diese öffne, entgleisen mir um ein Haar die Gesichtszüge. Denn vor mir steht William. Ich trete zurück und deute auf den Flur. »Komm rein. Mir war gar nicht klar, dass du weißt, wo ich wohne.«
William lächelt verlegen. »Pam war so frei. Sei aber nicht sauer mit ihr.«
Ich schließe die Tür und gehe voran ins Wohnzimmer. »Sie wird ihre Gründe haben, wenn sie das macht. Setz dich doch. Ich muss nur eben die Einkäufe verstauen.«
»Danke.«
»Also, was treibt dich zu mir?«
»Ich benötige noch einige Informationen zu Golden Dreams. Natürlich hätte ich auch deinen Vater interviewen können, aber ich mag dich und denke, mit dir wird es witziger.«
Vorgebeugt, da ich die Milchbehälter in den Kühlschrank stellen will, blicke ich über die Theke. »Wolltest du nicht die Sullivan-Ladys ausquetschen?«
William schnaubt und winkt ab. »Die zwei hatten nicht wirklich den Kopf dafür, glaub mir. Aber das wird dir sicher Peter berichten, sobald er hier ist.«
»Woher …?«
Er grinst. »Keine Bange, ich habe keinerlei schlüpfrigen Einzelheiten erfahren. Peter kann bei so was extrem zugeknöpft sein – zu meinem Leidwesen. Allerdings deutete er vorhin an, er würde heute noch zu dir fahren.«
»Mhm.«
»Also, hast du einen Moment Zeit für mich?«
»Leg los. Ich kann zuhören und aufräumen gleichzeitig.«
William lacht. »Wow, ein Multitalent. Ich sag’s ja, die Besten sind immer vergeben.«
»Ich bin nicht …«
»Ach, du armer, ahnungsloser Tropf.«
»Stell deine Fragen, bevor ich es mir anders überlege.«
Keine zehn Minuten später klappt er sein Notizbuch zu und
lehnt sich zufrieden zurück. »Ich mache jetzt noch einen Abstecher bei … Wie hieß sie gleich? Judith?«
»Keine Ahnung. Von wem sprichst du?«
»Na, von der Dame, die euch die Aushilfen organisiert hat. Du weißt schon … LGBTQ-Connection?«
»Boah, da fragst du was. Ich habe sie noch nicht persönlich kennengelernt. Und wenn ich mich nicht irre, hat Peter mir gegenüber ihren Namen nicht erwähnt.«
»Ist ja auch egal. Jedenfalls statte ich ihr anschließend einen Besuch ab und mache mich dann auf den Heimweg.«
»Heute noch? Ich hatte angenommen, da du schon mal hier bist, würdest du vielleicht etwas Zeit mit Peter verbringen wollen.« Warum kann ich nicht einfach meine Klappe halten? Ich weiß doch, dass Peter jeden Moment vor meiner Tür steht.
William verzieht das Gesicht. »Ähm, dir ist klar, dass du gerade Bullshit quatschst, oder?«
»Vergiss, was ich gesagt habe.«
Mit einem gequälten Stöhnen stemmt er sich von der Couch hoch. »Danke noch mal für deine Zeit. Ich werd dann mal.«
Ich folge ihm in den Flur, wo er mit der Hand auf der Klinke vor der Tür stehen bleibt und mich eindringlich ansieht.
»Was ist?«
»Tust du mir einen Gefallen?«
»Kommt drauf an.«
»Hab ein Auge auf Peter.«
»Okay. Gibt es einen besonderen Grund, warum du mich darum bittest?«
»Hat es, aber den erkläre ich dir irgendwann einmal.« Wie auf dem Weinberg wechselt auch jetzt seine Miene innerhalb eines Wimpernschlags von entschlossen zu spielerisch herausfordernd und er zwinkert mich an. »Du weißt schon, bei einem Kaffee vielleicht?«
Ich tätschle William die Schulter und schiebe ihn in bühnenreifer Entrüstung vor die Tür. »Mr. Powell, Sie treiben da ein gefährliches Spiel.
«
Er lacht und wirkt so unbekümmert, wie ich ihn heute Nachmittag kennengelernt habe. »Ich liebe die Gefahr. Man sieht sich, rosaroter Elefant!« Daraufhin tippt er sich zum Abschied an die Stirn und tänzelt lachend zu seinem Auto.
Zurück im Wohnzimmer grübele ich, was ich von William halten soll. Er ist so widersprüchlich. Einerseits wie ein pubertierender Teenager, den Kopf voller Dummheiten. Andererseits ernsthaft und absolut fokussiert. Und wenn es um Peter geht, wirkt er zuweilen wie ein Beschützer. Nicht wie ein großer Bruder. Auch nicht wie ein Mann, der sich zu Peter hingezogen fühlt, oder was verheerender wäre, unerwiderte Liebe in sich trägt. Ich kann einfach nicht den Finger drauflegen, was außer Freundschaft, Peter und William noch verbindet. Ich könnte schwören, dahinter steckt eine interessante Geschichte. Und vielleicht …
Abermals ein Klingeln. Mein Blick wandert prüfend durch den Raum, ehe ich im Schnellschritt zur Tür eile, sie öffne und frage: »Hast du was vergessen?«
Diesmal steht der Mann davor, mit dem ich bereits vorhin gerechnet hatte.
»Nicht dass ich wüsste«, erwidert Peter verwirrt.
Ich blicke an ihm vorbei. Williams Auto ist verschwunden.
»Hast du wen anderes erwartet? Und darf ich dennoch reinkommen?«
»Was? Oh …« Ich trete zurück und zucke beiläufig mit den Schultern. »Ich dachte, du wärst William.«
»Wieso?«, will Peter barsch wissen, ehe er herumwirbelt, als würde er nach seinem Freund suchen.
»Er war bis eben hier.«
»Ach, war er das, hm?«, murmelt dieser hinreißende Mann zähneknirschend.
Ich grinse in mich hinein. Irgendwie ist es süß, dass Peter eifersüchtig ist. Und das ist er definitiv.
»Hast du ein Problem damit?«, ziehe ich ihn gnadenlos auf.
Ein verräterisches Funkeln liegt in Peters Augen.
Bei Gott, wenn ich nicht sofort seine Lippen auf meinen spüre … Wä
hrend ich das denke, packe ich ihn am Shirt und zerre ihn in die Wohnung, um hinter ihm die Tür ins Schloss fallen zu lassen und ihn gegen die nächstbeste Wand zu drücken. Innerhalb eines Atemzugs liegen wir uns in den Armen und unsere Zungen nehmen ihren erotischen Tanz von vor zwei Tagen wieder auf, so als wäre in der Zwischenzeit überhaupt nichts passiert.
Meine Hände umfassen wie von selbst sein Gesicht, während seine um meinen Körper gleiten, sich auf meinen Rücken legen und mich an seinen Leib pressen. Mit geschlossenen Augen lehne ich meine Stirn gegen seine und genieße die Nähe. Es fühlt sich einfach perfekt an.
Ohne auch nur einen Gedanken daran zu verschwenden, ob es ratsam ist oder nicht, murmle ich: »Hab dich vermisst.«
Ich öffne die Augen und ein glückliches Lächeln breitet sich auf Peters Gesicht aus. »Dito.«
Schwer atmend gehe ich auf Abstand. Seine Hände fallen an seine Seiten und er schaut mich an, als hätte ich ihm den Lolli geklaut.
Ich umfasse sein rechtes Handgelenk, drücke ihm einen festen Kuss auf den Mund und ziehe ihn anschließend hinter mir her ins Wohnzimmer. »Wein?«
»Was?«, stammelt Peter und klingt, als stände er komplett neben sich. Nicht wegen der Probleme, die sich in den letzten Tagen zu ballen scheinen, sondern wegen mir. Und das … Tja, das macht mich tierisch an.
»Weißwein oder Rotwein?«, frage ich, ehe ich einen willenlosen Peter zur Couch dirigiere.
Fragezeichen ploppen über seinem Kopf auf. Er sieht anbetungswürdig verwirrt aus. Und hätten wir nicht etwas zu bereden, würde mich nichts in der Welt davon abhalten, über ihn herzufallen.
Ich mustere ihn und entscheide: »Eindeutig Weißweintyp.«
»Du fragst mich jetzt wirklich, was ich trinken will? Das ist nicht dein Ernst. Schieb deinen Hintern hier rüber und küss mich gefälligst.
«
Ah, da scheint jemand seinen Verstand wiedergefunden zu haben. »Du hast ja keine Ahnung, wie sehr ich das will.«
Er fährt sich unwirsch über das Gesicht und brummt: »Und was zum Henker hält dich davon ab?«
»Wir müssen reden«, platze ich heraus und mir wird schlagartig klar, wie sich das für Peter anhören muss. ›Wir müssen reden‹
sind wohl ebenso wohlbekannte drei Wörter wie ›Ich liebe dich‹
. Mit dem kleinen Unterschied, dass Letzteres im Gegensatz zum Ersten im optimalen Fall Begeisterungsstürme auslöst.
Wie befürchtet weiten sich prompt Peters Augen und er fragt geschockt: »Sagtest du eben nicht, du hättest mich vermisst?«
Was glaubt er, worum es mir geht? »Habe ich. Denkst du, ich zerre dich in den Flur, küsse dich, um dir dann zu sagen, du sollst Leine ziehen?«
»Wer weiß«, nuschelt Peter unglücklich.
Ich starre ihn fassungslos an. Hätte ich doch niemals angenommen, dass ein Peter Sullivan dermaßen verunsichert sein könnte. Kann es sein, dass ich ihn immer noch zu dem Helden aus Kindertagen idealisiere? Gott, bin ich dumm. Er ist ein Mensch aus Fleisch und Blut, warum sollte er dann nicht auch wie einer reagieren? Ich setze mich zu ihm und umfasse seine Hände. »Wenn wir jetzt nicht reden, wird garantiert wieder irgendwas dazwischenkommen.« Und sollte es nur meine Libido sein, die regelmäßig verrücktspielt, sobald Peter in der Nähe ist.
Er sinkt stöhnend in die Polster. »Womit wohl zu rechnen ist bei dem Chaos, das um uns herum herrscht. Und es gibt ehrlich gesagt einiges zu erzählen, selbst wenn mir im Moment nicht danach ist. Aber ich habe dich bereits beim letzten Mal ausgebremst.« Er blickt mich an und lächelt müde. »Muss es Wein sein?«
Ich reiße geschockt die Augen auf. »Kein Wein?!« Ich werfe die Hände in die Luft und stehe auf. »Und dass von jemandem, der einer Weindynastie entstammt. Ich fasse es nicht.«
»Hey, ich kann nichts für meine Herkunft. Bier ist mir eben lieber.«
»San Francisco hat dich verdorben.«