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- Chase -
E s ist Samstagmorgen und ich bin gerade auf dem Weg ins Haupthaus, um den Investoren eine Führung über Pine Valley zu geben, als mein Handy summt.
»Guten Morgen. Du bist früh dran.«
»Morgääähn«, brummt mir Peter ins Ohr. »Ich will gleich zu Henry. Hoffentlich kann er heute entlassen werden. Es hatte ihn doch ziemlich erwischt. Am Ende kam die Kotzerei dazu und ich hegte die Befürchtung, er würde daheim zu sehr dehydrieren. Aber warum erzähle ich dir das? Das weißt du ja schon. Hab ich dir überhaupt gesagt, wie leid es mir tut, dass ich noch nicht zurück bin?«
Ich grinse. »Lass mich überlegen. So an die hundert Mal vielleicht? Ja, ich denke, das könnte hinkommen. Ernsthaft, Peter, mach dir keine Gedanken. Hier läuft alles den Umständen entsprechend. Mehr als das, es läuft eigentlich ausgesprochen gut. Deine Ladys opfern sich regelrecht auf. Pam ist voll in ihrem Element. Und deine Mutter hatte recht. Die vier sind wirklich nett. Sogar tiefenentspannt, wenn man bedenkt, was sie sich für die nächsten Monate vorgenommen haben.«
Sie waren kaum angekommen, erzählten sie schon von ihren Plänen, New York hinter sich zu lassen und hier neu anzufangen, um den Ruhestand zu genießen. Jedoch können sie nicht ohne eine Herausforderung, weshalb sie die Idee, in ein Weingut zu investieren, grandios fänden. Maggies Freundin Valarie muss ganze Arbeit geleistet haben. Die Pärchen sind schätzungsweise Mitte, Ende fünfzig. Und scheinen vom Big Apple die Nase voll zu haben. Sie haben sich gestern sogar schon über Grundstücke und Häuser in der Gegend erkundigt. Auch wenn ich selbst nicht zu Spontanitätsausbrüchen neige, bewundere ich Menschen, die lebensverändernde Entscheidungen innerhalb kürzester Zeit fällen und dann ihre Ziele absolut strukturiert erreichen. Hochachtung. Aber gut, wer Jahrzehnte sein Geld an der Börse machte …
»Das klingt fantastisch. Mom hat mich gestern angerufen und mir alles haarklein berichtet. Nur das ist nicht, was ich meine. Ich hatte angenommen, wir könnten mehr Zeit miteinander verbringen, bevor ich in ein paar Tagen meine Praxis wieder öffnen muss.«
»Ja, das wäre schön. Aber Henry geht vor. Und wir sind nicht aus der Welt, oder?« Eine Fernbeziehung ist allerdings auch nichts, das ich mir gewünscht hätte. Das sage ich natürlich nicht laut.
»Richtig. Und was hast du heute vor?«
»Meddy und ich werden mit den Männern einen Rundgang machen und ihnen alles zeigen. Deine Mutter kümmert sich um die Damen. Am Abend gibt es eine Weinverkostung mit meinem Viognier vom letzten Jahr. Ich glaube, deine Mutter will ihnen den schmackhaft machen. Vielleicht bekommen wir sie tatsächlich mit an Bord und können sie obendrein überzeugen, dass die Zukunft von Golden Dreams genau in diesem Wein liegt. Wenn wir das schaffen, wird auf uns viel Arbeit zukommen und wir brauchen Geduld. Aber Peter, ich kann dir sagen, das würde sich lohnen.« Allein darüber nachzudenken, versetzt mich in pure Hochstimmung.
»Ich drück euch die Daumen. Allerdings hege ich keinerlei Zweifel daran, dass ihr gemeinsam Großes erreichen könnt. Und wenn dazu weitere Gesellschafter vonnöten sind, dann ist das eben so.«
»Der Meinung sind wir alle. Wir werden sehen, inwieweit sie uns freie Hand lassen, sollten sie einsteigen. «
»Hat Meddy eigentlich schon etwas gesagt, was Mom damit meinte, sie solle ihren Traum verwirklichen? Ich hatte zwar mit ihr telefoniert, aber nur kurz. Sie wirkte abgelenkt. Und na ja, es wird eine Weile dauern, bis sie sich mit der Situation anfreunden kann, dass sie Lance’ Tochter ist, vom gefühlten Verrat durch ihre Mutter ganz zu schweigen.«
»Stimmt wohl. Es ist sicher nicht einfach für sie. Jedenfalls waren wir gestern im Weinkeller, um ein paar Flaschen für die heutige Verkostung auszusuchen. Wirklich darauf eingegangen ist sie nicht und ich wollte auch nicht zu neugierig erscheinen. Sie machte jedoch vage Andeutungen. Ich meine, sie ist eh wie ausgewechselt und mich wundert, dass sie mehr als drei Worte mit mir spricht, aber sie fing immer wieder davon an, wie toll es doch in Europa wäre. Ich glaube, Meddy zieht es auf den anderen Kontinent.« Ich seufze unwillkürlich. »Das kann man ihr nicht verdenken. Ich hätte mir auch gut vorstellen können, dort zu leben und zu arbeiten.«
»Chase?«, fragt Peter besorgt, als würde ihm ein Stein im Magen liegen.
»Hm?«
»Willst du das immer noch? Ich meine, nach Frankreich oder Deutschland gehen?«
»Nein!« Meine Antwort kommt prompt und nachdrücklich, stelle ich erstaunt fest. Somit erbringe ich mir ungewollt selbst den Beweis, dass ich es auch tatsächlich so meine. »Es wäre schon toll, mal dort hinzureisen. Aber jetzt habe ich mir hier ein Leben aufgebaut. Eins, das ich mag. Warum sollte ich das aufgeben? Oh, und außerdem wäre San Francisco dann nicht mal eben in anderthalb Stunden erreichbar.«
»Und das ist dir wichtig?«
»Ich dachte, das hätten wir geklärt. Sicher will ich uns eine Chance geben. Das wäre wohl kaum machbar, wenn ich tausende Kilometer entfernt leben würde.«
»Verdammt, ich vermisse dich.« Und wieder ist es Peter, der es als Erster sagt.
Nur diesmal muss er mich nicht auffordern, es zu wiederholen, denn ich tue es aus freien Stücken und von Herzen gern. »Und ich dich. Also leg auf und fahr ins Krankenhaus. Vielleicht sehen wir uns ja schon heute Abend.«
»Wird gemacht, Boss.«
»Idiot!«, raune ich absichtsvoll ins Handy, bevor ich kurzerhand die Verbindung unterbreche. Wenn wir jetzt nicht aufhören, komme ich noch zu spät und Peter überhaupt nicht aus dem Bett. Heilige …! Allein die Vorstellung, er, nackt, mit zerwühltem Haar und vom Kissen zerknautschtem Gesicht, macht mich verrückt und lenkt mich zu sehr ab. Ich schüttle den Tagtraum ab, stecke das Telefon zurück in die Tasche und mache mich wieder auf den Weg.
»Chase, da hast du ganze Arbeit geleistet«, höre ich Mrs. S entzückt flöten, als ich mit Dad die Abfüllung zweier Portweinfässer überwache.
Mein Vater grinst mich stolz an und verkrümelt sich nach einem knappen, aber freundlichen »Ma’am« in sein Büro, als Maggie auf mich zustürmt.
Ich muss zugeben, die Führung war tatsächlich ein voller Erfolg. Zumindest beschieden mir das die zwei Herren. Wie sind noch mal ihre Namen? Ah ja, Stanley Turner und Ralph Severs. Wie sich herausstellte, sind sie bereits seit ihrem Studium eng befreundet und haben sich all die Jahre ihre Freundschaft bewahrt. Selbst ihre Gattinnen verstehen sich prächtig. Ein glücklicher Umstand, der die vier auch dazu veranlasst, gemeinsam aus New York wegzugehen. Allerdings ist mir nicht entgangen, dass Meddy sich die ganze Zeit im Hintergrund gehalten hat. Das kam mir durchaus entgegen, machte mich andererseits ein klein wenig nervös.
Kaum ist Maggie bei mir, werde ich auch schon in eine innige Umarmung gezogen. »Sie sind total begeistert und reden über nichts anderes, als dass sie so schnell wie möglich alles in die Wege leiten wollen.«
»So fix? Geht das denn?«
»Na ja, vielleicht nicht gleich nächste Woche, aber …«
»Wir sollten uns jemanden holen, der Ahnung von Finanzen hat, meinst du nicht? Ich will ja nicht behaupten, dass Stanley und Ralph vorhätten uns über den Tisch zu ziehen. Aber sicher ist sicher.«
»Dasselbe habe ich auch gedacht. Nur, um ehrlich zu sein, sträubt es mich, zu unserer Bank zu gehen, die zicken eh schon rum. Es muss einen anderen Weg geben.«
»Vielleicht kann dir deine Valerie einen Anwalt für Vertragsrecht empfehlen, der gleich noch ein Auge auf die finanzielle Seite wirft. Ich meine, sie scheint ja ziemlich gute Beziehungen zu haben.«
»Das ist eine wunderbare Idee. Ich werde sie sofort anrufen.« Sie tätschelt mir die Wagen und grinst. »Siehst du, du denkst schon wie ein CEO.«
»Quatsch, das nennt man gesunden Menschenverstand.«
»Übrigens sind Stan und Ralph absolut dafür, dass du diesen Posten übernimmst. Aber vorab müssen wir uns erst einmal um alles andere kümmern. Wenn die Finanzen und Gesellschafterverträge in trocknen Tüchern sind, sollten wir uns dringend zusammensetzen und ein paar Details besprechen, findest du nicht?«
»Welche Details?«
»Na, glaubst du, ich lasse dich für dein jetziges Gehalt weiterarbeiten?«
»Oh.« Verdammt, darüber habe ich noch gar nicht nachgedacht. Bisher war ich froh, wenn Golden Dreams nicht den Bach runtergeht.
»Nix Oh. Aber das klären wir bald. Und jetzt rufe ich mal Val an. Ich hoffe, du bist zum Abendessen da. Die Damen wollen dich ebenfalls kennenlernen. Und wer wäre besser als du geeignet, unseren neuen Wein vorzustellen, hm?«
Herrje, zählt das nun zu meinen Pflichten? Werde ich zukünftig so etwas häufiger über mich ergehen lassen müssen? Gott, ich hoffe nicht. Schließlich lag die repräsentative Seite bisher in Maggies Händen. Das können wir gern so beibehalten.
»Jetzt guck nicht so schockiert. Wird schon schiefgehen.«
Leichtfüßig eilt Maggie davon. Dad taucht an meiner Seite auf und nuschelt: »Endlich!«
»Was meinst du?«
Er lächelt mich erneut an. »Es wurde Zeit, dass jemand dein Potenzial erkennt. Selbst wenn die Voraussetzungen unschön sind und es bestimmt kein Spaziergang wird, wirst du in diesem Job fantastisch sein. Da bin ich mir ganz sicher. Und deine Mama übrigens auch. Das wollte ich dir nur mal sagen.« Dad klingt, als stecke ihm ein Kloß der Rührung im Hals. Ich mustere ihn genauer. Daraufhin blinzelt er und schaut verlegen zur Seite, um gespielt mürrisch zu brummen: »¡No pierdas el tiempo!«
Oh Dad, denke ich und lächle insgeheim in mich hinein. »Wann habe ich jemals Zeit vergeudet?«, necke ich ihn und ernte ein undeutliches Grummeln, ehe wir uns an die Arbeit machen.
Das Abendessen war grandios. Pam hat sich selbst übertroffen. Die Weinverkostung im Anschluss war fantastisch und die Gesellschaft extrem nett. Im Grunde läuft es so gut, dass es kaum auszuhalten ist und einen dazu verleitet, jederzeit damit zu rechnen, dass etwas total Ätzendes passiert. Aber vielleicht hat Bacchus ein Einsehen mit Golden Dreams. Die Zeit wird es zeigen.
Peter hat sich bisher nicht gemeldet. Weshalb ich das Handy in meinen Händen halte und darüber nachdenke, ihn anzurufen. Ich bin nach diesem ereignisreichen Tag restlos erledigt und möchte wenigstens seine Stimme hören. Das würde mir schon reichen. Andererseits komme ich mir zu aufdringlich vor. Ich sehe schließlich nicht aus wie ein Klammeraffe. Und was würde er dann von mir denken? Immerhin hatten wir vereinbart, dass er anruft .
Trotz Zweifel bin ich gerade dabei, die ihm zugewiesene Kurzwahlnummer zu drücken, als es klingelt – nicht am Handy. Innerhalb eines Atemzugs bin ich im Flur und reiße hoffnungsvoll die Wohnungstür auf.
»Holla, das ging schnell«, stellt Peter mit einem schiefen Grinsen fest.
»Komm rein, bevor du da draußen anwächst.«
Peter tritt ein, lässt seine Reisetasche zu Boden fallen und zieht mich schnurstracks in seine Arme. »Hey, du!«
An seinen einladenden Körper gepresst blicke ich auf die Tasche. »Soll das heißen, du bleibst über Nacht?«
Seinem Brummen folgt ein leidenschaftlicher Kuss, ehe er von mir ablässt und zufrieden lächelt. Wahrscheinlich, weil ich mal wieder total verzaubert dreinblicke.
»Ich war extra noch auf Eagle Rock, um meine Klamotten zu holen.«
»Ernsthaft?«
Peter nimmt die Tasche erneut auf, nachdem er die Tür hinter sich geschlossen hat, und dirigiert mich Richtung Wohnzimmer vor sich her.
»Ja, ernsthaft. Was hast du denn gedacht? Glaubst du, mich hält es auch nur eine Minute länger dort, wenn ich weiß, dass du hier bist?«
Ich drehe mich zu ihm um und lasse meine Hände an seinen Seiten entlang auf seinen Rücken wandern, damit ich mich bei ihm anschmiegen kann wie ein Schmusekater. Das gefällt mir irgendwie. Sehr sogar. Vor allem, da Peter es zu mögen scheint, denn er lässt erneut seine Tasche an Ort und Stelle fallen und umarmt mich ebenfalls so zärtlich, als hätte er mich ebenso sehr vermisst wie ich ihn. Ruhe und Geborgenheit durchdringen mich und ich atme glückselig ein und wieder aus.