Leseprobe - „OPPOSITES - Gegensätze und andere Besonderheiten“
Band 1 der „Opposites Attract - Reihe“ von Nele Betra
Die Story
Corey Tyler, vorlaut, chaotisch und die Frohnatur in Person, liebt es, andere glücklich zu machen. Sein Job als Florist bietet ihm genau diese Möglichkeit.
Durch einen Auftrag lernt Corey Spencer Cunningham kennen, der als erfolgreicher Anwalt für Vertragsrecht Wohlstand und Anerkennung genießt.
So unterschiedlich Corey und Spencer auch sind, entwickelt sich zwischen ihnen eine Freundschaft.
Der berufliche Erfolg und das Zusammenleben mit seiner großen Liebe Paul scheint für Spencer allzu perfekt, bis seine Welt urplötzlich aus den Fugen gerät und ihm der Boden unter den Füßen weggezogen wird. Er zieht sich aus seinem bisherigen Leben vollkommen zurück und stößt selbst seine Familie von sich.
Wird es Corey gelingen, zu Spencer durchzudringen und ihm zu helfen? Und kann er dazu seine Gefühle für diesen Mann zurückstellen?
274 Taschenbuchseiten
Unverhofft kommt oft
- Corey -
September
»Abby, Schätzchen, wann war noch mal der Termin für Cunningham angesetzt?«
Aus dem hinteren Vorbereitungsraum höre ich sie murren: »Da gibt es eine Erfindung, die nennt sich Kalender.« Daraufhin erscheint ihr Rotschopf im Durchgang zum Verkaufsraum, in dem ich nervös das letzte Mal an zwei Gestecken für den Empfangstresen der Anwaltskanzlei Cunningham & Cunningham
Hand anlege. Auch wenn ich es mir nicht anmerken lassen will, bin ich ziemlich durch den Wind. Immerhin hängt einiges von dieser Lieferung ab.
Sollten sie zufrieden mit unserer Arbeit und dem Angebot sein, das wir ihnen unterbreiten, stehen die Aussichten gut für einen Zweijahresvertrag, den wir ebenfalls aufgesetzt haben und heute aushändigen. Wöchentliche Belieferung inklusive Pflanzenpflege in der Kanzlei.
Darauf arbeiten Abby und ich seit der Eröffnung des Buttercups
von vor drei Jahren hin.
Werden wir von Cunningham engagiert, haben wir den Fuß in der Tür zu einer Klientel, die so zugeknöpft ist wie die Queen.
»Jaja, ich weiß«, gehe ich nun auf ihr Gemecker ein. »Sagst du’s mir nun oder muss ich echt nach hinten und selbst nachsehen?«
Abby wirft einen Blick auf die Wanduhr über dem Verkaufstresen. »Du hast noch gut zwei Stunden. Allerdings würde ich nicht auf den letzten Drücker losfahren.«
»Ich gäbe was drum, mit der Tube fahren zu können. Sieht nur etwas seltsam aus, wenn ich mich hinter riesigen Blumenarrangements verstecke. Wer hat eigentlich diesen dämlichen Termin gemacht? Heiliges Buschröschen! Ausgerechnet zum besten Feierabendverkehr.«
»Du weißt so gut wie ich, dass wir uns das nicht aussuchen können. Der Kunde ist König. Und tja, in diesem Fall ist es Spencer Cunningham. Also sei nett und versau’s nicht.«
»Du hast ihn doch schon kennengelernt. Was macht er denn für einen Eindruck?«
Abby zuckt mit den Schultern. »Was für einen Eindruck? Du kannst Fragen stellen. Schatz, er ist Anwalt. Stammt aus einer Anwaltsfamilie und geht, glaube ich, sogar mit einem dreiteiligen, maßgeschneiderten Anzug ins Bett. Wie also denkst du, dass er ist?«
»Ach du Scheiße! Sag mir nicht, dass er jedes Klischee eines spießigen Rechtsverdrehers bedient.«
»Er ist hübsch, das steht zumindest mal fest.«
»Super. Und was soll das jetzt wieder heißen?«
»Keine Ahnung. War nur ’ne Feststellung. Allerdings ist er ein sehr ernster Typ. Zum Lachen geht er garantiert in den Keller.«
»Abby«, stöhne ich. »Gib mir was, womit ich arbeiten kann.«
»Fahr hin, red mit ihm und passe dich der Situation an. Du bist so schon aufgeregt genug. Ich will dich nicht noch mehr verunsichern. Sei einfach du selbst. Dann kann nichts schiefgehen.«
Ich lache. »Dein Ernst? Ich soll ich selbst sein?«
»Jahaaa.«
Kopfschüttelnd frage ich: »Warum kümmert er sich eigentlich darum? Hat er keine Sekretärin, die ihm so lächerliche Dinge abnimmt?« Für uns ist diese Sache definitiv nicht lächerlich. Allerdings ging ich bisher davon aus, Anwälte hätten Wichtigeres zu tun.
»Gute Frage. Ich war selbst erstaunt, als er hier höchstpersönlich anrief. Zumindest kann ich dir versichern, an Sekretärinnen mangelt es ihnen nicht. Soweit ich gesehen habe, gibt es zwei, die aber vorrangig für die alten Herren arbeiten. Zuzüglich der netten Lady am Empfang, die wohl auch Anwaltsgehilfin ist und der jüngeren Generation zur Verfügung steht, laufen da also genug Leute herum, die sich um so etwas kümmern könnten.«
»Dann gibt es mehr als zwei Anwälte?«
Abby kommt auf mich zu und verdreht genervt die Augen. »Wenn du dir mal die Mühe gemacht hättest, die Kundenkartei anzusehen, die hinten im Büro im Schrank liegt, wüsstest du Bescheid.«
»Erzähl’s mir. Geht schneller«, maule ich. Dieser Part unseres Geschäfts ist absolut nicht mein Ding. Kunden akquirieren, Buchhaltung und der ganze Schmus, der da so dranhängt, ist Abbys Angelegenheit. Ich arbeite lieber mit Pflanzen und lasse meiner Kreativität freien Lauf. Nein, stimmt nicht, es gibt noch eine Sache, die mir unendlich viel Spaß bereitet. Die Auslieferung. Es ist wundervoll, zu sehen, wie glücklich die Menschen sind, wenn ich ihnen im Auftrag von wem auch immer Blumen überreiche. Wer kann schon von sich behaupten, in seinem Job andere glücklich machen zu können? Mir fällt gerade niemand ein.
Abby zupft eine Rose zurecht und seufzt. »Also gut. Hier die Kurzfassung. Cunningham & Cunningham
besteht nicht nur aus Papi und Sohnemann. Sie haben sich wahrscheinlich nur darauf geeinigt, es bei zwei Cunninghams im Namen zu belassen. Die Kanzlei existiert seit fünf Generationen.« Sie atmet tief durch und zählt an den Fingern auf: »Da hätten wir Milton und Montigue Cunningham. Sie sind Zwillinge und schätzungsweise über siebzig. Ersterer ist der Vater von Spencer Cunningham, mit dem du heute den Termin hast. Dann gibt es noch Spencers Schwester Bethany und seinen Ehemann Paul. Sie ist übrigens eine wirklich liebe. Ich kann sie mir beim besten Willen nicht als taffe Prozessanwältin vorstellen. Aber gut, stille Wasser sind tief …«
»… und dreckig«, beende ich für Abby, die mir sofort einen Hieb gegen den Oberarm verpasst.
»Hey, sei vorsichtig, was du sagst.«
»Sorry. Also, weiter im Text!«
»Sie haben ihre Sekretärinnen Schrägstrich Anwaltsgehilfinnen. Jede von ihnen ist mit Sicherheit auch so etwas wie eine persönliche Assistentin, die sich um …«, Abby wedelt in der Luft herum, »… was weiß ich, Anzüge in die Reinigung bringen und so’n Kram eben kümmert.«
»Und ich frage dich ein weiteres Mal. Warum beschäftigt sich Spencer Cunningham mit der floristischen Gestaltung der Kanzlei?«
»Ich. Weiß. Es. Nicht. Frag ihn doch, wenn du nachher mit ihm sprichst.«
»Ja klar. Damit er mich sofort vor die Tür setzt wegen ungebührlichen Benehmens?«, feixe ich.
»Spinner! Jetzt sieh zu, dass du alles fertig machst und nichts vergisst. Du weißt, ich würde dich nicht schicken, wenn es anders ginge, aber ich muss unbedingt noch die Tischgestecke für den morgigen Hochzeitsempfang fertigstellen.«
»Lass mich das doch machen«, nörgle ich.
»Fang nicht schon wieder an. Ich habe Eve versprochen, dass ich mich darum kümmere. Und du weißt, sie ist da pingelig.«
»Stimmt. Mir ist immer noch ein Rätsel, wie du mit ihr befreundet sein kannst.«
Abby zuckt mit den Schultern. »Sie ist nicht so
übel. Du müsstest ihr nur mal eine Chance geben.«
»Wofür? Damit sie mir die Ohren blutig quatscht? Nein danke, verzichte freiwillig.«
»Dann hör jetzt auf zu nölen und mach dich auf den Weg.«
»Wie immer Hoheit befehlen.«
»Wie ich schon sagte: Spinner!«
Normalerweise bin ich nicht so schräg drauf. Aber es nervt mich endlos, dass die Verantwortung heute bei mir liegt. Was ist, wenn ich versage? Was ist, wenn ich meine Klappe nicht halten kann? Tja, einfache Antwort: Tschüs Auftrag. Willkommen Taubstumm-Frühstück für die nächsten fünf Jahre. Denn so lange wird es mit Sicherheit dauern, bis mir Abby verziehen hätte. Wenn nicht länger.
Wie dem auch sei. Ich muss mich jetzt konzentrieren und versuchen, meine verbale Inkontinenz zu beherrschen, bis ich aus der Kanzlei wieder raus bin.
»Du schaffst das, Schatz. Ich vertraue dir.«
»Na danke, das setzt mich überhaupt nicht unter Druck«, necke ich Abby, während ich sie in eine freundschaftliche Umarmung ziehe. »Ich reiß mich zusammen. Versprochen.« Immerhin ist mir die ganze Sache auch wichtig, selbst wenn ich im Moment einen auf unverbesserlichen Nörgler mime.
Keine zehn Minuten später sind die Gestecke sicher verstaut und ich sitze in Tante Ju
, wie wir unseren in die Jahre gekommenen Lieferwagen nennen, und quäle mich durch den Feierabendverkehr raus aus Notting Hill und in Richtung City.
Warum wir den Citroën H Tante Ju
getauft haben? Ganz einfach. Die Wellblechoptik und spitz zulaufende Front ähnelt einer Junkers Ju 52
mit ihrer charakteristischen Wellblechbeplankung, die – richtig geraten – den Spitznamen Tante Ju
trägt. Unser Mädchen mag sich zwar nicht wie das genannte Flugzeug in die Lüfte erheben, aber sie ist ebenso zuverlässig.
Mit ihren dreißig Jahren leistet sie uns immer noch treue Dienste. Und solange Tante Ju
durchhält, solange wird sie auch nicht verschrottet. Obendrein sind Abby und ich uns einig, dass sie mit ihrem ländlich-nostalgischen Charme ein echter Hingucker ist.
Nun gut, hin und wieder würde ich mir ein wenig mehr Komfort in der Fahrerkabine wünschen, aber man kann nicht alles haben. Die Fenster funktionieren und wenn wir Musik hören wollen, nehmen wir eben mit dem Uraltradio vorlieb. Notfalls singe ich. Was ich allerdings nur bei geschlossenen Scheiben in Erwägung ziehe – meistens. Ich wurde bereits von Passanten darauf aufmerksam gemacht, dass sich ihnen die Fußnägel aufrollen würden. Was soll ich sagen, mein Katzengejammer ist halt nur was für Kenner.
Wie ich so durch Paddington und am Hyde Park vorbeifahre, geht mir wieder das bevorstehende Gespräch mit Cunningham durch den Kopf. Unwillkürlich werfe ich einen kurzen Blick an mir runter auf meine Klamotten und in den Rückspiegel. Ich sehe aus wie immer. Was für eine Überraschung. Nur irgendwie habe ich plötzlich das Gefühl, ich hätte mir etwas anderes als meine abgewetzte Latzhose und das saubere, aber alte Sweatshirt anziehen sollen. Von meinen Haaren, die in alle Himmelsrichtungen stehen, will ich gar nicht erst anfangen. »Shit«, murre ich an einer roten Ampel mein Spiegelbild an.
Warum hat Abby nichts gesagt? Ich meine, sonst ist sie doch auch nicht um Worte verlegen.
Ich erinnere mich an letztes Wochenende. Wir wollten Samstagabend auf einen Absacker in Soho einfallen. Ich stand bereits an der Wohnungstür und wartete dort auf Abby. Sie schnappte sich ihre Handtasche, drehte sich zu mir um und riss geschockt die Augen auf. Sie tat gerade so, als hätte ich nackt vor ihr gestanden. Was für andere Frauen kein Grund gewesen wäre, so entsetzt zu sein. So schlecht sehe ich nun auch wieder nicht aus. Nur liegt Abbys Fokus mehr auf der weiblichen Fraktion der Bevölkerung.
Jedenfalls deutete sie voller gespieltem Entsetzen auf mich und meinte: »Schatz, du gehst dich sofort umziehen! Mag ja sein, dass du keinen gesteigerten Wert auf Gesellschaft legst, aber ich hatte heute nicht vor, die Nacht allein in meinem kalten Bett zu verbringen. Und das wird definitiv der Fall sein, wenn du so mitkommst. Du vergraulst mir doch die ganzen hübschen Weiber, Menschenskind!«
Ich versuchte ihr zu erklären, dass ich absolut passend gekleidet war. Was ins Leere lief. Na ja, das Ende vom Lied war, dass ich mich umzog und im Nachhinein ruhigen Gewissens behaupten kann, ich hätte ihr kein One-Night-Stand vermasselt.
Okay, ich gebe zu, ich bin vom Aussehen her nicht der typische schwule Florist von nebenan. Keine Ahnung, was da bei der Erziehung falsch gelaufen ist. Ich brauche es bequem.
Zurück zum Thema. Jetzt stellt sich mir natürlich die Frage: Warum ist es mir plötzlich so wichtig, wie ich aussehe?
Nachdem ich das zweite Mal den Aufzug in die 25. Etage des Shards,
einem markant nach obenhin spitz zulaufenden Wolkenkratzer nahe der London Bridge, mit meiner Fracht in Beschlag genommen habe, stehe ich nun schnaufend vor der Empfangsdame der Kanzlei und bin für den Moment total fasziniert.
Karottenrotes Haar, das ihr offen über die Schultern fließt, leuchtet wie ein Heiligenschein und jadegrüne Augen strahlen mich an, als wäre ich der Heiland. Ich schätze sie auf Mitte zwanzig. Und in ihrem moosgrünen, hautengen Businesskleid macht sie eine fantastische Figur. Allerdings glaube ich, es ist ihre Ausstrahlung, die mich so in ihren Bann zieht. Sie wirkt absolut offen und von Herzen freundlich. Nicht so aufgesetzt wie manch andere eingebildete Tante, die meinen, weil sie am Empfang sitzen, gehöre ihnen die Weltherrschaft.
Heilige Freesie, ich stehe ja nicht auf Frauen, aber sie hat was Besonderes an sich. Ich überspiele meine Überraschung, werfe einen kurzen Blick auf ihr Namensschild und melde mich atemlos an. »Hi, Paige. Corey Tyler vom Buttercup. Ich habe einen Termin mit Spencer Cunningham.« Um meine Worte zu unterstreichen, nicke ich in Richtung der Gestecke, die nicht zu übersehen und, wie ich nun feststelle, farblich auf die Einrichtung von C&C abgestimmt sind.
»Willkommen, Mr. Tyler. Warten Sie bitte einen Moment. Ich melde Sie sofort an.« Sie zeigt mit einem Kugelschreiber auf eine Sitzecke mit ledernen Sesseln zu meiner Rechten. »Wollen Sie sich nicht einen Augenblick hinsetzen und darf ich Ihnen eine Erfrischung anbieten?« Sie ist absolut hinreißend.
»Das ist wirklich nett, danke. Aber ich warte hier. Ich verspreche auch, vor Erschöpfung nicht in Ohnmacht zu fallen.«
Sie grient mich an und nickt. »Oh, gut. Ich wüsste sonst nicht, wie ich das meinen Chefs erklären sollte.«
»Vielleicht mit Ihrer Schönheit, die mit Sicherheit jeden von den Socken haut, der hier eintrifft.«
Paige kichert und schüttelt gutmütig den Kopf, während sie auf der Telefonanlage herumtippt, den Hörer ans Ohr hält und sagt: »Spencer, hier ist ein Mr. Tyler für Sie … In Ordnung, ich richte es ihm aus.« Sie legt auf. »Er ist gleich für Sie da.«
Ich stütze mich mit den Unterarmen auf den Empfangstresen und beuge mich zu ihr vor. »Im Ernst, Sie wirken wie ein Engel. Ich glaube, deswegen hat man Sie eingestellt. Egal wer hier ankommt und in welcher miesen Laune derjenige sein mag, sobald er Sie sieht, geht es dem Betreffenden viel besser.«
Paige läuft rot an und ich kann nicht glauben, was ich hier gerade mache. Ich flirte mit einer Frau!
»Da kann ich Ihnen nur recht geben, Mr. Tyler«, ertönt eine sonore Stimme hinter mir. Es rieselt heiß über meinen Rücken. Heiliger Kaktus! Ich wende mich der Quelle meines wohligen Schauders zu und mir bleibt das nächste Wort im Hals stecken, während ich im Geiste Abby zur Schnecke mache. Er ist hübsch? Da merkt man mal wieder, dass du keine Ahnung von Männern hast, mein Schatz. Er ist einfach nur atemberaubend. Und verdammt noch mal verheiratet
, rufe ich mir nun ins Gedächtnis, bevor ich mich komplett zum Narren mache.
»Ähm, hi.« Oh wow, das war eloquent.
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