1. Kapitel – Corey
Zufrieden ächzend schloss Tanner von Straatenfeld seine Hose. »Das war gut. Genau das, was ich nach dem ganzen Stress brauchte.« Er griff in die Brusttasche seines Blazers, zog ein Taschentuch heraus und reichte es Corey. Feinste ägyptische Baumwolle mit gesticktem Monogramm in einer Ecke. TvS.
Verlegen nahm Corey das Taschentuch an und wischte sich Sperma vom Kinn. Er war nicht darauf gefasst gewesen, dass Tanner so schnell kommen würde. Sie hatten nur ein paar Worte zur Begrüßung gewechselt, dann hatte Tanner ihm auch schon wenig subtil gezeigt, was er wollte. Und Corey war nur zu bereit gewesen, es ihm zu geben.
Die ersten Takte des Imperial March erklangen und wie immer brachte der Klingelton, den Tanner für Anrufe seines Vaters gewählt hatte, Corey zum Grinsen. Tanner dagegen verdrehte die Augen, wandte sich von Corey ab und zog sein Iphone aus der Tasche. »Hey Dad.«
Während Tanner den Worten seines Vaters lauschte, erhob sich Corey und wischte sich den Staub des Weinkellers von den Hosenbeinen. Nicht, dass es hier viel davon gegeben hätte. In der Winterferienunterkunft der von Straatenfelds herrschte nobler Schick. Doch für einen urigen Weinkeller gehörte es sich nun mal, dass der nicht saubergeschrubbt war. An den weißverputzten Natursteinwänden stapelten sich in rustikalen Holzregalen die Weinfässer und Flaschen und in einer Ecke hing sogar dezent ein Spinnengewebe, das so dekorativ wirkte, dass Corey es beinahe für künstlich gehalten hätte. In der Mitte des schlauchförmigen Raumes standen einige runde Stehtische, auf denen umgedrehte Weingläser auf die nächste Verkostung
warteten. Herr von Straatenfeld liebte es, seine Gäste mit edlen Tropfen zu verwöhnen und noch mehr liebte er es, sich über die teuren Weine reden zu hören, über die Schwierigkeiten, die er auf sich genommen hatte, um sie zu beschaffen, ihre Besonderheit und Seltenheit und ihre unvergleichlichen Aromen. Über den Preis verlor er nie ein Wort und das war auch nicht nötig. Jeder wusste, dass Wein, der in dieser heiligen Halle gelagert wurde, zu den besten und teuersten gehörte.
Corey machte sich nicht sonderlich viel aus Wein, aber umso mehr aus Tanner. Daher hatte sein Herz vor Freude höher geschlagen, als er die WhatsApp-Nachricht von ihm bekam.
Triff mich im Weinkeller. Sofort.
Ohne zu zögern war er hergekommen, hatte es kaum noch erwarten können, Tanner nach all den Monaten wiederzusehen. Ihn zu spüren. Zu schmecken. Besser als jeder Wein. Da konnte er es auch verschmerzen, dass sie bisher nicht zum Reden gekommen waren. Davon abgesehen - gekommen war er auch noch nicht. Seine Erregung drückte hart gegen den Schritt seiner Jeans und er versuchte, an etwas Dämpfendes zu denken. Schwierig, wenn Tanner ihm seine Rückansicht präsentierte und er bewundern konnte, wie sich der Stoff seiner Anzughose enger an seinen festen Hintern schmiegte wenn er, wie jetzt, eine Hand in die Hosentasche steckte.
»Bin gleich da, Dad«, sagte er gerade und Coreys Hoffnung auf baldige Befriedigung sank. Er schluckte die aufkeimende Enttäuschung hinunter. Immerhin lag eine Woche im Chalet vor ihnen, während der es bestimmt noch genug Gelegenheiten geben würde, sich gemeinsame Zeit zu stehlen.
Tanner drehte sich zu ihm um und schenkte ihm ein bedauerndes Lächeln, das Coreys Herz sofort schneller schlagen ließ. »Tut mir leid, aber Dad will, dass ich mich jetzt ein wenig um die Gäste kümmere. Wir sehen uns später, ja?«
»Ist gut.« Corey wusste, dass er Tanner einfach gehen lassen sollte. Doch er hatte ihn einfach zu lange nicht gesehen, nicht mit ihm geredet. Ihn oft so schrecklich vermisst, dass es wehtat. »Tan ...«, rutschte es ihm heraus und er machte wie magisch angezogen einen Schritt auf ihn zu.
Tanner hob die Brauen und steckte sein Iphone weg. »Was gibt’s?«
»Ich wollte nur ... fragen, wie es dir geht.« Mit einem Mal kam sich Corey unglaublich dumm vor. Was erwartete er denn? Er wusste doch, wie knapp bemessen Tanners freie Zeit war. Er konnte sich schon glücklich schätzen, dass Tanner ihn sofort nach seiner Ankunft hatte treffen wollen. Nicht mal zum Umziehen hatte er sich Zeit genommen, er trug noch den Blazer seiner Universität von der Abschlussveranstaltung vor den Weihnachtsferien. Wie gut ihm das Dunkelblau stand, es betonte seine strahlend grünen Augen und sein kastanienbraunes, schimmerndes Haar. Obwohl Corey ihn seit Kindertagen kannte, raubte ihm sein Anblick doch immer wieder den Atem, besonders, wenn sie sich längere Zeit nicht gesehen hatten. Tanner war für ihn der schönste Mann der Welt. Vor allem, wenn sein Blick wie jetzt weich wurde und dieses seltene, sanfte Lächeln um seine Lippen spielte, das er nur Corey schenkte.
»Weißt du doch«, sagte er leise und trat so nahe an Corey heran, dass sich der dezente Duft seines Aftershaves mit dem holzig-süßlichen des Weinkellers mischte. »Viel Stress gehabt vor den Feiertagen. Lernen, Lernen, Lernen.« Er seufzte schwer, lächelte aber weiter. »Du glaubst gar nicht, wie sehr ich mich auf die freien Tage hier freue.«
Corey versank in seinen Augen. »Ich hab dich vermisst«, flüsterte er.
Tanner hob die Hand und berührte sacht seine Wange. »Ich ...« Er schluckte schwer. »Ich muss dir gleich noch was sagen.«
Sein Blick war so ernst, dass Coreys Knie weich wurden. Wilde Hoffnung beschleunigte seinen Puls. War dies endlich das Weihnachtsfest, das Corey sich seit Jahren ersehnte? Würde endlich sein größter Wunsch wahr werden? Er wartete schon so lange ...
»Ist gut«, wiederholte er heiser, während sein Herz immer schneller raste.
Tanner beugte sich zu ihm und hauchte ihm einen Kuss auf den Mundwinkel. »Okay, Sweetheart. Bis gleich dann.«
Mit dem für ihn typischen Schwung wandte er sich ab und stürmte die steinerne Kellertreppe hoch. Seine Schritte waren längst verklungen, da lehnte Corey noch mit seligem Lächeln am Weinregal. Endlich! Endlich würde Tanner ihm die Frage aller Fragen stellen, auf die er die Antwort doch längst kannte. Endlich würde er nicht nur offen zu ihrer Liebe stehen, sondern sie auch offiziell besiegeln. Wie sehr schämte sich Corey nun für die Zweifel, die ihn während der vergangenen einsamen Monate immer wieder gequält hatten, wenn sich Tanner wochenlang nicht bei ihm gemeldet hatte. Und wenn er doch mal die Zeit für einen Anruf erübrigt hatte, war so seltsam kurz angebunden gewesen. Aber wie er Corey jetzt angesehen hatte ... Ich muss dir gleich noch was sagen.
Ein aufgeregter Schauer lief durch Coreys Körper. Schon letztes Jahr hatte er fest damit gerechnet, dass Tanner ihn endlich fragen würde und sie im Chalet seiner Familie nicht nur Weihnachten, sondern auch ihre Verlobung feiern würden. Schließlich hatte Tanner ihm schon vor Jahren versichert, dass niemand außer Corey für ihn in Frage kam. Doch die Feiertage waren verstrichen, ohne dass Tanner ihm einen Antrag gemacht hatte und Corey hatte einige Wochen gebraucht, um
die Enttäuschung zu überwinden. Nun sah er ein, dass Tanner richtig gehandelt hatte. Dieses Jahr, nur noch wenige Semester vor seinem Uni-Abschluss und dem Einstieg in die Firma seines Vaters, war der passende Zeitpunkt für ihn, eine Familie zu gründen. Mit Corey.
Corey sah sich schon an seiner Seite zum Altar schreiten, da schreckte ihn ein dumpfes Dröhnen aus seinen Tagträumen. Er fuhr zusammen und schaute sich nach der Ursache des Krachs um. Erneut erklang das Dröhnen, das sich nun fatal nach einem ungeduldigen Klopfen anhörte. Es kam von der schweren Eichentür am anderen Ende des Weinkellers. Zögernd schlich Corey darauf zu. Was verbarg sich hinter der Tür?
»Heda, aufmachen!«, vernahm er eine tiefe Stimme, gedämpft durch das dicke Holz der Tür. Trotzdem konnte Corey dem Ton entnehmen, dass der Besitzer der Stimme wütend war. Beherzt schob er den schweren Riegel zurück und zog die Tür auf.
Sie führte auf einen schneebedeckten Hof, von dem Corey allerdings nicht viel sehen konnte, da die Aussicht von einem Hünen von Mann verdeckt wurde, der sich breitbeinig und mit in die Hüften gestützten Fäusten vor der Tür aufbaute und beinahe ihre gesamte Breite einnahm. »Na endlich!«, blaffte er Corey an. »Ich hab nicht ewig Zeit!«
Der Mann trug eine pelzgefütterte Lederjacke, Thermohose und derbe Stiefel. In das unrasierte Gesicht hatte er tief eine dunkle Strickmütze gezogen. Mit grimmiger Miene musterte er Corey aus dunklen Augen. »Ach du Scheiße«, kommentierte er. »Ein Hänfling wie du soll mir beim Abladen helfen?«
»Ab ... laden?«, stotterte Corey verwirrt. Er hatte keine Ahnung, wovon der Mann redete, doch statt ihm zu antworten, wandte der sich brüsk von ihm ab und marschierte zu einem Geländewagen mit offener Ladefläche, der auf dem Hof parkte. Mit gezielten Griffen machte er sich daran zu schaffen, bis die
Klappe am Heck nach vorn krachte und den Blick auf einige Holzkisten freigab. Ohne Umschweife packte der Mann mit jeder Hand eine davon und zerrte sie schwungvoll von der Ladefläche. Er marschierte an Corey vorbei. »Wo soll das Bier denn hin?«, rief er, ohne sich nach ihm umzudrehen.
Corey folgte ihm zurück in den Weinkeller. »Stellen Sie es bitte einfach dort in die Ecke.«
Das tat der Mann, drehte sich zu Corey um und unterzog ihn einer weiteren Musterung, die Mundwinkel nach unten gezogen. »Kannst mir ruhig helfen, wenn du dir nicht zu fein dazu bist.«
Coreys Ohren wurden heiß. Was dachte dieser Kerl denn von ihm? Natürlich half er ihm, auch wenn er ruhig ein wenig freundlicher darum hätte bitten können. Mit erhobenem Kinn ging er zu dem Geländewagen und zog die ihm am nächsten stehende Kiste zu sich heran. Die war aber echt schwer! Und der Mann schnappte sich wieder zwei davon, als wögen sie nichts. Na gut, Corey musste weder ihm noch sich etwas beweisen und begnügte sich damit, eine der Kisten von der Ladefläche zu ziehen und in den Weinkeller zu tragen. Nach kurzer Zeit waren die Bierkästen im Keller gestapelt. Neugierig zog Corey eine der Braunglasflaschen heraus und betrachtete das wie selbstgemacht aussehende Etikett, auf dem Rauls Craft Beer
stand. Offenbar hatte Herr von Straatenfeld Gefallen an lokalen Spezialitäten gefunden.
Corey wandte sich an den Bierlieferanten, der sich schon auf den Weg zurück zu seinem Wagen machte. »Ist das Bier schon bezahlt?«, erkundigte er sich.
Der Mann drehte sich um. Seine grimmige Miene zeigte einen Anflug von Überraschung. »Ja, alles erledigt«, knurrte er.
Corey schenkte ihm ein Lächeln. Er war viel zu glücklich, um sich von dem unhöflichen Auftreten dieses Mannes die Laune verderben zu lassen. »Ich wünsche Ihnen schöne Feiertage.«
Absichtlich hielt er sich vage, denn er wusste ja nicht, ob der Mann Weihnachten überhaupt feierte.
Statt nun ebenfalls Feiertagswünsche auszudrücken, brummte der Mann nur etwas Undeutliches und stieg in den Geländewagen. Der Wagen rollte mit durch den Schnee knirschenden Reifen davon und Corey schüttelte irritiert den Kopf. Wie konnte man nur so eine miese Laune haben!
Er schloss die Tür, schob sorgfältig den Riegel vor und warf einen Blick auf die Uhr. Wenn er bis zum Dinner geduscht und umgezogen sein wollte, musste er sich sputen. Auch wenn er während des festlichen Essens nicht viel Gelegenheit haben würde, mit Tanner zu reden, freute er sich schon allein darauf, in seiner Nähe zu sein. Die Weihnachtsfeiern bei den von Straatenfelds folgten jedes Jahr einer Familientradition. Am Abend vor Heiligabend veranstaltete das Ehepaar von Straatenfeld ein großes Dinner für Freunde, Familie und Geschäftspartner mit anschließendem geselligen Zusammensein. Heiligabend wurde nur im engsten Familienkreis mit ausgewählten Freunden zelebriert, und zwar mit dem Besuch der Christmette und einem opulenten Mehrgängemenü. Anschließend erfolgte die Bescherung unter dem üppig geschmückten Weihnachtsbaum.
Seit er acht Jahre alt war verbrachte Corey die Feiertage im Winterchalet der von Straatenfelds und er konnte es kaum erwarten, durch die Verlobung mit Tanner bald richtig zur Familie zu gehören. Es ging ihm überhaupt nicht darum, dass die von Straatenfelds durch die sich seit Jahren im Familienbesitz befindliche Landmaschinenfirma zu den reichsten Unternehmern des Landes gehörten, sondern um seinen sehnlichen Wunsch, endlich eine große Familie zu haben. Und offiziell zu Tanner zu gehören. Einen Platz im Leben zu finden, an der Seite des Mannes, den er liebte, seit er denken
konnte, und mit dem er seit Jahren eine heimliche Beziehung führte.
Eine Beziehung, die passenderweise während einer dieser Weihnachtsferien im Chalet begonnen hatte. Corey erinnerte sich noch in allen Details an den denkwürdigen Heiligabend vor drei Jahren. Nachmittags hatten sie eine Pferdeschlittenfahrt unternommen, waren romantisch mit Fackeln durch den Winterwald gefahren. In warme Felldecken gemummelt hatte Corey neben Tanner in einer der Kutschen sitzen dürfen und irgendwann hatten sich Tanners behandschuhte Finger, von der Decke verdeckt, um Coreys geschlossen. O wie gut erinnerte sich Corey an sein wild pochendes Herz und das Flattern in seinem Magen. An das sanfte Klingeln der Glöckchen an den Pferdegeschirren und die Sterne am samtschwarzen Himmel, die verschneite Winterwunderwelt und an Tanners langersehnte Nähe.
Später hatte sich Tanner in sein Zimmer geschlichen und sie hatten das erste Mal miteinander geschlafen. Damals hatte Tanner ihm das Versprechen abgenommen, ihre Beziehung geheim zu halten. Tanner gefiel die Vorstellung, dass sie ein gemeinsames Geheimnis hatten. Unser kostbares Geheimnis, sagte er immer. Ab und zu hatte sich Corey schon gewünscht, dass er offen zu ihm stehen würde, doch er respektierte seinen Wunsch, zumal er ja wusste, dass Tanner nur auf den passenden Zeitpunkt wartete, um vor seiner Familie um seine Hand anzuhalten.
Und dieser Zeitpunkt war dieses Jahr Weihnachten!
Vor Aufregung zitternd eilte Corey in sein Zimmer. Sonst bewohnte er in den Winterferien im Chalet das Gästezimmer direkt neben Tanner, doch dieses Jahr war das nicht möglich. Der Sohn eines wichtigen Geschäftspartners hatte es bekommen und Corey nahm mit einem kleineren Raum unter dem Dach vorlieb. Ihm machte das nichts aus. In dem großen,
noblen Zimmer mit dem Himmelbett hatte er sich sowieso immer fehl am Platz gefühlt. Er mochte die schlichte Kammer, die er diesmal bewohnte, lieber. Auch sie war immer noch größer als sein Zimmer in der Wohnung von Tante Grace.
Gerade, als er an sie dachte, klingelte sein Smartphone und das Display zeigte an, dass sie anrief. Er nahm das Gespräch an und setzte sich auf das Kingsize Bett mit der Bettwäsche aus ägyptischer Baumwolle. Nun musste er an Tanners Taschentuch denken und widerstand der Versuchung, es aus der Tasche zu ziehen und seine Nase darin zu vergraben, um einen Hauch des geliebten Duftes zu erhaschen. Das gehörte sich nun wirklich nicht, wenn er mit seiner Tante redete.
Nach dem Tod seiner Eltern hatte Grace Corey, den damals sechsjährigen Sohn ihres Bruders, sofort bei sich aufgenommen und ihn mit wenig Geld, dafür umso mehr Liebe großgezogen. Corey liebte sie von ganzem Herzen.
Sie fragte, ob er gut angekommen sei und sie sprachen über ihre weiteren Pläne für den Abend. Grace erzählte fröhlich, dass sie sich mit zwei Freundinnen zum Bridge verabredet hatte, doch Corey fiel auf, dass Wehmut in ihrer Stimme mitschwang. Oder bildete er sich das nur ein? Auf dem Weg ins Chalet hatte er sich wie jedes Jahr gefragt, ob es nicht schön wäre, Weihnachten mit seiner Tante zu verbringen. Doch gerade dieses Jahr hatte er Tanner nur so selten gesehen und ihn furchtbar vermisst, sodass er sich die gemeinsamen Tage mit seinem Liebsten nicht entgehen lassen wollte. Und Grace hatte ihn nie darum gebeten, daheim zu bleiben, ihn immer darin bestärkt, an den Feiertagen zu den von Straatenfelds zu fahren. Doch allmählich musste Corey sich angesichts ihres hohen Alters fragen, wie viele Gelegenheiten es noch für sie geben würde. Seine Kehle schnürte sich zu. »Ich wünsche dir einen wunderbaren Abend«, brachte er hervor. »Hab dich lieb.«
»Ich dich auch, Schätzchen«, sagte Grace liebevoll. »Mach dir eine schöne Zeit mit Tanner.«
Auch ihr hatte er auf Tanners Bitte hin nichts von ihrer Beziehung erzählt. Ob sie es ahnte? Sie kannte ihn so gut ... und sie war zu rücksichtsvoll, um ihn mit Fragen zu bedrängen. Bald. Bald konnte er es ihr sagen und er lächelte bei der Vorstellung ihres zuerst überraschten und dann glücklich strahlenden Gesichts. Sie mochte Tanner und würde sich mit ihnen freuen.
Nach einer schnellen Dusche zog Corey die Kleidung an, die auf dem Bett bereitlag, eine frisch gebügelte Kellneruniform. Vor ein paar Jahren war einer der Angestellten, die Herr von Straatenfeld für den Service engagiert hatte, ausgefallen und Corey hatte sich auf seine Bitte hin natürlich dazu bereit erklärt, einzuspringen. Seitdem gingen alle wie selbstverständlich davon aus, dass er während des ersten Dinners im Chalet die Versorgung der Gäste mit Getränken übernahm. Ihm machte das Spaß und er war sich nicht zu stolz, das reichhaltige Trinkgeld anzunehmen, das dabei für ihn abfiel.
Er nestelte an der Fliege herum und schnitt sich im Spiegel eine Grimasse. Nächstes Jahr würde er die Kellner-Rolle nicht mehr übernehmen, als zukünftiger Ehemann des von Straatenfelds Erbes wäre das nicht angemessen. Und Geldsorgen würden auch der Vergangenheit angehören. Wie mochte es sich anfühlen, reich zu sein? Sich alles leisten zu können, worauf man Lust hatte? Wenn Corey es recht bedachte, fiel ihm nichts ein, was er haben wollte. Außer einer größeren Wohnung für Tante Grace, in einer besseren Gegend und mit einer zuverlässig funktionierenden Heizung, einem kleinen Balkon vielleicht. Und er könnte eine neue Winterjacke gebrauchen ...
Wieder schnitt er sich eine Grimasse. Als ob es ihm je auf das Geld angekommen wäre! Er wollte Tanner. Sonst nichts.
Glättend fuhr er sich mit der Hand über seine blonden, immer etwas widerspenstigen Locken und schenkte sich selbst ein aufmunterndes Lächeln. Würde Tanner ihn an diesem Abend fragen? Um die Neuigkeit dann an Heiligabend im Kreis der Familie verkünden zu können? Corey sah, wie sich seine Wangen röteten und wandte sich rasch vom Spiegel ab. Am besten, er dachte während der folgenden Stunden nicht mehr darüber nach, wenn er nicht die ganze Zeit mit einem roten Kopf und breitem Grinsen herumlaufen wollte. Mit der seriösesten Miene, die er aufsetzen konnte, verließ er sein Zimmer und machte sich auf den Weg ins Erdgeschoss. In den weiträumigen, aneinandergrenzenden Räumen fand das Dinner statt und er wollte rechtzeitig dort sein, um die ersten Gäste mit Getränken zu versorgen.
Eine Stunde später balancierte Corey ein Tablett mit hohen Champagnergläsern durch die Menge. Zwischen den eleganten Abendkleidern der Damen und klassischen Anzügen der Herren blieb Corey in seiner Kellneruniform unsichtbar. Ohne ihn auch nur eines Blickes zu würdigen, nahm eine Frau in einem schwarzen, mit goldenen Perlen besetzten Seidenkleid ein Glas vom Tablett. Corey ging langsam weiter. Ihm gefiel es sogar, dass ihm niemand der anwesenden Gäste Beachtung schenkte. Umso öfter konnte er unbeobachtet zu Tanner hinüberschauen. Tanner, der wie üblich der strahlende Mittelpunkt war, zu welchem Grüppchen er sich auch gesellte. Gerade stand er mit einigen jungen Leuten in seinem Alter zusammen, darunter auch seine Schwester Jillian und dem Sohn des Geschäftspartners, der dieses Jahr Coreys Zimmer belegte.
Der zierliche Omega lachte über etwas, das Tanner gesagt hatte. Tanner hatte ihm zwar den Namen des jungen Mannes genannt, in derselben Nachricht, in dem er ihm die Sache mit der Zimmerbelegung mitgeteilt hatte, doch Corey konnte sich
nicht daran erinnern. Irgendetwas mit V. Vincent? Jedenfalls konnte der Omega die Augen nicht von Tanner lassen und Corey spürte einen leisen Stich von Eifersucht. Rasch drängte er das unliebsame und auch völlig unbegründete Gefühl zurück. Natürlich war der junge Mann fasziniert von Tanner, wer wäre das nicht? Tanner war charmant, wunderschön, intelligent und außerdem der Erbe einer großen, vermögenden Firma. Kein Wunder, dass ihm alle zu Füße lagen.
Und er gehört zu mir.
Wärme stieg in Coreys Bauch auf. Überrascht stellte er fest, dass sein Tablett schon wieder leer war und bedauernd riss er sich von Tanners Anblick los, um Nachschub zu besorgen. Mit frisch gefüllten Champagnerflöten kehrte er nach einem Abstecher in die Küche zurück in den Raum, der von dem prachtvollen Weihnachtsbaum dominiert wurde. Herr von Straatenfeld legte Wert auf Tradition, daher war der Baum mit echten Kerzen bestückt, die den antiken Weihnachtsschmuck ins rechte Licht tauchten. Silbrig schimmernde Kugeln, fantasievolle, zarte Vögel und wie Eicheln und Zapfen geformte Anhänger zierten die dichten, grünen Zweige. Der Duft nach Tanne, Harz und geschmolzenem Bienenwachs hing in der Luft. Ein Duft, der für Corey untrennbar mit Weihnachten zusammenhing.
Fröhlich plaudernde Menschen spazierten durch den Raum, bewunderten den Baum und nahmen sich im Vorbeigehen Champagnergläser vom Tablett. Die Zimmer waren erfüllt von Wärme, Weihnachtsduft, leisen Gesprächen und dezentem Lachen. Während Corey die Gäste in ihrer eleganten, teuren Kleidung, dem sorgfältig frisiertem Haar und ebenmäßigen Gesichtern betrachtete, fragte er sich unwillkürlich, ob sie wirklich alle das sorglose Leben führten, nach dem sie aussahen. Womöglich gab es hinter den glatten Fassaden genug Dramen und Tragödien.
Woher kamen denn jetzt diese Gedanken? Corey drängte die aufkeimende Melancholie zurück und hielt lieber Ausschau nach Tanner. Der trat in diesem Moment neben seinen Vater, den hochgewachsenen, schlanken Mann, der mit seinen sechzig Jahren eine beeindruckend durchtrainierte, jugendliche Figur machte. An seiner Seite stand seine Frau, die mit dem langen, mahagonifarbenen Haar und den makellosen Gesichtszügen wie ein Model aussah, obwohl auch sie schon auf die Fünfzig zuging. Herr von Straatenfeld hob sein Glas und schlug mit einem Silberlöffel leicht dagegen, sodass ein zirpendes Klingeln durch die Räume schallte. Sofort kehrte erwartungsvolle Stille ein und sämtliche Köpfe wandten sich den von Straatenfelds zu.
»Meine lieben Gäste!« Die sonore Stimme Herr von Straatenfelds klang bis in den letzten Winkel. »Ich freue mich, dass wir uns auch dieses Jahr wieder hier versammeln, um gemeinsam eine gute Zeit zu verbringen. Vielen Dank, dass ihr meiner Einladung gefolgt seid.«
Es folgten weitere Begrüßungsworte, die Corey nur als Hintergrundrauschen wahrnahm, denn er war vollends damit beschäftigt, Tanner zu bewundern. In seinem dunklen Anzug sah er einfach anbetungswürdig aus und der Anblick seines ernsten, blassen Gesichts löste ein sehnsüchtiges Ziehen in Coreys Unterleib aus. Nur noch ein paar Stunden, dann würde sich diese jetzt so kontrollierte Miene vor Lust verziehen und sich Tanners Wangen röten, seine Lippen von ihren leidenschaftlichen Küssen geschwollen und wund sein ...
»... eine großartige Neuigkeit, die ich heute mit euch teilen möchte«, sagte Herr von Straatenfeld und riss Corey aus seinen heißen Fantasien. »Ich habe die Ehre und große Freude, euch die Verlobung meines Sohnes Tanner mit ...«
Für Sekundenbruchteile setzte Coreys Herz aus. Hatte Tanner das geplant? Hatte er mit seinem Vater abgesprochen, es hier
und jetzt öffentlich zu machen? Unwillkürlich trat er einen Schritt vor.
»... Victor MacBarnaby zu verkünden, dem Sohn meines äußerst geschätzten Geschäftspartners Paul MacBarnaby, Inhaber von Barnaby-Industries und Gewinner des diesjährigen Innovationspreises für nachhaltige Landwirtschaft.«
Herr von Straatenfeld sprach weiter, doch seine Worte ergaben für Corey keinen Sinn mehr. Das konnte nicht sein. Bestimmt hatte er sich verhört. Mühsam lenkte er seinen verschwommenen Blick auf Tanner, der noch blasser geworden war und ein seltsames, fremdes Lächeln aufsetzte. Neben ihm stand der junge Omega und strahlte, himmelte ihn geradezu an. Victor MacBarnaby.
Hitze flutete Coreys Körper, wurde von eisiger Kälte abgelöst, die ihm sämtliches Gefühl aus den Gliedern zog. Das Tablett entglitt seinen tauben Fingern und landete klirrend und scheppernd auf dem Boden. Der Lärm löste die Erstarrung. Corey fuhr herum und floh.