»Ich fasse es nicht.« Ines konnte nicht aufhören zu lachen. »Nach welchen Anzeigen habt ihr denn geschaut?«
Elisa war ganz rot. »Das war meine Schuld. Ich hab nur ›möbliert‹ gelesen und fand das gut. Das konnte ja keiner ahnen.«
»Und meine Mutter darf das auf gar keinen Fall erfahren«, sagte Nelly. »Sonst flippt sie ganz aus.«
»Die Tapete war aber schön«, sagte Elisa. »Ich mag ja Rot und Gold.«
»Das bringt uns aber auch nicht weiter. Jetzt haben wir nur noch eine Besichtigung. Irgendwas muss doch klappen.«
»Wo müssen wir hin?«, fragte Ines.
»Finkenwerder.«
Sie fuhren los, und dann musste Nelly unbedingt aufs Klo, und wenn Nelly aufs Klo musste, musste sie aufs Klo. Das war das Gleiche, wenn sie Durst oder Hunger hatte. Es musste sofort für Abhilfe gesorgt werden, sonst war mit Nelly nicht mehr gut Kirschen essen.
»Fahr da rechts die Straße rein«, bat sie Ines. »Schnell. Ich pinkle sonst in die Hose.«
»Und dann? Willst du auf die Straße machen?«
»Egal, ist egal. Da vorne, da sind so Schiffe, da ist ein Hafen, da gibt’s bestimmt ein Klo. Oh, oh, ich kann nicht mehr.«
»Meine Güte, Nelly. Man könnte meinen, du seist noch drei Jahre alt. In dieser Beziehung hast du dich überhaupt und gar nicht verändert.«
»Ich kann nicht mehr, ich kann nicht mehr«, sagte Nelly und hüpfte auf dem Sitz auf und ab. Schließlich bremste Ines, fuhr rechts in eine kleine Seitenstraße und hielt dann an. Sie waren an einem kleinen Hafen gelandet. Ungefähr zehn Schiffe dümpelten hier in der Sonne träge vor sich hin. Weit und breit war kein Mensch zu sehen, und Nelly sprang aus dem Auto. »Wo gibt’s denn hier ein Klo, wo nur, wo?«, rief sie und rannte den Weg entlang.
Ines und Elisa stiegen auch aus. »Das ist ja schön hier«, sagte Elisa, während Nellys Stimme leiser wurde. Sie gingen langsam weiter zu den Booten, die an Holzstegen festgemacht waren. Es war ganz ruhig, nur ein paar Möwen zogen ihre Kreise, und irgendwo hörte man Leute lachen. Auf der Elbe fuhr ein Motorboot entlang, und das Schwellwasser ließ die Schiffe kurze Zeit später sanft schaukeln.
»Die Boote sehen ganz schön alt aus«, sagte Elisa. »Wie aus einem Film. Schau mal, das hat sogar so eine Figur vorn.« Sie deutete auf ein grünes Schiff.
»Das ist eine Galionsfigur«, erklärte Ines. »Diese Figuren wurden früher am Bug der Schiffe angebracht, um den Kurs zu beobachten und das Schiff vor Unglück zu beschützen.«
»Woher weißt du das denn?« Elisa war ganz erstaunt über ihre Mutter.
»Das hab ich in einer Doku gesehen. Guck mal, wie schön die Figur ist.« Es war eine geschnitzte Frauenfigur mit langen schwarzen Haaren, die schon ein wenig ausgebleicht waren, weil niemand sich mehr die Mühe gemacht hatte, die Farbe aufzufrischen. Sie trug ein langes hellblaues Kleid und hatte volle kirschrote Lippen. Versonnen blickte sie geradeaus, es wirkte ein bisschen so, als ob sie nur darauf warten würde, dass es losging. Das Schiff selbst war ungefähr fünfzehn Meter lang, dunkelgrün und aus Holz. Der Takelage sah man an, dass sie länger nicht benutzt worden war.
Wie ein Springteufel hüpfte da plötzlich ein alter Mann aus dem Schiff. »Moin!« Er ging über eine kleine Gangway auf den Steg und nahm seine Mütze ab. Er musste an die achtzig sein, trug eine Arbeitshose und einen dicken schwarzen Wollpullover. Sein weißer Bart sah aus wie gemalt und schien direkt in die weißen buschigen Augenbrauen überzugehen, unter denen stahlblaue Augen blitzten.
»Guten Tag. Ein schönes Schiff haben Sie«, sagte Ines.
»Jo.«
»Wohnen Sie darauf?«, fragte Elisa, die wie ihre Oma Angie immer neugierig war und, obwohl sie sonst relativ zurückhaltend war, in ihrer Neugierde gern mal direkt wurde. Sie war schon mehrfach ins Fettnäpfchen getreten. Als kleines Kind hatte sie die Metzgersfrau gefragt, warum sie so dick sei, und zum Bäcker gesagt, er sei dumm, das würden nämlich alle im Ort sagen. Es war nicht immer einfach gewesen.
»Jo.« Der Mann war sehr gesprächig. Man konnte seinen Redeschwall ja kaum stoppen.
»Wie alt ist das Schiff denn, und wieso wohnen Sie darauf?« Elisa ließ nicht locker.
Der Mann kratzte sich am ebenfalls weißen Haar.
»Neunzehnhundert.«
»Es ist fast zweitausend Jahre alt?« Ines war ganz ehrfürchtig.
»Nee. Gebaut.«
»Ach so.«
»Magucken?«
Elisa schaute das Schiff an. »Ist das schön. Können wir es mal anschauen?«
»Elisa, also echt, du wieder. Du kannst doch nicht einfach …«, sagte Ines, und der Mann meinte: »Habichdochgesacht.«
»Wie bitte?«
»Magucken.«
»Das Schiff angucken?«, fragte Ines.
»Jo«, sagte der Mann, und sie gingen über die Gangway an Bord.
Elisa staunte nicht schlecht. »Also so was. Hier ist ja alles aus Holz, und so dicke Seile.«
»Leinen«, korrigierte der Mann. »Nich Seile wohl.«
»Gut. Leinen.«
Unten im Schiff rumorte was, dann kam plötzlich Nelly zum Vorschein.
»Was machst du denn hier?«, wollte Ines wissen.
»Ich war auf dem Klo«, sagte Nelly erleichtert.
»Plötzlichwarsedawohl«, sagte der alte Mann und zuckte mit den Schultern.
»Wenn ich aufs Klo muss, muss ich aufs Klo«, erklärte Nelly. »Und ich hab gesehen, dass die Tür da offen war.«
»Niedergangheißtdaswohl«, sagte der Mann.
»Der Niedergang war offen«, korrigierte sich Nelly. »Und als ich unten ankam, war da der Herr Johannsen und hat gefragt, ob wir jetzt einen Termin hätten. Aber erst mal musste ich aufs Klo.«
»Seidjaauchvielzufrühwohl«, sagte Herr Johannsen und holte eine Pfeife hervor, die er umständlich anzündete.
»Zu früh für was denn?«, fragte Ines.
»Besichtigungwohl.« Herr Johannsen zog an seiner Pfeife.
»Welche Besichtigung?«, fragte Elisa neugierig. »Sind Sie Makler?«
»Nö.« Herr Johannsen schaut auf seine Uhr. »Naisjanochfrüh.«
»Lasst uns mal weiterfahren«, schlug Ines vor. »Das wird sonst alles zu spät.«
»Magucken?«, fragte Herr Johannsen. »Oderwollnsenich?«
»Ich verstehe nicht, was Sie meinen.«
»Nadasschiff.«
»Ja, das ist schön.«
»Magucken?« Herr Johannsen ließ nicht locker.
»Ist es vielleicht möglich, dass Sie in ganzen Sätzen sprechen?«, fragte Elisa. »Es wäre irgendwie ganz hilfreich, was die Kommunikation betrifft.«
»Mpf«, machte Herr Johannsen, und ihnen war nicht klar, ob das jetzt ja, nein, vielleicht oder schert euch zum Teufel bedeuten sollte.
»Also, wir müssen dann mal, Herr Johannsen«, sagte Nelly.
»Warstdochschonwohl«, lautete die Antwort.
»Nicht aufs Klo, sondern weiter. Zu einer Wohnungsbesichtigung. Wir suchen nämlich eine Wohnung in Hamburg, weil wir bald hierherziehen werden.«
»Mpfgefälltdasschiffdirnich?«
»Doch, das Schiff ist toll.« Langsam begannen die drei, Herrn Johannsens zusammengewürfelte Worte zu verstehen. Man musste sich die Pausen einfach denken.
»Warumdannnich?«
»Ja was denn?« Elisa wurde ungeduldig.
»Hierwohnenhabdochneninserataufgegebenwohl.«
»Was denn für ein Inserat?«
»Fürsschiff.«
»Sie suchen jemanden, der auf dem Schiff wohnt?«
»Was?«
»Schiffheißtersteliebe.«
Wenn das so weitergeht, dachte Ines, stehen wir im Herbst noch hier.
Herr Johannsen schaute sie an und runzelte die Stirn.
»Das Schiff heißt Erste Liebe«, sagte er schließlich klar und deutlich, und Ines, Elisa und Nelly erschraken.
»Er kann richtig sprechen«, sagte Nelly dann.
»Natürlich kann ich richtig sprechen, ich habe nur keine Lust mehr dazu«, sagte Herr Johannsen und sog an der Pfeife. »Ich bin neunundsiebzig und heiße übrigens Claas.«
»Und?«, wollte Elisa wissen. »Das wusste ich bislang noch nicht, dass man ab einem gewissen Alter nicht mehr richtig spricht.«
»Ich bin jahrelang zur See gefahren und später hab ich Hafenrundfahren angeboten«, bekam sie von Claas erklärt. »Jeden Tag Hunderte verschiedene Leute, und allen musst du was Lustiges erzählen. Wir nehmen keine EC-Karte, wir sind eine Barkasse, hahaha.«
»Was ist eine Barkasse?«, fragte Elisa.
»Ein kleines Schiff, auf dem ich die Leute rumgefahren hab auf der Elbe.«
»Und was ist an diesem Spruch so lustig?«
»Der Wortwitz.«
»Welcher Wortwitz?«
»Barkasse und bar.«
»Verstehe ich nicht«, sagte Elisa.
»Du verstehst nie Witze«, sagte Nelly. »Sie kann über Witze nicht lachen, sie nimmt immer alles sehr wörtlich«, erklärte sie Herrn Johannsen.
»Also seid ihr nun wegen des Inserats hier oder nich?«, wollte der wissen.
»Welches Inserat denn?«, fragte Ines.
»Na, ich will das Schiff vermieten. An fünf junge Leute. Am liebsten an Studenten. Deswegen hatte ich letzte Woche die Anzeige in der Zeitung. Und ich dachte, ihr seid die ersten Interessenten.«
»Oh«, machten Ines, Nelly und Elisa gleichzeitig.
»Äh, nein, wir waren nur hier, weil Nelly aufs Klo musste«, erklärte Elisa. »Aber das ist ja eine schöne Idee, auf einem Schiff …«
»Ich freue mich schon darauf, deine Mutter zu hören, Nelly«, sagte Ines. »So ein Schiff kann untergehen, du ertrinken, oder jemand klettert nachts drauf und sticht dreißigmal auf dich ein.«
»Gucken können wir ja mal.«
»Kommt«, sagte Herr Johannsen. »Ich zeig euch alles. Wir …«
»Haaaallooooooo! Ist hier jemand?? Haaaallloooooo?«, kam es da vom Parkplatz. Sie drehten sich um.
Eine große blonde Frau stöckelte in High Heels auf sie zu. Sie trug ein Pelzjäckchen und war klunkerbehängt. Zwei Mädchen in Elisas und Nellys Alter trottelten ihr gelangweilt und kaugummikauend hinterher. Beide waren bildschön und könnten Models sein. Aber sie glotzten dümmlich, was die Schönheit auf die hinteren Plätze verdrängte.
»Madeleine zu Grabing-Maffringstedt, Sie sind bestimmt Herr Johannsen, also so was Schönes, das ist ja richtig pittoresk hier, was für eine entzückende Aussicht. Walburga, Mechthild, sagt fein Guten Tag zum Herrn Johannsen, und wer sind Sie?« Aus grünen, perfekt mit Eyeliner umrandeten Augen wurde Ines angestarrt. Nelly und Elisa wurden von Frau zu ignoriert, die auch gar keine Antwort abwartete und fragte: »Und wo ist die Wohnung?« Die beiden Mädchen schauten sich blöde um. Die Frau zu sonst was sah dumm aus.
»Go mi aff«, nuschelte Herr Johannsen und kletterte wieder von Bord. Ines, Elisa und Nelly folgten ihm.
»Ich hatte ja angerufen, wir sind ein bisschen zu früh dran, aber wie sagt man, ach da gibt’s doch so ein Sprichwort mit dem Vogel, der rechtzeitig aufsteht, um sein Frühstück zu suchen, denn sonst ist nichts mehr da. Haha.«
Ines runzelte die Stirn. Wie doof war die denn bitte?
»Also, die Wohnung«, sagte die Frau zu wichtig.
Die vier Mädchen begutachteten sich gegenseitig. Walburga und Mechthild waren von oben bis unten mit Designerkleidung ausgestattet, die Embleme der Hersteller schienen sich gegenseitig übertrumpfen zu wollen. Walburga kramte nun in ihrer Prada-Tasche herum, die die Initialen WGM eingeprägt hatte.
Sofort fühlte Elisa sich klein. Sie hatte zwar auch gute Kleidung, aber solchen Markenfetischismus betrieb sie nun doch nicht. Das würde auch gar nicht gehen. So reich waren sie nun mal nicht, und in ihrer Familie zählten andere Werte.
Nellys Eltern hatten zwar viel Geld, aber Nelly legte überhaupt keinen Wert auf übertrieben teure Kleidung. Außerdem wäre sie sich darin Elisa gegenüber blöde vorgekommen. Wenn die beiden zusammen zum Shoppen gingen, machten sie vorher aus, wie viel sie ausgeben würden. Zum Geburtstag allerdings hatte Nelly ihrer besten Freundin schon mal eine tolle Kette geschenkt, weil sie Elisa dabei beobachtet hatte, wie die sie durchs Schaufenster anschmachtete. Aber auch da übertrieb sie es nicht. Elisa sollte auf gar, gar keinen Fall denken, dass Nelly sich besser fühlte als sie. Dafür liebte sie die Freundin viel zu sehr. Außerdem, so sagte sich Nelly sehr klug, war nicht sie es, die Geld hatte, sondern der Vater, der es verdiente.
Nelly war eine gute Freundin. Schon immer gewesen. Nicht nur für Elisa. Sie war in der Schule beliebt gewesen und wurde zur Klassensprecherin und zweimal zur Schulsprecherin gewählt. Sie war geradeheraus, ehrlich und direkt, ohne dabei verletzend zu wirken. Nelly wusste ganz genau, wie klein sich Elisa manchmal fühlte und dass sie nicht mit allzu großem Selbstbewusstsein ausgestattet war, und sie zog die Freundin immer mit, machte Komplimente und hatte sie einfach lieb. Sie selbst war ja auch oft schwierig.
»Was is denn nun, Ma?«, fragte Mechthild und schob ihre Chanel-Sonnenbrille ins Haar, das selbstverständlich extra undone frisiert war. Dann schaute sie auf ihre Armbanduhr und verdrehte die Augen.
»Ja, was ist denn nun?«, flötete Madeleine. »Wir haben ja nun auch nicht ewig Zeit. Ich hab noch Termine.«
»Natürlich«, sagte Nelly. »Also die Wohnung, die ist hier. Auf dem Schiff. Und leider ist das Klo kaputt. Der Fäkalientank ist übergelaufen, und da müssen wir jetzt erst mal alle zusammen ran.«
Ines, Elisa und Herr Johannsen glotzten Nelly an. Was redete die denn da?
»Es stinkt«, ging es nun weiter. »Kommt ihr?« Sie sah Mechthild und Walburga auffordernd an. Die wichen zurück.
»Mum …«, entsetzt schauten sie ihre Mutter an.
»Also, ich verstehe gar nichts«, sagte Madeleine. »Was soll das heißen, die Wohnung ist das Schiff? Und wieso ist ein Tank übergelaufen?«
»Ich zeig es Ihnen und geb Ihnen auch einen Putzlappen«, erklärte Nelly freundlich.
»MUM!« Mechthild hyperventilierte.
»Ich glaube, das ist alles nicht das Wahre«, sagte Madeleine, und ihre Töchter nickten so schnell, dass man als Außenstehender denken könnte, sie würden an Parkinson leiden.
»Ich würde Sie ja zur Tür begleiten, wenn es eine gäbe«, sagte Nelly süß.
»Wir gehen!« Madeleine drehte sich um. »Mit einer Schiffwohnung und vollen Tanks mit was auch immer hatte ich nicht gerechnet. Das ist ja widerwärtig. Kommt.«
Mechthild und Walburga ließen sich das nicht zweimal sagen. Arrogant stiefelten sie an Nelly und Elisa vorbei.
»Herr, lass bitte Hirn regnen«, sagte Nelly, als sie endlich weg waren. »Also die waren ja wirklich nicht die schärfsten Messer in der Besteckschublade.«
Herr Johannsen lachte, und seine blauen Augen blitzten. »Sach mal, woher weißt du denn, was ein Fäkalientank ist?«
»Ich war doch bei Ihnen auf dem Klo. Da hängt ein Zettel, auf dem steht, was alles nicht ins Klo darf, weil sonst der Fäkalientank verstopft.«
»Gut aufgepasst.« Claas nickte zufrieden.
»Was darf denn nicht ins Klo?«, fragte Elisa.
»Nichts darf ins Klo. Nur das Biologische«, erklärte Nelly. »Sonst kann der wirklich kaputtgehen.«
»Ich hatte das mal«, sagte Herr Johannsen. »Da hatte jemand lauter Papiertaschentücher benutzt, und alles war verstopft. Beim Reparieren bin ich mit dem Kopf im Tank stecken geblieben. Das wünscht man seinem ärgsten Feind nicht.«
»Was für ein herrliches Thema«, freute sich Ines. »Ich wollte schon immer viel über Fäkalientanks erfahren.«
»Also, das war so …«, fing Claas an.
»Das war ein Scherz«, sagte Ines streng, und Claas war enttäuscht.
»Jedenfalls sind die von und zus weg«, sagte Elisa. »Ich mochte die nicht.«
»Ach, echt?« Nelly verdrehte die Augen. »Und ich war mir sicher, dass das genau der Schlag Mensch war, den du so liebst.«
»Sehr witzig. Aber Herr Johannsen, jetzt mal im Ernst – Sie suchen wirklich Mieter für Ihr Boot?«
»Jo.«
»Und wir sind die ersten Interessenten?«
»Also Interessenten würde ich jetzt nicht gerade sagen, wir sind ja zufällig vorbeigekommen«, sagte Ines.
»Trotzdem interessieren wir uns für das Boot«, stellte Elisa fest.
»Sehr sogar. Ich mag das Schiff.« Nelly nickte. »Außerdem weiß ich ja jetzt, wie man mit dem Fäkalientank umgeht. Da stand auch …«
»Nelly, bitte«, sagte Ines. »Also, Herr Johannsen, wenn Sie uns die Eckdaten nennen könnten?«
»Was?«
»Na, eben Mietkosten und so«, sagte Ines.
»Ach so. Ja, weiß ich jetzt auch nicht«, sagte Herr Johannsen.
»Haben Sie denn nichts davon in die Anzeige geschrieben?«
»Nö.«
»Was steht denn in der Anzeige?«
Claas steckte eine Hand in seine tiefe Hosentasche und zog, nachdem er neunundsiebzig Schrauben, zwei Taschentücher, vier Holzstücke und zwölf Zettel herausgeholt und begutachtet hatte, endlich ein weiteres Stück Papier hervor. »Hier«, sagte er. »Wohnung zu vermieten. Direkter Blick aufs Meer. Sympathie entscheidet.«
»Das ist alles?«, fragte Ines.
»Jo.«
»Wahrscheinlich dachte Frau von und zu, das ist so eine außergewöhnliche Designerwohnung an der Elbe«, sagte Elisa.
»Ist es ja auch, wenn man’s genau nimmt. Außergewöhnlich allemal, und designt hat das Schiff ja auch mal wer«, sagte Nelly. »Haben sich denn viele gemeldet?«
»Weißichnich. Muss noch den Anrufbeantworter abhören. Ich hatte nur zwei Termine heute. Die von und zus, und gleich kommen noch Leute. Na, und ihr wohl.«
»Also für fünf Leute ist die Erste Liebe?«, fragte Nelly.
»Jo. Sollicheuchjetzmaalleszeigen?« Claas hatte nun wieder keine Lust mehr zu sprechen.
»Ja!«, riefen sie im Chor, dann gingen sie zusammen wieder über die Gangway aufs Schiff. Elisa und Nelly waren ganz aufgeregt. Das nahm ja alles eine Wendung, die ihnen nur zu gut gefiel!
»Ist das schön«, sagte Elisa. »Schau doch mal, dieser tolle alte Herd. Und die Töpfe sind aus Kupfer.« Sie hatte ein Faible für solche Sachen. »Es gibt sogar einen zerbeulten Teekessel, das ist ja wie in einem alten Film mit Seeleuten, die Tag und Nacht unterwegs sind, bei Sturm und Schnee und Starkregen oder allem zusammen, oh, oh, und dann kochen sie sich zur Stärkung einen Tee, können aber die Tassen nicht halten, weil die Finger so steif gefroren sind, und vielleicht waren da auch hungrige Haie, die nur darauf warteten …«
»Elisa, hör bitte auf. Du mit deiner Fantasie immer. Wie deine Oma.« Ines schüttelte den Kopf, und Nelly sah die Freundin stirnrunzelnd an. Wenn Elisa sich in etwas reinsteigerte, konnte es gut passieren, dass sie anfing, zu dozieren, und alles so lange und ausführlich ausbreitete, dass alle verrückt wurden. Glücklicherweise reichte meistens ein Blick von Nelly, und sie hörte auf. So wie jetzt.
Die Erste Liebe war wirklich schön. Alles war aus Mahagoni, die Sonne schien durch die Luken, an denen grün-weiß gestreifte Vorhänge gespannt waren, und ließ das Holz rötlich leuchten. Rechts war die Küche, die man Pantry nannte, wie Claas erklärte, sie war L-förmig angerichtet, es gab einen Gaskocher mit Backofen, genügend Stauraum für Lebensmittel, und die Teller und Tassen waren mit Ankern und Leuchttürmen verziert. Überall waren Griffe, an denen man sich bei Lage, wie Claas erzählte, festhalten konnte. Der Herd schwang hin und her. Kardanisch nannte man das, bekamen sie weiter von Claas erklärt, dem man die Liebe zu seinem Schiff anmerkte und der es sichtbar genoss, alles zu zeigen.
»Das ist der Salon«, sagte er und deutete auf den eingelassenen Holztisch mit zwei Bänken, die mit dunkelgrünem Samt gepolstert waren. »Hier haben fünf bis sechs Leute Platz, hinter der einen Bank ist noch reichlich Stauraum für Bücher oder was auch immer. Steuerbord hätten wir dann die erste Koje, backbord die zweite.« Er öffnete eine mit einem Schiff unter Segeln bemalte Holztür.
»Das sind ja Stockbetten!« Nelly freute sich. »Ich schlaf oben!«, rief sie gleichzeitig mit Elisa. »Wir können uns auch abwechseln«, sagte Nelly dann.
Claas nickte fröhlich. »Sie ist schön, die Erste Liebe, nicht wahr?«
»Schön ist gar kein Ausdruck, sie ist wunderschön!«, rief Nelly, und Claas freute sich sichtlich.
»Es gibt noch eine kleinere Kammer für eine Person. Vorn ist die größte. Da haben früher die Eigner geschlafen. Das ist die einzige mit einem Doppelbett. Und Schränke gibt es auch. Für fünf Leute ist hier reichlich Platz.«
»Vielleicht sollten wir doch vorne schlafen«, überlegte Elisa. »Wenn man nachts aufs Klo muss und dann immer von dem oberen Bett runterklettern muss …«
»Noch ist ja gar nicht sicher, ob ihr das überhaupt machen werdet, Elisa«, mischte Ines sich ein, die aber auch begeistert war. Es war so romantisch! Die Planken knarzten, wenn man über den Boden ging, und es roch nach schönem Schiff, dachte Iris, ohne dass sie näher erklären konnte, wie ein schönes Schiff denn nun roch, weil sie vorher noch nie auf einem gewesen war. Sie fühlte sich wohl, die Erste Liebe verströmte eine angenehme Sicherheit. Das leichte Schaukeln des Schiffs, die Sonnenstrahlen, die gemütlichen Kojen, die Kupfertöpfe. Am liebsten hätte Ines selbst hier gewohnt. Und die Mädels waren begeistert.
»Wie gut, dass ich aufs Klo musste«, sagte Nelly strahlend. »Sonst hätten wir uns nie kennengelernt, Herr Johannsen.«
»Sagt ruhig Claas zu mir, dann fühle ich mich jünger«, erklärte Claas. »Ich freu mich auch, dass wir uns kennengelernt haben. So Leute wie die da eben, die kommen mir nicht aufs Schiff.«
»Mami«, sagte Elisa. »Jetzt sag doch auch mal was.«
»Na ja, was soll man zu einer solchen Wohnung schon sagen, außer dass sie sehr ungewöhnlich und sehr gemütlich ist.« Ines setzte sich auf eine gepolsterte Bank.
»Wollt ihr alle einen Tee?«, fragte Claas, und sie nickten. »Na, dann kommt mal her, Deerns, dann zeig ich euch gleich mal, wie der Kocher funktioniert. Im Hafen hier haben wir zwar Landstrom für den Heißwasserkocher, aber ihr wollt ja bestimmt auch mal was auf dem Gasherd kochen.«
»Moment mal«, sagte Ines. »Wir haben ja noch gar nicht über die Einzelheiten …«
»Jetzt fängt sie schon wieder damit an«, brummte Claas. »Was denn für Einzelheiten? Die Mädels wohnen auf der Ersten Liebe, jede zahlt im Monat hundert Euro, und das Schiff wird sauber gehalten. Punktum.«
»Hundert Euro?« Ines konnte es nicht glauben.
»Jo.«
»Hundert Euro?«, fragten nun auch Elisa und Nelly im Chor.
Claas runzelte die Stirn. »Na gut, dann siebzig.«
»Nein, nein.« Ines hob die Hände. »Bitte nicht!«
»Dann fünfzig.« Claas war nicht aufzuhalten. »Können wir jetzt Tee machen?«
»Natürlich nicht.«
»Warum?«
»Ich meine das Geld.«
»Wieso?« Claas verstand nicht.
»Fünfzig Euro sind natürlich zu wenig.«
»Zu wenig? Na, dann nicht.«
»Was denn nun?« Ines verdrehte die Augen.
»Das wird mir zu kompliziert. Wollt ihr nun hier auf der Ersten Liebe wohnen oder nicht?«, fragte er Nelly und Elisa.
»Ja!«, riefen die im Chor.
»Dann ist doch alles in Butter«, sagte Claas. »Mir ist das wichtig, dass ich die Leute mag. Und hin und wieder vorbeikommen kann. Ich zieh ja nu mit jemandem zusammen. Mit der Grusche, einer alten Freundin. Man wird ja nich jünger. Wir kümmern uns da umeinander. Aber ich will das Schiff nich aufgeben. Also dachte ich, ich vermiet es an junge Leute. Dann tut man auch gleich was Gutes, nich? Will wer Zitrone? So, nun kommt mal her. Da wird das Gas angeschaltet. Hier müsst ihr drücken und den Schalter dabei nach rechts …«
»HALLO! IST JEMAND DA? Wir haben einen TERMIN!«, brüllte jemand von draußen, und alle auf der Ersten Liebe zuckten zusammen. Elisa hatte fast das Gefühl, das Boot habe sich auch erschrocken.
»Go mi aff. Das müssen die anderen Leute sein, die ich bestellt hatte«, knurrte Claas und kletterte den Niedergang hoch. Elisa, Nelly und Ines folgten ihm neugierig.