Valentine
Ich muss ein sehr starkes Selbstbewusstsein haben (oder zumindest ein sehr positives Bild von meiner Fruchtbarkeit), als ich gedacht habe, die Pille danach würde bei mir nicht wirken. Und ich würde zu den 5% Frauen mit unbesiegbaren Hormonen gehören. Schade. Ich fand, eine Fruchtbarkeitsgöttin passe recht gut zu einem fast übermenschlichen Wikinger mit Zöpfen. Ich hätte mich gut als schwangere Artemis mit kurzen Haaren, Köcher und Pfeilen gesehen, die das Leben um jeden Preis verteidigt, auch wenn es sehr viel Ärger bedeutet. Oder als Juno, deren schweren Brüste aus ihrer römischen Toga hervorquellen und die einen Halbgott einsam gebiert, während ihr untreuer Jupiter Himmel und Erde auf den Kopf stellt. In einem schweren Anflug von Albernheit habe ich sogar den Namen der Fruchtbarkeitsgöttin in der nordischen Mythologie nachgeschlagen: Frigg. Nett, oder? Ein sehr hübscher Name. Er klingt so herzlich und kein bisschen kalt. Nein, ich bin nicht für die nordische Kultur geschaffen. Ich werde Valentine als Vornamen beibehalten. Und verstaue meine Träume über diesen Mini-Nils in einem (verborgenen) Teil meines Kopfes bei der Abteilung: „Fantasien, die es niemals umzusetzen gilt“.
Es sind schon sechs Monate her, dass ich mich jeden Tag beglückwünsche, nicht den gleichen Fehler wie meine Eltern gemacht zu haben, nicht vom falschen Kerl geschwängert worden zu sein, von einem, der zu hübsch ist, um wahr zu sein, und zu blöd ist, um bei mir zu bleiben (und vor allem zu außergewöhnlich, um sich mit einer kleinen Brünetten zu begnügen, die er auf der Ladefläche eines Pick-ups im Urwald von Madagaskar einmal gebraucht hat). Für Nils Eriksen handelt es sich bestimmt um eine Nacht wie alle anderen. Er hat mich schon durch eine rothaarige Schlampe ersetzt, deren Brüste vor Gesundheit nur so strotzen, mit denen sie eine ganze Mehrkindfamilie säugen könnte, selbst kleine hungrige Wikinger-Kinder. Es hätte sein können, dass das Verhältnis zwischen Nils und dieser berüchtigten Rita nicht lange hält. Und es hätte auch sein können, dass ich es nicht erfahre. Doch sie meinte, ihre Show abziehen, wie ein Star herumzicken und auf Skandalfotos erscheinen zu müssen, um im Rampenlicht zu stehen. Und somit auch er. Mir springt ein Foto der beiden ins Gesicht, als ich eines Morgens eine Boulevardzeitschrift im Wartesaal des Zahnarztes etwas beschämt durchblättere.
Als Dr. Wong meinen Namen aufruft, lese ich gerade die Beschreibung eines bescheuerten Fotos: Die Kanone Rita Shank hat gar keine Hemmungen unter einem Bild der Schauspielerin, die gerade aus einem Auto steigt und anscheinend keine Unterhose trägt. Als Dr. Wong erneut „Valentine Laine?“ mit einem fragenden und etwas ungeduldigen Ton ruft, löse ich endlich den Blick von diesem Schmuddelblatt. Mein Blick fällt auf den einzigen anderen Patienten, der anwesend ist: Ein etwas älterer Mann, er hebt die Hände, um den Zahnarzt davon zu überzeugen, dass er nicht Valentine heißt. Ich lasse dem unschuldigen alten Herrn ganz höflich den Vortritt zum Folterstuhl, um ruhig weiterlesen zu können. Der Artikel über Rita und Nils ist nicht länger als sechs Zeilen und endet mit diesem Satz: „Der hübsche blonde Mann, der ihr die Autotür öffnet, ist mit seinem schwedischen Aussehen sicher kalte Luftzüge gewohnt. Es scheint ihn nicht zu beängstigen!“
Er hat norwegische Wurzeln, ihr Idioten!
Nein, er hat keine Angst. Und ja, bei ihm könnte jedem heiß werden …
Ich knalle die Zeitschrift wieder zu, als ob ich so die Seiten direkt auf Ritas Gesicht knallen könnte. Dann warte ich ungeduldig, bis ich an der Reihe bin, und muss etwas aufgeregt daran denken, dass ich zu spät ins Büro kommen werde, ich besser nicht Herrn Valentine den Vortritt hätte lassen sollen und dass sogar das Gefühl der Stahlfräse auf meinen Zähnen eine geringere Qual sein wird als dieses verdammte Foto, das mir nicht mehr aus dem Kopf geht. Nils und sein dunkelgrauer Anzug, Nils und seine Gladiatorenstatur, Nils und seine fast weißblonden Haaren, die seit letztem Mal wieder etwas gewachsen sind, Nils mit seiner riesigen Hand, die er gen Himmel geöffnet hat und mit der er ritterlich Ritas Hand hält, Nils und seine hübschen grauen Mandelaugen, der vielleicht etwas über den Anblick der teilweise unbekleideten Schauspielerin belustigt und vielleicht ein wenig vom Blitzlicht des Fotografen genervt ist. Bei dem Geräusch der Zahnarztinstrumente auf der anderen Seite der Wand werde ich noch nervöser, meine quälenden Gedanken plagen mich noch mehr und rufen mir noch andere Gedanken in Erinnerung, die nicht auf dem Foto zu sehen sind: die wunderschönen Tribal-Tattoos, die seine breiten Schultern schmücken, der Kontrast dieser geheimnisvollen schwarzen Zeichen auf seiner weißen, fast engelsgleichen Haut; seine langen seidigen Haare, die er damals trug und die durch meine Finger glitten; die ruhige Kraft seiner Hände auf meinem Körper, die manchmal männlich, manchmal sanfter waren; die Spur meiner Zähne auf seiner Hand, als ich ihn vor Begierde gebissen habe, ein nun sicher verschwundener Beweis für unsere heiße Nacht.
Aber warum drängen sich mir diese Gedanken noch auf? Warum scheinen all meine Gefühle so stumpf, seitdem er mir eine so intensive Leidenschaft geschenkt hat?
Dr. Wong, rufen Sie bitte meinen Namen auf! Und tun Sie mir weh, bitte, damit ich ihn besser vergessen kann!
***
Nachdem er mir fast schmerzlos den Zahnstein entfernt hat (was nicht den Schmerz bezüglich Nils vertreiben konnte), komme ich gerade noch rechtzeitig am Cox-Tower für die Besprechung um zehn Uhr an. Ich gehe direkt zum großen Raum und trage dabei noch meine Jacke und meine Handtasche.
„Hast du dir heute Morgen freigenommen?“, fragt mein Vater, der schon am großen u-förmigen Tisch mit Lana an seiner Seite Platz genommen hat.
Ich weiß nicht, ob es sich dabei um einen dummen Büroscherz, um einen kläglichen Versuch, unser Vater-Tochter-Verhältnis zu verbessern, handelt oder bloß wieder um eine Kontrollfreak-Bemerkung eines Workaholics, der niemals auf die Idee kommen würde, mit der Arbeit später als morgens um halb acht zu beginnen.
„Danke, dass du dich um meinen Terminkalender sorgst, Darren“, sage ich völlig ernst. „Nächstes Mal werde ich dich um Beurlaubung bitten, bevor ich meinen alljährlichen Abstrich mache. Aber keine Sorge: Kein Nachwuchs in Aussicht, du wirst keine weiteren unerwünschten Erben in deinem Testament vermerken müssen. Es sei denn, jemand anderes tut dir diesen Gefallen …?“
Ohne, dass ich sie überhaupt ansehen muss, wird Lana (die rechte Hand meines Vaters und seine offizielle Geliebte) ganz rot und senkt den Blick in ihre Akten. Sie scheint nicht bemerkt zu haben, dass sie auf Seiten schaut, die verkehrt herum liegen und die sie anscheinend vergessen hat umzudrehen, als sie nicht das Gesicht verlieren wollte. Mein Vater räuspert sich bloß, zupft seine Krawatte zurecht, die eigentlich hervorragend sitzt, und setzt ein Lächeln auf, das er Faith und Lewis schenkt, die gerade mit Becca, Jeff und Rory auf den Fersen hereingekommen, den drei jeweiligen Abteilungsleitern.
„Wir sind vollzählig, wir können jetzt anfangen“, kündigt Darren an, um das betretene Schweigen zu brechen, und reibt sich dabei laut die trockenen Hände.
Ich übersehe seine ungeduldige Geste, eröffne die Sitzung und kündige an, dass unsere ganz neue Abteilung für Tauschhandel bald in die Betaphase geht. Natürlich erwarten wir, dass sie einen rasanten Aufstieg macht und sogar vielleicht für eine Revolution auf dem Online-Markt sorgt. Ein jeder, der am Tisch versammelt ist, hat ein stolzes, siegreiches … und müdes Lächeln aufgesetzt – mit Ausnahme meines Vaters. Es ist knapp sechs Monate her, dass wir damit begonnen haben, an dieser Idee zu arbeiten, um unserem direkten Konkurrenten zuvorzukommen. Wir alle, Faith, meine neue Assistentin, die Entwicklungsteams, die Kreativmanager und die Angestellten, haben wie bei einem Spießrutenlauf ununterbrochen gearbeitet. Noch nie wurde eine Abteilung in der gesamten Geschichte des Cox-Konzerns so schnell erdacht, gestaltet und auf die Beine gestellt. Darren sollte eigentlich wie jeder CEO völlig hin und weg sein. Doch er nickt bloß, während sich dabei seine weißen Haare bewegen (die er etwas zu lange trägt, damit er jünger aussieht). Der strenge Blick in seinen kleinen schwarzen Augen verrät keinerlei Gefühle (aber sie lassen auf seine 64 Jahre schließen).
Es gibt gewisse Dinge, die man selbst mit zehn Milliarden Dollar nicht kaufen kann …
Da ich seiner Gleichgültigkeit leid bin, lasse ich Lewis Cole das Wort über technische Einzelheiten und vor allem Zahlen, die eher den CEO Cox interessieren dürften. Mit seiner monotonen Stimme betäubt Lewis mich im Handumdrehen. Ich nutze die Gelegenheit und lasse meine Gedanken umherschweifen. Diese fassen selbstständig das Geschehen zusammen: Ich, Valentine Laine, habe mich mit dem Mann, den mein Vater angeheuert hat, damit dieser mich heil zurückbringt, nachdem ich in Madagaskar gefangen genommen wurde, vergnügt. Den er übrigens auch nur angeheuert hat, um die Nachfolge seines geliebten Konzerns zu sichern, und nicht, um seine einzige Tochter zu beschützen. Das ist etwas traurig oder geradezu bestürzend, aber so betrachtet, muss ich darüber fast lächeln. Also konnte ich mir mit Darrens Geld eine wilde Sexnacht unter freiem Himmel leisten. Und es ist wirklich das erste Mal, dass ich am liebsten „Danke, Papa!“ sagen würde.
Was, wenn ich mich wieder entführen lasse …?
Diese dumme Idee geht mir durch den Sinn, während ich etwas auf einem Blatt herumkritzele, als mir bewusst wird, dass ich seltsame schwarze Tribal-Motive aufgezeichnet habe, die Faith nun über meine Schulter hinweg zu interpretieren versucht.
[Tue wenigstens so, als würdest du der Besprechung folgen … Nicht so wie ich!], schreibe ich in Kleinbuchstaben und zeichne einen augenzwinkernden Smiley dazu.
Wie kann man in weniger als zehn Sekunden jegliche berufliche Glaubwürdigkeit wegen eines verdammten blonden, tätowierten Riesen verlieren, der mich so schnell vergessen, wie er mich verführt hat? Eigentlich würde es ausreichen, dass ich dasselbe tue. Ihn aus meiner Erinnerung streichen. Seine Berührung auf meiner Haut vergessen. Es sind schon sechs Monate her. Und ich bin mir sicher, dass mein Gehirn meine Erinnerungen an diese Nacht schöngefärbt hat. Das ist zum Heulen. Nils Eriksen, verlasse diesen Körper! Sofort! Oder kehre wieder darin zurück, zärtlich, tief, wild, wie du es so gut kannst …
Nein! Halt!
Ich schließe wieder den Mund, den ich ganz dämlich halb geöffnet hatte, drehe mein halb verkritzeltes Blatt um, lege meine professionellste Miene auf und richte die Augen auf diesen guten alten Lewis Cole. Während er gewisse Informationen erläutert, die zwar interessant sind, aber keinerlei Tonschwankung enthalten, spannt sich sein Hemd über seinem fülligen Bauch an und der Stoff öffnet sich gefährlich zwischen zwei Knöpfen gerade im Bereich des Bauchnabels. Ich wusste gar nicht, dass man dort so behaart sein kann. Wie war denn nochmal Nilsʼ Bauch? Muskulös, ja, aber behaart oder nicht?
Halt, ich wollte doch damit aufhören!
Wenn mir selbst mein geliebter Job nicht mehr dabei helfen kann, diesen Dreckskerl zu vergessen, habe ich ein Problem. Ich habe eine Menge Dinge zu erledigen, wie an all den anderen Tagen auch, ich muss meinen Vater provozieren, seine Geliebte ignorieren, meine Mutter unterstützen, mondäne Galas besuchen (das will ich auch) und ich habe einen Freund oder fast (der auf jeden Fall mit dieser Bezeichnung einverstanden wäre, wenn ich ihn so nennen wollte). Nicht wie dieser Nils. Auf jeden Fall ist mein Leben schon sehr gefüllt. Ich brauche ihn nicht.
Nach dem einstündigen Vortrag von Lewis und einer etwa zweistündigen Gesprächsrunde (bei der jeder das Wort hatte und sich äußern konnte), kann ich Aina auf der anderen Seite der Glaswände sehen, die den Tagungsraum umgeben. Sie winkt mir zu, deutet mit dem Zeigefinger auf ihre Uhr, dann auf ihren weit geöffneten Mund und auf ihren anscheinend leeren Magen. Sie mimt mit den Armen die Zeiger einer Uhr, die in Zeitlupe tickt, dann simuliert sie schließlich eine Unterzuckerung. Ich kann mir kaum das Lachen verkneifen, bedanke mich bei Rory, dem letzten Redner, dann verabschiede ich mich bei all den Leuten, deren Magen knurrt und die sicher nur noch davon träumen, sich auszustrecken, bevor ich die Uhrzeit für den Abschluss dieser Konferenz am frühen Nachmittag bekannt gebe.
„Ich dachte, du würdest niemals aus deinem Aquarium herauskommen!“, seufzt meine Freundin aus Kindheitstagen leise.
Ich liefere ihr eine perfekte Imitation von Nemo als einzige Antwort: Große schielende Augen, aufgeblasene Wangen, und gebe vor, mit dem Mund Blasen zu bilden, bis Aina sich mir um den Hals wirft. In den letzten Monaten hat sie ununterbrochen an ihrer Reportage gearbeitet, in der sie den Schmuggel von Rosenholz auf Madagaskar anprangert, und sie hat es geschafft, ihren Film an einen französischen Fernsehsender zu verkaufen. Zurzeit kommt es für sie nicht infrage, auch nur einen Fuß in ihr Heimatland zu setzen, wo sie Persona non grata ist. Also ist sie vor einigen Wochen zu mir in die USA gekommen (nachdem ich sie Abertausendmal darum gebeten hatte), wo sie eine Atempause einlegen und aus dem Ausland ihren Kampf weiterführen kann. Ich glaube, sie dachte nicht, es sei für mich so schwer, sie in meinem überfüllten Terminkalender unterzukriegen. Sie hat damit aufgehört, Treffen mit mir zu vereinbaren, die ich regelmäßig verschieben musste, und macht mir lieber eine Überraschung im Cox-Tower, um mich mit ihrem Hundeblick umzustimmen.
„Also, gehen wir mittagessen? Ich warte auf dich!“, sage ich ironisch und gehe weiter.
„Ach hallo, Faith!“, sagt meine Freundin heiter zu meiner Assistentin, die sich auch zum Ausgang begibt.
„Guten Tag, Maʼam“, antwortet diese ohne ein Lächeln und verschwindet sogleich.
„Ma’am?! Ich?! Valentine, bist du sicher, dass sie keine Drogen nimmt?“
„Faith ist schon etwas förmlich“, versuche ich ihr zu erklären. „Sie wirkt manchmal etwas ernst, aber sie will damit nur ihre Schüchternheit verbergen …“
„Ich werde nie verstehen, wieso du jemanden angestellt hast, der im Vergleich zu dir so grundverschieden ist … und im Vergleich zu mir“, seufzt Aina schmollend.
„Weil ich jemanden brauche, der gründlich und gewissenhaft arbeitet, korrekt ist und deren Humor mich nicht alle dreißig Sekunden ablenkt. Zum Beispiel eine Mitarbeiterin, die nicht sehr gut mimen kann. Und die mir nicht jeden Morgen ihre sexuellen Heldentaten oder ihre Fantasien über Tom Hardy neben der Kaffeemaschine erzählt.“
„Keine Witze und keine Sexgeschichten, willst du etwa sterben?!“, fragt sie mich ganz empört.
„Ich bin mir sicher, dass Faith eine verborgene Sinnlichkeit besitzt, ganz tief in ihrem Innersten, die sich spät abends offenbart …“
„Hör auf, das will ich mir nicht vorstellen müssen!“, sagt Aina mürrisch.
Mit ihren auf dem Kopf geflochtenen Zöpfen, ihrer eng anliegenden Sirwal-Hose (die wahrscheinlich aus dem fairen Handel stammt), ihrem kurzen Tanktop, ihren geflochtenen Sandalen und ihren beiden unterschiedlichen Ohrringen sieht meine beste Freundin so aus wie ein back to the roots-Mädchen, das sich nur alle zwei Tage wäscht, Körner isst, Blätter raucht und ihre Kleider und ihren Schmuck selber herstellt. Aber man muss etwas tiefer graben, um Aina Rakoto (oder besser gesagt Vololoniaina Rakonalohotsy) richtig zu kennen.
Sie stellt sich mit verschränkten Armen und einem mürrischen Ausdruck auf ihrem hübschen, typisch madagassischen Gesicht neben mich hin und wir beobachten meine Assistentin, wie sie verschwindet: Eine schlanke Ranke mit tiefschwarzer Haut, deren Gang so straff ist wie ihre vom Glätteisen strapazierten Haare, das sie jeden Morgen benutzt, um ihre Frisur in Form zu bringen. Kurz gesagt, ist sie durch und durch streng, aufrichtig und diszipliniert. Ganz im Gegensatz zu meiner Freundin aus Kindheitstagen, die locker, anpassungsfähig, gerissen, unberechenbar und freiheitsliebend ist.
„Also, Faith ist zugegebenermaßen etwas gefühlskalt“, räume ich schließlich ein und gebe mich geschlagen.
„So weit, wie es schon fortgeschritten ist, hat sie keinen Stock im Hintern, sondern einen Mammutbaum!“, sagt Aina belustigt.
Ich kichere, hake mich bei ihr ein und führe sie endlich nach draußen. Nachdem wir den Tower verlassen haben, setzen wir uns in Downtown Los Angeles in eine Salatbar, wir bestellen auf Stehhockern Gerichte mit hübschen „Rohkost“-Namen und man serviert uns bunt gemischten Salat mit gebratenen Zutaten, allerlei Käse und cremigen Soßen, die letzten Endes kaum noch gesund sind.
„Also hat Milo dir noch keinen Verlobungsring geschenkt?“, fragt sie mit ihren neugierigen Mandelaugen.
„Ich dachte, er würde mir letztes Mal einen Antrag machen und sich vor mich hinknien. Ich schwöre, mein Herz ist beinahe stehen geblieben, als er seine Schnürsenkel gebunden hat.“
„Ich dachte, Milo De Clare sei genau dein Typ …“, sagt sie mit ihren beharrlichen, neugierigen Augen.
„Was soll ich da noch sagen? Er ist charmant, raffiniert, interessant und gebildet, er hält mir die Tür auf und hilft mir, in meine Jacke zu schlüpfen, er hat gute Manieren und Anstand, umwerfende grüne Augen und tolle Zukunftsaussichten, er könnte einer Fliege nichts zuleide tun, auch wenn diese ihn provoziert …“
„Und du, Valentine Laine, du magst, dass man dir ein bisschen wehtut“, sagt Aina lachend und schlängelt sich dabei mit einem wilden Ausdruck auf ihrem Hocker.
„Nein!“, erwidere ich und vertreibe das Bild von Nils aus meinen Gedanken. „Ich habe nur ein wenig Angst davor, was geschehen könnte.“
„Wenn du das Abenteuer suchst, dann versuch, deinen Elfenbeinturm und dein Aquarium zu verlassen. Wann reisen wir wieder ab?!“
„Wenn wir keine Gefahr mehr laufen, gefangen genommen, eingesperrt und von Irren befummelt zu werden …!“
„Mir scheint, du warst nicht ganz abgeneigt, dich auf der Ladefläche eines Pick-ups befummeln zu lassen.“
„Na ja …“, sage ich gelassen. „Das war etwas anderes. Ich hatte zu viel Adrenalin im Blut und musste es irgendwie loswerden.“
„Und der ganze Wald hat euer Liebesspiel mitbekommen!“, sagt Aina lachend. „Angeblich wollen sich die Tiere auf Mada nicht mehr fortpflanzen, seitdem sie euch gesehen haben … Zu hoher Leistungsdruck!“
„Das kann ich verstehen!“
Ich lache herzhaft, aber mir wird genau in diesem Augenblick klar, weshalb ich Milo nicht mehr an mich heranlassen, mich ausziehen lassen, mich berühren lassen kann.
Zu viel Druck. Zu wenig Nervenkitzel.
Der Braunhaarige kann im Vergleich zum Blonden nicht mithalten.
„Immer noch nichts Neues von Nils?“, fährt meine Freundin fort, als sie endlich damit aufgehört hat, über ihren eigenen Witz zu lachen.
„Nein, und ich will auch nicht, dass du Samuel nach seiner Nummer fragst“, komme ich ihr zuvor.
„Okay, wie du meinst …“
„Und es ist schon lange her, dass dieser Grobian aus meinen Gedanken verschwunden ist.“
„Verstanden!“, sagt Aina, die sich geschlagen gibt.
„Und hast du noch Kontakt zu Sam?“
„Mehr oder weniger“, antwortet sie mit vollem Mund. „Wir haben uns ein paar Mal in Paris getroffen, bevor mich jemand dazu gezwungen hat, nach Kalifornien auszuwandern!“
„Gab es so viele Sachen, die ihr zu besprechen hattet?!“, frage ich so vorsichtig wie möglich.
„Er ist ein sehr interessanter Mann hinter seinem großen Mundwerk. Er und Nils haben schon sehr viel gemeinsam erlebt.“
„Wirklich?“, sage ich, in der Hoffnung, dass sie mir etwas mehr davon erzählt.
„Ja, eine zerrüttete Kindheit, Gastfamilien, Ausreißer … Dann saßen sie in der Klemme und mussten allein zurechtkommen. Was danach geschehen ist, weiß ich nicht genau.“
„Es ist schwer, sich in unter solchen Umständen richtig zu entfalten“, sage ich etwas traurig. „Aber außer ihrem üblen Humor und ihrer Leidenschaft für Schlägereien scheinen sie nicht sonderlich unausgewogen …“
„Anscheinend haben sie noch weitere Gemeinsamkeiten. Risikobereitschaft, Aufsässigkeit und Bindungsprobleme natürlich.“
„Na ja“, murmle ich und zucke dabei mit einer vermeintlich skeptischen Miene mit den Schultern.
„Es ist aber schon lustig, dass du über einen ,Grobian, den du aus deinen Gedanken verbannt hastʻ so viel erfahren möchtest“, frotzelt meine Freundin.
„Stell dir vor, ich interessiere mich für Menschen!“
„Ja, vor allem, wenn einer wie ein Wikinger mit einem Traumkörper aussieht, der einen Pick-up zum Beben bringt und dessen schlechte Manieren halb verlobte Mädchen in Erregung versetzen …“
„Sei ruhig oder ich stopfe dir diese Mozzarellabällchen in die Nase!“
Sei ruhig oder ich werde zugeben, dass ich fast jede Nacht nur noch an ihn denke, an Nils, der mir guttut, Nils, der mit mir all diese Dinge tut, Nils, der mir wehtun könnte …
Wollte ich nicht eigentlich damit aufhören?