Natur pur 4

»Stellt euch bitte vor, ihr würdet auf einem schmalen Holzpfosten stehen. Der Pfosten ist nicht dicker als euer Handgelenk und etwa so hoch, wie ihr groß seid. Wenn ihr wackelt, schwankt die Stange hin und her und wirft euch herunter.«

Tiffany linste unter einem halb geöffneten Augenlid hervor. Die anderen Kursteilnehmer standen wie sie auf einem Bein, einen Fuß auf den anderen gelegt. Cecile wackelte bereits. Tiffany schloss das Auge rasch wieder, als MrsPowell an ihr vorbeiglitt.

»Jetzt stellt euch einen zweiten Pfosten vor, genauso lang, genauso dünn, einen Schritt entfernt. Dahinter steht noch ein Pfosten und dahinter noch einer. Seht diese Reihe hoher Pfosten vor eurem geistigen Auge. Ihr steht auf dem ersten.«

Tiffany hörte, wie jemand scharf die Luft einzog, als er fast umkippte. Es wurde immer schwieriger, an die Festigkeit des Holzfußbodens unter sich zu glauben.

»Wenn ich ›jetzt‹ sage«, fuhr MrsPowell fort, »macht ihr einen Schritt vorwärts auf den nächsten Pfosten. Ihr müsst ganz genau in der Mitte des Pfostens aufkommen, sonst neigt er sich und ihr fallt herunter.« Es folgte eine Pause von zwei Herzschlägen. »Jetzt.«

Tiffany machte blind einen Schritt mit dem rechten Fuß und zog den linken nach. Sie stand sicher. Unter sich spürte sie den eingebildeten Pfosten, leicht zittrig zwar, aber sie stand. Langsam atmete sie aus. Es machte Rums!, als jemand umkippte. Dann noch einmal.

»Uff.« Olly rappelte sich wieder auf. »Habe ich jetzt nur noch sechs Leben?«

»Das ist irre schwer!«, jammerte Cecile.

»Geht zurück auf den ersten Pfosten. Fangt noch einmal von vorn an. Die Augen bitte schließen.«

Obwohl MrsPowell sie herumkommandierte wie ein Sportlehrer, machte es Tiffany nichts aus. Sie konnte sich nicht erinnern, wann sie zum letzten Mal so viel Spaß bei einer sportlichen Übung gehabt hatte. Außerdem erweiterte sich ihr (ziemlich kleiner) Freundeskreis. Nachdem sie sich endlich getraut hatte, sich richtig vorzustellen, hatte sie festgestellt, dass noch einige aus ihrem Jahrgang dabei waren, auch wenn sie an der Schule keine gemeinsamen Unterrichtsstunden hatten. Susie schien nett und gesprächig zu sein und mit Olly konnte man bestimmt eine Menge Spaß haben. Tiffany hatte ihren Eltern stolz verkündet, dass sie eine passende Donnerstagabend-Beschäftigung gefunden habe und dass ihr teurer, kaum getragener Gymnastikanzug, den sie fürs Ballett bekommen hatte, endlich zum Einsatz käme.

Nicht dass ihr Pashki auch nur annähernd so kräftezehrend erschien wie Ballett. Während der Pashki-Stunde letzte Woche hatten sie sich fast nicht bewegt. MrsPowell hatte ihnen verschiedene Formen der Katzenmeditation gezeigt. Bei einer Technik, dem Purr, mussten sie sich hinkauern wie eine Sphinx und seltsame Grollgeräusche in der Kehle erzeugen. Omu, eine Art der Tiefenmeditation, bedeutete, dass man sich kugelrund zusammenrollte. Das hatte zunächst für einiges Gekicher gesorgt, aber niemand lachte lange, wenn MrsPowell im Raum war.

Als Tiffany zur zweiten Stunde gekommen war, hatte sie sich ziemlich gewundert, dass Ben, der Katzenhasser, noch mit von der Partie war. Aber dann riss sie sich zusammen, es war unfair, ihn gleich abzuhaken. Irgendwie schien er ja ein aufgeschlossener Typ zu sein, sonst hätte er sich den Kurs gar nicht erst ausgesucht. Sie fragte sich, was ihn dazu gebracht hatte, seine Einstellung zu ändern. In dieser Woche hatte sie es sogar einmal mit einem »Hallo« probiert. Alles, was zurückkam, war ein Grunzen. Er schien ziemlich in Gedanken versunken.

Die Herausforderung an diesem Tag war Eth, der Katzengang. Laut MrsPowell beruhte Pashki auf neun Grundübungen, die jeder Neuling lernen musste. Eth war die dritte.

»Wenn ihr einen Schritt geschafft habt, macht ihr den nächsten«, sagte MrsPowell. »Ihr solltet in der Lage sein, von einem Pfosten zum nächsten zu gehen, ohne zu wanken. Habt keine Eile. Das braucht seine Zeit.«

Für einen Außenstehenden hätte es so ausgesehen, als gingen sie einfach auf dem Boden. Aber in Wahrheit war es wahnsinnig schwierig. Olly war schon dreimal gestürzt und Yusuf musste mit den langen Armen wedeln, um aufrecht zu bleiben. Immer wieder schaute er zu Susie hinüber und entlockte ihr ein kleines Lächeln, bis sie beide losprusteten.

»Acht von zehn Punkten für deine Gehversuche, Su«, sagte Yusuf, und sein amerikanischer Akzent kam stärker heraus als sonst, »aber nur einen von zehn fürs Jungs-Beeindrucken.«

Daniel hatte eine sportliche Figur und war offenbar ziemlich gelenkig, aber selbst er machte einen eher frustrierten Eindruck.

Tiffany traute ihren Augen nicht. Ich bin die Einzige, die es gut macht, dachte sie.

Aber hatte sie sich zu früh gefreut? Überrascht (und ein wenig verärgert) sah sie, wie Ben einen Schritt voranmachte, noch einen und dann einen dritten und jeden Zeh mit der Präzision von– eben von einer Katze aufsetzte. Mit seinen geschlossenen Augen unter den dichten dunklen Brauen war er ein Bild der Ruhe, das nur dadurch gestört wurde, dass er– boing!– gegen die Wand lief.

Tiffany konnte das Lachen nicht zurückhalten, das zu allem Unglück auch noch genau in dem Moment aus ihr herausbrach, als er sich in ihre Richtung drehte. Er blickte sie finster an. Die anderen kicherten jedoch mit ihr und selbst MrsPowell musste sich ein Lächeln verkneifen.

»Mach einfach so!«, rief sie Ben zu und fuhr sich mit übertriebenen Gesten mit den Fäusten über den Mund wie eine Katze, die sich die Pfoten leckt. »Das soll heißen, es macht dir nichts aus. Wenn eine Katze etwas vergeigt, mogelt sie sich mit Würde aus dem Schlamassel heraus.«

»Herzlichen Dank«, murmelte Ben. Er prüfte, ob seine Nase blutete, und warf Tiffany noch einmal einen finsteren Blick zu. Es tat ihr leid, dass sie gelacht hatte. Obwohl es ihr nicht so recht passte, wie geschickt er sich anstellte, wäre es doch schade, wenn er die Sache hinschmeißen würde. Gerade jetzt, wo er den Dreh heraushatte.

»Nun wisst ihr auch, weshalb Katzen Schnurrhaare haben«, sagte MrsPowell. »Aber dazu kommen wir später. Zuerst müssen wir den Eth-Gang beherrschen.«

Sie stellte sich in eine Ecke und ging zum gegenüberliegenden Fenster. Alle bekamen große Augen. Sie hatte die Strecke in null Komma nichts zurückgelegt, dabei hatte es gar nicht so ausgesehen, als hätte sie sich schnell bewegt. Und sie hatte nicht das leiseste Geräusch dabei gemacht.

»Eure Füße sind bald so weit«, sagte sie, »aber ihr denkt immer noch wie Zweibeiner. Katzen sind Vierbeiner. Wenn ihr geht, sollten sich auch eure Arme bewegen. Schlenkert nicht mit ihnen herum. Sie sind eure Vorderbeine. Tiffany, komm und zeig uns, wie es geht.«

Es dauerte einen Moment, bis sie begriffen hatte, was gerade passiert war. Sie war ausgewählt worden. Wenn ihre Sportlehrerin in der Schule sie nach vorn rief, dann nur, um sie als Negativbeispiel vorzuführen. Voller Angst und Stolz trat Tiffany jetzt vor und stellte sich neben MrsPowell.

»Bei Eth werden alle vier Gliedmaßen eingesetzt.« Sie bog Tiffanys Arme in einem bestimmten Winkel, damit die anderen sehen konnten, was sie meinte. »Der Katzengang geht diagonal in vier Abschnitten vonstatten. Rechts vorne, links hinten, links vorne, rechts hinten. Die Natur kennt keine bessere Art, sich auf dem Boden fortzubewegen. Zeig es uns, Tiffany.«

Tiffany stellte sich die hohen Pfosten vor und machte ein paar Schritte. Sie stellte fest, dass der Rhythmus, wenn sie an Rufus und seine Art zu gehen dachte, automatisch in ihre Beine und Arme floss. Ihre Hände glichen Paddeln, die gegen den Raum hinter ihr drückten.

»Perfekt«, sagte MrsPowell. »So, und nun gehen noch einmal alle eine Runde über die Pfosten.«

Dass sie jetzt an zwei Dinge gleichzeitig denken mussten, wirkte sich bei den meisten verheerend aus. Yusuf schaffte drei Schritte, bevor er sich verhedderte, Daniel fünf und Susie mit zusammengebissenen Zähnen sechs. Olly kippte praktisch bei jedem Schritt um und bekam schließlich einen so schlimmen Lachanfall, dass er sich keuchend an die Wand lehnen musste. Aber Tiffany glitt durch den Raum. Sie vergrößerte den Abstand zwischen den imaginären Pfosten, bis sie nicht mehr ging, sondern schritt. Ihre Schritte wurden schneller, sie sprang von Zehenspitze auf Zehenspitze, leicht und federnd.

Die Ballerinas und ihre Pirouetten konnten bleiben, wo der Pfeffer wächst.

»Bin wieder da!«

Keine Antwort. Tiffany schaute ins Wohnzimmer, dann in die Küche. Rufus kam mit einem Willkommensschnurren zu ihr gelaufen. Sie steckte ihr Sportzeug in die Waschmaschine, holte sich einen Müsliriegel und ging nach oben.

»Ist jemand daheim?«

Im Arbeitszimmer brannte Licht. Die Eltern hatten sich vor dem Computer zusammen auf einen Stuhl gequetscht.

»Der Kurs ist einsame Spitze«, sagte Tiffany. »Es ist ein bisschen wie tanzen und ein bisschen wie Yoga, nur hundertmal besser. Die ganze Sache gibt es schon seit vielen Tausend Jahren, aber nur ganz wenige Leute kennen sie heute noch. Und ich bin schon richtig gut darin. Die meisten anderen sind ständig umgekippt, aber ich kann Eth, also den Katzengang, jetzt schon, und es ist ein ganz merkwürdiges Gefühl. Man glaubt fast nicht, dass man sich bewegt, aber man tut es trotzdem. Und diese wunderschöne silbergraue Katze mag Parmesankäse.«

»War es schön, Liebes?«, murmelte ihre Mutter. »Das ist gut. Da, schau! Siehst du das?« Sie zeigte auf den Bildschirm.

»Okay, lass es mich erst mal lesen.« Dad blickte stirnrunzelnd auf den Monitor.

Tiffany legte ihnen die Arme um die Schultern und hängte sich zwischen die beiden.

»Was macht ihr denn da?«

»Vielleicht habe ich etwas ganz Interessantes gefunden«, sagte ihre Mum.

»Hat es etwas mit Stuart zu tun?«

»Kannst du noch mal eine Seite zurückgehen?«, bat ihr Dad. »Zeig mir zuerst den Artikel, den du gefunden hast.«

Na gut. Zumindest sagten sie nicht, sie solle den Mund halten. Neugierig blieb Tiffany hinter ihnen stehen und versuchte durch die Lücke mitzulesen.

Der Bildschirm zeigte einen Artikel aus einem Wissenschaftsmagazin. Es ging um einen Dr.J. Philip Cobb und seine Forschung auf dem Gebiet traditioneller Eingeborenenheilkunde. Das ganze Geschwafel über sein Leben überflog sie nur: Seit einem Unfall, bei dem seine Mutter ums Leben kam, hatte er einen verstümmelten Arm. Es war in Asien passiert, und er war damals noch ein Kind gewesen. Sein Vater brachte ihn zur Behandlung nach England, doch die Muskeln in dem verletzten Arm regenerierten sich nie wieder.

Danach wurde der Artikel interessant. Als Erwachsener hatte Cobb Biologie und Herbologie studiert. Er forschte nach Nährstoffen, die durch Unfall oder Krankheit geschädigte Muskeln wiederherstellen konnten. So war auch Tiffanys Mutter auf seine Internetseite gestoßen. (Sie googelte schon fast zwanghaft den Begriff »Muskeldystrophie«.)

»Und da, schau, Peter«, sagte sie, »er hat eine eigene Firma, die die Arznei herstellt. Da ist der Link.«

Sie klickte ihn an.

»Ich will ja kein Miesepeter sein, Cathy, aber meinst du nicht, im Krankenhaus wüssten sie etwas davon, wenn es ein neues Wundermittel gäbe?«

»Nicht unbedingt«, warf Tiffany ein. »Pashki ist wunderbar und keiner kennt es. In der Stunde heut…«

»Es ist kein Medikament. Es ist ein Nahrungsergänzungsmittel. Man braucht kein Rezept dafür. Ah, endlich!«

Auf dem Bildschirm baute sich eine bunte Homepage auf. Die Überschrift war mit viel Grün versehen: Natur pur!

Tiffanys Mum klickte weiter herum. Endlich kam die Seite, auf die sie alle gewartet hatten. Sie zeigte ein kaffeebraunes Arzneimittelglas mit einem leuchtend orangeroten Etikett. Daneben öffnete sich ein Kasten.

»Panthacea«, las Tiffanys Vater vor. »Ein neues, revolutionäres Mittel, das traditionelle asiatische Medizin mit den jüngsten Forschungsergebnissen moderner Medizin vereint. Eine eierlegende Wollmilchsau, was?« Er las weiter vor: »Nachgewiesene Wirksamkeit. Regt das Muskelwachstum in verletztem Gewebe an. Als Nahrungsergänzungsmittel zu den Mahlzeiten einzunehmen.«

»Ich glaube, man spricht es Panthazea aus«, sagte Tiffany, »und nicht Panthakea.«

»Und schau her, Peter. Ausschließlich natürliche Inhaltsstoffe.«

»Die hat auch die Tollkirsche.«

Seine Frau schnalzte mit der Zunge. »Ich glaube nicht, dass sich die Firma lange halten könnte, wenn sie den Leuten Tollkirschen verkaufen würde«, sagte sie. »Es gibt ein Einführungsangebot, vier Gläser zu sechzig Pfund. Das ist auch nicht teurer als irgendwelche Vitaminpillen.«

Sie hatte bereits den Einkaufswagen angeklickt.

Ihr Vater trommelte mit den Fingern auf den Schreibtisch. »Okay, versuchen wir’s. Aber bleib bitte auf dem Teppich! Solche Versprechungen haben wir schon öfter gehört. Ich halte Rücksprache mit Dr.Bijlani, und wenn er Ja sagt, lassen wir Stuart das Mittel ein paar Wochen lang ausprobieren. Wir machen uns keine Hoffnungen. Verstehen wir uns?«

»Ja, ja. Ich brauche die Kreditkartennummer, Peter.« Tiffanys Mutter tippte und klickte und tippte. Die linke Hand hatte sie zur Faust geballt.

Tiffany schlenderte in ihr Zimmer, wo sie und Rufus noch ein Kapitel aus Gormenghast lasen, bevor sie ins Bett ging.

Der nächste Montag, dieselbe Quälerei. Tiffany schleppte sich in die Turnhalle und holte tief Luft. Miss Fuller hatte die Geräte fürs Zirkeltraining aufgebaut.

»Mist«, murmelte Avril. Sie war eine Leidensgenossin von Tiffany, Mitglied im inoffiziellen Club der Schlappschwänze, Faulenzer und Jammerlappen. »Wenn sie uns heute schon wieder da durchjagt, melde ich mich nächste Woche tot.«

»Mich dann bitte gleich mit«, flüsterte Tiffany zurück. Wie vor jeder Sportstunde war sie nervös, aber diesmal war es anders als sonst. Beim Pashki hatte sie sich zum ersten Mal stark gefühlt, und jetzt fragte sie sich, ob sie nicht auch beim Schulsport vielleicht einmal eine halbwegs akzeptable Leistung abliefern könnte.

Und noch etwas anderes ging ihr durch den Kopf: Seit MrsPowells Kursstunden schien ihre Fantasie mit ihr durchzugehen. Am Samstagabend hatte sie ihre Eltern in deren Schlafzimmer sprechen hören. Das war noch nie vorgekommen. Es bedeutete entweder, dass sie normalerweise nicht miteinander redeten oder dass Tiffany jetzt besser hörte. Beide Erklärungen erschienen ihr reichlich unwahrscheinlich. Dann war da auch noch die Sache vom gestrigen Abend. Auf dem Weg zur Toilette war sie im Dunkeln um einen Reißnagel herumgegangen. Erst danach war ihr aufgefallen, dass sie ihn unmöglich hatte sehen können, da sie kein Licht gemacht hatte.

Miss Fuller blies in ihre Trillerpfeife. Die Klasse bildete vier Teams und wie üblich gehörten Tiffany und Avril zu denen, die als Letzte ausgewählt wurden. Ihre Teamkameraden starteten einer nach dem anderen und Tiffany versuchte, sich die Reihenfolge der Geräte einzuprägen. Schwebebalken, Sprossenwand, Klettergerüst und Seil, dann flogen sie über das Pferd wie Kandidaten für olympisches Gold, die Mädchen lachend mit rosigen Wangen, die Jungs hoch konzentriert. Es war deprimierend, es war zum Übelwerden, es war… huch, sie war an der Reihe.

Sie ging über den Schwebebalken. Das war ein Klacks. Ganz oben an der Sprossenwand schaute sie hinunter und erstarrte. So hoch war sie noch nie hinaufgeklettert. Irgendwie kam sie auch wieder herunter und nahm das Klettergerüst in Angriff. Über Kopf hangelte sie sich von einer Stange zur nächsten und wusste, als sie die Hälfte hinter sich gebracht hatte, dass sie es nicht schaffen würde. Ihre Arme waren wie gelähmt. Sie plumpste auf den Boden. Sie wankte zum Seil und versuchte hinaufzuklettern. Nach knapp eineinhalb Metern spürte sie ihre Schultern nicht mehr und hatte folglich auch keine Kraft mehr in den Armen. Sie rutschte am Seil hinunter; ihre Handflächen und die Innenseiten der Knie brannten wie Feuer.

Wie ein Häufchen Elend lag sie auf der Matte. Eine Hand zog sie nicht eben zimperlich auf die Füße.

»Das war mehr als schwach«, sagte Miss Fuller. Verlegenes Lachen ging durch die Turnhalle. »Kopf hoch, es ist nichts gebrochen. Versuch’s noch einmal.«

Tiffany stand nur da und zitterte und blies kühle Luft in ihre brennenden Handflächen.

»Was soll ich nur mit dir machen, Tiffany Maine?« Miss Fuller verdrehte die Augen. »Okay. Geh rüber und setz aus! Ich hab schon überlegt, ob ich deinen Namen in die Krankenbank schnitzen lassen soll.«

Wenn sie jetzt weinte, war sie tot. Tot. So einfach war das. Sie schleppte sich zu der Bank und setzte sich, umklammerte die Knie, frierend und gleichzeitig kochend heiß, als hätte sie Fieber.

Miss Fuller pfiff und brüllte und jagte die Klasse über den Parcours. Tiffany saß in ihrer Ecke und starrte sie finster an. In ihrem Bauch wuchs eine Hasskugel.

Das war mehr als schwach.

»Ich sollte im Krankenhaus liegen, nicht Stuart«, flüsterte sie.

Und jetzt war es ausgeschlossen, nicht zu weinen, lautlos, in ihre Fäuste.