Auf die Füße fallen 8

Tiffany schnupperte in den Wind. Die nussige Waldluft war gewürzt mit läufiger Hündin und dem üblichen Londoner Abgasgestank. Sie hörte Gebell, die Geräusche eines Ballspiels und die der Schwimmer im nahe gelegenen Badeteich. Auf beiden Fußwegen war niemand zu sehen. Sie kroch unter den Bäumen vorwärts. Seit über einer Woche freute sie sich schon auf diesen Tag.

»Alles klar, MrsPowell.«

»Ich wiederhole«, sagte MrsPowell. »Weicht nicht von der Route ab, die ich markiert habe, es sei denn, ihr wollt im Krankenhaus landen. Jeder orientiert sich an den Katzenaugen, die ich auf die Stämme gemalt habe. Sie weisen die sicheren Bäume aus und die sichersten Wege dazwischen.«

»Puh«, machte Olly. »Mit sicheren Wegen hab ich kein Problem. Ich dachte schon, wir sollten über Äste balancieren.«

Susie faltete die Zeitung zusammen, die sie anscheinend überall mit sich herumtrug.

»Wenn Dummheit glücklich macht, musst du der glücklichste Mensch auf der Welt sein, Olly.«

Olly schaute hinauf in die Dachkronen. Sein Adamsapfel hüpfte vor Angst.

Tiffany konnte es ihm nicht verdenken. Selbst ihr war nicht ganz wohl. So fühlten sich wahrscheinlich Leute, die ihren ersten Fallschirmsprung vor sich hatten.

»Mir nach!«

MrsPowell stellte sich auf den Stamm einer Eiche, der schräg aus der Erde wuchs wie ein schwerer hölzerner Arm, der nach dem Wecker greift. So leichtfüßig, als ginge sie eine Treppe hinauf, lief sie bis zu einer Astgabel, die über den Abhang hinausragte. Mit vier federnden Schritten war Tiffany an ihrer Seite.

»Los!«, zischte MrsPowell den anderen zu, als sie zögerten. »Hier käme ja ein Hund herauf!«

Yusuf startete als Erster, mit ausgebreiteten Armen, um das Gleichgewicht halten zu können. In der eng anliegenden schwarzen Sportkleidung, die, ohne dass sie es abgesprochen hatten, ihre inoffizielle Uniform geworden war, sah er katzenhafter aus denn je. Als Nächste kam Susie; sie hatte sich ihre Zeitung zwischen die Zähne geklemmt, um sie nicht zurücklassen zu müssen, und summte eine Melodie. Tiffany stellte sich zu MrsPowell auf den nach links abzweigenden Ast, damit die anderen Platz hatten. Sie fühlte sich so sicher wie auf dem Boden und hätte auch die Hände in die Hosentaschen stecken können– wenn sie denn Hosentaschen gehabt hätte.

Tiffany kauerte über dem Abhang und schob die Blätter auseinander. Die Innenstadt von London schien zum Greifen nah. Bürohochhäuser ragten durch den Dunst der Abgase wie Türme von Märchenschlössern, und das Riesenrad, eines der Wahrzeichen der Stadt, sah aus wie ein glitzernder Armreif. Mit dem Gezwitscher der Vögel in den Ohren war es leicht, sich vorzustellen, man betrachte ein Gemälde.

»Es ist wie auf dem Land«, flüsterte Cecile.

»Aber man sieht die Stadt noch«, bemerkte Susie und schien seltsam erleichtert.

Ceciles Augen glänzten. Sie setzte sich rittlings auf den rechten Ast. »Wie haben Sie die Stelle hier gefunden?«

»Wie konntet ihr sie verlieren?«, gab MrsPowell zurück. »Der Park von Hampstead Heath erstreckt sich im Stadtatlas über eine halbe Seite.«

Ein trauriger Schatten legte sich über Ceciles Schildpattgesicht. »Ich war noch nie hier.«

»Hilfe!« Auf halber Höhe des ansteigenden Stammes kam Olly ins Wanken und wedelte mit einem Arm. Daniel packte ihn und half ihm wieder ins Gleichgewicht.

»Du darfst nicht nach unten schauen«, sagte Daniel. »Du musst immer dorthin schauen, wohin du gehen willst.«

»Aber ich will ja nach unten!«

»Mit dem Kopf voraus?« Daniel ließ ihn los. »Auf geht’s, das ist doch ein Klacks! An einem Gerüst hinaufklettern ist viel schwieriger und mein Dad macht das jeden Tag. Und schleppt dabei noch Backsteine.«

»Mann, ihr habt vielleicht seltsame Hobbys in eurer Familie.«

»Das ist sein Job!«

»Dann zahle mir, was er bekommt, und ich klettere da rauf.«

»Oh, jetzt mach schon.« Daniel zwickte ihn in die Wade. Olly heulte auf und eilte dann wie ein Akrobat den Stamm hinauf. Daniel folgte ihm lachend. Als Letzter kam Ben.

Tiffany beobachtete ihn, wie er den Stamm hinaufging. Genau wie sie sah auch er aus, als schlenderte er irgendwo entlang. Während er sich ein Paar Lederhandschuhe mit abgeschnittenen Fingern überstreifte, blickte er zerstreut in die Senke, in der ein umgestürzter Baum lag. Die Wurzeln sahen mit der Erde, die daran klebte, aus wie der runde Schild eines Kriegers. Er hätte den Kopf nur ein ganz klein wenig drehen müssen, um sie anzuschauen, aber er tat es nicht. Seit dem Nachmittag auf dem Friedhof, an dem er so seltsam gewesen war, hatten sie kein Wort mehr miteinander gesprochen.

Was hatte sie ihm bloß getan? Nichts, soviel sie wusste. Ihre Wut über das, was er gesagt hatte, war verraucht, weil er das mit Stuart ja gar nicht wissen konnte. Aber wenn er nun entschlossen war, sie zu ignorieren, konnte sie das gerne auch tun.

Avril hatte einmal bei einer Freitagsportion Fisch und Chips in der Schulkantine behauptet, dass ein Junge, der plötzlich ohne allen Grund gemein zu dir ist, dich insgeheim mag. »Nicht dass schon mal ein Junge gemein zu mir gewesen wäre«, hatte Avril seufzend gesagt.

Auch Tiffany war es noch nie passiert.

Sie spitzte die Ohren.

»Diese Stunde«, sagte MrsPowell, »wird für ein paar Wochen eure letzte sein. Es wird euch sicher freuen zu hören, dass ich ab morgen im Urlaub bin.«

Olly hauchte ein lautloses Hurra.

»Wohin geht es?«, fragte Yusuf.

»Hierhin und dorthin«, antwortete MrsPowell. »Die meiste Zeit werde ich in Kerala verbringen.«

»In Südindien«, warf Susie ein.

»Genau. Ich bin dort Schirmherrin eines Wildreservats und schaue von Zeit zu Zeit vorbei, um zu sehen, wie es den Bewohnern geht.«

»Katzen?«, vermutete Yusuf. »Raubkatzen, Tiger und so?«

»Selbstverständlich.« MrsPowell lächelte. »Ich bringe Fotos mit.«

Sie zog sich auf eine höher gelegene Astgabel, wo die gesamte Gruppe sie sehen konnte. »Hier draußen könnt ihr alles anwenden, was ihr bisher gelernt habt, und vielleicht noch einiges mehr. Ich nehme euch jetzt mit auf den Abenteuerpfad. Das ist der Weg durch die Baumwipfel, den ich gekennzeichnet habe. Hier könnt ihr erfahren, wozu ihr fähig seid.«

Ein Blätterrascheln war die einzige Antwort. Nervosität knisterte in der Luft. Olly hob eine Hand.

»Dieser Abenteuerpfad…«, begann er. »Er ist doch nicht gefährlich, oder? Ich hab nämlich meiner Mutter vesprochen, das ich heute um…«

MrsPowell zeigte auf den Ahorn nebenan.

»Das ist unser erster Zwischenstopp. Tiffany, fahre deine Krallen aus und geh voran. Ben, du bleibst ganz am Ende und behältst alles im Auge. Ihr anderen wartet, bis ich euch aufrufe.«

Es dauerte einen Moment, bis Tiffany begriff, was MrsPowell gesagt hatte. Überrascht drehte sie sich um, verlor fast das Gleichgewicht und musste sich an einem Zweig festhalten.

»Pass auf, wohin du gehst, Tiffany«, sagte MrsPowell. »Noch bist du nicht so gut.«

Tiffany schloss halb die Augen, ließ das blaue Ptep und das grüne Mandira zusammenfließen, bis sie das Kitzeln von Schnurrhaaren spürte. Sie stellte sich dünne Pfosten unter ihren Füßen vor und wechselte von dem Eichenast hinüber zu der glatteren Rinde des Ahorns. Sie hörte Ollys Flüstern: »Sie hat meine Frage nicht…«, und ein Ächzen, als Daniel ihn mit dem Ellbogen in die Rippen stieß.

Dann wusste MrsPowell das mit ihren Mau-Krallen also. Oder nahm es zumindest an. Tiffany spürte sie erst seit zwei Tagen. Dass es Ben als Erster geschafft hatte, hatte sie ziemlich geärgert. Sie hatte Katra-Übungen gemacht, bis sie Kopfschmerzen bekam und ihr einziger Erfolg ein Krampf war. Dann war es passiert. Als sie spät am Dienstagvormittag aufgewacht war, hatte sie sich ausgiebig gestreckt und dabei einen Arm über das Poster gezogen, das über ihrem Bett hing. Beim Umdrehen hatte sie drei Kratzspuren auf Elijah Woods Gesicht gesehen.

Danach war es immer einfacher geworden. Mit ganz wenig Anstrengung gelang es ihr, dieses Gefühl in den Fingerspitzen hervorzurufen, als zwicke jemand mit einer Pinzette die Haut zusammen. Und eine Sekunde lang war dann etwas da. Ob es statische Elektrizität war oder tatsächlich eine Geisterkralle, konnte sie nicht sagen. Doch beim Frühstück am Mittwoch stellte sie fest, dass Rice Krispies zerbröselten, ohne dass sie sie tatsächlich berührte; sie brauchte nur mit dem Finger in die Nähe zu kommen.

Sie hatte fünf Krispies auf ihrem Tischset aufgereiht und sie nacheinander zerbröselt, als Stuart fragte, was sie da mache. Tiffany konnte nicht widerstehen. Sie konzentrierte sich, krümmte die Finger der rechten Hand und ließ sie vor dem Karton mit den Cornflakes heruntersausen. Zerbröselte Cornflakes ergossen sich über den Tisch, als die Krallen die Packung aufrissen.

Ihre Eltern fanden das nicht lustig. »Bist du nicht über das Alter hinaus, in dem man mit dem Essen spielt?«, fragte ihre Mutter und ließ sie die Cornflakes in eine Tupperschüssel füllen. Seither löcherte Stuart sie mit Fragen, wie sie das gemacht hatte.

Es ging ihm so viel besser in letzter Zeit. Auch wenn die wundersame Genesung, auf die sie alle hofften, noch nicht eingetreten war, hätte man ihn an seinen besten Tagen für ein ganz normales Kind halten können. Schließlich verbrachten (wie ihr Dad bissig bemerkte) eine Menge Jungs, die ihre Muskeln voll gebrauchen konnten, mehr Zeit vor dem Fernseher als Stuart. Er nahm jeden Tag vier Panthacea-Tabletten und klagte nicht mehr über den bitteren Geschmack. Inzwischen konnte er mit Krücken von einem Zimmer ins andere gehen und hatte mithilfe von Schwimmflügeln sogar zu schwimmen begonnen.

Anfangs war Tiffany mitgegangen. Irgendwann hatte sie ihn dann ein bisschen nass gespritzt und war von ihrer Mutter dafür ausgeschimpft worden– was ziemlich unfair gewesen war, da Stuart angefangen hatte.

Als sie jetzt auf Zehenspitzen über die fast waagrecht verlaufende Spitze des Ahornstamms ging, sah sie die Baumwipfel in einem ganz neuen Licht. Die Äste waren plötzlich Wege, die in alle Richtungen verliefen, einschließlich senkrecht nach oben und unten. Sie hätte jeden davon einschlagen können. Zu ihrer Linken war auf halber Höhe einer Eiche ein winziges gelbes Auge auf den Stamm gepinselt. Das sah verzwickt aus. Sie kroch einen dünneren Ast entlang und konzentrierte sich voll auf ihre Fingerspitzen, bevor sie die Lücke übersprang. Die Rinde klebte an ihren Händen wie Lehm an einem Autoreifen und so hatte sie Zeit, mit den Füßen Halt auf einem dicken Ast zu suchen.

»Das ist nicht Ihr Ernst«, stöhnte Olly.

»Das war gut, Tiffany«, lobte MrsPowell, »aber schau genau hin. Es gibt einen viel einfacheren Weg, um auf den Baum zu kommen. Nicht jeder hat schon Krallen.«

»Tut mir leid, MrsPowell.« Tiffany verkniff sich ein Lächeln.

»Tja«, sagte Yusuf. »Acht von zehn Punkten für Geschicklichkeit und zwei von zehn für Mitdenken.«

Tiffany streckte ihm die Zunge heraus. Sie war noch nie so zufrieden gewesen mit sich. Bis hinunter zum Boden waren es sechs Meter und es machte ihr nichts aus, absolut gar nichts.

Sie übte das Ausfahren der Krallen an der Rinde, während MrsPowell die anderen auf dem einfachen Weg herüberführte. Yusuf sah um einiges selbstsicherer aus und Susie sang vor sich hin. Tiffany zuckte zusammen, als plötzlich Ben neben ihr stand und sein T-Shirt abklopfte. Er musste auf demselben schwierigen Weg gekommen sein wie sie.

»Hm. Eigentlich ganz einfach«, murmelte er und folgte den anderen.

Wie bitte? Sie kauerte sich hin. Ihre Gedanken und Gefühle waren ein einziges Durcheinander. Was war das denn gewesen? Wollte er ihr damit etwas sagen? Oder sie nur aus schierer Gehässigkeit ärgern? Sie nahm eine Abkürzung über ein Gewirr aus dünnen Zweigen und eroberte sich so ihren Platz an der Spitze der Gruppe zurück.

»Was summst du eigentlich dauernd vor dich hin, Susie?«, fragte sie. Es war immer dieselbe Melodie.

»Ich habe gesummt?« Susie wurde rot. »Nur etwas aus dem Stück, das ich mit dem Schulorchester spiele. Peter und der Wolf. Es ist mein Klarinettenpart.«

»Dachte ich doch, dass es mir bekannt vorkommt«, murmelte MrsPowell.

Schritt für Schritt suchten sie sich einen Weg zwischen den dickeren Stämmen hindurch. Das Gewirr der Äste wurde immer dichter, bis man die aufgemalten Augen kaum noch erkennen konnte. Ältere, moosbewachsene Bäume reckten sich in alle Richtungen wie Riesen, die man aufgeweckt hatte.

»Fließende Bewegungen«, sagte MrsPowell, als sie sah, wie wackelig Daniel und Cecile über den Ast einer Kastanie balancierten. »Denkt mit eurem Körper, nicht mit dem Kopf. Nutzt euer Felastikon.«

»Hm.« Aus der Art, wie Cecile sich die Lippen leckte, schloss Tiffany, dass sie vergessen hatte, was Felastikon war. Ungeduldig erklärte MrsPowell es noch einmal.

Tiffany hatte es nicht vergessen, aber das siebte Grundprinzip war immer noch neu für sie. Jetzt war eine gute Gelegenheit es auszuprobieren. Sie konzentrierte sich auf ihre Ptep- und Ailur-Katras und streckte sich nach einem Ast, der eigentlich außerhalb ihrer Reichweite lag, erwischte ihn und schwang sich hinauf. Felastikon. Der Grund, weshalb Katzen sich wie Katzen bewegten. Das Rückgrat der Menschen, hatte MrsPowell erklärt, gleicht einer Perlenkette, bei der die Perlen oder Wirbel durch Bänder miteinander verbunden sind. Die Wirbel im Rückgrat einer Katze dagegen sind durch Muskeln verbunden. Die gesamte Wirbelsäule war so beweglich wie ein lebendiges Gummiband, war Motor, Stoßdämpfer und Gummiruder in einem. Ein Mensch konnte natürlich kein solches Rückgrat entwickeln, egal wie viel Pashki er machte. Doch mit der Felastikon-Streckübung erzielte er ähnliche Ergebnisse.

Nacheinander ließ die ganze Gruppe sich von Ast zu Ast fallen. MrsPowell wartete unten auf einem dicken Stamm, der über einem Graben lag. Susie sprang Yusuf auf den Rücken.

»Ich hab genug von dem Grünzeug. Trag mich.«

»Klar doch«, erwiderte Yusuf. »Leoparden können ihr eigenes Gewicht auf einen Baum stemmen.«

»Willst du damit sagen, dass ich so viel wiege wie du?«, fragte Susie.

»Bei den ganzen Chips, die du ständig futterst, bestimmt.«

»Lass sie runter, Yusuf!«, sagte MrsPowell. »Du bist eine Katze, kein Pony. Wir machen hier eine kleine Verschnaufpause und gehen dann zurück.«

Jeder suchte sich einen Platz auf dem Stamm und streckte sich aus. Tiffany war sich nicht sicher, wie viel Zeit verstrichen war, als MrsPowell sie wieder um sich sammelte– nur ein paar Minuten oder war sie kurz weggedöst?

Ihre Lehrerin führte sie hinauf in die Tintenfischarme einer Kiefer. Erfrischt von der Rast kletterte Tiffany durch das gewölbte Dach des Waldes. Gerade als sie sich selbst ermahnte etwas langsamer zu gehen, damit die anderen mithalten konnten, spürte sie ein Unbehagen im Bauch, wie ein rotes Licht, das blinkt. Irgendetwas war los hinter ihr. Sie lief den Ast zurück.

»Wo ist das Problem?«, fragte Daniel gerade. »Das ist jetzt doch wirklich kinderleicht.«

»Es reicht«, warnte MrsPowell. »Lass ihm die Zeit, die er braucht.«

Olly stand mit gebeugten Knien mitten auf einem Ast. Er rührte sich nicht. An den Stellen ohne Schminke war sein Gesicht totenbleich. Alles Katzenartige an ihm war verschwunden. Er sah aus wie ein pummeliger Teenager mit Höhenangst, der sechs Meter über dem Boden festsaß.

»Warum geht er nicht weiter?«, flüsterte Cecile. »Er hat es schon über dünnere Äste als diesen geschafft.«

»Wahrscheinlich ist ihm schwindelig.« Daniel putzte seine beschlagenen Brillengläser. »Mein Dad…«

»Oliver.« MrsPowells Stimme war laut und klar. »Es gibt keinen Grund zur Panik. Ich möchte, dass du die Augen schließt.«

Olly schwankte. Er breitete rasch die Arme aus und wimmerte.

»Schließ die Augen«, wiederholte MrsPowell, »und lass das Blau kommen. Ein blaues Katzenauge. Du siehst es, Olly. Das blaue Auge.«

Ptep ist mein Kopf, der blaue Himmel, Gleichgewicht

Seine Augen blieben offen, huschten hierhin und dorthin, als fürchtete er, die Blätter könnten ihn angreifen. Sein Atmen klang wie Schluchzen. Tiffany roch den Schweiß, der auf seiner Stirn glänzte. Hab keine Angst, wollte sie ihm zurufen, hab keine Angst. Denn Angst war das Problem. Sie hatte bei sich selbst festgestellt, dass Pashki nicht wirklich funktionierte, wenn man Angst hatte. Das Gefühl der Angst war bei einer Katze stärker ausgeprägt als beim Menschen. Es konnte so übermächtig werden, dass es alles andere ausschaltete. Und dann hatte man ein Problem.

Nach und nach wurde sein Atem ruhiger. Tiffany war fast sicher, dass er sich bald in Bewegung setzen würde. Er tat es nicht. Minuten vergingen. MrsPowell kletterte in eine kleinere Stechpalme, ein paar Meter unterhalb von Olly, auch wenn schwer nachzuvollziehen war, was sie tun konnte, falls er tatsächlich fiel.

»Er schafft es nicht allein«, flüsterte Yusuf. Zu laut. Olly begann zu zittern. Er versuchte sich auf den Ast zu knien, überlegte es sich dann jedoch anders.

»Nein, Yusuf!«, zischte MrsPowell. Yusuf war am Stamm der Eiche hinuntergeklettert. Er stand jetzt auf demselben Ast wie Olly und streckte die Hand aus.

»Komm, Olly.« Er näherte sich ihm langsam. »Gib mir deinen Arm. Wir schaffen das.«

»Yusuf.« MrsPowell war über dem Blätterrascheln kaum zu hören. »Lass ihn. Sei kein Dummkopf.«

»Tu, was sie sagt«, keuchte Susie.

»Ich hab ihn.« Yusuf fasste nach Ollys Hand. Olly wollte oder konnte sich nicht zu ihm umdrehen. MrsPowell kauerte unten auf ihrem Ast, so angespannt wie eine bis aufs Äußerste gespannte Bogensehne.

»Lass ihn los. Jetzt!«

Etwas in ihrer Stimme ließ Yusuf reagieren. Er versuchte seine Hand zurückzuziehen, aber Olly umklammerte sie wie ein Schraubstock.

»Nein!«

Was in den nächsten Sekunden geschah, war schwer zu verfolgen, obwohl Tiffany alles wie in Zeitlupe sah. Yusuf zog, um seine Hand frei zu bekommen. Olly versuchte mit aller Kraft, ihn festzuhalten. Yusuf taumelte, rief etwas und schubste ihn weg. Olly machte einen Schritt nach rückwärts ins Nichts.

MrsPowell sprang, ein verschwommener Schatten, und krallte sich mit der linken Hand am Stamm fest. Mit der rechten packte sie Olly, als er fiel. Sie erwischte den hinteren Halsausschnitt seines T-Shirts, ihre Finger gingen durch den Stoff und Ollys Fall war mit einem Ruck zu Ende. Sein Shirt dehnte sich wie Gummi, riss aber nicht. MrsPowell hielt ihn fest, die andere Hand in die Rinde gehakt. Die Sehnen standen hervor wie Kammrücken.

»Ich brauche Hilfe. So schnell wie möglich, bitte«, sagte sie zwischen zusammengebissenen Zähnen.

Ben war da, noch bevor sie zu Ende gesprochen hatte. Er stemmte die Füße in eine Gabelung der Stechpalme und packte Ollys Beine, damit MrsPowell nicht mehr sein ganzes Gewicht allein halten musste. Daniel kraxelte an seine Seite und nahm Ollys Arm. Zu dritt schafften sie ihn nach unten. Olly schrie auf, als die stacheligen Blätter seine Haut schürften.

»He, ihr da! Hallo! Kann mir vielleicht mal jemand helfen?«

»Yusuf!«, schrie Susie. Ihre Zeitung flatterte zu Boden wie ein im Flug abgeschossener Fasan.

In dem ganzen Durcheinander hatte Tiffany Yusuf nicht fallen sehen. Jetzt hing er keuchend an einem dicken Ast, der wie ein gebrochener Knochen aus einem anderen Stamm ragte. Er kickte in die Luft bei dem Versuch sich hochzuziehen. Kaum hatte er es geschafft, sich so weit hochzuhieven, dass der Brustkorb auf dem Ast lag, rutschte er wieder ab. Seine olivfarbene Haut war dunkel vor Anstrengung.

»Halt dich fest, Yusuf«, rief MrsPowell. »Tiffany, ich brauche dich hier. Komm und hilf uns mit Oliver.«

Tiffany wollte gerade losklettern, als es in Yusufs Ast knackte. Entsetzt stellte sie fest, dass er keine Blätter trug. Yusuf hing an totem Holz. Es knarrte, als er einen besseren Halt suchte.

»Tiffany!«, rief MrsPowell. »Schnell! Ich kann nicht an zwei Orten gleichzeitig sein.«

Sie zögerte. Konnte MrsPowell hier sein, bevor der Ast brach? Für lange Überlegungen war keine Zeit. Jemand musste Yusuf helfen.

»Ich mach das!« Die Antwort kam wie aus der Pistole geschossen. Über den toten Ast konnte sie nicht zu Yusuf gelangen– er würde brechen. Aber ein dünner Ast verlief fast direkt über ihm. Das Gewicht einer Person hielt er vielleicht aus.

»Yusuf«, rief sie, »siehst du den Ast über dir? Den schnappst du dir jetzt!«

Er schaute in ihre Richtung; sie sah fast nur das blutunterlaufene Weiß seiner Augen. »Geht nicht. Er ist zu weit oben.«

»Warte!«

Tiffany kletterte den Stamm hinunter und stellte einen Fuß auf den Ast. Die Astspitze zitterte wie eine Angel, wenn der Fisch angebissen hat. Und um im Bild zu bleiben: Sie war auch kaum dicker als eine Angelrute. Da Tiffany sich fast nicht traute hinzuschauen, machte sie ein paar Schritte mit geschlossenen Augen. Sie öffnete die Augen wieder, als der Ast sich unter ihrem Gewicht bog. Viel weiter durfte sie nicht gehen, sonst bog er sich ganz nach unten und sie fiel.

»Tiffany!«, keuchte Yusuf. »Ich glaube, das Ding bricht gleich.«

»Pass auf!« Sie sprach schnell. »Ich zähle jetzt bis drei, dann greifst du nach oben und packst den Ast!«

Er streckte die Hand aus. »Ich komme nicht dran!«

»Bei drei!«, rief sie. »Es geht los: Eins. Zwei.« Sie spannte die Muskeln an. »Drei!«

Sie machte einen Sprung nach vorn und landete mit dem vollen Gewicht auf dem dünnen Zweig. Er bog sich bis hinunter zu dem toten Ast, an dem Yusuf hing. Im nächsten Moment sprang Tiffany nach oben und streckte sich. Felastikon. Ihre Fingerspitzen berührten die raue Rinde, kurz bevor sie gegen den Stamm knallte und es ihr den Atem nahm. Benommen hing sie da, ein ganzer Regenbogen von Katras zuckte durch ihren Kopf. Irgendwann sah sie die Welt wieder klar.

Nachdem sie richtigen Halt gefunden hatte, schaute sie über die Schulter. Yusuf hatte es geschafft. Der biegsame Ast hatte ihn, nachdem ihr Gewicht fehlte, nach oben gezogen. In der Sicherheit einer dreizinkigen Astgabel sank er keuchend auf ein Kissen aus Efeu. Noch nie hatte sie jemanden gesehen, der so erleichtert dreingeschaut hatte. Mit Ausnahme von Olly vielleicht, der jetzt auf dem Boden stand und Stechpalmenblätter aus seinem T-Shirt klaubte. Hoch oben in der Eiche fand Tiffany ein bequemes Plätzchen, wo sie sich hinsetzen konnte. Sie merkte, dass sie grinste wie ein Honigkuchenpferd.

»Das«, sagte MrsPowell, »entsprach nicht meiner Anweisung.«

»Genau«, murmelte jemand.

»Auf der Skala für Ungehorsam«, keuchte Yusuf, »kriegst du zehn von zehn möglichen Punkten, Tiffany.«

»Oh, nein«, widersprach MrsPowell. »Durch deinen Ungehorsam ist der ganze Schlamassel erst entstanden, Yusuf. Wenn du getan hättest, was ich gesagt habe, wärst weder du noch Oliver gestürzt.« Ihr Ton verlor an Schärfe. »Aber das passiert nun mal, wenn man Menschen beibringt, sich wie Katzen zu verhalten. Wie hat Akhotep gesagt? Katzen geben nichts auf Worte.« Sie hielt kurz inne. »Weshalb es eigentlich auch nicht nötig ist, ›Gut gemacht, Tiffany‹ zu sagen.«

MrsPowell strich sich ganz in Gedanken mit der Hand über den Mund. Sie ruhten sich alle gemeinsam noch eine Weile aus, bevor sie langsamer weitergingen. Olly blieb auf dem Boden und Yusuf leistete ihm Gesellschaft.

Tiffany war im siebten Himmel. Daniel kriegte sich nicht mehr ein über das, was sie getan hatte. Wieder und wieder erzählte er es, inklusive Toneffekten. Cecile ernannte sie zur offiziellen Katzenprinzessin und Susie war sprachlos. Obwohl sie versuchte, sich in ihrem eigenen Glanz nicht allzu sehr zu sonnen, merkte Tiffany, dass sie plötzlich in einem wiegenden Heldengang von Ast zu Ast ging.

Ihre Mau-Haare zitterten. Im Baum nebenan knackte es. Ben kam durch die Zweige.

»Hey«, sagte sie, »du weichst von der Route ab.«

»Na und?«

»Wir sollen nur Bäume mit aufgemalten Augen nehmen. Schon vergessen?«, fragte Tiffany. »Los, komm, wir wollen schließlich nicht, dass es noch mehr Unfälle gibt.«

»Oh, wir wollen das nicht, nein?«

Die Verachtung in seiner Stimme schüttelte sie fast von ihrem Ast. »Was ist los mit dir, Ben?«

»Du hast bestimmt gedacht, das sei wahnsinnig clever.«

»Was?«

Ben kauerte sich auf einen Ast; er war sichtlich sauer. Warum nur? Tiffany schaute sich um. MrsPowell half Cecile gerade über eine schwierige Stelle.

»Das Risiko war es wert, wie?«, sagte Ben spöttisch. »Du würdest alles machen, um dich hervorzutun und gut dazustehen.«

»Ich hab mich nicht hervorgetan!« Sie wechselte hinüber in den verbotenen Baum. »Ich habe Yusuf bloß geholfen.«

»MrsPowell hat gesagt, du sollst uns helfen. Wir hätten Olly fallen lassen können.«

»Habt ihr aber nicht«, erwiderte Tiffany. »Und meine Rechnung ist aufgegangen.«

»Durch Zufall, ja.« Ben schnippte einen flügelförmigen Samen von einem Zweig. Er schraubte sich ins Unterholz hinunter.

»Ich hatte keine Zeit, lang drüber nachzudenken«, sagte Tiffany. »Außerdem wäre Yusuf auf die Füße gefallen. Katzen fallen immer auf die Füße.«

Ben schüttelte den Kopf. »Du bist unglaublich. Du bist dir so sicher, dass immer alles gut ausgeht. Aber ich sag dir jetzt mal was: So ist es nicht immer. Wenn du zu tief fällst, stehst du nicht mehr auf.«

»Und du bist Experte für solche Dinge.«

»Ich bin als Kind nicht in Watte gepackt worden, bestimmt nicht.«

Das tat weh. Im ersten Moment hätte Tiffany ihn am liebsten angeschrien.

»Ich kann schließlich nichts dafür, wenn ich irgendetwas gut kann, oder?«, zischte sie stattdessen.

»Ach nein?« Ben ging zum Ende seines Astes, sodass dieser sich neigte wie die Spur einer Achterbahn. »Du willst mir was beweisen? Dann komm, beweise es!« Seine Augen waren Schlitze. Katzenaugen. »Wer als Letzter unten in der Senke ist, hat verloren.«

Der Ast wippte auf und ab wie ein Sprungbrett, als er sich abstieß und in den Wasserfall aus Weidenblättern eintauchte. Bevor die Wogen sich geglättet hatten, kraxelte er schon wieder den steilsten Stamm hinauf. Seine Wadenmuskeln krampften sich von der Anstrengung zusammen.

Tiffany war überzeugt, dass sie vernünftig handeln würde. Ihm zu folgen wäre mehr als bescheuert. Zum einen wäre es genau das, was er wollte, und zum anderen würde MrsPowell Hackfleisch aus ihr machen. Ganz zu schweigen von der Gefahr, der sie sich aussetzte, wenn sie von der Route abwich. Es wäre wirklich das Dümmste und Kindischste, was sie tun konnte. Deshalb war es ein echter Schock, als sie feststellte, dass sie den Ahornarm entlangsprintete und Ben nachsprang.

Später fragte sie sich, warum sie es getan hatte. Es war ihr nicht wichtig, Erste bei irgendetwas zu sein. Zumindest glaubte sie das. Ein Wettrennen mit einem Jungen, der launisch war und noch nicht einmal Katzen mochte, war es kaum wert, dass sie ihr Leben aufs Spiel setzte. In der Rückschau dachte sie oft, dass alles anders gekommen wäre, hätte sie diesem einen Impuls nicht nachgegeben. Doch in dem Augenblick war es, als hätte ein innerer Dämon die Kontrolle übernommen.

Ben kletterte nach oben. Wahrscheinlich eine gute Taktik, wollte man sich schnell durch den Wald bewegen. Tiffany wünschte, sie hätte an die fingerlosen Handschuhe gedacht– ihre Handflächen trugen tiefe Schürfspuren. Sie ignorierte die Rufe (»Tiffany! Ben! Bleibt sofort stehen!«), sprang in die Trauerweide, packte einen Armvoll Gerten und schwang sich wie Tarzan durch das hufeisenförmige Blätterdach. Sie ließ los. Es gab einen Augenblick der Panik, als sie durch Leere segelte. Dann meldete sich die Katze in ihr, drehte sie mitten in der Luft herum, sodass sie am äußeren Weidenarm aufkam. Sie schaute hoch und sah gerade noch, wie Ben, ein schwarzer Strich auf dem Himmelhintergrund, sich hinaufschwang in den Wipfel eines… Keine Zeit zu überlegen, um was für eine Art von Baum es sich handelte.

Okay, er war ziemlich schnell. Sie konnte noch schneller sein. Er hatte zwar den Vorteil der Höhe, aber hier unten bot der Wald mehr Wege. Ein Baum mit runden, grünen Früchten breitete seine Zweige aus wie die Speichen eines Schirms. Sie sprang von einer Speiche zur nächsten und katapultierte sich vom letzten Ast aus hinauf. Im nächsten Moment war sie in einer Kastanienkathedrale. Smaragdgrünes Licht schimmerte durch blättrige Fenster und die mächtigen Pfeiler reckten sich hoch hinauf, wie eine Kirchturmspitze sich zur Sonne reckt. Sie stürmte zwischen den Dachsparren hindurch, als liefe sie eine Wendeltreppe hinauf, und sprang durch eine Lücke in den Blättern hinaus.

Zweige schlugen an ihr rechtes Ohr. Ben war auf demselben Ast gelandet wie sie. Er besaß die Frechheit ihr kurz zuzulächeln, bevor er wieder davonschnellte, immer einen Sprung voraus. Sie waren umgeben von immergrünen Kieferästen, an denen Nadelbüschel wie Regenwolken hingen. Die Büschel bebten und rauschten und warfen Nadeln und Zapfen ab, als zuerst Ben und dann Tiffany von einem zum anderen sprang.

Aber dann sah sie, dass Ben einen Fehler gemacht hatte. Er war zu weit nach rechts gekommen, wo eine kleine Lichtung das Weiterkommen unmöglich machte. Wenn sie in der Kiefer blieb und um den Stamm herum ging, konnte sie in den nächsten Baum springen und die Führung übernehmen. Triumphierend schlitterte sie einen knorrigen Ast hinunter. Als sie sich nach Ben umdrehte, blieb ihr fast das Herz stehen.

Er flog in einem Wahnsinnssprung durch die Luft. Sie hielt an, total entsetzt. Zwischen der Kiefer und dem nächsten sicheren Landeplatz, einer Eiche, gähnten über sechs Meter Leere. Das würde er nie schaffen.

Er schaffte es.

Das Entsetzen verwandelte sich in ungläubiges Staunen. Äste bogen sich und brachen, als Ben durch das Grün flog. Wären ihm Flügel gewachsen, hätte sie das kaum mehr erstaunt. Sie ging auf ihrem Kurs weiter, machte sich aber keine Hoffnungen mehr. Wenn er bereit war, solche Sprünge zu wagen, würde sie das Rennen nie gewinnen. Inzwischen hatte er einen ganzen Baum Vorsprung. Ihre Katras meldeten sich, Ailur für Beweglichkeit und Parda für Kraft, und sie warf sich nach vorn. Ben war schon nicht mehr zu sehen. Aber so schnell konnte er sie ja wohl nicht abgehängt haben, oder?

Sie wirbelte auf einem Zeh herum. Die Eiche sah leer aus. Eine Schar Enten, die wie Rauch aus dem Gebüsch aufstiegen, als seien sie von etwas aufgeschreckt worden, zog ihren Blick an. In ihr krampfte sich alles zusammen. Etwas stimmte hier nicht. Etwas stimmte ganz und gar nicht. Zitternd, weil es ihr plötzlich gar nicht mehr wohl war, so hoch oben zu sein, kämpfte sie sich hinunter auf den Boden und lief stolpernd zwischen den Bäumen hindurch.

Sie zwängte sich am Ufer eines großen Teiches durchs Gebüsch und stand auf einmal zwischen einem Dutzend Frauen in Badeanzügen. Eine große, muskelbepackte Frau mit Tätowierungen am ganzen Körper, watete aus dem Seichten und zog etwas Schweres hinter sich her. Sie hievte es auf den hölzernen Steg und stand da, mit gerötetem Gesicht und keuchend vor Anstrengung.

»Was habt ihr euch bloß dabei gedacht?«, schimpfte sie und rieb sich die Augen. »Findet ihr das witzig, euch wie eine Bombe von den Bäumen herunter ins Wasser zu stürzen? Ihr hättet jemanden umbringen können. Und außerdem ist das ein Badeteich für Frauen, das wisst ihr ganz genau.«

Bens T-Shirt und die lange Sporthose waren zerrissen und klatschnass. Stöhnend drehte er sich auf den Rücken. Sein Gesicht war voller Schlamm und Wasserlinsen; zusammen mit der Katzenschminke machte das eine Art Wassergnom aus ihm.

»Tut mir leid. Wir sind zusammen hier.« Tiffany lief zu ihm und half ihm beim Aufstehen.

»Den Blödmann kannst du gern für dich behalten«, murmelte jemand.

Als sie ein gutes Stück davongewankt und zwischen den Bäumen in Sicherheit waren, ließ sie Ben allein weitergehen. Er sank auf die Knie. Tiffany bekam Panik, weil sie fürchtete, er sei schwer verletzt. Dann sah sie, dass er lachte.

»Los, steh auf!« Sie stieß ihn mit dem Fuß an. »Was ist so komisch?«

»Ich hab Recht gehabt«, prustete Ben immer noch atemlos, »und du nicht.«

»Wovon redest du? Womit hast du Recht gehabt?« »Katzen fallen nicht immer…« Ben hielt inne und spuckte eine Algenschnur aus. »Katzen fallen doch nicht immer auf die Füße.«