Monster auf dem Dachboden 12
Und genau dann, als sie dachte, dass es nicht schlimmer kommen könnte, verschwand Ben. Tiffany war in den letzten drei Tagen zweimal vor seiner Wohnungstür gestanden und hatte sich von einer Stimme– wahrscheinlich die seiner Mutter– über die Sprechanlage sagen lassen müssen, dass er nicht da sei. Schließlich fand sie seine Handynummer auf der Kinokarte, die sie als Lesezeichen benutzt hatte. Sie wählte, obwohl sie sicher war, dass niemand abnehmen würde. Jemand fragte vorsichtig: »Ja?«
»Ben?«
»Oh. Hallo, Tiffany. Wie geht’s?«
»Was soll das heißen, wie geht’s? Den Bach runter geht’s! Was fragst du denn so blöd. Gehst du mir aus dem Weg?«
»Nein, bestimmt nicht.« Ben klang müde. »Ich wohne bei meinem Dad. Familienkram. Besser, du weißt nicht, worum es geht.«
Sie hatte den Eindruck, dass er es ernst meinte.
»Ben, wir müssen reden. Du hast gesagt, wir können diesen armen Tieren helfen.«
»Und wie?«
»Irgendwie!« Sie schrie fast. »Wir können doch nicht einfach zuschauen! Die ganzen Leoparden und Tiger in diesen Käfigen und mit Schläuchen im Bauch. Sie können sich nicht umdrehen, sie können sich nicht hinlegen, sie können nicht mal schlafen.« Ihre Stimme versagte. »Ben, bitte! Wir sind ihre einzige Chance.«
Sie wartete.
»Wofür hältst du mich eigentlich?«, fragte Ben. »Glaubst du, das macht mir nichts aus? Was die da mit den Tieren tun, macht mich ganz krank. Sie sollten lebenslänglich dafür kriegen.«
»Dann sorgen wir dafür! Wir gehen zusammen zur Polizei. Sie brauchen doch nur einen Blick in die Fabrik zu werfen.«
»In die Fabrik, von der alle Welt weiß, dass sie leer steht.«
»Nur einen Blick!«, rief sie. »Mehr braucht es nicht. Wir könnten auch was erfinden. Dass sich Drogenhändler dort eingenistet haben. Das wäre nicht mal gelogen.«
»Vielleicht. Aber, Tiffany, wir müssen echt vorsichtig sein. Meine Mutter hat wegen der Sache mit Stanford auch schon mal die Polizei eingeschaltet. Das ist nicht gut ausgegangen.«
»Das hier ist was anderes.«
»Und was, wenn Stanford jemanden von der Polizei kennt? Was ist, wenn er mit allem durchkommt, weil seine Freunde ihn decken? Dann würden wir lediglich preisgeben, wer wir sind und wo wir wohnen. Wenn man eins nicht will, dann ist das, dass John Stanford weiß, wo man wohnt.«
»Ich würd’s riskieren. Wenn Dr.Cobb dadurch das Handwerk gelegt wird.«
»Überleg es dir noch mal«, sagte Ben eindringlich. »Pass auf, ich… Ich ruf dich später noch mal an. Dann denken wir uns irgendwas aus. Mach in der Zwischenzeit keine Dummheiten!«
»Wann soll ich dann welche machen?«
Das Schweigen zwischen ihnen schien zu brodeln.
»Warte halt einfach noch ein bisschen, okay?«, zischte Ben. »Das ist im Moment nicht mein einziges Riesenproblem.«
»Warum? Was gibt es denn Wichtigeres als das?«
»Erzähl ich dir ein andermal.« Ben legte auf.
Mehrere Minuten lang saß Tiffany mit dem Telefon im Schoß da. Sie konnte es nicht fassen. Ben hatte gekniffen. Eine andere Erklärung gab es nicht. Deshalb hatte er sie auch gemieden. Sie wollte schon auf Wahlwiederholung drücken, warf das Telefon dann aber aufs Kopfkissen. Sie verschwendete nur ihre Zeit. Und die Person, mit der sie wirklich hätte reden müssen, war nicht einmal im Land.
Kein Ben, keine MrsPowell. Wie stand es mit den anderen Mitgliedern des Katzenkosmos? Sie hatte die Nummer von Cecile und die von Susie. Sie zögerte kurz, dann wählte sie die zweite.
»Hallo, du bist es.« Susie klang überrascht. Bis auf ein paar leise geführte Unterhaltungen auf dem Schulflur oder in der Kantine hatten sie außerhalb des Kurses kaum ein Wort miteinander gewechselt.
»Hi.« Tiffany biss sich auf die Lippe.
»Hallo?«, wiederholte Susie fragend.
Tiffany merkte, dass sie schweigend vor sich hin gestarrt hatte. »Susie«, sagte sie jetzt. »Ich hab ein Problem. Vielleicht kannst du mir, hm, einen Rat geben.«
»Oh, ich hab auch eins!«, rief Susie, als seien Probleme der letzte Schrei. »Mein Vater und mein großer Bruder wollen, dass wir nächstes Jahr alle in Wales Urlaub machen. Kannst du dir das vorstellen? Wildwasserrafting, und sie wissen ganz genau, dass ich nicht schwimmen kann, zumindest nicht sehr gut, nur vier Bahnen in einem beheizten Pool. Und dann auch noch in Wales. Als ob es hier nicht schon genug regnet. Ich versuche meinen Dad zu überreden, dass wir doch lieber nach Hongkong gehen. Ich finde es so ätzend auf dem Land. Das ist doch nur eine riesige Platzverschwendung. Und was das Wildwasserrafting angeht– also ich weiß nicht. In meinen Ohren klingt das ausgesprochen blöd und riskant, ganz schön gefährlich und dazu noch total langweilig. Augenblick noch!«
Tiffany riss sich das Telefon vom Ohr. Sie war halb taub.
»Tut mir leid, Tiffany, das war meine Mutter. Sie will, dass ich irgendwelche blöden Sachen für sie erledige. Wales klingt jedenfalls schrecklich, oder? Schleift deine Familie dich auch mit zu irgendwelchen bescheuerten Ferien? Du, es war super, dass du angerufen hast, aber ich muss los, sonst explodiert meine Mum.«
»Tschüss«, sagte Tiffany. Einen Augenblick lang saß sie da wie benommen. Sie hatte vergessen, dass einige Leute vorübergehend den Verstand verloren, wenn sie ein Telefon am Ohr hatten. Sie überlegte und beschloss dann, Cecile nicht anzurufen. Es war nicht fair, Freunde da mit reinzuziehen. Auf die ganze Sache gab es nur eine vernünftige Antwort: Sie musste alles der Polizei melden.
Zehn nervenaufreibende Minuten lang hing sie in der Warteschleife. Ihr Atem klang laut in ihrem Ohr. Was, wenn Ben Recht hatte? Nein, das konnte nicht sein.
»Polizeistation Stoke Newington.«
»Äh… Ich möchte ein Verbrechen melden.«
»Schieß los, Kleine.«
»Da ist doch so eine alte Fabrik an der Albion Road«, begann sie. »Sie halten Tiger und Leoparden da drin. In winzigen Käfigen. In jedem Tier steckt ein Schlauch und so ein Wissenschaftler benutzt sie, um Arznei zu machen. Er nimmt die Galle aus ihrer Leber…« Sie biss sich auf die Lippe. Es klang selbst in ihren Ohren lachhaft.
»Nur weiter, Kleine, ich höre zu.«
»Es stimmt aber!«, protestierte sie. »Hören Sie, ich weiß nicht genau, was da abgeht, aber es ist etwas sehr Schlimmes und es passiert in dieser leer stehenden Fabrik. Können Sie da bitte einmal nachsehen?«
»Etwas sehr Schlimmes«, wiederholte der Polizist langsam, als würde er sich die Worte notieren. »Kannst du mir noch ein paar Einzelheiten nennen? Wie war noch mal dein Name?«
Das Telefon glitt ihr aus der Hand und fiel auf den Teppich. Zunächst war noch leises Gemurmel zu hören, dann wurde es still. Tiffany knirschte mit den Zähnen. Sie würde es nicht eher wieder in die Hand nehmen, bevor sie sich nicht eine Geschichte zurechtgelegt hatte, die sie glauben würden.
Eine Stunde später lag es immer noch da.
Ben überlegte, ob er zurückrufen sollte. Er wollte alles erklären. Erzählen, was ihm mit seiner Mutter passiert war. Tiffany sollte Bescheid wissen. Sie musste Bescheid wissen.
»Benny!«, rief sein Dad aus dem Wohnzimmer. »Ich habe eine Kanne Tee gemacht. Magst du rüberkommen und den Boxkampf mit mir anschauen? Ich sage dir in der zweiten Runde, wer gewinnt.«
»Sekunde noch«, murmelte Ben. Sein Dad war vom ersten Moment an, als Ben am Mittwochmorgen nach einer Nacht auf den Straßen fix und fertig bei ihm aufgetaucht war, unerträglich fröhlich gewesen. Den wahren Grund für sein Erscheinen kannte Bens Vater nicht. Er glaubte, seine Frau würde ihm endlich erlauben, Ben öfter zu sehen.
Ben saß allein in dem winzigen Gästezimmer in der Wohnung seines Vaters, hatte die Arme um die Knie geschlungen und schaute den Tauben zu, die auf dem Fensterbrett scharrten. In seinem Kopf spielte sich immer die gleiche Szene ab, als könnte er sie auslöschen, wenn er sie nur oft genug wiederholte. Als könnte er ungeschehen machen, was geschehen war. Ihm war die Hand ausgerutscht, bevor er einen Gedanken hatte fassen können, es war so schnell gekommen wie ein elektrischer Schlag. Die Kraft dahinter hatte seine Mum durch die Küche fliegen lassen. Unsichtbare Krallen hatte ihr das Gesicht zerkratzt. Es war kein fremder Angreifer gewesen, kein angeheuerter Schläger, der seiner Mutter das angetan hatte. Er war es selbst gewesen.
Er packte sein rechtes Handgelenk wie eine Schlange, die er erwürgen musste.
»Wie konntest du nur?«, flüsterte er. »Wie konntest du das nur machen?«
»Ben?« Sein Vater klopfte an die Tür. »Sie kommen in den Ring.«
»Gleich!«, raunzte er.
Während all der Zeit, in der er Pashki geübt hatte, hatte er nie darüber nachgedacht, wie er sich selbst dabei veränderte.
Ich weiß nicht, was in mich gefahren ist.
Seine Katzennatur war geweckt worden; sein Mau-Körper reagierte mit Reflexen, die zu schnell abliefen, als dass er sie kontrollieren konnte. Wenn er jetzt geschlagen wurde, würde er zurückschlagen, egal, wer getroffen wurde. Und diese zweite Natur war stark, so stark, dass sie eine erwachsene Frau umhauen konnte. Alles in ihm krampfte sich zusammen, so wie damals, als er fünf war. Damals hatte er versehentlich den Papierkorb in Brand gesteckt und gedacht, die ganze Wohnung, die ganze Welt würde abbrennen. Das Gefühl jetzt war dasselbe. Das hatte er nicht gewollt. Was hatte er getan?
»Tiffany! Schau dir das an!«
Sie blickte von ihrer Zeitschrift auf und sah, wie Stuart zwei große Tabletten einwarf und sie auf einmal hinunterschluckte. Seine Augen quollen hervor wie bei einem Frosch.
»Cool, was? Jede Wette, dass du das nicht kannst.«
»Stuart!«, schimpfte Tiffanys Mum. »Immer eine nach der anderen, Liebes. Du verschluckst dich noch.«
»Ausgeschlossen.« Er grinste. »Ich bin inzwischen der Weltmeister im Pillenschlucken. Ich könnte auch vier davon schlucken, wenn ich wollte.«
»Das sind keine Bonbons, du Idiot!«
»Tiffany! So nicht.« Ihr Dad rollte zwei Handtücher zusammen und stopfte sie in seine Sporttasche. »Cathy, wo ist meine Schwimmbrille?«
»Ich kann nur vermuten, dass sie da ist, wo du sie zuletzt hingetan hast«, erwiderte seine Frau. »Es sei denn, du hast sie mir gegeben, damit ich sie bügle, wasche oder frittiere.«
»Ein einfaches ›Ich weiß es nicht‹ hätte genügt.« Ihr Mann ging pfeifend die Treppe hinauf.
»Tut mir leid, Stuart«, sagte Tiffany. »Aber du weißt, dass es nicht gut ist, zu viel von einem Medikament zu nehmen. Vor allem von einem«, sie vergewisserte sich, dass ihre Mum zuhörte, »über das wir nicht viel wissen.«
»Ich nehme zwei Stück zum Essen. So steht es auf dem Etikett.«
»Mum, was meinst denn du?«, flehte Tiffany sie an. »Er ist doch so gut wie gesund. Sollte er nicht bald aufhören mit dem Zeug?«
»Warum?« Ihre Mum lächelte und ließ eine Gießkanne voll Wasser laufen. »Außerdem weiß ich nicht, wie du auf ›gesund‹ kommst. Bald geht es dir noch viel, viel besser, stimmt’s, Stu?«
»Yeah!«, sagte Stuart. Er knuffte Tiffany lachend in die Rippen. »Du bist nur neidisch, weil du weißt, dass ich bald stärker bin als du.«
»Was für ein Quatsch!« Am liebsten hätte Tiffany das Panthacea-Glas auf den Boden geschmissen. Dann würden sie ihr wenigstens richtig zuhören. »Ich will damit nur sagen, dass er nicht ständig Pillen schlucken kann.«
»Und wie kommst du darauf?«
»Das weißt du doch am besten, Mum. Du bist doch diejenige, die uns ständig predigt, dass die Natur der beste Arzt sei.«
»Aber Panthacea ist reine Natur, Liebes«, sagte ihre Mum. »Schau, es steht hier auf dem Etikett. Wohin gehst du?«
Tiffany lief rasch nach oben. Ihr war schlecht. Sie starrte in die Kloschüssel, bis die Übelkeit vorbei war. Jemand klopfte an die Tür.
»Tiffany?« Es war ihr Dad. »Willst du mit Stuart und mir schwimmen gehen? Wir fahren in einer Minute los.«
Sie musste erst einen Schluck Wasser aus dem Hahn trinken, bevor sie antworten konnte, so trocken war ihr Mund. »Nein«, murmelte sie dann. »Ich wäre nur wieder im Weg.«
»Ach was«, sagte ihr Vater. »Los, komm, es macht bestimmt Spaß!«
»Mir ist heute nicht danach. Vielleicht helfe ich Mum im Garten.«
»Auch gut. Sieh zu, dass sie sich nicht zu dreckig macht, sonst lassen sie uns nachher im Restaurant nicht rein.«
»Mach ich.«
Als sie so weit war, dass sie wieder nach unten gehen konnte, wollten Stuart und ihr Vater gerade das Haus verlassen. Tiffanys Mum erwischte die beiden noch auf der Schwelle.
»Peter, meine dunkelrote Seidenbluse.«
»Was ist damit?«
»Hast du sie gesehen? Ich möchte sie heute Abend anziehen, wenn wir essen gehen.«
»Nun, ich nehme an, sie ist da, wo du sie zuletzt hingetan hast«, antwortete Tiffanys Vater und drückte ihr einen Kuss auf die Wange. »Es sei denn, du hast sie mir zum Wagenwaschen gegeben. Bis später, Mädels.«
Die Bluse blieb verschwunden und so schloss Tiffanys Mutter einen Kompromiss und trug ihr kleines Schwarzes mit funkelndem Schmuck. Sie sah toll aus und sämtliche Kellner überschlugen sich fast, um ihr alles recht zu machen. Cathy Maine hatte sich seit Monaten nicht mehr so zurechtgemacht, vielleicht sogar seit Jahren, und wahrscheinlich war es auch ein wunderschöner Abend. Doch Tiffany erinnerte sich nur an eines: wie Stuart zum Nachtisch noch eine von diesen Tabletten geschluckt hatte.
Am nächsten Morgen lag sie im Bett und lauschte den Amseln, die Alarmanlagen von Autos nachahmten. Dabei fielen ihr die zusätzlichen Triller auf, die für normale menschliche Ohren nicht zu hören waren. Es war absurd: Da hatte sie alle diese neuen Fähigkeiten und trotzdem konnte sie ihren kleinen Bruder nicht davon abhalten, eine Pille zu schlucken, deren Herstellung unvorstellbares Leiden verursachte.
Sollte sie es überhaupt versuchen? Denn so schrecklich das Medikament auch war, Tatsache war nun einmal, dass Panthacea ihrem Bruder half. Stuart würde endlich eine Kindheit haben. Er würde rennen können, schwimmen ohne Schwimmbrett, ein Buch halten, ohne müde zu werden. Er konnte eine Erkältung bekommen und sie brauchten nicht mit der Angst zu leben, es könnte seine letzte sein.
Ihr Bruder auf der einen Seite. Auf der anderen eine Halle voll wilder Tiere. Es konnte doch nicht darum gehen, was mehr wert war! Tiffany grub die Fingernägel in ihre Handflächen. Nein, sie würde es nicht hinnehmen. Und Stuart, da war sie sich sicher, würde es auch nicht hinnehmen. Er war der einzige Junge, den sie kannte, der Spinnen aus der Badewanne rettete, anstatt sie den Abfluss hinunterzuspülen. Ihm taten sogar die Flöhe leid, die sie gelegentlich aus Rufus’ Fell bürstete und deren Panzer sie zwischen den Fingernägeln zerdrückte.
Stuart fühlte mit. Egal, welche magische Wirkung Cobbs Zauberpillen auch hatten, schon der Gedanke an die Qualen, die sie hervorgerufen hatten, wären genug, um ihn ganz schnell wieder auf den Boden der Tatsachen zurückzuholen.
Und das war noch nicht alles. Ihr Bruder war möglicherweise sogar in Gefahr. Die Tabletten schienen ihm im Moment gutzutun, aber sie würde keinem Mittel trauen, das durch die Hände dieses knochendürren Wissenschaftlers gegangen war. Cobb war skrupellos. Jeden Tag konnten entsetzliche Nebenwirkungen auftreten.
Ihr kam ein Gedanke. Es war Montag. Ihr Dad war in seinem Büro in der Stadt und brütete über irgendwelchen Zahlen. Ihre Mum arbeitete zwar von zu Hause aus, aber sie tauchte so gut wie nie aus ihrem Arbeitszimmer auf. Und Stuart saß, wie es sich anhörte, vor dem Fernseher.
Der Panthacea-Vorrat, ein Karton mit drei Gläsern, stand im Bad. Das vierte Glas fand sie halb voll in der Küche. Sie ging wieder in den ersten Stock und starrte hinauf zu der Klappe in der Flurdecke. Die war so weit oben, dass ihr Dad als Einziger in der Familie drankam, um die schwere Holzleiter herunterzulassen.
Tiffany schloss die Augen und ließ die Katras wie Lichtblasen durch ihren Körper brodeln. Sie sprang. Ihre rechte Hand fand den Rand der Luke und ihre Mau-Krallen erlaubten ihr, sich kurz einzuhängen, während sie den Riegel zurückschob und die Klappe aufdrückte. Mit einem kaum hörbaren Plopp! landete sie wieder auf den Dielen.
Aus dem Arbeitszimmer kam das Klappern der Tastatur; ihre Mum verschickte E-Mails. Tiffany holte tief, aber lautlos Luft, sammelte die Gläser mit den Tabletten zusammen und kauerte sich unter die offene Luke. Sie konzentrierte sich auf zwei Katras, blau und indigo, und schnellte in die Höhe.
Felastikon. Ihr gesamter Körper streckte sich, als er durch die Luke schoss, und sie musste den Kopf einziehen, damit sie nicht an die Dachbalken stieß. Sie kam am äußersten Rand der Falltür auf den Fußballen auf, die Fersen über dem Nichts. Nicht schlecht für die unsportlichste Gurke der ganzen Klasse.
Jede Menge Krempel war hier oben auf dem Speicher verstaut worden: Kartons mit alten Schallplatten, Winterkleidung, ihr einst so geliebtes Puppenhaus. Sie schlich über die Dielen und passte auf, dass keine knarrte. Ganz hinten in der Ecke fand sie eine Schachtel mit Kabelsalat und staubigen Glühbirnen. Darunter versteckte sie die Gläser mit den Tabletten.
Tiffany hörte ihre Mutter noch immer in den Rechner tippen. Sie biss sich vor Anstrengung auf die Lippe, während sie sich an den Lukenrand hängte und gleichzeitig die Falltür hinter sich zuzog. Dann ließ sie sich fallen.
Sie hatte es geschafft. Das Panthacea war an einem Platz versteckt, wo niemand danach suchen würde. Darauf würden ihre Eltern im Traum nicht kommen, denn Tiffany hätte nie allein dorthin gelangen können. Und wenn sie, obwohl es so teuer war, eine neue Sendung bestellten, würde sie diese ebenfalls verstecken.
Tiffany ging zurück in ihr Zimmer und griff nach einer Zeitschrift. Das wäre geschafft. Sie blätterte das Magazin durch, ohne darin zu lesen. Aus irgendeinem Grund fühlte sie sich kein bisschen besser.