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„Wie sehe ich aus?“, fragte Bount Reiniger seine blonde Sekretärin.
„Was möchtest du hören?“, fragte June March lächelnd zurück.
„Oh, alles - von großartig über fantastisch bis super.“
Bount war wie aus dem Ei gepellt. Er trug einen cremefarbenen Sommeranzug. Krawatte und Stecktuch wiesen dasselbe Muster auf. Die ochsblutfarbenen Schuhe hatte er heute zum ersten Mal an.
„Man könnte meinen, du fährst nicht zum Gericht, sondern begibst dich auf Brautschau“, bemerkte June.
„Herzblatt, ich habe doch keine Brautschau nötig. Ich hab’ doch dich.“
„Ich rate dir, zu gehen und mir nicht das Unschuldslamm vorzuspielen, sonst werfe ich vor Wut mit Telefonen um mich.“
Der Detektiv verließ sein Büro Apartment. Er genoss es, wenn June ein wenig eifersüchtig war. Umso mehr strengte sie sich an, um sich unentbehrlich zu machen. Er begab sich zum Lift und fuhr von der 14. Etage in die Tiefgarage hinunter, wo sein silbergrauer Mercedes 450 SEL auf ihn wartete. Elastisch schwang er sich hinter das Steuer und schob den Zündschlüssel ins Schloss.
Es war nicht so, wie June gesagt hatte. Er brauchte sich nicht zu beeilen.
Er gehörte zu der Sorte Mensch, nach der man die Uhr stellen kann. Das bedeutete, dass er von zu Hause stets rechtzeitig wegging, damit keine Hektik auf kam.
Gemächlich ließ er den Wagen durch die Garage rollen. Er fuhr die Auffahrt hoch und wartete, bis die vorbeikriechende Autoschlange abriss, dann fädelte er sich ein und schwamm im dichten Verkehrsstrom mit. Da er nicht direkt vor dem Gerichtsgebäude parken konnte, musste er ein Stück laufen, aber das machte ihm nichts aus. Er hatte nichts gegen ein bisschen Bewegung.
Ein kaffeebrauner Chevrolet fuhr an ihm vorbei, besetzt mit zwei Mann. Es waren Freunde von Bount. Er wollte sich bemerkbar machen, doch ihnen fiel sein Handzeichen nicht auf. Der Chevy bog um die Ecke, und Bount verlor Lieutenant Ron Myers und Captain Toby Rogers von der Mordkommission Manhattan C/II aus den Augen.
Erst als Bount Reiniger die Ecke erreichte, sah er den Chevrolet wieder. Er hielt direkt vor dem Gerichtsgebäude.
Natürlich, dachte Bount und lachte in sich hinein. Toby macht keinen Schritt zu viel. Das könnte ja zu einem Gewichtsverlust führen, und das wäre in seinen Augen eine Katastrophe. Man war Toby Rogers schließlich als Nilpferd gewöhnt. Wenn er abgenommen hätte, wäre er von niemandem mehr erkannt worden. Die Hungerkuren, zu denen er sich in unregelmäßigen Abständen auf raffte, dienten lediglich dazu, sein Gewissen zu beruhigen. Sobald er mit der ersten Versuchung konfrontiert wurde, fiel er zuverlässig um.
Ron Myers fuhr weiter, sobald sich der gewichtige Leiter der Mordkommission aus dem Chevy geschält hatte. Toby blieb einen Augenblick stehen und schaute dem kaffeebraunen Wagen nach. Dann drehte er sich um und schickte sich an, die breite Treppe hochzusteigen.
Bounts Ruf stoppte ihn. Erstaunt wartete der Captain auf seinen Freund. „Hallo, Bount. Sag mal, wie siehst du denn aus?“
Bount schaute an sich hinunter. „Wieso? Ist irgendetwas mit mir nicht in Ordnung?“
„Ich dachte, du wärst so was wie ’n Privatdetektiv. Ich wusste nicht, dass du dir das große Geld als Dressman verdienst.“
„Wenn du möchtest, bringe ich dich als Modell für den vollschlanken Herrn unter“, sagte Bount. „Hast du bei Gericht zu tun?“
„Ja. Und du?“
„Ich hab’ ’ne Vorladung gekriegt.“
„Bist du Zeuge oder Angeklagter?“
„Das sag’ ich dir nicht.“
Sie stiegen nebeneinander die Stufen hinauf. Captain Rogers sollte in der Verhandlung gegen einen jungen Amokschützen aussagen. Der Bursche hatte sich auf das Dach eines Lagerhauses gehockt und auf alles geschossen, was daran vorbeifuhr. Fünf Menschen hatten diesen Irrsinn mit dem Leben bezahlt.
„Und was führt dich hierher?“, wollte Toby wissen.
„Ich bin ein wichtiger Zeuge im Prozess gegen Milton Coote“, antwortete Bount.
Toby seufzte. „Typisch Bount. Er nimmt sich schon wieder mal wichtig.“
„Immerhin habe ich dazu sehr viel beigetragen, dass er heute vor Gericht steht“, bemerkte Bount unbescheiden.
Sie betraten das Gebäude. Ihre Schritte hallten von den Wänden wider.
„Heben wir hinterher einen zusammen?“, fragte Bount.
„Ich hoffe, du rechnest nicht damit, dass ich dich einlade“, entgegnete Toby. „Ich bin nämlich blank.“
„Blank ist nur der Vorname“, sagte Bount amüsiert. „Du bist chronisch pleite. Ein Drink geht auf meine Kosten, okay? Ich muss irgendwie nicht ganz dicht sein. Wie sonst lässt es sich erklären, dass es mir nichts ausmacht, ständig von dir ausgenützt zu werden.“
„Nun komm aber“, brummte Toby ungehalten. „Du tust ja so, als hätte ich dich noch nie eingeladen.“
„Weihnachten ist öfter“, sagte Bount. Sie erreichten den ersten Stock und blieben Stehen, denn der Prozess „der Staat gegen Milton Coote“ fand in dieser Etage statt. Toby hatte im dritten Stock zu tun.
„Bis später“, sagte der Captain. „Der, der zuerst fertig ist, wartet auf den andern.“
Toby nickte. „Schöne Schuhe, die du da anhast. Neu?“
„Funkelnagelneu. Noch nie getragen.“
„Drücken sie nicht?“
„Hör mal, ein Schuh um hundert Dollar darf doch nicht drücken.“
„Hundert Dollar“, sagte der Captain und schüttelte den Kopf. „Wie kann man nur so viel Geld für ein Paar Schuhe ausgeben.“
Bount wollte dem Freund eine ätzende Antwort geben, aber da wurde Milton Coote gebracht, und der Detektiv schenkte sich die bissige Bemerkung. Coote sah blass aus. Er schien aufgeregt zu sein.
„Das ist er“, sagte Bount Reiniger. „Milton Coote. Der Bursche ist mit allen Wassern gewaschen und mit allen Salben geschmiert. War nicht einfach, ihn dingfest zu machen. Umso mehr freut es mich, dass es mir gelungen ist.“
„Sag mal, hat man dich noch nicht für den goldenen Greiferorden vorgeschlagen? Nein? Dann muss ich mal diesbezüglich was in die Wege leiten.“
„Tu das“, sagte Bount. „Den verscherbeln wir sofort, und von dem Erlös kaufen wir uns eine Packung Salzstangen.“
„Verschwender“, sagte Toby mit gespielter Verachtung.
Coote ging an ihnen vorbei. Er warf Bount Reiniger einen hasserfüllten Blick zu. Toby wollte wissen, was der Mann ausgefressen hatte. Bount zählte die wichtigsten Delikte auf.
„Sieben Jahre mindestens“, überschlug der Captain das Strafmaß, das auf Milton Coote wartete.
Die Unruhe des Verbrechers machte Bount Reiniger stutzig. Er fragte sich, was das zu bedeuten hatte. Die bevorstehende Gerichtsverhandlung konnte Coote doch nicht so sehr aufregen. Irgendetwas schien hier faul zu sein.
„Ich muss gehen“, sagte Toby Rogers. „Vergiss nicht, dass du mich zu einem Drink eingeladen hast.“
Cootes Wangenmuskeln zuckten. Er ging neben dem uniformierten Beamten und nagte an der Unterlippe. Der Flur war von etwa einem Dutzend Menschen bevölkert. Sie rauchten, standen entweder beisammen und unterhielten sich mit gedämpfter Stimme, oder sie saßen auf unbequemen Holzbänken und warteten darauf, dass sie aufgerufen wurden.
„Also dann, bis später“, sagte der Captain zu seinem geistesabwesenden Freund. Als Bount nicht reagierte, stieß der Captain ihn an. „He, Bount, du befindest dich im Gerichtsgebäude. Du kannst doch hier nicht schlafen.“
„Coote gefällt mir nicht“, quetschte Bount zwischen zusammengepressten Zähnen hervor.
„Du brauchst ihm ja keinen Heiratsantrag zu machen.“
„Gespannt wie eine Stahlfeder ist der Kerl, bereit, vielleicht schon in der nächsten Sekunde hochzuschnellen.“
Ein Mann schlenderte den Flur entlang. Er schien Coote nicht zu kennen, beachtete ihn nicht. Er rauchte, nahm einen letzten tiefen Zug von seiner Zigarette und drückte die Kippe in den Wandaschenbecher. Und dann ... Es war wie ein gut einstudiertes Zauberkunststück, das niemand richtig mitbekam. Schnelle Hände agierten, lenkten ab, manipulierten das Auge.
Plötzlich hielt Milton Coote eine Waffe in der Faust. Er schlug damit den Beamten, der ihn bewachte, nieder.
„Ich hab’s geahnt!“, knurrte Bount.
„Pfoten hoch!“, schrie Coote.
„Verdammt ...“, entfuhr es Captain Rogers. Seine Brauen zogen sich unwillig zusammen. „Wo man mit dir überall hineingerät“, sagte er vorwurfsvoll zu Bount.
„Tut mir furchtbar leid, Toby. An deiner Stelle würde ich jetzt die Hände heben wie alle andern. Coote ist imstande, dir eine Kugel zu verpassen.“
Toby hob die Hände als Letzter. Milton Coote wedelte mit der Waffe. Um den Beamten, den er bewusstlos geschlagen hatte, kümmerte er sich nicht.
„An die Wand!“, keuchte er. „Los, stellt euch alle an die Wand, aber ein bisschen plötzlich! Ich habe einen verdammt nervösen Zeigefinger!“
Die Leute gehorchten. Keiner wollte sich eine Kugel einfangen.
„Ich bin Captain Rogers von der Mordkommission, Coote“, sagte Toby scharf. „Was versprechen Sie sich davon? Selbst wenn Sie’s schaffen, unbehelligt rauszukommen, wird man Sie bald wieder einfangen.“
„Halt die Schnauze, Bulle, und stell dich neben die ändern. Oder soll ich dich umlegen?“
Toby gehorchte. Kalte Wut rumorte in seinen Eingeweiden. Er hasste es, von Kerlen wie Coote herumkommandiert zu werden.
Sobald alle an der Wand standen, kam Cootes nächster Befehl: „Hinlegen! Auf den Bauch mit euch! Küsst den Boden! Du auch, Bulle!“
Einer nach dem andern legte sich flach. Sobald Bount auf dem Boden lag, gab ihm Milton Coote einen schmerzhaften Tritt und behauptete, das wäre er dem gottverfluchten Schnüffler schuldig gewesen. Na warte, dachte Bount, während er leise stöhnte. Das kriegst du wieder, mit Zins und Zinseszinsen.
Coote und der Kerl, der ihm den Revolver zugespielt hatte, setzten sich ab. Sie verließen das Gerichtsgebäude jedoch nicht auf dem normalen Weg. Sie eilten nicht die Treppe hinunter, sondern rannten zum offenen Fenster. Zuerst kletterte Cootes Komplize hinaus, während dieser gespannt die auf dem Boden Liegenden im Auge behielt. Dann folgte Milton Coote dem Freund. Er kletterte an der grob gegliederten Fassade hinunter, hatte damit nicht die geringsten Schwierigkeiten.
Unten, in einer schmalen Straße, wartete ein schwarzer Chrysler auf die Männer. Während Coote noch an der Fassade hing, stieg sein Komplize bereits in den Wagen und ließ den Motor an. Dann drückte er auf der Beifahrerseite für Coote die Tür auf, und wenige Sekunden später saß der blonde Verbrecher im Chrysler.
„Ab!“, stieß er gepresst hervor, und sein Freund gab Gas.