image
image
image

4

image

Bount Reiniger war als Erster wieder auf den Beinen. Seine Hand griff ins Jackett. Er zog die Automatic aus der Schulterhalfter. Während sich Toby umständlich erhob, rannte Bount bereits zum Fenster. Man kümmerte sich um den Beamten, der immer noch bewusstlos war. Aufgeregte Rufe wurden laut. Neugierige fanden sich ein.

Bount beugte sich weit aus dem Fenster. Er sah den schwarzen Chrysler abzischen und merkte sich das Kennzeichen. Mit einer Kugel war das Fahrzeug nicht zu stoppen, deshalb steckte der Detektiv die Waffe wieder weg.

„Der verfluchte Kerl hat aus mir einen Idioten gemacht“, knurrte Toby Rogers. „Das gefällt mir nicht, Bount.“

Bount wandte sich um. „Du kannst es nicht ungeschehen machen.“

„Aber ich kann dafür sorgen, dass er sich seiner wiedergewonnenen Freiheit nicht lange erfreut. Hast du dir die Nummer des Wagens gemerkt, mit dem die Typen abgehauen sind?“

Bount nickte, nannte sie, und Toby schrieb sie auf.

„Die kommen nicht weit!“, sagte der Captain zuversichtlich, dann rannte er davon, um zu telefonieren.

Die Nachricht von Milton Cootes geglücktem Fluchtversuch verbreitete sich im Gerichtsgebäude wie ein Lauffeuer. Als John Aubrey, der Gerichtsreporter, Wind von der Sache bekam, witterte er eine große Story, ließ die Sache sausen, deretwegen er gekommen war, und eilte zur ersten Etage hinunter, wo er sich Bount Reiniger aus der Menge herauspickte. Davor machte er noch schnell zwei Fotos von dem Beamten, der soeben das Bewusstsein wiedererlangte.

Aubrey hätte ein Schild mit der Aufschrift „VORSICHT! BISSIGER HUND!“ um den Hals tragen müssen. Bount Reiniger kannte den Mann seit Jahren, und er schätzte ihn nicht, denn John Aubrey war kein Freund von ehrlichen Fakten. Er frisierte seine Berichte stets ein wenig, um sie publikumswirksamer zu machen. Wenn man ihm etwas sagte, konnte man niemals sicher sein, dass er es wortgetreu wiedergab. Passte es ihm so besser in den Kram, dann drehte er das Gehörte einfach um.

Schnurgerader Scheitel, vorstehende Schneidezähne, messerscharfe Bügelfalten - so war er am schnellsten zu beschreiben. Seine Kollegen behaupteten, er würde seine Schreibmaschine in Schwefelsäure tauchen, bevor er sie benützte. Als Bount den Reporter auf sich zukommen sah, rasselte in Gedanken vor ihm eine Metalljalousie herunter.

„Hallo, Mr. Reiniger!“, sagte John Aubrey laut. „Das darf’s ja wohl nicht geben! Habe ich richtig gehört? Ihnen ist ein Gangster entwischt? Ausgerechnet Bount Reiniger, dem schärfsten Greifer von New York und Umgebung!“

„Coote ist nicht mir entwischt“ stellte Bount ärgerlich richtig, obwohl er wusste, dass das keinen Sinn hatte, „sondern dem Beamten, der ihn zu bewachen hatte.“

„Na schön, aber Sie waren dabei und konnten es nicht verhindern. Was werden Sie nun unternehmen? So etwas können Sie nicht auf sich sitzenlassen. Coote hat aus Ihnen einen Hanswurst gemacht. Der Verbrecher nahm Sie anscheinend nicht ernst, tanzte Ihnen eiskalt auf der Nase herum. Scheint ein besonders gerissenes Kerlchen zu sein, wenn es ihm so spielend gelingt, den großen Bount Reiniger auszutricksen. Was kann ich schreiben, Mr. Reiniger?“

„Dass ich mir den Mann noch mal greife.“

John Aubrey blickte Bount zweifelnd an. „Glauben Sie wirklich, dass Sie das schaffen?“

„Zweifeln Sie daran?“

„Sie sind nicht schlecht - sagt man. Aber Coote scheint mir eine Spur besser zu sein. Ich kann’s nicht leugnen, irgendwie ist mir der Knabe sympathisch. Es gehört schon einige Courage dazu, einen Mann wie Sie aufs Kreuz zu legen. 'Ist Coote besser als alle, die ihn jagen?' Wie gefällt Ihnen diese Zeile unter dem Bild des Verbrechers? Und daneben vielleicht ein Foto von Ihnen. 'Fühlt sich der beste Privatdetektiv New Yorks zum ersten Mal überfordert?'“

„Sie haben’s mit den Fragezeichen“, sagte Bount eisig.

Aubrey grinste. „Klar, damit mir keiner an den Karren fahren kann. Wie heißt Coote mit dem Vornamen?“

„Milton.“

„Und was hat er ausgefressen?“

„Eine ganze Menge.“

„Wie fängt man so einen wieder ein?“

„Das werden Sie von mir nicht erfahren, denn wenn Sie den Trick kennen, machen Sie mir womöglich Konkurrenz.“

Aubrey lachte. „Keine schlechte Idee. Scheint so, als hätten es Ihre Konkurrenten früher etwas schwieriger gehabt, mit Ihnen mitzuhalten. Was ist los mit Ihnen, Mr. Reiniger? Treten allmählich Verschleißerscheinungen auf?“

„Nur, wenn ich mit Leuten wie Ihnen zu tun habe“, gab Bount zurück. „Da fällt es mir von Mal zu Mal schwerer, mich zu beherrschen.“

John Aubrey sah das als großartigen Scherz an. Er lachte wieder. „Gut gebrüllt, Löwe. Ich hoffe, das ist nicht das Einzige, das Sie noch können, Mr. Reiniger, denn wenn die Unterwelt herausfindet, dass Bount Reiniger nur noch ein harmloser Papiertiger ist, leben Sie mit Sicherheit nicht mehr lange. Dann wird es jeder, selbst der kleinste Gauner, wissen wollen: Ist er noch so gut, wie er’s mal war, oder kann man ihn umblasen? Ist ’ne Story, zu der Sie mir verhelfen. Ich bin sicher, mir wird dazu eine ganze Menge einfallen.“

„Davon bin ich überzeugt. Sie saugen sich die Wahrheit ja stets aus den Fingern.“

Aubrey grinste. „Ein Glück, dass ich so ergiebige Finger habe.“

„Man lebt recht gut von der verdrehten Wahrheit.“

Der Reporter hob die Schultern, als wollte er sich entschuldigen. „Die Leute wollen’s nicht anders. Was soll ich tun?“

Toby Rogers kehrte zurück. John Aubrey stellte ihm ein paar impertinente Fragen. Als er merkte, dass der Captain kurz vor dem Explodieren stand, setzte er sich rechtzeitig ab.

„Warum hat sich noch keiner gefunden, der dem den Hals umdreht?“, brummte Toby. „Man würde ihm bestimmt mildernde Umstände anrechnen.“

„Wie sieht’s aus?“, erkundigte sich Bount.

„Die Fahndung nach Milton Coote und seinem Komplizen läuft.“

„Was ist mit dem Chrysler?“ „Gehört einer Tanzlehrerin Brooklyn. Wurde vor zwei Stunden als gestohlen gemeldet“, antwortete der Captain. „Ich muss jetzt zu meiner Verhandlung.“

„Mach’s gut“, sagte Bount. Für einen gemeinsamen Drink anschließend hatte er jetzt keine Zeit mehr.