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Sie hatte wieder gedrückt, aber nicht viel, nur eine kleine Dosis, um über die Runden zu kommen und um nicht so nervös zu sein, wenn Bount eintraf.
Ihre Wohnung verdiente diese Bezeichnung nicht. Es war eine Behausung, ein Loch im Keller eines alten Hauses, feucht, mit Schimmelpilzkolonien an den Wänden. Angeblich konnte man sich dadurch Asthma zuziehen, aber Yvonne machte sich diesbezüglich keine Sorgen. Ihre Zeit würde für eine schwere Erkrankung nicht reichen.
Entspannt, mit diesem unnatürlichen Glanz in den Augen, das der durch die Adern kreisende Stoff hervorrief, saß sie auf dem Bett. Mit dem Rücken lehnte sie an der Wand. Sie freute sich auf Bount Reinigers Besuch, und sie war froh, ihm helfen zu können.
Wenn er die Spendierhosen anhatte, blieb vielleicht noch ein wenig Geld für die Information hängen, denn was Yvonne in Erfahrung gebracht hatte, würde den Detektiv einen großen Schritt weiterbringen.
Es klopfte. Yvonne zuckte leicht zusammen. Ein kleines Lächeln huschte über ihr Gesicht und hellte die Schatten um die Augen ein wenig auf. Bount, sagte sie sich. Das ist Bount. Seine Sekretärin hat ihn erreicht.
Sie stand auf und begab sich zur Tür. Yvonne kannte einige Leute, die aus ihren Wohnungen die reinsten Festungen gemacht hatten. Das hatte sie nicht nötig, denn bei ihr gab es nichts zu holen. Das billige, einfache Schloss an der Tür hatte nur symbolischen Charakter. Man konnte es mit einem abgenagten Hühnerknochen öffnen.
Das Mädchen schloss auf. Sie erwartete, Bount Reiniger zu sehen. Wer, außer ihm, hätte ihr sonst einen Besuch abstatten sollen? Sie setzte ihr freundlichstes Lächeln auf, das aber im nächsten Moment schon wieder erstarb, denn draußen, im Dämmerlicht des Flurs, stand nicht Bount Reiniger, sondern Butch Nedd!
Ein eisiger Schrecken fuhr ihr in die Glieder. Sie konnte sich denken, was Nedd von ihr wollte. Sie trat hastig zurück und wollte die Tür zuwerfen, doch selbst wenn ihr das gelungen wäre, hätte sie nicht viel damit erreicht. Ein Tritt hätte genügt, und die Tür wäre wieder offen gewesen.
Aber dazu ließ es Nedd erst gar nicht kommen. Sein Fuß schnellte vor, und die Tür prallte dagegen. Es gab einen dumpf vibrierenden Laut. Nedd rammte seine Schulter gegen die Tür und verschaffte sich auf diese brutale Weise Einlass.
Yvonne starrte ihn mit furchtgeweiteten Augen an. Im Krebsgang wich sie vor dem Mann zurück. Er grinste sie eiskalt an und schloss die Tür hinter sich.
„Hallo, Baby!“, sagte er. Seine Stimme kratzte unangenehm.
Yvonne wich bis zum Bett zurück, ohne es richtig zu merken. Man behauptet, Süchtige hängen nicht an ihrem Leben, aber das stimmte nicht. Yvonne fürchtete um ihr Leben. Nedds Blick ließ sie über den Grund seines Kommens nicht im Unklaren.
Als Butch Nedd den nächsten Schritt machte, fiel Yvonne auf das Bett. Der Gangster musterte sie verächtlich. Er hasste Schwächlinge, egal, ob es sich um Männer oder Frauen handelte. Und Süchtige waren seiner Ansicht nach die Schwächsten von allen.
„Du bist ein kleines, neugieriges Luder!“, sagte Nedd vorwurfsvoll. „Wie kommst du dazu, uns so viele Unannehmlichkeiten zu bereiten?“
Yvonne schluckte. „Ich weiß nicht, wovon Sie reden.“
„Ich rede von Bount Reiniger. Ich rede von Captain Rogers. Sie hätten mich bei deinem Freund Jack Gurney beinahe erwischt. Ich rede auch davon, dass du deine Nase in Dinge steckst, die dich absolut nichts angehen. Du hast etwas für Reiniger herausgefunden. Man hat mir erzählt, wie eifrig du herumgefragt hast. Das ärgert mich. Ich bin hier, um dir klarzumachen, dass wir es nicht gern haben, wenn jemand uns ein Bein zu stellen versucht.“
„Ich habe immer noch keine Ahnung ...“
„So. Hast du nicht!“, herrschte Butch Nedd sie an. „Dann will ich dir mal auf die Sprünge helfen.“ Er zählte die Namen von Leuten auf, mit denen sie gesprochen hatte, und er sagte ihr, was sie für Bount Reiniger herausgefunden hatte. „Ich muss verhindern, dass du dein Wissen an den Schnüffler weitergibst, das siehst du doch ein.“
Yvonne überlegte blitzschnell, was sie tun sollte. Hatte es einen Sinn, eine Flucht zu versuchen? Wenn sie jetzt aufsprang, konnte sie den Verbrecher vielleicht überraschen. Aber wie weit würde sie kommen? Sie war schwach. Hilfeschreie wären sinnlos. An den Fenstern donnerte der Straßenverkehr vorbei, und hier unten wohnte außer ihr niemand.
„Wie viel bezahlt dir Reiniger pro Information?“, wollte Nedd wissen.
„Das ist verschieden.“
„Ich verstehe. Es kommt auf die Wichtigkeit an.“
„Ja“, gab Yvonne zu. Es hatte keinen Sinn mehr, sich dumm zu stellen. Der Gangster wusste zu gut über sie Bescheid.
„Und du machst das Moos immer gleich zu Schnee, nicht wahr?“
„Ja“, sagte Yvonne. Sieh nicht zur Tür, dachte sie, sonst erkennt er deine Absicht. Dann wird nichts aus der Flucht. Sie hoffte, es wenigstens bis auf die Straße zu schaffen, dort würde sie dann aus Leibeskräften um Hilfe schreien, und der Gangster würde sich aus dem Staub machen müssen.
„Ist ’ne kostspielige Sache, das Fixen“, sagte Butch Nedd. „Dafür muss man eine Menge Leute verpfeifen.“
„Ich arbeite. Ich verdiene Geld.“
„Du meinst, das Verpfeifen ist nicht dein Hauptjob.“
„Ja“, erwiderte das Mädchen dünn. Sie konzentrierte sich auf die Flucht, sah Nedd nicht an, blickte aber auch nicht zur Tür, sondern zum Fenster. Gott, wäre ich doch nur schon auf der Straße!, stöhnte Yvonne im Geist.
Nedd stellte einen Fuß neben sie aufs Bett. Ein ächzendes Geräusch schwang durch den Raum. Der Gangster griff in Yvonnes Haar, und als sich seine Finger schlossen, begann ihre Kopfhaut zu schmerzen.
„Sie tun mir weh!“, sagte Yvonne leise. „Bitte ...“
„Du miese kleine Kröte!“, zischte Butch Nedd. „Gibt es etwas, das du für Geld nicht tun würdest?“
„Bitte!“, flüsterte sie verzweifelt.
Er ließ sie los, und sie wartete nicht länger. Auf dem Bett rollte sie zur Seite, sprang neben Nedd auf. Sie wollte aus der Wohnung stürmen, aber das verhinderte der Gangster. Er schien damit gerechnet zu haben, dass sie abhauen wollte. Kaum war sie aufgesprungen, da packte er sie und riss sie zurück. Er schleuderte sie aufs Bett und beugte sich grinsend über sie.
„Wohin wolltest du denn?“, fragte er höhnisch. „Baby, du hattest doch nicht etwa die Absicht, mich hier allein zu lassen.“
Tränen schimmerten in ihren Augen. Sie war bleich vor Angst und zitterte heftig. Langsam richtete sie sich auf, während ihr Herz wie verrückt klopfte.
„Ist doch kein Grund, so durchzudrehen“, behauptete Butch Nedd. „Man könnte fast meinen, du glaubst, ich hätte vor, dich umzulegen. Nun mal ehrlich. Sehe ich aus wie ein Killer? Als mein Boss hörte, dass du versuchst, uns in die Pfanne zu hauen, sagte er zwar sofort, ich solle dich über den Jordan schicken, aber ich sagte: 'Boss, sie ist ein Mädchen. Wir sollten nicht so hart zu ihr sein. Man kann bestimmt mit ihr reden.' Er war jedoch der Meinung, eine Süchtige wäre unzuverlässig, aber ich bat ihn: 'Lass mich mal machen, Boss. Geben wir ihr ’ne Chance. Ich bin sicher, sie wird sie nützen.' Ist es nicht so?“
Yvonne wischte sich mit dem Handrücken die Tränen von den Wangen. Sie blickte den Gangster ungläubig an. „Sie werden mich nicht ...“
„Ich bin kein Unmensch“, sagte Butch Nedd. „Ich kann bis zu einem gewissen Grad sogar verstehen, was du tust. Wir müssen alle strampeln, wenn wir nicht untergehen wollen, und zumeist geht das auf Kosten irgendwelcher anderer. Was hältst du davon, wenn du das Geld, das du von Reiniger kriegen würdest, von mir bekommst? Dann hättest du doch keine Veranlassung mehr, dein Wissen zu verkaufen.“
Nedd holte ein Banknotenbündel aus der Tasche. Yvonne traute ihren Augen nicht. Das kann doch nicht wahr sein, dachte sie. Er spielt mit mir. Er macht sich noch über mich lustig, bevor er mich umbringt. „Wie viel?“, fragte Nedd.
„Ich ... weiß nicht.“
„Ich hoffe, du bist nicht so verdorben, zweimal zu kassieren. Einmal von mir und einmal von Reiniger“, sagte Butch Nedd und schälte drei Hunderter vom Banknotenbündel. Yvonne rechnete das Geld in Heroinbriefchen um. Ihr Gewissen regte sich. Du fällst Bount Reiniger in den Rücken, wenn du dich jetzt kaufen lässt, sagte ihre innere Stimme.
Aber hatte sie eine andere Wahl? Wenn sie mit diesem Geschäft nicht einverstanden war, würde der Gangster tun, was seinem Boss lieber war.
Butch Nedd wedelte mit den drei Hundertern vor ihrem Gesicht herum. „Ein gutes Angebot. Du solltest es dir nicht entgehen lassen.“
Es tut mir leid, Bount, dachte sie unglücklich, aber einer wie mir darf man nicht trauen. Dreihundert Dollar, das ist viel Geld für mich. Du musst das verstehen ...
Sie griff nach den Scheinen, doch Nedd zog die Hand zurück, und ihre Finger schnappten ins Leere. Yvonne schaute ihn unsicher an. Was hatte nun das wieder zu bedeuten? Als sie den harten Ausdruck seiner Augen sah, wusste sie, dass sie mit ihrer Vermutung recht gehabt hatte: Er spielte mit ihr wie die Katze mit der Maus, bevor sie tödlich zubeißt.
„Das könnte dir so passen“, fauchte Butch Nedd. „Aber mit Kreaturen wie dir machen wir keine Geschäfte, mit denen machen wir kurzen Prozess.“
Er steckte sein Geld ein und schlug zu. Der Treffer warf Yvonne auf die Matratze. Sie verlor das Bewusstsein.