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Bount Reiniger kreiste mit dem Mercedes zum zweiten Mal um den Block. Er hatte Glück. In der Reihe der parkenden Autos blinkte eines plötzlich links und löste sich von der Bürgersteigkante. Bount stoppte und wartete, bis die Parklücke frei war, dann setzte er den Wagen zurück und stieg aus.

Er war erst einmal in Yvonnes Wohnung gewesen. Die anderen Male hatte er sie immer in der Bar getroffen. Zu Hause empfing sie nicht gern jemanden, weil’s da so deprimierend aussah.

Bount bog um die Ecke und betrat das übernächste Haus, das klein und schäbig aussah und nicht in die hohe, verhältnismäßig neue Gebäudefront passte.

Bount durchschritt den dämmrigen Flur und erreichte die Treppe, die zu Yvonnes Kellerwohnung hinunterführte. Er war gespannt, was für eine Information sie für ihn ausgegraben hatte. Yvonne kannte eine Menge Leute, die sie anzapfen konnte. Keine Silbe wäre über ihre Lippen gekommen, wenn Bount sie „interviewt“ hätte, denn es war für sie ein ungeschriebenes Gesetz, sich mit Bullen und Privatdetektiven nicht abzugeben.

Bount lief die Treppe hinunter. Sie bog sich nach links und endete in der Nähe einer braunen Tür, von der der Lack abblätterte. Feuchte Luft legte sich auf Bounts Lunge.

Er trat an die Tür und klopfte. Keine Reaktion. War Yvonne nicht zu Hause? Das konnte sich Bount nicht vorstellen. Aber es war denkbar, dass sie ganz kurz weggegangen war und gleich wiederkommen würde. Oder sie hatte von unterwegs in Bounts Büro angerufen, wollte anschließend nach Hause gehen und war aufgehalten worden.

Bount klopfte abermals, und als er auch damit keinen Erfolg erzielte, drückte er versuchsweise die Klinke nach unten. Die Tür ging auf, es war nicht abgeschlossen.

Das musste nichts bedeuten, aber Bount Reinigers Nackenhärchen stellten sich trotzdem auf. Vorsichtig schob er die Tür weiter auf.

„Yvonne?“, fragte er in die muffig riechende Wohnung.

Er schloss die Tür und durchquerte die kleine Diele, und dann sah er Yvonne Corrigan. Sie lag auf dem Bett, bleich, schlaff und tot!

In ihrer Vene steckte noch die Nadel. Sie hatte gedrückt und zu viel erwischt. Der goldene Schuss ... Was schon lange zu befürchten gewesen war, war eingetreten. Wut wallte in Bount Reiniger hoch. Er begriff nicht, warum Yvonne und so viele andere nicht die Finger vom Rauschgift ließen. Sie wussten, auf was für eine gefährliche Gratwanderung sie sich begaben, und dennoch taten sie’s.

Du dummes, verrücktes Mädchen, dachte Bount erschüttert. Er beugte sich über sie. Ihr Mund war offen, als wollte sie ihm noch etwas sagen. Mit offenen Augen blickte sie ihn leer an. Sein Herz krampfte sich zusammen. An solche Situationen würde er sich nie gewöhnen, und diesmal ging es ihm besonders an die Nieren. Er hatte dieses Ende vorhergesehen. Trotzdem konnte er sich damit nicht abfinden.

An die Information, die er nun nicht bekommen würde, dachte Bount im Augenblick nicht. Er empfand nur tiefe Trauer und schmerzliches Mitleid, denn er hatte eine Freundin verloren.

Als Bount sich wieder aufrichten wollte, gewahrte er hinter sich eine Bewegung. Sofort fuhr er alarmiert herum, doch die schreckliche Überraschung, die er hier vorgefunden hatte, beeinträchtigte seine Reflexe.

Er hatte sich noch nicht ganz umgedreht, da traf ihn ein harter Gegenstand auf dem Kopf, und alle Lampen gingen für ihn aus.

Als er zu sich kam, lag er neben der Toten. Er spürte ihren Körper und öffnete langsam die Augen. Die Erinnerung setzte tröpfchenweise ein. Er sah die Risse in der Decke über sich und wusste wieder, wo er sich befand.

Yvonne Corrigan lebte nicht mehr, aber sie hatte sich die Überdosis nicht freiwillig gespritzt. Entweder war sie von dem Kerl, der Bount niedergeschlagen hatte, gezwungen worden, oder er hatte es selbst getan.

Bount setzte sich auf. Ein dumpfes Brummen entstand in seinem Kopf. Er schloss die Augen und ächzte leise. Dann blickte er auf die Tote und griff in sein Jackett.

„Suchst du die hier?“, fragte Butch Nedd und hob die Automatic, die er dem Detektiv aus der Schulterhalfter gezogen hatte. Der Gangster grinste breit. Er genoss seinen Triumph über Bount Reiniger. „Du hast in letzter Zeit kein Glück, Schnüffler. Im Gerichtsgebäude konntest du nicht verhindern, dass Milton Coote ’ne Fliege machte. Auf dem Autoplatz konntest du mich nicht schnappen. Yvonnes Leben konntest du nicht retten. Und nun steckst du selbst bis zur Halskrause im Dreck. Irgendwann findet jeder seinen Meister. Sieht so aus, als wäre ich eine Nummer zu groß für dich.“

„Ich kann Kerle, die sich für die Größten halten, nicht ausstehen“, brummte Bount.

„Und ich kann Typen nicht riechen, die sich einbilden, besser als die Polizei sein zu müssen“, gab Nedd zurück.

Das Brummen in Bounts Schädel nahm etwas ab. Er konnte wieder klarer denken. Seine Lage war äußerst bescheiden. Der Gangster hatte Yvonne getötet, und er würde mit Sicherheit auch ihm, Bount, das Leben nehmen. Der Detektiv wies auf Yvonne. „Warum musste sie sterben?“

„Sie war zu neugierig.“

„Sie war ein armes Luder.“

„Was sie nicht daran hinderte, sich um Dinge zu kümmern, die sie nichts angingen.“

„Sie tat es, weil ich sie darum gebeten hatte“, sagte Bount grimmig.

„Dann bist genau genommen du schuld an ihrem Tod“, sagte Nedd amüsiert. „Ich war lediglich die Konsequenz dessen, was du angeleiert hast.“

„Was hat sie herausgefunden?“

„Ich habe nicht die Absicht, es dir zu sagen“, antwortete Nedd. „Wir sind nicht im Kino, Reiniger. Dies ist kein Film, sondern bittere Realität für dich. Im Kino sagt der Böse dem Guten zumeist noch alles, was dieser wissen will, bevor er ihn umnietet. Und dann geht irgendetwas schief, der Gute kommt mit dem Leben davon und weiß alles. Ein alter dramaturgischer Trick, der im wirklichen Leben nichts zu suchen hat. Wir spielen es anders. Du wirst krepieren, ohne von mir umfassend informiert zu werden.“

„Wo ist Coote?“, fragte Bount trotzdem. „Mach dir um meinen Freund keine Sorgen. Er ist bestens untergebracht. Jedenfalls viel besser als in den letzten Wochen.“

„Früher oder später wird er wieder dort sein, wohin er gehört, und vielleicht wirst du ihm Gesellschaft leisten.“

„Das wirst du nicht erleben, Reiniger, denn du legst heute den Löffel weg. Ich könnte dir jetzt einfach eine Kugel in den Kopf schießen, aber das wäre für dich nicht die richtige Art, abzutreten. Einer wie du sollte auf eine besondere Weise draufgehen, sagte ich mir, und mir kam da auch eine gar nicht so üble Idee. Wie stehst du zu Drogen?“

„Ich hasse sie. Weil durch sie viele Menschen ins Unglück gestürzt werden.“

Nedd lachte. „Siehst du, deshalb finde ich es besonders toll, wenn du genau wie Yvonne stirbst: an ’ner hübschen, starken Überdosis.“

Bounts Kopfhaut spannte sich. Der Kerl war ein Teufel. „Du willst mir Heroin in die Vene jagen?“

Nedd schüttelte den Kopf. „Nein, nicht ich werde das tun. Du wirst das selbst besorgen. Ich schau dir dabei nur zu.“