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Was Bount Reiniger tat, faszinierte den Gangster so sehr, dass es ihn ablenkte. Butch Nedd blickte gespannt auf Bounts Armbeuge, in die die Kanüle glitt, aber der Detektiv hatte nicht die Absicht, auch auf den Kolben zu drücken. Lieber wollte er an einer Kugel aus der eigenen Waffe zugrunde gehen, als an einer Überdosis Heroin zu sterben.

Nedd rechnete nicht damit, dass Bount die Nadel wieder herausziehen würde, aber genau das machte dieser. Und Bount schleuderte die Spritze sofort in Richtung Killer.

Die Nadel bohrte sich in Nedds Schenkel. Der Mann war so perplex, dass er zu schießen vergaß. Zuerst musste er die Spritze loswerden, die in seinem Fleisch steckte. Während er sie herauszog, schnellte Bount hoch und griff ihn an.

Sein erster Handkantenhieb entwaffnete Nedd. Die Automatic fiel zu Boden. Nedd wollte sie aufheben, aber Bounts Knie sauste hoch und traf ihn an der Schulter.

Nedd wurde zurückgeworfen. Er fiel gegen die Wand, hielt die Spritze in der Hand und griff Bount Reiniger damit an. Wie einen Dolch hielt er sie hoch.

Von oben nach unten stach er zu. Die Nadel hätte Bounts Hals treffen sollen, doch der Detektiv machte einen Schritt zur Seite, und als die Hand neben ihm nach unten sauste, griff er blitzartig zu.

Im nächsten Moment klemmte Nedds Handgelenk wie zwischen Schraubstockbacken fest. Bount setzte seine ganze Kraft ein. Er wollte Nedd den Arm auf den Rücken zu drehen. Mit derselben Entschlossenheit versuchte es Butch Nedd zu verhindern.

Sie wirbelten durch den Raum. Zwei Stühle fielen um, der Tisch folgte. Die beiden Männer vollführten einen grotesken Tanz.

Nedd wehrte sich gut. Bount schaffte nicht, was er vorhatte. Also musste er etwas anderes versuchen. Er ließ Nedds Handgelenk los. Der Killer stach sofort wieder auf Bount Reiniger ein, doch damit hatte dieser gerechnet.

Er drehte sich, die Nadel verfehlte ihn knapp, und dann schlug er zweimal kurz und trocken zu. Der erste Schlag brachte Nedd ins Stolpern. Der zweite riss ihn von den Beinen und raubte ihm die Besinnung.

Keuchend hob Bount Reiniger seine Pistole auf und schob sie in die Schulterhalfter. Er trug Handschellen bei sich. Damit fesselte er den Killer. Dann ging er daran, die Taschen des Mannes zu leeren. Er fand Geld und all die vielen kleinen Dinge, die fast jedermann mit sich herumträgt, aber keine Papiere. Kein Scheckheft, keine Kreditkarte, nichts, woraus hervorgegangen wäre, mit wem er es zu tun hatte.

Bount blickte auf die Blutkruste in seiner Armbeuge. Das war knapp gewesen. Verdammt knapp. Er schob den Hemdärmel nach unten und zog sein Jackett wieder an. Dann verließ er Yvonne Corrigans Wohnung, um zu telefonieren.

Als er zurückkam, war alles noch unverändert. Auf dem Bett lag die Tote, auf dem Boden der Killer, immer noch bewusstlos. Bount begab sich in die Küche, füllte ein Glas mit kaltem Wasser und schüttete dieses dem Gangster ins Gesicht.

Der Schock weckte den Mann. Er riss Augen und Mund auf, wollte aufspringen, als er aber sah, dass er Handschellen trug, lehnte er sich an die Wand und zog die Beine an.

Trotzig musterte er den Detektiv. Kleine Wassertröpfchen zitterten an seinem Kinn.

„Das hättest du nicht für möglich gehalten, dass sich die Situation noch mal so grundlegend ändern könnte, wie?“, sagte Bount. „Das Blatt hat sich gewendet.“

„Kann vorkommen“, sagte Nedd rau. „Jetzt bist du wahrscheinlich mächtig stolz.“

„Immerhin wird man dich wegen Mordes zu lebenslänglichem Zuchthaus verurteilen. Das ist ein Grund, zufrieden zu sein.“

„Wegen Mordes?“

„Und wegen Mordversuchs“, ergänzte Bount.

„Du hast sie wohl nicht alle, Reiniger. Wen soll ich denn ermordet haben? Yvonne? Die war schon tot, als ich hierher kam. Bei diesen Süchtigen weiß man ja nie, wann sie zu viel erwischen. Und was den Mordversuch angeht, muss ich dich auch enttäuschen. Ich habe nicht versucht, dich umzubringen. Du wolltest es selbst tun, weil du so sehr an Yvonne gehangen hast und ihren Tod nicht verwinden konntest. Ich habe dich sogar an dieser Verzweiflungstat gehindert.“

„Wer soll dir denn diesen Blödsinn glauben?“

„In unserem Land ist man so lange unschuldig, bis einem die Schuld nachgewiesen wird, das solltest du als Schnüffler doch eigentlich wissen.“

„Bin gespannt, wie du dich weiter herausreden wirst“, sagte Bount.

„Was willst du mir noch vorwerfen?“

„Du hast Coote zur Flucht verholfen. Schon vergessen?“

„Allerdings. Ich kann mich an nichts mehr erinnern.“

„Damit kommst du nicht durch, Junge. Es gibt eine Menge Augenzeugen, die dich identifizieren werden.“

Nedd bleckte die Zähne. „Ich war zur Tatzeit nur bedingt zurechnungsfähig. Ich hatte ein paar Whisky intus und außerdem Pillen eingenommen.“

„Für wen arbeitest du? Für wen hast du Coote rausgeholt?“, wollte Bount wissen.

„Ich arbeite für niemanden. Ich lasse mir nicht gern was sagen, ziehe es vor, mein eigener Herr zu sein.“

„Und wie ist dein Name?“

„Ja, Reiniger, wie ist mein Name? Du hättest vorhin nicht so kräftig zuschlagen sollen. Jetzt weiß ich nicht mehr, wie ich heiße. Vielleicht sollte ich dich wegen schwerer Körperverletzung belangen. Eine Gehirnerschütterung ... Das ist schwere Körperverletzung.“

„Wo ist Coote?“

„Coote? Handelt es sich hierbei um ein neues Waschmittel? Als ob’s noch nicht genug davon auf dem Markt gäbe.“

„Da es auch von deiner Sorte schon genug in unserer Stadt gibt, werde ich dafür sorgen, dass man dich aus dem Verkehr zieht.“

Bount hatte Captain Rogers verständigt, und Toby erschien mit seiner Mannschaft. Die Männer begannen mit ihrer Routinearbeit. Das Blitzlicht des Polizeifotografen flammte mehrmals auf. Bount zog den Killer hoch und nahm ihm die Handschellen ab, aber Nedd blieb nicht lange ohne „Armschmuck“, denn einer von Tobys Leuten ließ über den Gelenken des Gangsters gleich wieder Achterspangen einrasten.

Toby, der wusste, wie Bount zu Yvonne gestanden hatte, sagte: „Tut mir leid, Bount.“ Er legte ihm die Hand auf die Schulter.

„Ich habe mit dem Tod dieses Mädchens nichts zu tun!“, behauptete Butch Nedd laut. „Sie war bereits tot, als ich die Wohnung betrat.“

„Bringt ihn raus“, knurrte der Captain unwillig. „Sonst vergesse ich mich noch.“ Zwei Beamte führten den Killer aus der Wohnung. „Wie heißt er?“, wollte Toby wissen.

„Das sagt er nicht“, antwortete Bount. „Und Papiere hat er keine bei sich.“

„Was verspricht er sich davon?“

Bount zuckte mit den Schultern.

„Bin gespannt, wer ihn jetzt raushaut“, sagte der Captain.

Der Polizeiarzt stellte fest, dass Yvonne Corrigan kurz vor dem Tod geschlagen wurde. Ein Schlag müsse so heftig gewesen sein, dass das Mädchen das Bewusstsein verloren hatte.

„Und dann hat er sie mit einer Überdosis fertiggemacht“, sagte Toby. „Verdammt, mich widern diese Kerle an, die glauben, alles immer ganz besonders schlau einzufädeln.“ Als Yvonne in einem Metallsarg aus der Kellerwohnung getragen wurde, hatte Bount Reiniger ein unangenehmes Würgen im Hals. Er fühlte sich tatsächlich ein wenig schuldig am Tod des Mädchens. Er hatte sie gebeten, ihm zu helfen. Sie hatte es versucht und dabei ihr Leben verloren.

„Ob du’s glaubst oder nicht, Toby“, sagte Bount ernst. „Für mich war sie trotz ihrer Fehler ein wertvoller Mensch.“