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Am darauffolgenden Vormittag traf sich Rachel Kidder mit Milton Coote. Sie saß auf einer Bank im Battery Park und blickte in Richtung Freiheitsstatue. Der blaue Himmel war mit weißen Wolken betupft. Süßer Blütenduft stand über den Blumenbeeten, und die Luft war erfüllt vom Summen der Insekten.

Es war ein schöner Tag, aber nicht für Rachel. Sie war unglücklich, weil Milton sie für seine verbrecherischen Zwecke benützte, weil sie Victor Wooland belügen und hintergehen musste, und weil sie so viel Angst vor ihrem einstigen Freund hatte.

Sie erkannte Milton Coote nicht sofort, denn er trug eine Kraushaarperücke und eine große Sonnenbrille. Aber dann wusste sie trotz der Maskerade, wen sie vor sich hatte.

Er setzte sich neben sie und nahm die Sonnenbrille kurz ab. Sein Blick gleicht dem eines gehetzten Tiers, dachte Rachel. Er hat Angst. Nicht vor mir, sondern davor, wieder eingesperrt zu werden. Ich habe kein Mitleid mit dir, Milton Coote. Nie werde ich vergessen, wie du mich geschlagen hast. Nie werde ich dir verzeihen, wozu du mich zwingst. Ich hasse dich, Milton, und ich wünsche mir nichts sehnlicher, als dass du bald wieder dorthin kommst, wohin du gehörst!

Coote massierte seine Nasenwurzel mit Daumen und Zeigefinger. Er wirkte müde, schien in letzter Zeit wenig zu schlafen. Bevor jemand an ihnen vorbeiging, setzte er die Sonnenbrille wieder auf.

„Ich muss vorsichtig sein“, sagte er, als wollte er sich für sein Misstrauen entschuldigen. „Sämtliche Bullen in dieser Stadt sind scharf auf mich.“

Sie kannte Miltons Versteck nach wie vor nicht. Er hatte sie angerufen. Wie sie mit ihm hätte Verbindung aufnehmen können, wusste sie nicht. Er traute ihr nicht, und das mit gutem Grund.

Menschen gingen an ihnen vorbei. Eine junge Frau beugte sich zu ihrem Kinderwagen hinunter und brachte ihr Kind zum Lachen. So glücklich kann man sein, überlegte Rachel. Und ich? Sie sah einen Polizisten, der durch den Park schlenderte, und am liebsten hätte sie um Hilfe gerufen.

Aber war es wirklich so einfach, Milton Coote dingfest zu machen? Er war rücksichtslos, war mit Sicherheit bewaffnet und würde von seiner Waffe auch Gebrauch machen. Er würde zuerst sie und dann den Polizisten erschießen.

„Also“, sagte Coote. Natürlich hatte auch er den Cop gesehen und reagierte auf dessen Erscheinen mit wachsender Nervosität. „Ich höre.“ Rachel schaute ihn verzweifelt an. „Warum ziehst du mich in diese Sache mit hinein, Milton?“

„Ich brauche Geld, möchte einem guten Freund helfen. Du tust ein gutes Werk, Baby.“ Er lachte gepresst, und sein Blick wanderte wieder zum Cop hinüber. Der Uniformierte wandte sich ihnen zu. Coote setzte sich gerade und öffnete den Knopf seines Jacketts. Jetzt sah Rachel undeutlich den Griff seiner Waffe. Ihre Kehle wurde eng. Sie hoffte, dass der Polizist nicht zufällig auf sie zukam, denn in diesem Fall hätte Milton garantiert durchgedreht.

Ein Mann trat auf den Cop zu. Tourist, dachte Rachel, denn der Mann hatte drei Fotoapparate um den Hals hängen. Er sprach kurz mit dem Polizisten, dann verließen sie gemeinsam den Park. Rachel merkte, wie sich Milton Coote entspannte.

Der Verbrecher forderte sie erneut auf zu reden. Am liebsten hätte sie sich die Zunge abgebissen. Nervös verschränkte sie die Finger und blickte vor sich auf den Boden. Er bringt mich dazu, mich selbst zu verachten, dachte sie wütend.

„Nun!“, sagte er hart und ungeduldig. „Kriege ich endlich was zu hören?“

„Victor Wooland wird morgen hunderttausend Dollar zur Bank bringen“, sagte Rachel Kidder leise. Verrat ist das!, schrie es in ihr. Victor wird dafür kein Verständnis aufbringen. Er wird mich verachten, hassen, wird von mir nichts mehr wissen wollen. Er wird nicht verstehen können, dass ich ihn nicht ins Vertrauen gezogen habe. Ich enttäusche ihn zutiefst.

„Wann?“, fragte Milton Coote. Sie sagte ihm die Uhrzeit. Ein Zurück gab es für sie jetzt nicht mehr.

Rachel sagte dem Verbrecher, wo Victor Woolands Wagen stehen und dass sich das Geld in einem schwarzen Aktenkoffer befinden würde. Coote wollte wissen, ob der Koffer besonders gesichert war oder ob ihn Wooland mit einer Kette an seinem Handgelenk befestigen würde.

Sie schüttelte den Kopf. „Das hat er noch nie getan.“

„Ist der Knabe bewaffnet?“

„Ja, er trägt eine Astra-Pistole bei sich.“

„Die er auch benützen würde?“

„Das kann ich nicht sagen.“

„Natürlich würde er sie benützen. Niemand trägt ’ne Kanone bei sich, ohne die Absicht zu haben, sie im Ernstfall einzusetzen!“ Der Verbrecher grinste zufrieden und tätschelte die Wange des Mädchens. Sie hätte ihn am liebsten in die Hand gebissen. Sie musste sich zwingen, nicht zurückzuweichen. „Bist mir eine große, wertvolle Hilfe.“

Ich wollte, es wäre nicht so, dachte Rachel unglücklich.

„Ich werde dich dafür belohnen“, sagte Coote.

„Ich will nichts von dem Geld“, sagte Rachel Kidder sofort.

Er grinste. „Wer redet von Geld? Den Zaster brauche ich selbst. Ich werde damit meinem Freund unter die Arme greifen, werde mich damit zu seinem Partner machen. Dich werde ich auf eine andere Weise belohnen: Wenn die Sache so reibungslos abgeht, wie ich mir das vorstelle, wenn alles wie am Schnürchen klappt, siehst du mich nicht wieder. Dann bist du frei für Victor Wooland. Na, was sagst du dazu? Ist doch verlockend, diese Aussicht.“

„Versprich mir, daß du Victor kein Leid zufügen wirst, Milton. Der Überfall muss ohne Blutvergießen abgehen.“

„Klar doch. Wofür hältst du mich? Für einen schießwütigen Teufel? Deinem Liebling wird nichts geschehen. Morgen ist für uns beide ein großer Tag“, sagte Milton Coote. „Man kann behaupten, dass für uns ein neuer Lebensabschnitt beginnt.“ Er erhob sich. „Ich wusste, dass du spuren würdest. Tu’s weiter, dann hast du bald Ruhe, und deinem großen Glück mit Victor Wooland steht nichts mehr im Wege.“

Er sagte das so spöttisch, dass sie ihn am liebsten geohrfeigt hätte. Als er sich umwandte und grußlos ging, spürte sie eine unbeschreibliche Erleichterung. Sie schaute ihm nach und konnte nicht verstehen, dass sie einmal die Freundin dieses gewissenlosen Schurken gewesen war. Zum Glück ist es vorbei, sagte sie sich, und sie dachte an Victor, den sie nicht verlieren wollte. Aber hatte sie ihn mit ihrem Verrat nicht schon verloren?

Sie wartete, bis Milton Coote den Park verlassen hatte, dann folgte sie ihm. Es drängte sie, zu erfahren, wo sich sein Unterschlupf befand. Sie wusste, dass das, was sie tat, gefährlich war. Wenn Milton draufkam, dass sie ihm nachspionierte, würde er dafür sorgen, dass sie ihm nicht gefährlich werden konnte.

Er begab sich zu einem Wagen, stieg ein. Rachel hielt ein Taxi an und forderte den Fahrer auf, Cootes Wagen zu folgen. Ihr Herz schlug bis in den Hals hinauf.

Was du tust, ist Wahnsinn!, sagte ihr eine innere Stimme. Lass es sein! Es ist lebensgefährlich! Aber sie tat es trotzdem, und sie fand heraus, wo sich Coote versteckte, ohne dass es ihm auffiel.