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Es war kurz vor elf. Hitze stieg vom Asphalt auf und ließ die Luft flimmern. In Milton Cootes Wagen war die Klimaanlage eingeschaltet. Er spürte nicht, wie heiß es draußen war. Seit fünfzehn Minuten lag er auf der Lauer. Rachel hatte gesagt, Wooland würde das Geld um elf Uhr zur Bank bringen. Aber er wollte kein Risiko eingehen. Deshalb war er eine Viertelstunde davor eingetroffen, und nun wartete er auf den Geschäftsführer des Möbelgroßmarkts.

Er hatte Rachel versprochen, Wooland kein Leid zuzufügen, aber er fühlte sich an dieses Versprechen in keiner Weise gebunden. Sollte Victor Wooland den Helden spielen wollen, würde er ihn eiskalt umlegen.

Er war ohnedies sauer auf Wooland, weil er seine Nachfolge angetreten hatte. Es nagte in ihm, dass sich Rachel so schnell einen anderen Kerl angelacht hatte. Bisher hatte immer er mit den Puppen Schluss gemacht. Dass mal ein Mädchen nichts mehr von ihm wissen wollte, war bislang noch nie vorgekommen. Leise Musik berieselte Milton Coote aus dem Autoradio. Dutzende Fahrzeuge standen auf dem Parkplatz. Niemand kümmerte sich um den Verbrecher. Er beobachtete, wie Möbel in große Transportfahrzeuge eingeladen wurden, und er schaute immer wieder zu dem Glasportal hinüber, durch das in Kürze Victor Wooland treten würde  mit einem Aktenkoffer in der Hand.

Der Verbrecher leckte sich die Lippen. Er war ein wenig nervös. Die hunderttausend Dollar hätten ihm selbst auch sehr gut getan, aber er war entschlossen, sie nicht für sich zu behalten. Er würde sie, wie versprochen, bei seinem Freund Mike McLammon abliefern. Besser hätte er dieses Geld nicht anlegen können, denn Mike würde ihm diese große Hilfe nie vergessen. Coote würde von dem Freund viel mehr zurückbekommen, als er ihm heute beschaffte. Es war das klügste Geschäft seines Lebens.

Neben Coote lag ein Nylonstrumpf auf dem Beifahrersitz. Er würde ihn sich überziehen, sobald Wooland den Möbelsupermarkt verließ.

Die blau getönten Scheiben spiegelten so stark, dass Coote nicht sehen konnte, ob Rachel an einem der Fenster stand und auf den Parkplatz schaute.

Als er den Blick wieder auf das Glasportal richtete, öffnete sich die Tür, und sein Gesicht verzog sich zu einem breiten, zufriedenen Grinsen.

„Braves Mädchen“, brummte er und griff nach dem Nylonstrumpf. „Du bist klug. Es ist erfreulich, dass deine Vernunft gesiegt hat.“

Victor Wooland trug einen hellen Leinenanzug, und in der Rechten den Aktenkoffer mit dem Geld. Mit hunderttausend schönen Dollar, dem Schlüssel zu Simon Marshs Gebiet, das Mike McLammon nun für sich beanspruchen und an sich reißen konnte.

Wooland begab sich arglos zu seinem Wagen. Welcher das war, wusste Coote. Der Verbrecher zog sich den Nylonstrumpf über den Kopf. Sein Gesicht war nicht wiederzuerkennen.

Die Nase war verbogen, die Wangen flachgedrückt, die Lippen wulstiger als sonst.

Coote zog seine Waffe und entsicherte sie, dann tastete er vorsichtig nach dem Türöffner. Aufmerksam verfolgte er Woolands Weg. Der Geschäftsführer des Möbelgroßmarktes schien es gewöhnt zu sein, mit solchen Beträgen herumzulaufen. Er war nicht aufgeregt, wirkte völlig gelassen.

Gleich wird dein Blutdruck steigen, dachte Coote und ließ die Tür aufschnappen. Wooland merkte es nicht. Er schien in Gedanken versunken zu sein.

Coote wartete den richtigen Moment ab. Er durfte nicht zu früh handeln, denn wenn sich Wooland noch zu weit von ihm entfernt befand, konnte er auf den Überfall reagieren.

Das Risiko verringerte sich für Coote mit jedem Schritt, den Victor Wooland machte. Jetzt erreichte der Geschäftsführer seinen Wagen. Er schob die linke Hand in die Hosentasche und holte die Fahrzeugschlüssel heraus.

Das war der Moment, auf den Milton Coote gewartet hatte. Er stieß den Wagenschlag nicht wild auf, sondern öffnete die Tür ganz langsam und vorsichtig.

Wooland kehrte ihm den Rücken zu. Er macht es mir wirklich leicht, dachte Coote erfreut. Der Geschäftsführer sah nicht, wie er ausstieg. Wooland schob den Fahrzeugschlüssel ins Türschloss, aber Coote ließ ihm nicht mehr die Zeit aufzuschließen.

„Wooland!“, rief er schneidend. Sein Ton riss den Mann herum. Coote eilte auf ihn zu. „Lass den Aktenkoffer fallen!“, befahl er dem Geschäftsführer. „Nun mach schon! Fallen lassen und drei Schritte zur Seite treten!“

Wooland starrte den Maskierten entgeistert und entrüstet an. Sein Gesicht färbte sich rot. Er war noch nie überfallen worden. Die Unverfrorenheit des Verbrechers machte ihn maßlos zornig. Er begriff die Gefahr nicht, in der er sich befand. Er wusste nur eines: Dass er nicht gehorchen, dass er sich von dem Aktenkoffer nicht trennen würde. Das kam für ihn nicht infrage. Er war bewaffnet, und er wollte das Geld auch verteidigen.

„Her mit dem Zaster!“, schrie Milton Coote. „Aber ein bisschen plötzlich!“

Wooland streckte den Arm mit dem Aktenkoffer aus. Er tat es, damit Coote nicht sehen konnte, wie er dahinter nach der Astra griff.

Es gelang ihm, die kleine Pistole zu ziehen. Als er sie wutentbrannt auf Milton Coote richtete, schoss dieser sofort. Gleich die erste Kugel war für Victor Wooland tödlich.

Sie stieß den Geschäftsführer gegen seinen Wagen. Er ließ den Koffer fallen und rutschte am Fahrzeug langsam zu Boden. Natürlich blieb der Schuss nicht ungehört.

Männer, die die Transporter beluden, sprangen von der Rampe und kamen angerannt. In Cootes Augen waren sie verrückt, denn sie waren unbewaffnet. Er hätte sie spielend einen nach dem andern abschießen können. Wie wollten sie ihn aufhalten? Er beachtete sie nicht, holte sich den Aktenkoffer, eilte zu seinem Wagen, den er mit gefälschten Kennzeichen ausgerüstet hatte, stieg ein und fuhr los, ehe der erste Mann den Parkplatz erreichte.

Er lachte laut unter der Maske.

„Idioten!“, schrie er, und ein großartiges Triumphgefühl erfüllte ihn. Seit ihm die Flucht aus dem Gerichtsgebäude geglückt war, schien er anpacken zu können, was er wollte. Es gelang ihm alles.

Als Rachel Kidder sah, was auf dem Parkplatz passierte, drohte sie ohnmächtig zu werden. Sie presste sich die Fäuste vor den Mund, um ihren Schmerz und ihr Entsetzen nicht laut herauszuschreien. Er hat sich nicht an die Abmachung gehalten!, hallte es in ihr. Er hat von Anfang an vorgehabt, Victor zu töten. Er wollte mich damit treffen, und das ist ihm gelungen, aber ich halte nicht länger still, Milton Coote! Ich schlage zurück! Jetzt ist mir alles egal.