Er schaute die Regenrinne des schmucklosen, vier Stockwerke hohen Betongebäudes hoch. Den Helm nahm er nicht ab, und in die Hände spuckte er auch nicht. Schon wegen der Lederhandschuhe, die er trug. Trotzdem erklomm er die Wand mit der Geschicklichkeit eines Makaken. Es dauerte keine Minute, bis er sich auf das schräge Dach schwang, wo ein bestochener Bürobote eines der Dachfenster so aufgelassen hatte, dass man das bei einer flüchtigen Kontrolle nicht unbedingt bemerkte.
Mit seiner Machete hebelte Miguel Zapata das Fenster ganz auf, und mit der Geschmeidigkeit einer Viper glitt er durch die Luke, kam trotz der totalen Dunkelheit, die auf dem Dachboden herrschte, lautlos auf.
Vom selben Büroboten, der für ein geringes Handgeld den Einstieg ermöglicht hatte, stammte auch der grobe Lageplan sämtlicher Etagen. Der Mexikaner hatte ihn im Kopf.
Nur ganz kurz orientierte er sich mithilfe des Lichtfingers einer Bleistiftlampe. Die Tür zum Treppenhaus war nicht abgeschlossen. Im Dachgeschoss lagerte lediglich Gerümpel, offenbar nicht einmal wert, weggeworfen zu werden. Der Mexikaner passierte die Hindernisse, ohne ein Geräusch zu verursachen.
Dann stand er im schmucklosen Schacht des Treppenhauses. An der Decke brannten bei jedem Treppenabsatz blaue Notleuchten. Menschen mit weniger abgestumpftem Naturell wäre ihr fahler Schein womöglich gespenstisch vorgekommen.
Nicht so Miguel Zapata. Er bewegte sich mit einer Sicherheit tiefer in das Gebäude hinein, als hätte er schon als Kind hier gespielt.
Sein Ziel befand sich in der dritten Etage, einer unter jener, in der die Direktion residierte. Das ganze Haus war hermetisch abgesichert.
Von unten her. Von der Straße.
Aber nicht vom Dach.
Er drückte gegen die Tür vom Flur. Sie durfte nicht abgesperrt sein, denn sie diente dem Feuerschutz. Im Falle eines Brandes mussten die Mitarbeiter der Design Incorporated das Gebäude ungehindert verlassen können. Kurz darauf stand Miguel Zapata in einem mit Linoleum bedeckten langen Korridor.
Hier brannten keine Notlampen mehr. Der dünne Lichtfinger flammte wieder auf. Vor der dritten Tür in der Reihe blieb er stehen. Das Schloss bot seinem raffinierten Dietrich keinen unüberwindlichen Widerstand. Dessen Legierung hatte die bemerkenswerte Eigenschaft, einmal angenommene Formen und Verbiegungen wie mit einem Gedächtnis speichern zu können.
Schon nach fünf Minuten war Zapata in einem langen Raum. An der einen Seite befanden sich Gitterstäbe von der Decke bis zum Boden aus Hartstahlplatten. Der Mexikaner kam sich wie in einem Gefängnis vor und musste grinsen unter seinem Helm.
Ihn hatten sie bislang noch nie eingebuchtet. Weder hier in den Staaten noch in seiner Heimat.
Vom Gürtel nahm er ein Spezialgerät, das die Lichtschranken aus Infrarotbalken sichtbar machte.
Ein rotes Gitterwerk spannte sich plötzlich in der Dunkelheit von jedem Lichtgeber zum jeweils zugehörigen optischen Empfänger. Die Unterbrechung auch nur eines jener Lichtfaden hätte in der Wachkammer Alarm aus gelöst.
Miguel Zapata stakte wie mit Storchenbeinen darüber, bis er vor der »richtigen« Zellentür stand.
Akustiksensoren gab es hier nicht. Ein bisschen Lärm durfte er machen, und die Haftmine, die er ans Kombinationsschloss klebte, war ebenfalls eine Spezialanfertigung aus den geheimen Waffenschmieden einer Hightech-Rüstungsindustrie. Nur noch wenige Sekunden, und die Ladung ging los. Nicht viel lauter, als ein Sektkorken pufft.
Und dann konnte er sich bedienen aus dem offenen Regalschrank der Mittelamerika-Abteilung. Hier lagerten die Duplikate der Druckstöcke für Banknoten, die in Honduras, Panama, Guatemala, El Salvador, Costa Rica und Belize im Umlauf waren.
Und auch für die mexikanischen Pesos.
Es hieß zwar, dass die Ladung garantiert nur in eine Richtung losgehen würde, trotzdem trat Zapata einen Schritt zurück.
Und das wurde ihm zum Verhängnis. Mit seinem linken Fuß berührte er einen jener Spinnfaden aus Licht. Aus der Ferne hörte er gedämpft das Wimmern einer Sirene. Der Mexikaner fluchte lästerlich.
Doch zu ändern war jetzt auch nichts mehr. Und die Haftmine ließ sich auf die schnelle nicht wieder entschärfen. Schon tat sie das, wofür sie konstruiert und gebaut worden war. Ein greller Lichtblitz explodierte in die Kammer, das Kombinationsschloss hing in Fetzen, und Zapata hatte sich umsonst bemüht.
Er würde sich eine gute Ausrede einfallen lassen müssen. Er sei zufällig entdeckt worden, zum Beispiel. Von einem der Posten, der außer der Reihe Streife ging. Irgendetwas fiel ihm schon noch ein.
Doch jetzt musste er flitzen!
Er nahm denselben Weg zurück, den er gekommen war, und als er das Treppenhaus erreichte, hörte er auch schon Schritte, die im Schacht widerhallten. Es waren die Schritte eines einzelnen Mannes, des schnellsten der Truppe, oder auch nur ein Mann, der sich zufällig näher am dritten Stockwerk aufgehalten hatte.
Miguel Zapata biss die Zähne zusammen, dass sie knirschten, stellte sich neben der Fluchttür auf und wartete ab. Er war selbst schuld, dieser Idiot. Warum kam er auch allein zum Nachschauen? Ungeduld und zu viel Pflichteifer zahlten sich eben nicht aus.
Nach Zapatas Meinung. Seine Lebensphilosophie war eine ganz andere. Er lebte nach dem Gesetz des Dschungels. Er oder ich.
Und die schwere, graugestrichene Tür mit dem roten F auf weißem Grund schwang auf, eine starke Hand an einem starken behaarten Arm kam zum Vorschein, und diese Hand hielt einen klobigen Paterson Colt im Anschlag. Der Zeigefinger saß am Abzug, der Daumen hatte den Hahn gespannt.
Da zischte die Machete wie das Beil eines Henkers herunter, durchtrennte den Arm knapp hinter dem Handgelenk. Die Hand fiel ab und mit ihr der Revolver. Der Daumen konnte den Hahn nicht mehr halten. Der Schuss brüllte auf, und kurz darauf brüllte auch der Mann.
Zapata riss die Tür ganz auf. Der Wachtposten stürzte ihm entgegen, die Augen in schrillem Entsetzen geweitet. Er hatte nur ein khakifarbenes Hemd an. Es war heiß im Gebäude. Der Mexikaner holte ein weiteres Mal mit seiner triefenden Machete aus, doch da waren schon weitere Schritte im Schacht. Diesmal von mindestens einem halben Dutzend Männern. Er durfte keine Zeit mehr verlieren.
Ein Grunzen ausstoßend, sprang er über den Schreienden weg, sah tatsächlich sieben oder acht Uniformierte die Treppe heraufstürmen.
Doch das ließ den Mexikaner kalt. War ja nicht seine Richtung. Er hastete los, nahm immer drei oder vier Stufen auf einmal. Die Verfolger feuerten keinen einzigen Schuss auf ihn ab, so schnell ging das.
Kurz darauf rutschte er wie ein geübter Feuerwehrmann die Regenrinne hinunter und startete die Kawasaki. Dumpf und kräftig brummte der starke Motor, und die Sterne verbargen sich weiterhin hinter Wolken aus Dreck, als hätten sie Grund, sich zu schämen.