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Die »Überraschung« trug ein scharlachrotes Kleid, das wie auf die Haut gepinselt wirkte. Bount beneidete den Maler. Irgendwie hatte sich die Vorstellung in ihm eingenistet, sämtliche Frauen von Pittsburgh müssten ebenfalls so in Sack und Asche einherwandeln wie die Stadt selbst.

Jedoch - er ließ sich gern eines Besseren belehren.

Besonders von rothaarigen Augenweiden mit angetünchten Hosenanzügen. Dass die Frau auch noch ein recht passables Gesicht ihr eigen nannte, zeugte nur davon, wie verschwenderisch Mama Natur manche ihrer Lieblingsbabys ausstattete.

Von einem Baby konnte bei der jungen Lady freilich nicht die Rede sein; es sei denn, man übte sich in Blasphemie oder wenigstens in Göttinnenlästerung.

Irgendwann musste sie wohl auch ihren Namen genannt haben. Bount hatte ihn glatt überhört, und bei ihm nahm das Gefühl überhand, dass er auf einmal nicht mehr ganz bei der Sache sei.

»Ist Ihnen nicht wohl; Mister Reiniger?«

Eine Stimme wie Samt und Seide. Welch ein Kontrastprogramm zu den rüden Klötzen aus der Wach- und Schießabteilung!

Bounts Räuspern ähnelte einem Fingernagelkratzen über Blech.

»Wenn Sie vielleicht einen Eimer eiskalten Wassers für mich hätten?«, meinte er. »Ich glaube, mir ist heiß.«

Die Blonde lächelte wissend. Weiße Zähne blitzten. Elfenbein war Ramsch dagegen.

»Sie wollen doch zu Mister Kriffith. Er erwartet Sie bereits.«

Das Mädchen hatte Takt. Sie zeigte das auch in der Weise, wie sie ihre Hüften schwang, als sie sich umdrehte und Reiniger vorausging.

O Lord! Jede Menge Takt war da drin! Der kleine Po hüpfte gar reizend zu einer ungespielten Melodie.

Allmählich fing Pittsburgh an, Bount Reiniger zu gefallen.

Aber so wirklich kam er erst wieder zu sich, nachdem sich eine schalldicht isolierte Tür mit einem gesteppten Behang aus Safianleder hinter ihm geschlossen hatte und er sich in einem Büro wiederfand, in dem sich jeder Tennis-Crack zu Hause gefühlt hätte. Platz genug für das nächste Masters Turnier.

Die Wände waren mit schlichtem Palisander getäfelt, der Boden aus Persien. Eine Sitzgruppe in der einen Ecke bot einer mittleren Hochzeitsgesellschaft auch noch genügend Raum zum Tanzen.

Außen pfui und innen hui, fiel Reiniger ein.

Dann schüttelte er die Hand, die sich ihm entgegenstreckte. Ihr Druck war fest, die Haut angenehm trocken.

»Ich freue mich, dass Sie meinem Wunsch so schnell nachgekommen sind, Mister Reiniger. Darf ich Ihnen einen Drink anbieten?«

Die Rettung!

Auf diesem Ohr hörte Bount plötzlich wieder relativ prächtig. Seine Kehle war ohnehin trocken wie die Mumie von Ramses. Etwas Befeuchtung würde da auf keinen Fall schaden.

Mister Lyndon B. Kriffith grinste wissend. Die Qualitäten seiner Sekretärin samt ihrer wasserstoffbombenmäßigen Wirkung auf ihre männliche Umwelt schienen ihm wohlbekannt zu sein.

»Sie werden es nicht glauben«, sagte er nämlich in einem sonoren Bass und während er zwei bauchige Gläser vollschenkte, »aber Miss Swan ist auch noch tüchtig. Eine wahre Zierde ihres Berufs.«

»Da kann ich nur mehr nicken«, ächzte Bount, nahm dankbar das ihm dargereichte Glas Cognac entgegen und leerte es in einem Zug.

Dass er eben für mindestens zehn Dollar fünfzigjährigen Courvoisier gekippt hatte, sah er erst an der Flasche, die Direktor Kriffith eben wieder in ihr Barfach zurückstellte.

»Sie sind mit dem Auto gekommen, wie ich hörte«, sagte der Chef von Design Incorporated gerade. »Das nimmt einen mit, ich weiß.«

Der alte Knabe war auch noch ein hervorragender Diplomat, und er sah auch aus wie ein Mitglied dieser heuchlerischen Clique. Doch für einen Heuchler hielt Bount ihn keineswegs. Im Gegenteil.

Er hatte sich wieder soweit gefangen, dass das Kratzen in seiner Kehle aufhörte und sein Verstand sich anschickte, wieder in die gewohnten Bahnen zurückzufinden. Er erinnerte sich schlagartig, weshalb er hier war. Dass ein Job auf ihn wartete.

Zehntausend Dollar! Ein bezahltes Flugticket! Ein paar Wachtposten wie legitime Söhne von Cerberus! Dann so eine Wucht von aufgemaltem Kleid! Und dann auch noch dieser vollendete Gentleman mit den angegrauten Schläfen und dem Gehabe eines Mannes, der den Präsidenten zu sich zum Frühstück befahl.

Ihm schwante Fürchterliches. Das war immer so, wenn sich eine Sache optisch so wunderbar anließ. Das dicke Ende kam sicher.

Bount hatte da seine Erfahrungen. Doch er harrte tapfer aus, und er fand sein inneres Gleichgewicht, auch ohne sich zu setzen, nach einer kurzen Weile wieder. Jetzt war er nur mehr gespannt.

Viel hatte in jenem Begleitschreiben wirklich nicht gestanden. Nur, dass seine Hilfe in einer delikaten Angelegenheit dringend erwünscht sei, hatte es geheißen.

Swan hieß es also dieses tüchtige Mädchen ...

Inzwischen hatte Direktor Lyndon B. Kriffith weitergesprochen.

»... wir zusammen essen gehen, möchte ich Sie über den Anlass meines Begehrens näher aufklären. Ich bin überzeugt, dass Sie diesen Fall sehr interessant finden werden.«

Die Gegenwart hatte Reiniger endgültig wieder in den Krallen. Er überließ sich ihr nur widerwillig, doch letzten Endes sah er ein, dass er diese Reise nicht unternommen hatte, nur um sich ständig über Nebensächlichkeiten zu wundern.

Er schlug prompt einen geschäftsmäßigeren Ton an, und das gelang ihm sogar. Er folgte dem Direktor in die andere Ecke, in der sich ebenfalls eine Sitzgruppe befand, die jedoch nicht den Eindruck erweckte, sie müsse gleich ein ganzes Baseballfeld ausfüllen. Ein Raumteiler mit viel buntem und grünem Gemüse in Keramikgondeln schaffte die Illusion einer gewissen Intimität. Eine Bar gab es auch hier. Wie selbstverständlich griff Kriffith nach einer weiteren Flasche. Diesmal war’s ein Scotch von der nur vierundzwanzigjährigen Sorte.

Bount ließ sich auch ihn gefallen.

»Eigentlich bin ich es nicht gewöhnt, mich auf diese Weise ködern zu lassen«, meinte er.

Kriffiths mildes Lächeln schien darauf angelegt, ihn zu trösten. Er zündete sich umständlich eine Shag-Pfeife an. Eine Dunhill selbstverständlich. Mit einem Tabak von Davidoff.

»Natürlich nicht«, meinte Mister Direktor. Jeder x-beliebige Anzug mit ihm als Dressman wäre unweigerlich zum Verkaufsschlager geworden. Und der Mann wusste um seine Wirkung! »Natürlich nicht, Mister Reiniger. Aber ich habe Sie nicht von ungefähr ausgewählt. Sie gelten als sündteuer, von allen Hunden gehetzt und mit allen Wassern gewaschen. Als integer Ihren Klienten gegenüber und als einer der Besten Ihrer Branche. Sie scheuen auch vor Aufträgen nicht zurück, von denen manche Ihrer Kollegen auch für viel Geld die Finger lassen würden.«

»Aha«, meinte Bount in einem Anflug von Sarkasmus. »Wir sind beim Thema. Sie suchen einen Einzelkämpfer für ein Himmelfahrtskommando.«

Kriffith sog an der Pfeife. In seinen Mundwinkeln bildeten sich winzige Bläschen. Aromatischer Rauch breitete sich aus. Die Doppelfenster sperrten Pittsburghs giftigen Smog aus diesen geheiligten Hallen.

»Wir wollen doch nicht übertreiben, Mister Reiniger. Ich wünsche mir von Ihnen lediglich, dass Sie einen Mann wiederfinden, für den ich noch vor zwei Wochen die Hand ins Feuer gelegt hätte.«

»Und? Haben Sie sich die jetzt verbrannt?«

Lyndon B. Kriffiths Fassung zeigte zum ersten Mal einen Sprung. Seine Miene verzog sich schmerzlich. Dezent schmerzlich jedoch.

»Sie haben sich über unsere Firma erkundigt?«

Keine Frage. Eine Feststellung.

Reiniger nickte.

»Sie beliefern fast ein Drittel der Welt mit Druckstöcken für deren Banknoten.«

»Richtig. Wir sitzen in dieser Hinsicht nicht nur an der Quelle. Wir sind die Quelle!«

Danach verbreitete sich Direktor Kriffith etwa fünf Minuten lang über die Aufgaben und den Lieferumfang des Unternehmens und kam am Schluss auf die fabelhaften Sicherheitsvorkehrungen zu sprechen.

»Wir haben nicht viel Aufhebens um eine Geschichte gemacht, die sich vor genau dreißig Tagen bei uns ereignete.« Er schilderte den Einbruch mit all seinen grässlichen Begleiterscheinungen. »Wir konnten die Presse davon überzeugen, dass unser Sicherheitssystem nicht zu knacken ist. Tatsächlich wurde ja auch nichts gestohlen. Der Mann, der seine Hand verlor, wird von uns finanziell so ausgestattet, dass ihm dieser herbe Verlust erträglich erscheinen mag, obgleich wir natürlich wissen, dass er mit Geld niemals abzugelten ist.«

Bount schwieg auch dazu. Er teilte Kriffiths Meinung nicht vollinhaltlich, denn er kannte Fälle, in denen Leute ihre Hand in die Häckselmaschine steckten, sich also selbst verstümmelten, nur um in den Genuss einer entsprechenden Versicherungsprämie zu kommen.

Kriffith kannte solche Fälle sicher auch, doch genauso sicher hatte der Wachmann nicht zu dieser Kategorie von Leuten gehört.

»Er konnte den Täter nur unzureichend beschreiben, denn er trug einen Motorradhelm. Doch er schwört Stein und Bein, dass es sich um einen Süd- oder Mittelamerikaner gehandelt haben muss. Wahrscheinlich um einen Mexikaner. Er will einen schwarzen Sichelbart bei ihm erkannt haben. Und auch das Zielobjekt des Täters spricht dafür. Offenbar interessierte er sich brennend für unsere Mittelamerika-Abteilung.«

Bount langweilte sich zwar nicht, doch er hätte es gern gehabt, wenn Kriffith endlich zum wirklichen Kern seines Problems vorgestoßen wäre.

Da leistete er eben ein wenig Schützenhilfe. Weil alle Diplomaten nun mal die Eigenart haben, so lange um den heißen Brei herumzureden, bis er tiefgefroren ist.

»Was hat das mit Ihren verbrannten Fingern zu tun?«, fragte er deshalb. »Nicht dass ich ungeduldig wäre, aber ich möchte anfangen, mein Honorar zu verdienen. Dass diese zehntausend Dollar nur eine Anzahlung sein können, ist Ihnen ja bewusst.«

Zum zweiten Mal hatte Reiniger es geschafft, Direktor Kriffith aus seinem Tempel der kompakten Contenance zu holen. Sein linkes Augenlid zuckte verdächtig, als er Bount ansah.

»Hm. Ich sehe schon. Ich habe mit Ihnen eine sehr gute Wahl getroffen. Sie haben zu all jenen Vorteilen, die ich bereits aufzählte, auch noch Biss.«

Bount zeigte ihm wie zur Bestätigung lächelnd die Zähne.