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Vier Avenidas trafen zu einem Verkehrskreisel zusammen, in dessen Mitte sich ein Wasserturm weit über die meist nur eingeschossigen Gebäude erhob. Daneben schon wieder ein »Filmpalast«, diesmal einer aus Brettern, von denen die weiße Farbe blätterte, und riesig in seinen Dimensionen. Er nannte sich »Cine Lago«.
An diesem Gebäude solle sich Bount orientieren, hatte der Einäugige mit den Pockennarben gesagt. Und dann weiterfragen nach einer kleinen Manufaktur, die aus alten Autoreifen Gummisandalen herstelle. Gleich daneben habe Miguel Zapata mal gewohnt. Doch ob er jetzt noch dort anzutreffen sei ...?
Es hieß, er wäre ein feiner Mann geworden, und feine Männer wohnten nicht mehr in »verlorenen Städten«.
Bount stellte den Galaxy vor dem Kino ab. Parkplätze gab es hier in rauer Menge. Die Leute von Nezahualcoyotl konnten sich keine Autos leisten. Sie fuhren mit einem der rund 6000 Busse, von denen einer mal weltweit Schlagzeilen machte, weil bei ihm durch Messungen festgestellt worden war, dass er mehr Lärm produzierte, als ein startendes Flugzeug.
Auch der Verkehr war hier, wo genügend Platz gewesen wäre, nicht mehr so mörderisch. Die Avenidas glichen Autobahnen, nur war der Mittelstreifen bei ihnen rund zwanzig Meter breit, bestand aus braunem Sand, aus dem im Abstand von ebenfalls rund zwanzig Metern ein verkümmertes Gesträuch wuchs, das nicht einmal den Ansprüchen eines Hundes mit voller Blase genügt hätte.
Und das waren die Grünanlagen von Nezahualcoyotl.
Und hier war auch mehr los als bei seiner ersten Station. Die Menschen schienen weniger apathisch, Reiniger erregte Aufmerksamkeit. Allerdings von einer Art, die ihm nicht gefiel. Ein paar junge Männer musterten ihn, als wollten sie ihn ausziehen. Aber ihre Motive waren keineswegs sexueller Art. Sie taxierten nur, wie viel sein Anzug und seine Schuhe wohl beim nächsten Trödler bringen würden.
In New York warteten die Straßenräuber wenigstens die Nacht ab, und sie wollten nur Bares. Auch das ein feiner Unterschied zwischen den beiden Metropolen. Bount tastete nach der 38er. Zu dumm, dass sein Schneider so perfekt arbeitete. Die Waffe trug kein bisschen auf. Den Gringo sahen sie ihm natürlich schon von Weitem an, und wann verirrte sich so einer schon mal in eine ciudad perdida.
Jedenfalls starrten sie ihm nach, als er die Straße entlangging auf der Suche nach dem kleinen Recycling-Spezialunternehmen, und lösten sich von der Wand, an der sie gelehnt hatten.
»Das fehlte mir gerade noch«, knurrte Bount. »Die Burschen scheinen zu glauben, heute sei Weihnachten und ich die Bescherung.«
Sam Hester hatte ihn gewarnt.
Reiniger sah nicht, dass der sandblonde angebliche Trikotagenvertreter ganz in der Nähe in einem Dodge mit getönten Scheiben saß und ihn nicht aus den Augen ließ.
Bount fand die Firma, eine Klitsche, deren Maschinenpark noch aus der Steinzeit der Industrialisierung stammte. Er wurde mit altertümlichen Treibriemen aus durchgewetztem Leder in Gang gehalten. Schwungräder orgelten, Hämmer knatterten, und eine Stanze zerschnitt ebenfalls durchgewetzte Pneus zu handlichen Stücken, die dann von ein paar lustlos vor sich hinstierenden Frauen mit Teppichmessern und Schablonen zu Sohlen geschnitten wurden. Der Lärm war kolossal, die Luft vermieft.
Bount Reiniger wandte sich einem Mann zu, der als Einziger nichts tat, und das war vermutlich der Vorarbeiter. Eine zerknautschte Filterlose hing ihm von der fleischigen Unterlippe übers fettige Doppelkinn mit dem Fünftagebart, der ihm bei weitem nicht so gut stand wie Don Johnson von Miami Vice. Er musste ihn dreimal anschreien, ehe der Dicke sich bequemte, die schwer herunterhängenden Lider wenigstens halb zu öffnen.
Freundlicher wurde sein Blick nicht dadurch. Bount Reiniger war mit Sicherheit kein Kunde. In den Staaten liefen die Leute nicht auf Reifen, da fuhren sie mit ihnen. Bount musste erst eine 100-Peso-Note opfern, damit der Mann mit ihm hinausging, denn in der niedrigen Halle wäre ein Gespräch unmöglich gewesen.
Keine Spur von den vier oder fünf Jugendlichen mit den hungrigen Augen.
Der Schein verschwand in der oberen Außentasche eines verschmutzten und verschwitzten Hemdes von undefinierbarer Farbe. Ein Zipfel lugte noch daraus hervor wie ein Einstecktüchlein.
»Was wollen Sie von mir?«
Bount sagte seinen Spruch herunter, gebrauchte dieselben Lügen wie auch schon vorher. Er hatte ja bezahlt dafür, dass der Vorarbeiter sie sich anhörte.
Doch der Mann kannte keinen Miguel Zapata. Er sei erst vor einem Jahr zugezogen, um seinem Bruder bei der Leitung der Fabrik zu helfen, wie er sich ausdrückte, aber sein parasitärer Familiensinn interessierte Reiniger nicht die Bohne. Schon wieder fünf Dollar verprasst. Für nichts und wieder nichts. Die Suche ließ sich nicht gut an, der Fette watschelte in sein stinkendes, lautes Reich zurück. Er brachte die Knie nicht mehr zusammen.
Und kaum hatte der stellvertretende Direktor dieser Schuhfabrik die Tür hinter sich geschlossen, waren auch die mexikanischen Slum-Rocker wieder da.
Doch diesmal zeigten sie ihre Messer offen.