Zu fünft waren sie, Bount hatte nachgezählt. Dunkle Burschen mit pomadisiertem Haar und eine Presley-Tolle bei ihrem Anführer. Zumindest nahm Reiniger an, dass er der Boss der Truppe war, denn er wagte sich am nahesten ran.
Und er hatte auch die längste Waffe. Fast schon einen kleinen Degen von fünfundzwanzig Zentimetern Länge.
»Macht euch nicht unglücklich, Jungs«, sagte er und bemerkte dabei, dass er eine belegte Stimme hatte. Freilich wäre es einfach gewesen, Elvis II. eine Kugel in den Bauch zu jagen und dann den anderen nachzuschauen, wie sie wie die Hasen rannten.
Oder auch nicht. Dann müsste er eben noch einen zweiten niederknallen und vielleicht sogar noch einen dritten, bis der Rest der Mannschaft endlich kapierte, dass ihr Stich- und Stoßtrupp innerhalb von zwei Sekunden doch recht empfindlich dezimiert worden war.
Aber war es das wert?
Ganz abgesehen von dem anschließenden Ärger mit der Polizei, die dumme Fragen stellen würde wie zum Beispiel: »Was haben Sie mit einer Smith & Wesson Automatik in Mexiko zu suchen? Was? Privatdetektiv sind Sie? Und Lizenz und Waffenschein haben Sie auch? Sorry. Aber nicht bei uns!«
Und dann ab in den Knast. In einen mexikanischen auch noch!
Da konnte er ja gleich Selbstmord begehen. Da verging das Verrecken schneller. Die Gefängnisse des südlichen Nachbarn standen nun mal in einem höchst fatalen Ruf. Nur wer schon im Dreck geboren und aufgewachsen war, konnte dort überleben und das auch nur eventuell. Bount fühlte sich dem nicht gewachsen. Wie den meisten Yankees saß auch ihm die Angst vor Bazillen und Bakterien fast noch tiefer in den Knochen als die Liebe zum Bankkonto.
Also zögerte Reiniger.
Die fünf bösen Buben nicht.
Sie standen in einem Hof voller Gerümpel. In der angrenzenden Halle stöhnten die altersschwachen Maschinen. Die Autos draußen auf der Avenida hupten auch, wenn es nicht nötig war, die Fahrer wollten wohl in Übung bleiben. Und auf die Passanten, die möglicherweise seine Schmerzensschreie hörten, war sowieso kein Verlass. Hilferufe funktionierten auch in New York schon längst nicht mehr.
Der Anführer war noch näher gekommen, die anderen vier rückten nach. Ihre dunklen Augen glitzerten, die Backenknochen traten vor lauter Anspannung weit aus den hohlen Wangen. Alle Tage machten sie das wohl nicht. Sie waren auch noch ziemlich jung.
Zwischen fünfzehn und achtzehn ungefähr.
»Sie sollten ganz, ganz ruhig sein. Señor«, sagte der Boss in einem kaum verständlichen Knödelenglisch. Er sprach, als hätte er’s in Texas gelernt, wo die Leute auch redeten, als hätten sie den Mund voller Ameisen. »Nervös sind wir nämlich selber.«
Bount war automatisch zurückgezuckt. Doch weit kam er nicht. Die Gummisandalenmanufaktur stand ihm im Weg, und so baufällig sie auch wirkte: Weichen würde sie nicht. Die Messerspitze rückte bedrohlich näher.
Sollte er sich nun tatsächlich am helllichten Tag von ein paar Halbwüchsigen ausrauben lassen?
In Gedanken überschlug er seine Barschaft und kam zu dem Schluss, dass er für rund zweitausend Dollar zumindest versuchen sollte, sich zu verteidigen. Wozu hatte er’s schließlich gelernt?
Bount zauberte eine ungewohnte Miene aufs Gesicht und schauspielerte gar nicht mal so übel. Der Bursche schien ihm seine Panik abzunehmen, denn er zeigte sieghaft sein makelloses Gebiss.
»Na also«, meinte er. »Dacht ich's doch gleich, dass Sie ein vernünftiger Mann sind.« Fordernd streckte er die Linke aus. »Her mit der Brieftasche!«
Er hatte bei dieser Geste die rechte Schulter zurückgenommen. Nein, Erfahrung hatten diese Burschen wirklich keine. Wie konnte der Klingenknabe nur so sträflich unvorsichtig sein und einem Bount Reiniger das ungeschützte Pfötchen entgegenstrecken!
Seine Schuld, dass die Knöchel gleich reihenweise splitterten, als Bount Fußball mit ihnen spielte.
Es war fast wie in einer Trainingsstunde von Bruce Lee, denn wirbeln konnte Reiniger auch. Und zwar sehr gezielt. Zwischendurch keilte er immer wieder mit den Beinen aus, stieß mit den Ellbogen aus gezirkelten Drehungen heraus zu und mit den gefühlvoll gestählten Fingerspitzen, schrie artig »Ha« und »Ho«, um den Druck aus den Lungen zu bekommen und die Entspannkraft seiner Muskeln zu verstärken.
Kein Auge blickte da richtig durch, doch nach zirka zehn Sekunden lagen alle fünf Räuber-Azubis im Staub des Fabrikhofs und stöhnten nun mindestens ebenso sensationell wie die Maschinengreise jenseits der Hallenmauer.
Jetzt erst zog Bount auch die Pistole. Schließlich wollte er es mit der Gymnastik auch nicht übertreiben. Zu viel war immer ungesund.
Vor allem für die fünf kleinen Mexikanerlein, deren Kampfstärke beim Nullpegel eingependelt war.
Und in diesem Augenblick spürte Reiniger eine Veränderung in seinem Rücken. Er konnte es ja selbst nicht erklären, aber schließlich kennt jeder das Phänomen, dass sich derjenige, auf dessen Hinterkopf man lange genug starrt, irgendwann umdreht. Nur reagierte Bount Reiniger sehr viel schneller bei derartigen Anlässen.
Schon wieder wirbelte er um die eigene Achse. Um ein Haar hätte er abgedrückt, doch er erkannte Sam Hester gerade noch rechtzeitig genug. Der Trikotagenvertreter hielt einen schlanken Colt Cobra 45 in der gesenkten Faust mit einem Ausdruck im Gesicht, der jenem der Jünglinge verblüffend ähnelte: Erstaunen, Überraschung und fortgeschrittene Enttäuschung.
Bount gingen schlagartig ein paar Lichter gleichzeitig auf. Und dann grinste er.
»Na, Mister Hester? Verkaufen Sie Ihre Sonntagsanzüge immer mit einem Revolver in der Faust? Dann müssen Ihre Geschäfte ja blendend gehen.«
Hester brauchte offenbar eine Weile, bis er wieder auf den Boden der Tatsachen zurückfand. Fast hätte er einem leid tun können. Aber eben nur last. Er musste sich dreimal räuspern, ehe er einen verständlichen Ton herausbrachte.
»Ich ... ich wollte Ihnen nur helfen ...«
Bounts Grinsen nahm Cinemascope Ausmaße an.
»Selbstverständlich wollten Sie das«, sagte er. »Deshalb sind Sie mir ja extra vom Hotel bis hierher gefolgt. Und das alles nur, um einen Landsmann vor größerem Schaden zu bewahren. Ich bin maßlos gerührt, gleich kommen mir die Tränen. Aber sagen Sie mal, Hester: Für wie dämlich halten Sie mich eigentlich? Zahlen Sie lieber diese armen Burschen aus, die Sie auf mich gehetzt haben, um anschließend dann als der strahlende fünfzehnte Notheilige aufzutreten.«
Nun seufzte Hester traurig, als er auf die Burschen hinunterschaute, die sich immer noch teils im Dreck, teils im eigenen Erbrochenen wälzten. Sie hatten - wie könnte es anders sein - nein, keine Tortillas, sondern Hamburger und Cheeseburger zu Mittag gegessen und sie mit Coca Cola hinuntergespült.
»Man hat mir zwar gesagt, dass Sie gut sind, Reiniger, meinte er resigniert, »aber nicht so gut.«
Das »Mister« ließ er jetzt weg. Hester bot wirklich ein Bild des Jammers. Klar, dass Reiniger kein Mitleid mit ihm hatte.
»Ich schätze, diese Idee ist allein auf Ihrem eigenen Mist gewachsen«, sagte er. »In Quantico haben Sie solchen Unsinn bestimmt nicht gelernt.«
In Quantico ist die Ausbildungsstätte angehender FBI-Agenten.
»Sie kennen mich von irgendwoher?«
»Quatsch«, meinte Bount. »Aber ich kenne das FBI und seine krummen Touren. Ihr werdet der CIA immer ähnlicher. Wisst ihr das, Brüder? Und im Ausland operiert ihr jetzt auch schon. Ist das nicht verboten?«
»Vergackeiern Sie mich nicht noch mehr«, bat Hester kläglich. »Sie wissen doch ebenso gut wie ich, dass Leute von uns auch mal an befreundete Nationen ausgeliehen werden. Besonders dann, wenn es sich um die Aufklärung grenzüberschreitender Delikte handelt und unser Einsatz im Interesse beider Regierungen liegt.«
»Das haben Sie fein aufgesagt«, meinte Reiniger. Aber der Mann hatte natürlich recht. Dass das FBI ausschließlich in den USA operiere, war schon vor zwanzig Jahren nicht mehr als ein läppisches Gerücht gewesen.
Schon seit Edgar Hoovers Zeiten passierte das Gegenteil von Fall zu Fall. Nur ließen sich die Jungs aus Washington eben nicht so leicht bei solch eklatanten Fehlleistungen ertappen, wie es ihren Kollegen von der Central Intelligence Agency mit solch bildschöner Regelmäßigkeit widerfuhr.
Hester blinzelte missmutig zu den fünf getretenen und gestoßenen Gestalten hinüber, von denen sich die des Anführers als Erste erhob. Die Presley-Tolle hatte auch gelitten.
Jetzt glich sie eher dem Entenbürzel von Donald Duck.
Der Mann vom FBI stapfte auf ihn zu, fingerte in seiner Gesäßtasche herum und förderte eine Rolle Banknoten zutage. Es waren Dollarscheine. Ein paar von ihnen ließ er auf den Boden flattern.
»Sorry«, sagte er. Mehr nicht. Vermutlich wollte er Reiniger nicht auch übers Kreuz Komplimente machen. Und dann zu Bount: »Gehen wir um die Ecke. Ich hab da einen Tequila-Laden gesehen. Ich denke, ich kann einen Schluck gebrauchen.«
Als sie die Straßenkneipe betraten, verließen drei Einheimische gerade wankend das Lokal. Sie waren danach die einzigen Gäste. Hinter der Theke bediente ein Mädchen, so jung, dass es mit dem Kopf und den Zöpfen kaum über den Tresen aus Papp-Art reichte. Er bestand aus mit einem immensen Gefühl für Statik zusammengeleimten Chiquita-Kartons.
Bount begnügte sich mit Bier. Hester bestellte einen doppelten Agavenschnaps. Er soff recht ordentlich. Auch nicht gerade eines der Hauptlehrfächer an der FBI-Schule in Quantico.
Doch dass der Mann jetzt ein bisschen frustriert war, konnte Bount verstehen. Was musste sich Hester auch so hirnrissige Pläne ausdenken.
»Ihr Verein hat mich also auch schon in Pittsburgh beschatten lassen, begann Reiniger. Ihm war der fröhlich lustwandelnde »blinde« Bettler vor dem Nobelrestaurant wieder eingefallen, in dem er mit Lyndon B. Kriffith so exzellent gespeist hatte.
Bount hätte nie gedacht, dass Hester seine Augen so weit aufreißen konnte.
»Das wissen Sie auch?«
Bount winkte mit einer müden >Was-soll-denn-das-Geste< ab, als würde er zehnmal am Tag maskierte Spitzel und G-Men enttarnen.
»Lag doch auf der Hand, erklärte er. »Es kann nicht im Interesse unserer Regierung liegen, dass von unserem Boden aus offenbar ein gigantischer Falschgeldcoup gestartet werden soll. Und so etwas fällt in den Aufgabenbereich des FBI. Ich nehme an, dass die Design Incorporated bereits seit jenem Einbruch überwacht wurde. Vielleicht zapft ihr Rabauken sogar die Telefone an. Ist nicht mein Bier.«
Reiniger gönnte sich dafür einen Schluck aus der vor ihm stehenden Flasche. Der mexikanische Mais- und Gerstensaft schmeckte auch ohne Reinheitsgebot erstaunlich gut.
Und weil Hester schwieg, fuhr Reiniger fort.
»Da taucht dann eines schönen Tages ein markanter Kopf aus New York auf - ich spreche von meinem -, und siehe da, ihr kennt diesen Typ. Ich schätze, euer Zentralcomputer hat so viel über mich gespeichert, dass der Drucker eine halbe Stunde lang knattern muss, bis er mein gesamtes Dossier zu Papier gebracht hat.«
»Bescheiden sind Sie nicht gerade«, murrte Sam Hester.
»War ich noch nie. Und weil ihr Burschen selbst nicht weiterkamt bei diesem Fall, hatte einer von euren Häuptlingen die geniale Idee, sich an Mister Bount Reinigers Fersen zu heften wie Fliegenleim. Meine persönliche Aufklärungsquote ist noch besser als die eure, und schon die eure ist nicht schlecht. Und deshalb mein Vorschlag: Legen wir doch die Karten auf den Tisch, Sam. Ihr sagt mir, was ihr wisst, und ich bekenne ebenfalls Farbe. Ich halte es für reichlich blöd, dort getrennt zu marschieren, wo wir ohnehin an einem Strang ziehen.«
»Das kann ich nicht entscheiden.«
»Aber Sam«, sagte Bount mitfühlend und haute dem Mann so brüderlich auf die Schulter, dass ihm die halbe Zitronenscheibe, an der er gerade kaute, aus dem Mund fiel. »Mir ein paar unerfahrene Kids an den Hals zu setzen, nur um anschließend den Retter in der Not spielen zu können, war doch auch nicht die Idee derer von Washington. Was glauben Sie, wie es Ihrer Karriere nützt, wenn sie jemals davon erfahren ...?«
Hester schaute auf, und das gar nicht glücklich.
»Das ist glatte Erpressung«, sagte er.
»Selbstverständlich«, sagte Bount. Und streckte die Hand aus. »Sind wir jetzt Partner?«