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Diese Dunkelheit! Wie in einem Sarg. Und diese wahnsinnigen Schmerzen in der Schulter!

Wilson Packer lag auf einem Steinboden. Der Untergrund war erstaunlich warm, doch auch das bekam er nur am Rande mit, denn in ihm selbst brannte das Feuer. Er schätzte, dass er mehr als 40 Grad Fieber hatte. Der Kopf glühte ihm, und er schwitzte wie ein kaltes Glas im Sommer. Packer konnte riechen, dass er stank, und ein Teil dieses Geruchs war der Gestank von Angst. Die Wirkung der einschläfernden Barbiturate hatte nachgelassen und diesen furchtbaren Qualen Raum gegeben.

In seiner rechten Schulter wüteten tausend Teufel mit tausend Lanzen und Zangen. Er sah es nicht, doch er ertastete mit seiner Linken, dass der andere Arm in einem grotesken Winkel vom Körper abstand.

Er wusste nicht richtig, wo er war und wie er hierhergekommen war. Er hatte sich bis vor Kurzem in einem tranceartigen, alptraumhaften Zustand befunden. Klar nur, er lag in einer Grotte oder in einem aus dem gewachsenen Fels gehauenen Verlies.

Anfangs war er noch herumgekrochen und nicht weit gekommen. Sein Gefängnis maß höchstens vier Meter im Quadrat mit einer hölzernen Tür irgendwo in den schiefen, rauen Wänden. Kein Bett, nicht einmal ein Holzrost und auch keine Decke. Und auch kein Eimer, in den er seine Notdurft hätte verrichten können.

Wilson Packer ekelte sich vor sich selbst.

Er hatte jegliches Zeitgefühl verloren. War es Nacht? War es Tag? Auf jeden Fall war das egal. Er würde hier nicht mehr lebend herauskommen. Das sagte ihm sogar jener kärgliche Rest an gesundem Menschenverstand, den er in sein jetziges Verletztsein hatte retten können. Nicht nur wegen der undurchdringlichen Dunkelheit sah er keinen Ausweg mehr. Allenfalls ein Aufschub war ihm vergönnt.

Und trotzdem gab es da noch irgendetwas tief drin in dem hageren Graveur, das sein geordnetes bisheriges Leben ohne große Sorgen nicht ganz hatte verschütten können. In ihm steckte auch immer noch etwas von dem kleinen Jungen im Waisenhaus, den die Älteren und sogar auch Jüngere als er verprügelt und ihm schlimme Streiche gespielt hatten. Etwas von jenem Jungen, der trotzdem seinen Weg gegangen war und sich zu einem Mann entwickelt hatte, zu einem Könner seines Fachs, der allseits respektiert wurde. Gott, wie oft hatte er damals die Zähne zusammengebissen, dass die Kiefer wie glühende Zangen schmerzten.

Bei diesen Gedanken an die Vergangenheit wurde er seltsamerweise ruhiger. Sein Atem kam nicht mehr in gekeuchten Stößen, der Herzschlag fand zu einem regelmäßigeren Rhythmus zurück. Er hörte, wie es laut in seinen Ohren knirschte. Wilson Packer biss nach langer, langer Zeit wieder einmal die Zähne zusammen, und diesmal war das Feuer in seinem Kiefer ein heilendes Feuer, eines, das ihm Kraft aus Reserven schenkte, die er in sich nie vermutet hatte. In diesen Minuten rechnete er mit sich ab. Gnadenlos. Er hatte einen Fehler begangen, und Fehler kosteten entweder Geld oder Substanz. Er konnte nur sich selbst dafür verantwortlich machen. Und zusehen, dass er sich am eigenen Schopf aus dem Sumpf zog, in den er freiwillig gegangen war. Niemand hatte ihm befohlen, auf eine Frau hereinzufallen, die so wenig zu ihm passte wie ein großer Deckel zu einem kleinen Topf.

Und der kleine Topf war sie!

In diesen Minuten, in dieser dreckigen, stinkenden Felsenkammer, gewann Wilson Packer seine Selbstachtung wieder. Das Fieber ließ etwas nach, und der Schweiß trocknete auf seiner Haut. Noch lebte er.

Und er wollte weiterleben!

Schließlich brauchten sie ihn noch, verdammt noch mal! Ihn, Wilson Packer, den Künstler mit dem Stahlgriffel in den goldenen Händen!

Als er jenseits der Mauern Schritte hörte, regte er sich bereits nicht mehr auf. Dolores Narranta erkannte er am Gang. Ihre Schritte klangen irgendwie energiegeladen. Und daneben dann ein leises Tappen, kaum hörbar, wie von einem großen Raubtier; ein gelber Lichtstreifen in einer Ritze, das Reiben von Metall auf Metall. Ein Vorhängeschloss wurde geöffnet, und das Erste, was Packers geblendete Augen neben dem der Flamme einer Petroleumlampe sahen, waren die hässlich gähnende Mündung eines modernen Gewehrs und eine braune Faust, geschlossen um den glänzenden Holzschaft. Und schließlich Schlitze, schmale Augenschlitze in einem fremdartig geschnittenen Gesicht, die einen winzigen Streifen des Lichts zurückwarfen auf ihn, auf Wilson Packer.

Er bewegte sich nicht und stöhnte auch nicht mehr. Fast eine Art Friede hatte ihn überkommen, sein Atem ging tief und ruhig, die Schleimhäute registrierten den Gestank nicht mehr, beziehungsweise ignorierte sein Gehirn die Nervenreize.

Sie konnten ihm nichts mehr anhaben. Nicht der Indio, der jetzt hereinkam, und auch nicht Dolores Narranta, die hinter ihm in der Tür stehen blieb und nun die Lampe übernahm.

»Er lebt doch noch?«

Zum ersten Mal hörte er ihre melodiöse Altstimme besorgt klingen, ohne dass es geschauspielert oder affektiert gewirkt hätte. Der Mund mit den vollen Lippen stand halb offen. Derselbe Mund, der ihm so viele und so umwerfende sexuelle Sensationen vermittelt hatte, dass er darüber sich selbst verlor.

Doch das musste ein anderer Wilson Packer gewesen sein. Nicht mehr derjenige, der jetzt hilflos am Körper und neu gestärkt im Geist auf dem Boden einer dreckigen Zelle lag, in seinem eigenen Kot.

»Ja«, brummte der Indio. Sein Wildlederhemd stand offen. Die Rippen stachen aus der Brust. »Er ist bei vollem Bewusstsein.«

Die Frau entspannte sich, und auch der Mund veränderte sich. Nun wurde er wieder hart und grausam.

»Umso besser«, sagte sie. »Dann wird er es spüren, wenn du ihm die Schulter einrenkst.«

Wilson Packer verlor keinen einzigen Laut.