Ihm schwindelte. In ihm drehte sich alles. Sogar wenn er die Augen geschlossen hatte. Der Schädel brummte wie zehn wütende Grizzlys, und ihm war speiübel. Gut, dass er nichts mehr im Magen hatte. Das Schmalzgebäck von heute Mittag war längst verdaut.
Doch schrieben wir überhaupt noch heute?
Bount hatte keine Ahnung. Nur dass ein Ortswechsel stattgefunden hatte, kapierte er. Auch unter Tavernen mit verbrecherischen Besitzern gab es keine Felsendome, und in genau so einem lag er.
»Er kommt endlich zu sich.«
Eine dunkle, melodiöse Frauenstimme mit genau jenem Hauch Verruchtheit darin, den Reiniger sonst bei den Damen so sehr schätzte. Diesmal allerdings machte er ihm keine rechte Freude.
»Hätte er das ganze Glas auf einmal ausgetrunken, wäre er nie mehr aufgewacht.«
Eine Männerstimme, und beide sprachen das Spanische korrekt, sodass Bount jedes Wort verstand.
Er spürte die Fesseln um seine Handgelenke, und auch das rief keine Begeisterungsstürme bei ihm hervor, obwohl der Strick nicht allzu fest saß. Da war kein Fachmann am Werk gewesen.
Trotzdem hinderten sie ihn daran, sich selbst eine Ohrfeige zu verpassen. Bount fand, er hätte sie verdient.
So begeistert und trunken von Land und Leuten war er noch nie in eine Falle gerannt.
»Wie spät ist es?«
Das war nun seine eigene Stimme gewesen, und sie gefiel ihm gar nicht.
Raben durften so krächzen, aber kein Bount Reiniger.
Die Frau: »Er ist noch benommen.«
Der Mann: »Kein Wunder nach zehn Stunden Tiefschlaf.«
Reiniger nahm diese Information dankbar zur Kenntnis. Doch so benommen, wie die beiden meinten, war er nicht. Er hatte die Frage absichtlich gestellt. Eben, weil sie auf Mitmenschen, die ihn nicht näher kannten, so strohdumm und abgetreten wirken musste.
Auch war er nicht jetzt erst zu sich gekommen, sondern schon vor rund einer halben Stunde, wenn er die Zeit richtig schätzte. Egal, welches Gift sie ihm eingeträufelt hatten, die Nachwirkungen hielten sich in Grenzen. Bount tippte auf eine geballte Dosis Veronal oder Seconal. Der Wein hatte leicht seifig geschmeckt.
Er stöhnte, denn das machte sich besser für sein Publikum, auf das er ebenfalls schon vorher wie auch auf seine Umgebung ein paar verstohlene Blicke geworfen hatte.
Da lag er also in einer riesigen Grotte mit allerlei technischem Gerümpel darin. Ein Stromgenerator summte in der Ferne, unter ihm vibrierte leicht der Boden. Er lag auf einer breiten Holzbank ausgestreckt, die Uhr hatten sie ihm abgenommen und natürlich die 38er Smith & Wesson samt dem Ersatzmagazin. Auch seine übrigen Taschen fühlten sich leer an.
Zu schade, dass sich die beiden bisher zu weit von ihm entfernt aufgehalten hatten, als dass er ihre Unterhaltung hätte mitkriegen können.
Und noch einen dritten Mann gab es, einen ollen Azteken mit einer Frisur wie die Indios im brasilianischen Urwald. Er schleppte ständig eine Enfield mit sich herum und trug dabei die Knarre wie eine Mutter ihr Baby.
Immerhin hatte Reiniger genügend Muße gehabt, über seine derzeitige Situation zu reflektieren und auch darüber, wie er hineingeraten war.
Den Mann glaubte er wiederzuerkennen, aber auch sonst gehörte nicht viel Fantasie dazu, um ihn mit dem schönen Namen Miguel Zapata zu belegen. Die Machete, die wie ein Schwert an seiner schlanken Hüfte hing, passte da ausgezeichnet ins Bild.
Dann war die Frau natürlich Wilson Packers rassiges Verhängnis. Wie sie hieß, wusste Bount noch nicht. Doch irgendwann würde Freund Miguel sie schon direkt ansprechen, denn die beiden duzten sich.
Und da geschah es auch schon.
»Soll ich nun Packer herunterholen, Dolores?«, fragte der Macheten-Mann und Hand-Abhacker. »Oder bringen wir den da zu ihm hinauf?«
»Oben ist kein Licht«, sagte sie. »Und ein bisschen Bewegung braucht er auch. Wir dürfen ihn keinesfalls vollkommen verrotten lassen.«
»Was meint Corto, wann er wieder wird?«
»Wann er zu arbeiten anfangen kann, meinst du?«
»Ja.«
»In frühestens drei Tagen. Doch bis dahin soll er noch tüchtig schmoren. Es hat mir gestern nicht gefallen, wie er sich verhielt. Ich nahm an, er würde mir hysterisch entgegenstürzen, doch er hat mich kaum beachtet. Mein lieber Geliebter hat sich irgendwie verändert. Ich erkannte ihn fast nicht wieder.«
»Hauptsache, er macht seinen Job.«
»Das tut er bestimmt. Vielleicht nimmt er inzwischen auf sich selbst keine Rücksicht mehr. Vielleicht bildet er sich ein, im Grunde seiner Seele Masochist zu sein. Aber ich weiß Bescheid über ihn. Er ist zart besaitet, der arme Tropf. Du hättest sein Gesicht sehen sollen, wie ich der gaviota die Flügel knickte und sie ins Wasser warf.«
Die Frau lachte auf. Bount rieselte es dabei kalt den Rücken hinunter.
»Da wurde mir endgültig klar, dass er sich nie in die Rolle fügen würde, die ich ihm zudachte. Eigentlich bin ich froh darüber. Ich hatte es gründlich satt, ihm ein Wesen vorzuspielen, das ihn und sein Genie abgöttisch bewundert. Packer wäre abgesprungen. So oder so. Und da ist es besser, dass die Fronten gleich geklärt sind.«
»Und was ist mit dem da?«
Die beiden hatten sich unterhalten, als wäre Bount gar nicht anwesend. Ein schlechtes Zeichen. Wie Bauer und Bäuerin sich eben im Beisein ihres Schweins unterhalten, wenn sie dessen Schlachttermin festlegen.
»Er? Señor Reiniger aus New York? Er ist die Batterie, die unseren lieben Wilson antreiben wird, wenn in ihm selbst nicht mehr genug Saft stecken sollte.«
»Hört sich bedeutungsvoll an.«
»Ist es auch, ist es auch. Und nun geht und holt unseren Künstler. Ich möchte ihn mit ein paar knallharten Wahrheiten vertraut machen.«