Dolores Narranta blieb neben Reiniger stehen, sah auf ihn hinunter.
»Sie brauchen sich nicht mehr leidend zu stellen«, sagte sie. »Ich weiß selbst, wie Seconal wirkt. Sie haben lediglich etwas tiefer und etwas länger geschlafen als sonst. Das ist alles.«
»Sie machen mich glücklich«, sagte Bount und schlug die Augen auf. Er krächzte nicht mehr. Die Frau stand mit breit gegrätschten Beinen am Fußende der Bank und hatte die bloßen Arme unter ihren Brüsten verschränkt. Sehr gut möglich, dass sie in einem Abendkleid weiblicher wirkte als in Rangerhemd und Breeches. Nackt sogar ganz bestimmt. Bount konnte Wilson Packer durchaus nachfühlen, dass er auf die Lady hereingefallen war wie das sprichwörtliche Kind in den Brunnen.
»Man erwähnte mal«, sagte sie, »dass man bei Ihnen das lose Mundwerk extra totschlagen muss, wenn man Sie ganz um die Ecke bringen will. Doch ich gehe jede Wette ein, dass Miguel das bei Ihnen auch mit einem einzigen Streich schafft. Er wird die richtige Stelle treffen ...«
Sie fuhr sich dabei mit der flachen Hand über die Kehle, und Reiniger schluckte ergriffen.
Ihr Blick bekam einen sinnierenden Ausdruck und umflorte. Die naturroten Lippen schürzten sich wie zu einem Kuss.
»Eigentlich schade um Sie«, fuhr sie fort. »Sie haben den falschen Beruf gewählt.«
Bount hatte sich bereits wieder gefangen.
»Ich weiß«, sagte er. »Ich hätte Graveur werden sollen. Dann würde ich wenigstens Ihre sämtlichen Leberflecken kennen und hoffentlich einige Dutzend Ihrer Orgasmen noch dazu, bevor ich das Zeitliche segne. Ich bin überzeugt, dass ich so mit einer immensen Bildungslücke ins Grab hüpfe. Zu dumm. Wirklich zu dumm.«
Reiniger schüttelte bedauernd den Kopf. Unter der Gehirnschale hatten die Bongos aufgehört zu trommeln. Nur ein paar Rumbakugeln rasselten noch leise sanfte Rhythmen.
Dolores Narranta überlegte nur kurz. In ihren Augen blitzte es kurz auf, und sie brachte es tatsächlich fertig, kess zu grinsen.
»Möglich, dass ich Ihnen vielleicht eine Henkersmahlzeit serviere, wie sie noch nie angeboten wurde ...«
»Etwa Ihren Körper?«
Bount schüttelte sich. Künstlich. Denn er musste sich zwingen dazu. An ihrer Figur gab es ja nun tatsächlich nichts auszusetzen. Nur mit dem Charakter haperte es eben gewaltig. Aber andererseits: Welcher Mann geht schon gern mit einem Charakter ins Bett?
»Könnte man trotzdem in Erwägung ziehen. Ich stelle mir das herrlich vor: Sie und ich eng umschlungen und vollkommen von den Wogen des Sexus davongetragen. Und dann kommt Miguel mit seinem Zuckerrohrsäbel und haut uns gemeinsam die Köpfe ab. Unser Blut vermischt sich zu einem Rinnsal, und das fließt in den nächsten Bach, der Bach in den Fluss und der Fluss ins Meer. Und dort haben meine wertvollen roten Tropfen endgültig die Chance, sich wieder von Ihren Teufelstropfen zu trennen. Herrgott, werden die eine Freude haben!«
Das Grinsen der Narranta gefror.
Wahrscheinlich sah sie selbst ein, dass das nicht der Zeitpunkt für einen Flirt war und ihr Anerbieten reichlich pervers. Sie räusperte sich, nun wieder ernst geworden.
»Ich glaube nicht, dass mir Ihr Humor gefällt«, sagte sie.
»Na und?«.sagte Bount. »Sie müssen doch nicht sterben damit.«
Ihre angeregte Unterhaltung wurde durch Schritte unterbrochen, die von der Galerie herunterkamen. Dazwischen auch ein Schleifen und Schlurfen. Die Frau trat zur Seite und nahm die Schenkel wieder zusammen. Bount verdrehte den Hals.
O ja. Der Direktor der Design Incorporated hatte ihm ein Bild von Wilson Packer gegeben. Doch das Wrack zwischen Zapata und dem Mestizen sah nicht wie Packer aus. Allenfalls wie ein durch den Wolf gedrehter, verspeister und anschließend wieder ausgebrochener Wilson Packer. Nein, es war auch nicht das Gelbe vom Ei, ein Verhältnis mit der rassigen Dolores zu haben. Sie vernaschte ihre Liebhaber nicht - sie fraß sie auf!
Und brach sie aus!
Packers rechte Schulter war zum Medizinball angeschwollen, der hagere Körper von Blutergüssen übersät und seine Kleidung zerfetzt. Er roch, als hätte er eben sein Freischwimmerabzeichen in einer Fäkaliengrube gemacht.
Die Narranta rümpfte auch adrett die Nase. Dabei war sie mit Sicherheit schuld an Packers Zustand.
In Reiniger begann sich eine kalte Wut sehr schnell zu erhitzen. Es tat ihm leid, überhaupt mit dieser Bestie von Frau gesprochen zu haben.
Ab sofort ignorierte sie ihn ohnehin wieder, als hätten sie nie ein Wort miteinander gewechselt. Vermutlich schwenkte sie gerade in jene Strategie zurück, die sie von Anfang im Sinn gehabt hatte. Bount erwartete keine Sternstunde der Humanität.
Packer wurde auf einen Karton gehockt. Corto mit der Enfield blieb hinter ihm stehen und hielt den Mann aus Pittsburgh am Genick, damit er nicht umfiel.
Doch die Augen waren wach. Bount sah die vielen Fragen darin. Und Kraft. Die Fragen hätte er selbst sehr gern beantwortet gehabt.
Aber da übernahm auch schon die Narranta das Wort. Sie hatte sich einen Stuhl herangezogen und die Lippen ironisch gekräuselt. Bount fand, dass ihr Mund jetzt aussah wie ein Hühnerpopo. Nobody is perfect.
»Endlich vereint«, spottete sie. »Das Opfer und sein Retter. Ein hübsches Paar seid ihr. Alle Achtung. Und so erfolgreich!«
»Sie meint es nicht so«, mischte Bount sich ein. »Sie lügt. Ich bin viel hübscher als du, Wilson.«
»Halt endlich deine verdammte Schnauze, Mann!«
»Wenn Sie mich so höflich darum bitten ...?«
Am Hals der Frau wurden ein paa1 Adern dick und blau und auch an den Schläfen. Zapata schaute nur dumm drein, und der Mestize tat so, als ging ihn das alles nichts an. Irgendwie hatte er ja recht.
Doch Bount verfolgte einen bestimmten Zweck mit seiner Schnoddrigkeit. Sie sollte in Packer neue Hoffnung wecken. Es reichte nicht aus, wenn der Mann nur geistig auf der Höhe war. Wie sollte er da einen Fluchtversuch mit ihm unternehmen? Und das auch noch möglichst bald!
Es gefiel ihm nun mal nicht in diesem Felsendom. Für Kathedralen jeglicher Art hatte er noch nie geschwärmt. Um mit seinem Gott zu reden, brauchte er kein gesegnetes Dach überm Schädel.
Die Kur schien anzuschlagen, denn Packers dürrer Körper reckte sich eine Spur. Bount blinzelte ihm auch noch zu: Lass den Kopf nicht hängen, Hombre. Du hast nur diesen einen.
Die Narranta war nur kurz aus dem Konzept gebracht. Sie setzte ihren Vortrag fort. Ihm war anzuhören, dass sie ihn einstudiert hatte. Sie wollte wohl besonders dramatisch wirken.
»Okay«, sagte sie. »Du, mein lieber Wilson, machtest nicht erst seit unserer kleinen Bootsfahrt den Eindruck, als wolltest du nicht mehr mitspielen. Um keinen Preis. Du Aas wolltest lieber verrecken, als uns einen kleinen Gefallen tun, stimmt’s?«
Das höhnische Grinsen der Narranta wurde nun auch noch ausgesprochen scheußlich.
»Well, das brachte mich auf den Gedanken, an dein mitfühlendes Herz zu appellieren. Ein Herz, das schon allein wegen einer lausigen Möwe stolpert. Und da dachte ich, schenkst du dem guten Wilson-Darling einen Landsmann zur Gesellschaft. Du musst dir diesen Bount Reiniger als eine Art Bank vorstellen, weißt du? Genau genommen als eine Fleischbank. Denn solltest du dich weigern, unseren Wünschen zu entsprechen, wird unser Miguel den großen Mister Reiniger Stück um Stück verkleinern. Wir beginnen mit den Zehen - jede Stunde eine - und machen mit den Fingern weiter. Du verstehst ...?«
»Macht doch bitte mal die Fesseln los«, meldete sich Bount. »Damit ich klatschen kann. Solange ich noch kann und Hände habe.«