![]() | ![]() |
Sie hatten sich im unübersichtlichen Delta des Orinoco auf der fast gänzlich unbewohnten Isla Tebajuba getroffen. Stan Novid aus New York, Hoboken, der, als er vor 58 Jahren auf der winzigen Insel Susak in den nördlichen Koronaten geboren worden war, noch Stanislav Novic geheißen hatte. Er und der kosmopolitische Gangster und Mädchenhändler Vlatko de Figuera.
De Figuera saß am Steuerknüppel der einmotorigen und viersitzigen Piper Constable. Auf dem schmalen Rücksitz lagen Marija und Jasna wie übereinander geworfene Puppen. Sie bekamen nichts mit, denn sie wurden schon seit vier Wochen unter Drogen gehalten. Nichts nachhaltig Gefährliches. Nur Spritzen, mit denen die Aggressiven unter den Irrenhausinsassen friedlich gemacht werden. Der Geist stumpft ab. Der Verstand verblödet. Allerdings und Gott sei Dank nicht bei jungen, gesunden jugoslawischen Mädchen. Sie würden diese »Kur« ohne bleibende Schäden, überleben.
Aber alles andere, das auf sie wartete ...?
Trotzdem wütete Stan Novid, nachdem sein Magen nach dem Steilstart von einer Dschungelpiste zwischen einer Galerie von Mangroven sich allmählich wieder in die gewohnte Region begab.
»Du bist ein Idiot! Ausgerechnet von dort musstest du sie holen! Das ist gegen alle unsere Prinzipien! Niemals in Susak aktiv werden! Das kann uns den Hals brechen!«
Vlatko de Figuera blieb die Ruhe selbst. Lässig legte er die Piper in eine weite Linkskurve, die das kleine Flugzeug in die südliche Richtung brachte.
»Die Gelegenheit war so günstig«, sagte er ohne jede Reue. »Zwei unbedarfte junge Weiber. Frischfleisch. Wer hätte da nicht zugegriffen? Unser Schiff lag nicht im Hafen, sondern auf der anderen Seite auf Reede. Ich machte sie betrunken, das war nicht schwer. Und dann schleppte ich sie ab.«
»Und Visoco?«
»Der kennt mich doch gar nicht. Er wird mich für irgendeinen Touristen gehalten haben. Ich sehe aus wie ein Zigeuner.«
»Du bist auch einer!«
Stan Novids Galle giftete wieder hoch, doch der Portugal-Jugoslawe zeigte sich in keiner Weise beleidigt.
»Soll ich die beiden über Bord werfen? Fühlst du dich dann wohler?«
»Narr!«
»Na, eben. Sie sind hübsch. Sie werden mehr Geld bringen als diese Amazonas-Mädchen, mit denen du angefangen hast. Wenigstens fünfhundert Bolivar pro Nummer. Fünfzehn Dollar beim jetzigen Kurs.«
Diese Auskunft schien Stan Novid augenblicklich zu beruhigen. Sein Adrenalinspiegel sank um mindestens die Hälfte. Er wurde wieder geschäftlich.'
»Und die anderen Weiber?«
»Auf dem üblichen Weg. Über den Orinoco. Damit sollte der Bedarf für dieses Jahr gedeckt sein. Ich hoffe, du hast genügend Geld dabei, mich auszubezahlen. Viertausend Dollar pro Mädchen. Und sechs für die beiden dahinten, denn die sind von der absoluten Sonderklasse. Zwanzig sind es diesmal insgesamt. Eingesammelt auf den Inseln zwischen Dubrovnik und der Kvarner Bucht. Susak war meine letzte Station. Und bei den beiden dahinten - da konnte ich einfach nicht widerstehen. Zwölftausend Dollar nach Hause gehen lassen? In dieses rückständige Nest? Bin ich verrückt? Dabei wollte ich auf der Insel nur einen alten Freund besuchen. Er war nicht da. Also habe ich das Beste aus der Situation gemacht und dir einen Fund beschert, von dem sogar du zugeben musst, dass er den Rahmen des üblichen sprengt.«
Vlatko de Figuera sprach über die entführten Mädchen, wie man als Geschäftsmann über Ware spricht. Für ihn bedeuteten sie auch nichts anderes.
Stan Novid hatte er schon vor vier Jahren kennengelernt. Da war de Figuera noch dreißig gewesen. Und Novid war gerade aus den Opalfeldern am Orinoco nach Little Susa (das K am Ende ging in New York verloren), einem kleinen Viertel, nur zwei oder drei Blocks drüben in Hoboken umfassend, zurückgekehrt. Reumütig und enttäuscht, doch mit einer einträglichen Idee im Hinterhirn.
Es gab keine Frauen für die hart schuftenden Digger, außer einigen Indio-Mädchen, die so gar keinem gängigen Schönheitsideal entsprachen. Auch nicht dem der ungefähr 5.000 Mestizen und schon gar nicht dem der zahlreichen weißen Abenteurer aus aller Welt.
Der Gedanke lag nahe, etwas an diesem Zustand zu ändern. Und so waren die beiden ungleichen Männer eben auf die Idee verfallen, jenes Gewerbe anzukurbeln, dem sie jetzt mit so großem Erfolg nachgingen.
Und was hatte für den heimatliebenden Stan Novid näher gelegen, als sich gleich zu Beginn ihrer Bekanntschaft an die Schönheiten seines Geburtslandes zu erinnern? Wobei er ausschließlich Susak meinte. Die übrigen Insulaner entlang der dalmatischen Küste waren ihm in diesem Zusammenhang herzlich egal.
Außerdem: Amerikanerinnen wären ihm sowieso nie für dieses Geschäft infrage gekommen. Viel zu kratzbürstig und unfügsam. Obendrein waren sie ihm schon von jeher ein Gräuel gewesen, und Schwierigkeiten mit amerikanischen Behörden wollte er schon gar nicht haben. Mädchenhandel fiel in die Belange des FBI, das wusste er, und eine angeborene Scheu vor jeder Art von Milizija hielt ihn zudem davon ab, dieses Wagnis überhaupt erst in Betracht zu ziehen.
Wie einfach musste es dagegen sein, hatte er sich da gesagt, auf die Mädchen jener Inseln zurückzugreifen, die von den Touristenströmen aus dem Norden bisher kaum gestreift wurden, von denen die jungen Mädchen aber trotzdem reihenweise flohen, um entweder auf dem Festland, auf den Inseln der Fremden oder gleich im Ausland ihr Glück zu versuchen.
Die dortige Polizei hatte für Vermisstenmeldungen jener Art schon längst kaum mehr als ein Schulterzucken übrig. Wo hätte sie zu suchen beginnen sollen? Obendrein behinderten sich die einzelnen Organe dieses Vielvölkerstaates, seit er in seiner Auflösung begriffen war, ohnehin gegenseitig, wo sie nur konnten, und standen in dieser Hinsicht ihrer jeweiligen politischen Führung in nichts nach.
Und so war Stan Novids Idee eine narrensichere Idee gewesen.
Nur auf seiner Heimatinsel, auf Susak vor Losinj, hätte de Figuera eben nicht tätig werden sollen. Denn für Stanislav Novic, alias Stan Novid, galt wenigstens sie als heilig und deshalb unantastbar.
Verdammt hübsch waren sie ja!, stellte er fest. Und gesund offenbar. Nicht einmal innerhalb von zwei Jahren kaputt zu kriegen. Nicht einmal unter den unmenschlichen Bedingungen, unter denen sie würden arbeiten müssen, ohne jemals auch nur einen Bolivar Lohn in die Finger zu bekommen. Wo sollten sie schon hinfliehen, mitten im Dschungel, in dem noch Panther und Leoparden heimisch waren? Von einigen kriegerischen Indio-Stämmen gar nicht erst zu reden! Angeblich gingen sogar heute noch einige von ihnen der Kopfjagd nach, nicht zu verwechseln mit der Menschenfresserei. Die war im Amazonasgebiet entgegen aller diesbezüglichen Gräuelmärchen noch nie heimisch gewesen.
Bei dem einen der Mädchen, es machte den reiferen Eindruck, war der Rock weit über die Oberschenkel gerutscht. Und diese sehr schönen festen Schenkel brachten Stan Novid auf vergessen geglaubte Gedanken. Die Haare hatte die »Kleine« per Dauerwelle in einen modischen Wuschelkopf verwandelt, während das andere Mädchen einen doch noch eher kindlicheren Eindruck machte.
Nun, die verrohten Digger würde das gewiss nicht stören. Ganz im Gegenteil. Der Marktwert der zweiten war deshalb möglicherweise sogar noch größer.
In Stan Novids Gehirn reifte in diesem Moment eine vollkommen neue Idee.
»Na? Hast du dich inzwischen wieder halbwegs beruhigt?«, fragte Vlatko de Figuera von der Seite her.
Doch der feiste, ziemlich unansehnliche und schon gar nicht mehr jugendfrische Mann aus Susak antwortete nicht. Er war zu sehr in seine Gedanken versunken.
Und in seinen so plötzlich und unerwartet erwachten Johannistrieb.