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Vlatko de Figuera flog nach Sicht. Flugüberwachung und ähnliche neu modische Kinkerlitzchen gab es nicht im östlichen Teil Venezuelas, sondern nur in der Nähe der beiden internationalen Airports von Caracas und Maracaibo. Und die Militärmaschinen sausten ohnehin herum, wie deren Piloten und ihre Vorgesetzten gerade lustig waren.

Jenen Landstrich allerdings, den nun der Portugal-Jugoslawe ansteuerte, mieden auch sie. Selbst wenn sie sich im Bedarfsfall mit dem Schleudersitz aus ihren Maschinen katapultierten, bestand kaum Hoffnung, dass man sie je wiederfand: Unter der kleinen Piper dehnte sich nichts mehr als eine gleichmäßig grüne Decke aus Blattfilz, von einzelnen Flussläufen silbern durchzogen.

Das breiteste Band war der Orinoco, doch den überquerte de Figuera bereits rechts von Ciudad Bolivar, die einzige Stadt in dieser Gegend, welche diesen Namen noch verdiente.

Etwas südlich davon schwenkte er dann um und nahm den höchsten Gipfel des Berglands von Guayana als Orientierungsmarke vor den Propeller. Ein uraltes Massiv aus Sedimentgesteinen, das seltsamerweise nur um die 100 Kilometer nach Guayana hineinreicht, gut tausend Kilometer jedoch nach Venezuela, mit dem Cerro Yavi als seinem höchsten Gipfel im Westen.

Vlatko de Figueras nächster Zielpunkt. Er musste bis hinauf in Höhen von 9000 Fuß.

»Du bist auf einmal so schweigsam, Stan.«

»Hm?«

»Du bist auf einmal ...«

»Da, da, da. Hab’ schon verstanden. Wer sind die beiden dort hinten eigentlich? Hast du die Namen?«

»Bin ich ein Anfänger? Ich habe sie natürlich ausgehorcht bis aufs Höschen, bevor ich sie abschleppte. Dieser Visoco, dieser Wirt, kann jedenfalls nichts verpetzen. Ich habe sie vorausgeschickt, ihnen erzählt, ich würde ihnen meine Yacht zeigen, während ich noch eine halbe Flasche Wein bestellte. Die dummen Gören haben prompt draußen in der Kälte und in der Nacht gewartet, bis ich fertig war. Und inzwischen musste ich natürlich mal aufs Klo und hab dort mein kleines Walkie-Talkie aktiviert. Meine beiden Leute waren auch schon da, als ich das Lokal verließ. Quer über Susak zu laufen, dauert nun mal nicht länger als eine halbe Stunde.

Dann ein Zeichen von mir, zwei Handkantenschläge an die richtigen Stellen und anschließend eine Spritze - schon war’s geschehen. Die beiden wussten gar nicht, wie ihnen geschah.«

»Ihr habt sie vergewaltigt?«

»Das Übliche bei fast vier Wochen Fahrt über den Atlantik mit einem Fischkutter. Aufgepasst hab’ ich nur auf deine beiden Heimatvögel. Die blieben mit Sicherheit unversehrt. War ja auch nicht schwer bei dieser Auswahl. Schließlich hatte ich da bereits sechzehn andere Maiden an Bord. Wie schon gesagt: Ich wollte auf Susak nur einen alten Freund von früher her besuchen.«

»Du hast meine Frage nicht beantwortet.«

»Moment, bitte. Ich muss mich schnell mal um die Fliegerei kümmern. Bin gleich wieder auf Empfang.«

Sie sahen jetzt den Orinoco wieder in dunstig weiter Ferne, und der Dschungel hatte die Erde unter ihnen erneut lückenlos erobert.

De Figuera schaltete um auf den provisorischen Zusatztank, einen Polyäthylensack, der fast den gesamten Gepäckraum einnahm.

Normalerweise transportierte er nicht so viel Gewicht in dem kleinen Maschinchen, sondern lediglich ein paar Kilo Opale im Wert von mehreren zigtausend Dollar.

Seit sich Stan Novid auf seine Weise flüssig gemacht und ein paar Aufkäufer beiseite geräumt hatte, brauchte er nicht mehr selbst im Dreck zu buddeln. Diese Zeiten waren aus und vorbei. Nun war er der König vom Rio Paru und einer Hüttensiedlung, deren Name auf keiner Karte der Welt verzeichnet ist.

Am allerwenigsten auf den Generalstabskarten Venezuelas, denn der Abbau geschah selbstverständlich illegal. Korruption macht eben alles möglich und ist trotz böser Zungen in der südlichen Hemisphäre der wichtigste Wirtschaftsfaktor überhaupt.

»Ja, Stan? Wo waren wir stehen geblieben?«

»Du hast sie vorher ausgehorcht, die beiden dort hinten. Die Namen?«

»Der Wuschelkopf heißt Jasna Bockai, in zwei Monaten neunzehn. Die Clevere von beiden, wenn du mich fragst. Na ja, mit einer Einschränkung: Die andere hatte in der Schule stets die besseren Noten. Haben sie mir alles erzählt.«

Stan Novid kratzte sich am Kinn.

»Bockai? Bockai?«

De Figuera grinste. Seine Grübchen waren immer noch hübsch anzusehen.

»Kennst du nicht«, sagte er. »Ab und zu geschehen eben noch Wunder. Die andere heißt übrigens Marija Pavlekovic. Und keine entstammt einer der alteingesessenen Familien. Das ist doch dein Problem! - Sonst hätte ich sie doch nie mitgenommen! Ihre Familien sind beide erst während der letzten fünf Jahre auf die Insel gekommen. - Natürlich wunderte ich mich darüber. Wer zieht schon freiwillig nach Susak? Zieht ihr nicht seit fast einhundertfünfzig Jahren alle freiwillig weg? Habt ihr nicht euer eigenes Viertel in Hoboken?«

Stan Novids Gesicht lief noch röter an, als es ohnehin schon war. Der Portugal-Jugoslawe hatte seinen Finger in eine offene Wunde gelegt.

Mit Absicht. Doch jetzt sagte er schnell: »Okay, okay, Partner. Ich wollte nicht an deiner Seele kratzen. Aber bei mir lief das nun mal ein bisschen anders. Ein Engländer verschleppte meine Mutter, nachdem sie erst mal Zadar in Schutt und Asche gebombt hatten und weiterrückten nach Rijeka. Nach dem Krieg ging’s dann nach Gibraltar. Dort ließ er sie sitzen, der Engländer. Nach ein paar Jahren allerdings erst. Meine arme Mutter schlug sich durch nach Lissabon und fand dort einen alten Trottel, diesen de Figuera. Ich weiß nicht einmal genau, wer mich gemacht hat. Dieser Portugiese oder noch der Engländer. Meine Mutter wusste es ja selbst nicht genau. Das war schließlich schon einige Jahre nach Hitlers heldischem Selbstmord in Berlin.«

Novids Gesicht schlug allmählich um auf Violett. Es konnte auch daran liegen, dass Vlatko de Figuera zu einem rasanten Sinkflug ansetzte. Denn die Berge hatten sie nun hinter sich.

»Wo kamen sie her, die Mädchen?«

De Figuera bewahrte Ruhe. Er saß am Steuerknüppel eines schwachen Flugzeugs.

»Die Bockai kam aus Split zugezogen. Die Tochter eines Schriftstellers und Poeten. Er konnte sich die dortigen Mieten nicht mehr leisten. Und die Eltern der Pavlekovic haben dort ein Haus geerbt. Es gefiel ihnen offenbar in dieser Einöde, und so blieben sie. Offenbar lebten sie alle miteinander von irgendeiner Rente. Marija wusste nichts Näheres darüber, sonst wüsste ich’s jetzt auch.«

Den Sinkflug fing de Figuera mit elegantem Schwung ab. Stan Novid rutschte der Magen nur bis ans Brustbein. Er überwand seine Übelkeit. Das Ziel war nah, fast schon zum Greifen nah.

Und die Hüttensiedlung hieß, der Sprache der Waika nach, einem der Indiostämme entlehnt und nach westlicher Manier verballhornt, El Tapuka. Der rote Tod. Eigentlich hätte sie Tai pukaiipakapo heißen müssen.

Zum Glück hatte es die letzten Tage nicht geregnet, sonst hätte die Piper auf Schwimmflossen landen müssen. Die aus dem Dschungel brandgerodete Sandpiste war die Hälfte des Jahres eine Schlammpiste, wurde jedoch auch dann immer wieder schnell getrocknet von der äquatornahen Sonne. El Tapuka befand sich nur etwas über zwei Grad auf dem nördlichen Breitengrad.

Nach kaum mehr als drei harten Hopsern, die dem Fahrgestell alles abverlangten, konnte de Figuera bremsen. Die Staubfahne musste meilenweit zu sehen sein. Doch außer den Diggern und ein paar unwichtigen, im Regenwald verstreut lebenden Eingeborenen nahm sie hier keiner wahr. Im »Territorio Federal Amazonas« regierte das Parlament in Caracas zwar nominell, aber nie und nimmer in der Praxis. Der nächste Polizeiposten befand sich in Puerto Ayacucho am Orinoco, der dort auch den Grenzfluss zu Kolumbien bildet, um die 250 Kilometer Luftlinie und etwa 1000 Dollar Schmiergeld pro Jahr entfernt.

Und die bezahlte Stan Novid aus der Portokasse.

Die Maschine kam zum Stehen.

Novid wusste nicht mehr, wie oft er sich jetzt schon, noch vor dieser langen Unterhaltung, auf seinem Segeltuchsessel umgedreht und das verrutschte Kleid betrachtet hatte. Ach was: die Schenkel, die festen. Die Brüste - nicht zu klein und nicht zu groß und noch achtzehn Jahre jung. Ein wahrhaft hübsches Mädchen, diese Jasna.

Die Sexualpäpste unter den Medizinern mochten das, wozu Stan Novid sich nun endgültig entschlossen hatte, seinetwegen sogar als Frischzellen Therapie für Lustgreise abqualifizieren.

Er jedoch glaubte sich besser zu kennen. Trotz aller aufkeimenden Bedenken, die ihm sein sonst so untrüglicher Instinkt schmackbar machen wollte.

Die kleine Piper war gerade endlich zum Stehen gekommen, Vlatko de Figuera hatte das Maschinchen zurück gegen den Wind gedreht, als Jasna Bockai die Augen aufschlug.

Schwarze Seen. Tief wie das Universum.

Stan Novid war hingerissen, seine Kehle so rau, dass er nicht einmal ein Krächzen zusammenbrachte.

Also sagte er gar nichts.

Wahrscheinlich wäre ihm das Reden und Fluchen und Toben ausgezeichnet gelungen, hätte er nur geahnt, dass ihm Jasna als von Vlatko de Figuera ins Bett gelegte Zeitbombe zugedacht war.

Jasna Bockai stand schon längst nicht mehr unter Drogen. Sie hatte sich die ganze Zeit über sehr bewusst so lasziv gewunden auf diesem engen Rücksitz der Piper.

Und Stan Novid dabei so ziemlich alles gezeigt, was sie hatte.

Nur ihre Heimtücke nicht.