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Bount Reiniger und June hatten Überstunden gemacht. Er staunte immer wieder aufs Neue, wie so ein zartes, wenn auch leicht vorderlastiges Persönchen, das gerade 115 Pfund wog, tonnenweise Charme versprühen konnte. Vermutlich schaffte sie es im Bedarfsfall sogar, selbst noch die Homos unter der New Yorker Beamtenschaft so nachhaltig zu becircen, dass sie ihr jeden Gefallen erwiesen.

»Darf ich dich zum Essen einladen, June? Du warst einfach großartig!«

Er saß hemdsärmelig hinter seinem Schreibtisch, die dunkelbraunen Haare hingen ihm in die Stirn, vor ihm häuften sich Fernschreiben und Computerauszüge zu Stapeln. Es waren Listen von der Einwanderungsbehörde, Statistiken darüber, wo sich einzelne Bevölkerungsgruppen derzeitig bevorzugt gruppierten, ja massierten, Informationen von Zeitungsausschnittbüros, den Mädchenhandel der letzten Jahre betreffend, und Ähnliches mehr. Bount Reiniger hatte während der letzten Stunden all diese Materialfülle konzentriert mit dem Rotstift durchgeackert.

Schon der zweite Aschenbecher lief über. Der Kaffeeausstoß des Automaten im Hause Reiniger war enorm gewesen.

»Wohin?«

»Wohin du willst.«

»Das kommt dich teuer.«

»Du bist mir teuer. Wann ist der Bote da?«

Sie schaute auf die brillantsplitterbesetzte Cartier an ihrem Handgelenk. Sie bevorzugte das Modell für Männer. Vermutlich, weil beim annähernd selben Preis mehr Brillantsplitter draufpassten.

»In spätestens fünf Minuten. Normalerweise sind die Jungs pünktlich, wenn man ihnen nur schmachtend genug ins Ohr singt.«

»Welche Vorabinformationen hast du?«

»In dem Zeitraum, der uns interessiert, gingen genau vierundachtzig Hilfeersuchen der jugoslawischen Polizei an die Österreicher und die Italiener. Die zweiundfünfzig Männer dürfen wir wohl vergessen. Nur eines fiel mir auf: Unter den weiblichen Personen waren erstaunlich viele junge Mädchen. Ausnahmslos von der Inselgruppe der Koronaten und der nördlichen Elaphusen. Das sind die um Dubrovnik herum.«

»Ragusa«, verbesserte Bount.

»Hooo!«, machte die March. »Kann ich fortfahren?«

»Ich bitte darum.«

»Vierundzwanzig junge Mädchen zwischen vierzehn und achtzehn. Einige davon werden als chronische Ausreißerinnen bezeichnet. Ihre Namen tauchten öfter in den Kontrollersuchen der Jugoslawen auf. Das hab ich alles so nebenbei erfahren. So beim Plaudern.«

»Und wie, zum Teufel, hast du die Funkfotos von dieser Pavlekovic und der Bockai losgeeist? Die sind doch sonst nicht so kooperativ.«

June grinste und zog ihren Rock nach unten. Eher eine symbolische Geste.

»Unser adeliger Lederapfel brachte mich auf die Idee. Du führst eine angesehene Agentur. Und Personensuche fällt nun mal in den normalen Bereich jener Institute. Ich behauptete schlicht und einfach, du würdest in einer Erbschaftsangelegenheit ermitteln - was so arg ja gar nicht gelogen war  und unsere eigenen Recherchen vor Ort hätten ergeben, dass die beiden Mädchen nicht an ihren uns bekannten Adressen auffindbar seien, sie sich jedoch möglicherweise im Ausland aufhielten. Es handle sich um eine sehr große Erbschaft. Und da sei es doch ein Akt christlicher Nächstenliebe, wenn sie uns ein bisschen helfen würden: >Sie haben Fotos der beiden jungen Damen nicht zufällig in Ihren Computern, Sir? Es würde uns die Suche sehr erleichtern. Bitte, haben Sie doch ein Herz, Sir ...<«

In diesem Moment klingelte es im Vorzimmer.

Mit Schwung drehte die March sich um und stöckelte zur vorderen Tür. Sie öffnete einem jungen Mann in Zivil. Er war höchstens sechzehn Jahre alt. Einer von einem der zahllosen Botendienste New Yorks. Er streckte ihr ein braunes Kuvert entgegen.

»Ja?«

»I... i... ich soll das hier abliefern, M... M... Miss!«, stammelte er. »U... u... und sagen, dass die beiden Damen von den jugoslawischen Behörden als vermisst gemeldet sind. W... wenn Sie noch irgendwelche Rückfragen haben sollten, dann ...«

»Vielen, vielen Dank, junger Herr. Ich weiß schon Bescheid.«

Damit machte sie ihm sanft die Tür vor der angelaufenen Nase, dem hochroten Gesicht, den Aknepickeln und den Basedowschen Augen zu.

Die Funkfotos der beiden Mädchen hatten sie also. Bount schmunzelte amüsiert.

»W... w... wann kaufst du dir endlich mal einen 1... 1... längeren Rock?«, fragte er.